Mitten im Tag – Andrea Winkler

AutorAndrea Winkler
VerlagSonderzahl Verlag
Datum30. Januar 2025
AusgabeTaschenbuch
Seiten168
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3854496700

„Man müsste jetzt wirklich hinausgehen, dachte ich, und in die Straßenbahn steigen, so, als wäre man noch nie in die Straßenbahn gestiegen, und hätte all das noch nicht gesehen, was ringsum sich bewegte.“ (Zitat Pos. 82)

Inhalt und Thema

Dieser Prosaband besteht aus zwei Teilen, der erste Teil enthält Erzählungen, der zweite Teil enthält Essays, Beiträge, die auf besondere Einladung zu Vorträgen und Gesprächen mit vorgegebenen Themen entstanden sind und bereits veröffentlicht wurden.

Die auch sprachlich mit unterschiedlichen Ausdrucksformen spielenden Texte umfassen einen vielfältigen Bereich aus intensiven Beobachtungen, verbunden mit eigenen Gedanken, Überlegungen, Abschweifungen in mögliche, imaginäre Fortsetzungen von Situationen.

In den Erzählungen stehen die unterschiedlichen Möglichkeiten des Reisens, der Fortbewegung zwischen Gehen, Wandern und Fahrten mit Straßenbahn und Bahn, der Beobachtung des Verhaltens der Mitmenschen, des Erkundens von Orten und Naturereignissen im Mittelpunkt. In einer Erzählung es um eine beklemmende Theateraufführung, in einer anderen um wehmütige Erinnerungen an die Großmutter.

In den Essays nimmt die Autorin Bezug auf Literatur, denkt über die Einsamkeit auf Buchmessen nach, zitiert für sie prägende Stellen in Erzählungen von Čechov, Tolstoi, Woolf bis zu Grillparzer und Kafka. Auch christliche Mystik aus Vergleichstexten fließt in das weite Spektrum der vergleichenden Beispiele ein.

Fazit

Es sind die vielen Gefühlsfacetten und zeitlos aktuellen Fragen, die diesen anspruchsvollen Erzählband prägen, und daraus ergibt sich eine ungewöhnliche, interessante Leseerfahrung.

Südliche Autobahn – Julio Cortázar

AutorJulio Cortázar
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum5. Juni 2019
AusgabeTaschenbuch
Seiten266
SpracheDeutsch
ÜbersetzerRudolf Wittkopf
Fritz Rudolf Fries
Wolfgang Promies
ISBN-13978-3518242278

„Nie wird man wissen, wie das erzählt werden muß, ob in der ersten Person oder in der zweiten, indem man sich der dritten Person des Plurals bedient oder fortwährend Formen erfindet, die sich dann als nicht brauchbar erweisen.“ (Zitat Seite 379)

Thema und Inhalt

Es sind Alltagsthemen und alltägliche Situationen, über die Julio Cortázar schreibt. In der Sammlung „Geschichten der Cronopien und Famen“ finden sich auch kurze Texte, die mit wenigen Worten auskommen und dennoch eine ganze Geschichte erzählen. Diese oft skurrilen Texte verpacken sehr gekonnt die Freude am Spielen mit der Sprache und Humor mit ernster Gesellschaftskritik. Im Abschnitt „Handbuch der Unterweisungen“ finden sich zum Beispiel Unterweisungen im Weinen, im Singen, im Uhrenaufziehen, im Treppensteigen, im Verständnis berühmter Gemälde. Es folgen „Sonderbare Beschäftigungen“ über den wechselvollen Tag einer Tageszeitung und über das Verhalten bei Beerdigungen, sowie über die vergeblichen Bemühungen eines Kamels für eine Einreisegenehmigung. Cronopien und Famen sind phantastische Wesen mit sehr unterschiedlichen Eigenheiten und Verhalten, und darüber lesen wir in den Geschichten, in deren Mittelpunkt sie stehen.

In der ersten Sammlung dieses Buches finden wir die für Julio Cortázar so typischen Erzählungen zwischen Realität und Phantasie. Die Erlebnisse der einzelnen Figuren beginnen mit gewöhnlichen Situationen, ein Brief von Mama, ein Theaterbesuch. Zunächst kaum zu bemerken, wenden sich die Ereignisse Satz um Satz in beklemmende, bedrohliche Empfindungen und jeder Versuch der Figur, einen Ausweg zu finden, steigert nur die Ausweglosigkeit, was ist noch Realität, was bereits nicht mehr zu erklären?

