Anna oder: Was von einem Leben bleibt – Henning Sußebach

AutorHenning Sußebach
VerlagC.H.Beck
Datum10. Juli 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten205
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3406836268

„Dieses Buch ist ein Versuch, eine Erinnerung zu retten. Einen jener Menschen wieder ins Licht zu ziehen, der in unruhigen Zeiten lebte, die unseren heute nicht ganz unähnlich sind.“ (Zitat Seite 10)

Inhalt

Am 29. April 1866 kommt Anna als viertes Mädchen der Familie Kalthoff zur Welt. Sie ist klug und soll Lehrerin werden. 1887 ist es soweit, die zwanzigjährige Anna kommt als neue Dorfschullehrerin nach Cobbenrode. Damals ist das ein Dorf mit dreiundachtzig Häusern und fünfhundertsieben Einwohnern. Das Dorfzentrum bilden Kirche, Pfarrhaus und Schule, und das große Haus der Familie Vogelheim, zunächst Halt der Postkutsche, Post und Wirtshaus, dann auch Kaufhaus, Baumarkt und Treffpunkt für kulturelle Veranstaltungen. Clemens Vogelheim, der älteste Sohn, und Anna verlieben sich. Die Familie Vogelheim lehnt die junge Lehrerin ab. Anna ist nicht nur vier Jahre älter als Clemens, sondern auch arm, denn Lehrerinnen sind schlecht bezahlt. Außerdem müssen Lehrerinnen ledig bleiben. Um 1900 ist überall Aufbruchsstimmung, nur Annas Leben bleibt im Stillstand, bis 1902 Vater Vogelheim stirbt. Sohn Clemens ist der Haupterbe und verlobt sich mit Anna. Damit endet Annas Tätigkeit als Lehrerin und ein neues Leben mit neuen Herausforderungen beginnt – und es sind große Herausforderungen, die unerwartet rasch auf Anna zukommen.

Thema und Genre

In diesem Buch erzählt Henning Sußebach die Geschichte seiner Urgroßmutter. Es geht um ein Frauenleben zwischen 19. und 20. Jahrhundert. Anna Kalthoff war keine bekannte Persönlichkeit, sondern zählte zu den gewöhnlichen Menschen. Doch sie und ihr Leben waren für die Situation der Frauen in der damaligen Zeit alles andere als gewöhnlich.

Erzählform und Sprache

„In jeder Biografie spiegelt sich Weltgeschehen …“ (Seite 9) und so ergänzt der Autor die Geschichte seiner Urgroßmutter mit wichtigen geschichtlichen Ereignissen, die in den jeweiligen Jahren stattgefunden haben und prägend und zukunftsweisend waren. Annas Leben schildert er einfühlsam anhand von Dokumenten und Fotografien, die er finden konnte. In seiner Familie lebt inzwischen niemand mehr, der Anna noch persönlich gekannt hatte und ihr Nachlass besteht aus nur wenigen Unterlagen und Gegenständen. Zusätzliche Informationen über das Dorf, sowie Berichte über das soziale und zeitgeschichtliche Lebensumfeld  findet er in den zahlreichen Archiven und Museumssammlungen, die er durchstöbert. So entsteht dieses Buch aus vielen kleinen Fragmenten. Das Resultat ist die chronologisch erfasste Lebensgeschichte einer für ihre Zeit sehr eigenwilligen und selbstbewussten, mutigen Frau. Die angenehm fließende Sprache schildert lebhaft und eindringlich, lässt uns sofort in diese Zeit, das Dorfleben und die Ereignisse in diesem Frauenleben eintauchen.

Fazit

Eine biografische Erinnerung an ein wechselvolles, interessantes, selbstbestimmtes  Frauenleben in einer ebenso wechselvollen Zeit der Umbrüche, wunderbar erzählt.

Dorf ohne Franz – Verena Dolovai

AutorVerena Dolovai
VerlagSeptime Verlag
Datum12. Februar 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten168
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3991200352

„Ich bin kein hübsches, zartes Pflänzchen, das fürsorglicher Pflege bedarf. Eher der robuste Dornenbusch, der kaum Wasser braucht und selten Blüten trägt.“ (Zitat Pos. 319)

Inhalt

Maria ist das mittlere Kind zwischen dem fünf Jahre älteren Bruder Josef und dem vier Jahre jüngeren Bruder Franz. Josef erbt den Hof und die Grundstücke, der als Kind zarte, von der Mutter deshalb verwöhnte Franz erhält Geld und verlässt das Dorf, so bald er kann. Von Maria, die ja nur ein Mädchen ist, wird erwartet, dass sie den Erbverzicht unterschreibt, möglichst rasch einen Ehemann im Dorf findet und fleißig für alle arbeitet. Während ihre Freundin Theresa auf ein Internat gehen darf und dadurch für immer der beklemmenden Enge des Dorfes und der ebenso eng denkenden Dorfgemeinschaft entflieht, bleibt Maria und führt ein Leben als pflichtbewusst mitarbeitende Hilfskraft, Pflegerin, Ehefrau und Mutter einer Tochter. „Ich habe der Rolle entsprochen, die erwartet wurde. Weil ich nicht auffallen wollte, weil ich es nicht konnte?“ (Zitat Pos. 963)

Thema und Genre

n diesem Roman geht es um Erinnerungen an ein hartes Leben voller Entbehrungen und Verzicht auf dem Land, in einer Familiestruktur mit dem beklemmend traditionellen Frauenbild, um unerfüllte Träume eines Mädchens, später Frau, das Dorf zu verlassen und ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen.

Erzählform und Sprache

Maria, die Hauptfigur, erinnert sich im Heute an ihr Leben zurück. Sie erzählt von ihrer harten Kindheit in den 1960er Jahren, von fehlender Mutterliebe, von der unerfüllten Sehnsucht nach einer Ausbildung. Sie schildert ihren Alltag in einem engen, von den Männern dominierten Familiengefüge und starren Dorfleben. Chronologisch folgen wir ihrem Weg als Kind, als junge Frau, als Ehefrau und Mutter. Langsam enthüllen sich einige Familiengeheimnisse, es wird klar, warum der jüngere Bruder Franz das Dorf verlassen hat, denn in Marias Erinnerungen taucht er trotz seiner Abwesenheit immer wieder auf. Die knappe und dadurch eindringliche Erzählsprache verstärkt in ihrer Ausdrucksweise die Hauptfigur und das Genre.

Fazit

Landleben ohne falsche Romantik, Frauenleben in einer Welt der Väter, Brüder und Ehemänner, fern jeder Freiheit und Gleichstellung. Man möchte die Hauptfigur abwechselnd mitfühlend in Gedanken umarmen, dann wieder eindringlich auf sie einreden, sie metaphorisch anschreien, dass es nicht so sein muss, dass sie die Dinge ändern könnte, ihr Leben selbst in die Hand nehmen, so wie sie es sich in all den Jahren wünscht. Eine beklemmende, gleichzeitig beeindruckende Geschichte.