wolken westwärts: ermittlungen zweiter ordnung – ralf b. korte

AutorRalf B. Korte
VerlagKlingenberg Verlag
Datum1. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten192
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3903284616

„deine Erfahrung soll auch bereits gemachte und laufende beobachtungen der ermittelnden sehen und mit entsprechendem abstand identifizieren, wer denn was gesehen und anderes übersehen hat.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Michael Henze, ein nicht mehr aktiver Kriminalbeamter, wird von Eliza aus Graz kontaktiert, im Namen von Auftraggebern, die zunächst im Hintergrund bleiben. Bru, eine Mitarbeiterin von dem Grazer Unternehmen sens_x, die an brisanten Recherchen gearbeitet hat, ist in Triest ermordet worden. Auf Intervention der österreichischen und amerikanischen Botschaft wurden die Ermittlungen jedoch rasch eingestellt, Unterlagen und die von der Triester Polizei gesammelten Indizien sind verschwunden. Nun soll Henze als neuer Beobachter des bisher Beobachteten nochmals die Hintergründe der Tat ermitteln. Er reist zwischen Berlin, Graz und Triest, Eliza scheint ihm zu folgen und Henze frage sich, ob er tatsächlich den Spuren folgen, oder sie, während er sucht, verwischen soll.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um philosophische, naturwissenschaftliche, psychologische und gesellschaftsrelevante Überlegungen und Themen, in deren Mittelpunkt KI und das Metaverse stehen, verbunden mit der Frage, wie weit es möglich ist, mittels KI durch gezielt eingesetzte Emotionen die Menschen zu manipulieren und in die Gedankenfreiheit einzugreifen. Auch die Literatur und hier vor allem die themenrelevante Lyrik, fließen wiederholt in Henzes Überlegungen ein.

Erzählform und Sprache

wolken westwärts ist im Grunde ein Gedankenmonolog in Romanform. Es sind Henzes Gedanken und Überlegungen, seine Beobachtungen und Selbstbeobachtungen, die wir lesen, mit Auslassungen und Gedankensprüngen. Eliza überlässt Henze Brus Aufzeichnungen, doch auch diese sehen wir nur durch Henzes Gedankenströme, er liest und interpretiert, bindet seine eigenen Überlegungen und Wissen ein. Dialoge finden nicht statt, auch der Informationsaustausch zwischen seiner Auftraggeberin Eliza und Henze erfolgt ausschließlich schriftlich und manchmal vermisst Henze die fehlende Interaktion. Die klare, präzise Sprache verzichtet auf Groß- und Kleinschreibung, was mich zu der Überlegung brachte, dass auch unsere Gedanken ohne Groß- und Kleinschreibung fließen. Der Autor setzt auch die Beistriche sehr sparsam ein. Manche Sätze musste ich zwei Mal lesen, um dann mit Vergnügen diese wohlüberlegte, literarische Wortsetzung und Anordnung im Satz zu erkennen.

Fazit

Dies ist kein einfacher Kriminalroman, sondern es ist eine Vielfalt an gesellschaftsrelevanten, aktuellen Themen, eingebunden in ein gedankliches Verwirrspiel mit möglichen Erkenntnissen. Es gibt beim Lesen und auch danach reichlich Stoff zum Nachdenken und auch neues Wissen über wissenschaftliche Begriffe wie Noosphäre, Metaverse und moderne Lyriker wie Ben Lerner. Eine anspruchsvolle Lektüre, die mich inhaltlich und auch sprachlich gefordert hat, aber es war eine positive Herausforderung, die mich gepackt und begeistert hat.

Der Rabe, der mich liebte – Abdelaziz Baraka Sakin

AutorAbdelaziz Baraka Sakin
VerlagVerlag Klingenberg
Datum31. August 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten137
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinLarissa Bender
ISBN-13978-3903284272

„Tauben stammen von Raben ab. Aber die Tauben lieben die Sanftmut und die Unterwürfigkeit, während die Raben die Rebellion und die Weisheit lieben, weil sie klüger sind und einen reineren Geist haben.“ (Zitat Seite 17, 18)

