Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist – Gert Loschütz

AutorGert Loschütz
Verlag Schöffling & Co.
Erscheinungsdatum 1. Februar 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3895611582

„Ich habe dir erzählt, daß es das erste Hotel war, in dem ich übernachtet habe, und daß vielleicht alle anderen, die unzähligen, die ihm später gefolgt sind, nur dem einen Zweck gedient haben, dieses erste ungeschehen zu machen, wie auch die Reisen, ja, mein Beruf diesem einen Zweck gedient haben mochten, die erste Reise über die Grenze durch unendliche Wiederholung auszulöschen.“ (Zitat Seite 66)

Inhalt

Karsten Leiser ist zehn Jahre alt, als er an diesem Tag im Mai buchstäblich über Nacht aus seinem gewohnten Umfeld und Landschaft seiner Kindheit gerissen wird. Der Zorn darüber, nicht gefragt worden zu sein, von seinen Eltern nicht auf die geplante Flucht aus der DDR vorbereitet worden zu sein, hindert ihn daran, in Wildenburg im Westen anzukommen. Er wird Reisejournalist, rastlos, getrieben, doch jedes Jahr an genau diesem Tag kommen die Erinnerungen an damals zurück, immer wieder holt ihn die Vergangenheit ein und löst ihn aus seiner Gegenwart, in der er nie wirklich ankommt.

Thema und Genre

Als dieser Roman 1990 zum ersten Mal erschienen ist, trug er den Titel „Flucht“. Es geht um dieses Gefühl des „Entwurzelt-Werdens“, das Unverständnis und die Wut eines Menschen, der plötzlich die vertraute Heimatstadt, seine Freunde und damit seinen Lebensmittelpunkt und seine Wurzeln verliert, als die Familie in den Westen flieht. Ein wichtiges Thema sind auch die Erinnerungen.

Charaktere

Am Tag der Flucht in den Westen ist Karsten zehn Jahre alt. Inzwischen ist er längst erwachsen, doch es ist ihm nicht gelungen, seine Erinnerungen hinter sich zu lassen und sich mit der Vergangenheit zu versöhnen. Alle Ereignisse in seinem späteren Leben bezieht er auf diesen Tag. „Dieses Rückwärtsgucken, dieses Nichtdrüberwegkommenwollen“ (Zitat Seite 192)

Handlung und Schreibstil

Der Ich-Erzähler, Reisejournalist, schildert Episoden aus seinem Leben, prägende Erinnerungen und Erlebnisse mit unterschiedlichen Handlungsorten. Rastlos schweifen seine Gedanken immer wieder ab, gehen zurück in die Vergangenheit, er erzählt über die Landschaft seiner Kindheit in Plothow, die Stunden der Flucht, dann wieder ein Fragment, ein Erlebnis von einer seiner Reisen viele Jahre später. Auch dabei bleibt er bruchstückhaft, wechselt Ort und dort erlebte Geschichte, um im späteren Verlauf irgendwann den Faden wieder aufzunehmen. Genau genommen sind es viele Fäden und manche bleiben auch am Schluss der Geschichte lose, lassen uns mit Fragen und eigenen Versuchen zurück, das Gelesene zu entwirren und zu deuten. Großartig dagegen ist die Erzählsprache des Autors, er brennt Bilder und Gefühle in unsere Gedanken und kommt mit gut zweihundert Seiten für eine intensive, dichte Geschichte aus, wofür andere sechshundert Seiten brauchen.

Fazit

Dieser Roman ist weniger die Geschichte einer Flucht, sondern vielmehr die Schilderung der nachfolgenden Auswirkungen dieser einen Nacht im Mai, dieser Bahnfahrt aus der DDR in den Westen, auf einen damals zehn Jahre alten Jungen und sein ganzes späteres Leben.

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