Völlig unterschiedlich dagegen sind die Erzählungen der letzten Sammlung dieses Bandes, die mit einer Geschichte über menschliches Verhalten zwischen Realität und Gedankenströmen während eines langen Staus auf der Autobahn vor Paris beginnt. Einige der weiteren Erzählungen sind geprägt von den Eindrücken jener Jahre, die der Schriftsteller in Buenos Aires verbracht hat, und befassen sich kritisch mit der politischen Situation in Argentinien. In dieser Sammlung finden sich auch beeindruckende Geschichten, in deren Mittelpunkt  die menschlichen Gefühle stehen und die Suche nach dem schmalen Pfad zwischen Realität und Einbildung. „Mehr als einmal habe ich das Gefühl gehabt, als setzte sich alles wie von selbst in Bewegung, als besänftigte sich alles, als wiche der Boden zurück, und widerstandslos war ich bereit, auf diese Weise von einer Sache zur anderen zu schreiten.“ (Zitat Seite 667, aus „Der andere Himmel“)

Gestaltung

Dieser zweite Band der kompletten Erzählungen umfasst die Sammlungen „Die geheimen Waffen“ aus dem Jahr 1959, die „Geschichten der Cronopien und Famen“ aus dem Jahr 1962 und „Das Feuer aller Feuer“ aus dem Jahr 1966 mit der titelgebenden Erzählung „Südliche Autobahn“. Die Reihenfolge der Erzählungen verläuft chronologisch und ist nach dem Erscheinungsdatum der Originalausgaben angeordnet.

Fazit

Eine spannende Mischung von unterschiedlichen Geschichten, die ihren Ausgangspunkt in alltäglichen Situationen haben und mit humorvollen, sehr skurrilen Momenten spielen, oder jedoch aus einer ebenfalls alltäglichen Situation rasch in sich immer mehr steigernde, bedrohliche Krisen führen, eine Spirale von der Realität in das Phantastische und zurück.

„Und ich lass dir als Pfand das Meer – Carme Riera

AutorCarme Riera
Verlagmareverlag
Datum21. Februar 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten112
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinPetra Zickmann
NachwortKirsten Brandt
ISBN-13978-3866487383

„Weil ich aber deinen Namen und deine Adresse unbedingt vergessen wollte, schrieb ich an das Meer in der leisen Hoffnung, dass die Wellen meine Nachricht bis vor deine Haustür tragen würden.“ (Zitat Seite 33)

Thema und Inhalt

Dieser Erzählband aus der Serie „mare-Klassiker-klein“ beinhaltet sechs Erzählungen der bekannten katalanischen Schriftstellerin, die ersten fünf Texte sind 1975 in katalanischer Sprache erschienen, der letzte Text 1977. Die Grundthemen sind das Meer, Inseln und die damit verbundene Sehnsucht nach Weite und persönlicher Freiheit. Es sind Frauen, die am Ende des Franco-Regimes in einer von den Regeln des Patriarchats bestimmten Welt nach einem selbstbestimmten Leben nach den eigenen Vorstellungen suchen. Es sind kurze Erzählungen, die ohne Einleitungen sofort in die Situation führen und da in ihnen auch immer das Schweigen und der Tod als einzige Möglichkeit, frei zu sein, als Thema präsent sind, lassen sie Platz für Interpretationen.

Gestaltung

Dieses Büchlein im Format 10.3 x 1.5 x 15.8 cm ist gebunden, mit Lesebändchen, und ist ebenso ansprechend und wertig gestaltet, wie der dazugehörende Schuber.

Auch der inhaltliche Aufbau ist durchdacht, am Beginn steht die titelgebende Erzählung. „Ich habe Sehnsucht nach dir, Sehnsucht nach dem Meer. Und lasse es dir, mein Liebling, als Pfand.“ (Zitat Seite 41) Den Abschluss bildet die sechste Erzählung, die eine Ergänzung der ersten Erzählung ist, eine andere mögliche Variante, eine andere Sichtweise und so umschließen diese beiden Erzählungen gleichsam die anderen Geschichten. Was sie eint, ist das in unterschiedlichen Formen immer präsente Thema Meer. Im Anhang finden wir ein erklärendes, vertiefendes Nachwort von Kirsten Brandt und die Viten.

Fazit

Es sind beeindruckende, intensive Erzählungen über Sehnsüchte, die leidenschaftliche Liebe zwischen zwei Frauen. Eingebettet sind diese Geschichten in Schilderungen der Natur, des Meeres, der einsamen Stände, der Weite des Himmels der Insel Mallorca. Als Gegenteil dazu steht die Enge in den Straßen von Barcelona. Faszinierend, wie es Carme Riera gelingt, mit wenigen Worten über so viele Facetten von Situationen, Gefühlen und Handlungen zu schreiben.