Inhalt

Der Sudanese Ahmad Al-Nur, genannt Nuri, hatte an der Universität in Khartum Maschinenbau studiert, doch in Europa werden seine Zeugnisse nicht anerkannt. Als sein Asylantrag in Paris angenommen wird, macht er sich als Schrotthändler selbstständig und seine Geschäftsreisen führen ihn durch ganz Europa. Adam Inglitz dagegen, Nuris bester Freund aus Jugendtagen, mit dem er gemeinsam die Fluchtwege quer durch Europa bis nach Calais gemeistert hatte, will nur eines, heimlich nach Großbritannien übersetzen, an der Universität Oxford studieren und anschließend dort Universitätsprofessor werden. Ihre Wege trennen sich. Nun trifft Al-Nur auf einer Dienstreise in Graz ein und sieht dort auf dem Hauptbahnhof zufällig seinen Freund Adam Inglitz nach zwei Jahren wieder, dünn, sichtbar gealtert, bettelnd. Adam scheint ihn nicht wiederzuerkennen und läuft weg. Nuri versucht, seinen Freund zu finden.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Flucht, das Leben der Migranten im Untergrund, um Fluchtrouten, Schleuser, Asylgesetze, die Dublin-Verordnung, aber auch um Zusammenhalt und Freundschaft. Im Mittelpunkt stehen die Menschen mit ihren Träumen, Hoffnungen, mutigen Entscheidungen, aber auch Entbehrungen und Verzweiflung.

Erzählform und Sprache

Zu Beginn der Geschichte schildert Al-Nur als Ich-Erzähler das Wiedersehen mit Adam Inglitz, ergänzt durch viele Erinnerungen an die gemeinsame Zeit im heimatlichen Dorf und am Gymnasium. Er erinnert sich an prägende Episoden auf ihrer Fluchtroute, die Gefahren und die erste Zeit in Europa. Die Ich-Perspektive bleibt, doch es sind nun unterschiedliche Personen, die jeweils ihren Teil der Geschichte, ihre eigenen Erinnerungen und persönlichen Erlebnisse mit Adam Inglitz erzählen, in denen auch die Liebe einen Platz hat. So ergibt sich ein eindrückliches, vielschichtiges Gesamtbild, ein besonderer Blick auf einen besonderen Menschen, geschrieben in einer präzise beobachtenden und gleichzeitig sehr poetischen Sprache.

Fazit

Eine einfühlsame Geschichte über die harte Realität der Migration und des illegalen Lebens ohne Aufenthaltsstatus, aber auch über Hoffnungen, Träume, Freundschaft und Liebe. „Ohne ihn hätte der Dschungel mich umgebracht, die Hoffnungslosigkeit des Dschungels, seine salzige Luft und seine giftigen Winde.“ (Zitat Seite 131)

Lausanne – Sherzad Hassan

AutorSherzad Hassan
Verlag Klingenberg Verlag
Erscheinungsdatum 24. Juli 2023
FormatTaschenbuch
Seiten66
SpracheDeutsch
ÜbersetzerRawezh Salim
Raphael Urweider
ISBN-13978-3903284210

„Ich weiß, es ist seltsam, aber ich fühlte mich wie ein Land, das in unzählige Teile zerrissen war, genau wie Kurdistan.“ (Zitat Seite 13)

Thema und Inhalt

Die Erzählung Lausanne ist eine Metapher auf das Schicksal des kurdischen Volkes, als ihr Land Kurdistan durch den Vertrag von Lausanne am 24. Juli 1923 in vier Teile aufgeteilt wurde, die an vier unterschiedliche Länder gingen.

Der Kurde Kawa studiert an der Sorbonne und ist geprägt von dem Schmerz, der Melancholie und Trauer über die Spaltung seines Landes. So kann aus einer möglichen Liebesgeschichte mit der Schweizer Studentin Lausanne schon auf Grund ihres Namens nur etwas Bitteres, zutiefst Trauriges und Verstörendes werden.

Die Erzählung wird ergänzt durch ein Interview mit dem Sherzad Hassan, seinen Vortrag „Zu Sprache und Person eines Autors“ und einen Beitrag von Sherko Kirmanj über den Vertrag von Lausanne.

Umsetzung

Die  Erzählung umfasst 26 Seiten und wurde im Jahr 2000 geschrieben. Im daran anschließenden Interview mit dem Autor, welches im Juli 2023 von Raphael Urweiler, Laura Schuler und Paul Klingenberg geführt wurde, erklärt dieser den politischen, aber auch traumatisierenden psychologischen Hintergrund seiner Erzählung und die Bedeutung seiner Figuren.

Daran schließt ein Beitrag von Prof. Sherko Kirmanj „Der Vertrag von Lausanne und das Los der Kurden“ an. Hier erklärt Sherko Kirmanj die weitreichenden Auswirkungen des Vertrages von Lausanne auf die Kurden. Denn hier wurden die im alten Vertrag von Sèvres festgeschriebenen Artikel 62 – 64 gestrichen, welche die Bildung eines eigenständigen, unabhängigen Kurdistan vorsahen und anderen politischen Zielen, vor allem den Interessen Großbritanniens, geopfert.

Den Abschluss dieses Buches bildet ab Seite 45 die Niederschrift eines Vortrags von Sherzad Hassan, gehalten am 18. Juni 1997 auf einer PEN Literaturkonferenz zum Thema „Zu Sprache und Person eines Autors“.

Fazit

„Es geht nicht um Schwarzmalerei, aber ich gehe davon aus, dass uns im Mittleren Osten in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht das denkbar erbärmlichste Schicksal der nächsten Jahrhunderte ereilen wird.“ (Zitat Seite 48) Dieses Zitat stammt aus dem PEN-Vortrag von Sherzad Hassan vom 18. Juni 1997 und die zeitlos gültige Aktualität und neue erschütternde Brisanz seit 2023 sind mit ein Grund, diese ungewöhnliche Erzählung und auch die interessanten, in ihrer Vielseitigkeit das Thema mit weiterem Wissen vertiefenden Anhänge zu lesen.

Die Nacht, in der Jesus herabstieg – Sherzad Hassan

AutorSherzad Hassan
Verlag Klingenberg
Erscheinungsdatum 18. November 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten280
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinUte Cantera-Lang
ÜbersetzerRawezh Salim
ISBN-13978-3903284135

„Wir alle warten auf einen Fetzen Papier, um zu beweisen, dass auch wir das Recht auf Leben haben. Auf dem Papier steht geschrieben, warum, wie und wann wir geflüchtet sind – ein Haufen Geschichten, zusammengesetzt aus Wahrheiten und auch Lügen.“ (Zitat Seite 13)

Inhalt

Der nun sechsundvierzig Jahre alte Ich-Erzähler mochte schon als Kind keine Menschenmassen und alle hielten ihn für einen Einzelgänger. Diese Einsamkeit in ihm bleibt bestehen, auch als er längst erwachsen ist. Besonders tief sind die Einsamkeit und eine erdrückende Traurigkeit während der Weihnachtszeit. So auch in dieser Neujahrsnacht, in der er über sein Leben, seine ferne Heimat und Familie, über die Menschen und das endlose Warten auf seine Aufenthaltsbewilligung hier in Finnland nachdenkt. Genau diese Nacht wählt Jesus für seine Rückkehr auf die Erde und der kurdische Flüchtling, der allein bei Kerzenschein in seinem Zimmer in einem Flüchtlingsheim in Finnland sitzt, lädt ihn in sein Zimmer und auf ein Glas Wein ein. Aus dem Glas werden mehrere, aus dem Augenblick Stunden. Jesus ist gekommen, um alle Menschen an seine Botschaft zu erinnern, einander zu lieben. Doch seinem kritischen Gegenüber scheint der Zeitpunkt an diesem Tag, wo alle in Feierlaune sind und sicher keinen Prediger hören wollen, denkbar ungünstig. Andererseits ist er doch gespannt auf die Reaktion der Menschen.

Thema und Genre

Dies ist ein philosophischer, religionskritischer Roman mit zeitlos aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen. Anders als der Titel vermuten lässt, handelt es sich um eine kritische Auseinandersetzung allen Weltreligionen in unserer modernen Zeit. Der Ich-Erzähler steht der Hoffnung vieler Menschen auf eine neue Erlöserfigur kritisch gegenüber und auch dem Erlöser selbst. „Was gibt dir die Gewissheit, mich zu einem Fantasiegebilde degradieren zu können, und mich nicht als den anzuerkennen, der ich bin?“ (Zitat Seite 39)

Charaktere

Ein kurdischer Flüchtling in Finnland, Jesus Christus, für eine Nacht ebenfalls in Finnland, und viele Fragen.

Handlung und Schreibstil

1997 begann der Autor am Manuskript für diesen Roman zu schreiben, welcher im Jahr 2012 in kurdischer Sprache erschienen ist. Der Ich-Erzähler zeigt deutlich den autobiografischen Hintergrund. Die Geschichte spielt in einer einzigen Nacht, wird jedoch ergänzt durch Kindheitserinnerungen und die Erinnerungen an prägende Ereignisse, die der Ich-Erzähler seinem Gast schildert. Natürlich spielt auch das Leben Jesu vor beinahe zweitausend Jahren auf der Erde eine Rolle. Starke philosophische und metaphorische Momente lassen unserer Phantasie als Lesende viel Spielraum für eigene Gedanken und Überlegungen. Den beiden Übersetzenden ist es gelungen, die blumige, sehr poetische orientalische Ausdrucksweise auch in dieser deutschsprachigen Ausgabe beizubehalten.

Fazit

Ein interessantes, intensives Leseerlebnis, das viel Raum zum Nachdenken lässt. Mich hat die Inhaltsangabe auf diese Geschichte neugierig gemacht und ich wurde nicht enttäuscht. Es sind gerade die kleinen, unabhängigen Verlage, die bewusst und persönlich entscheiden, welche Titel sie herausbringen. Dieses überzeugte Engagement ermöglicht es uns Lesenden, die persönliche Lese-Wohlfühlzone öfter mal zu verlassen und dadurch völlig neue Eindrücke und Welten zu erkunden.