Kazimira – Svenja Leiber

AutorSvenja Leiber
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 16. August 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518430064

„Kazimira hat das Gefühl, als verknote sie sich selbst zunehmend. Ein Knäuel, in dem irgendwo ein viel zu wildes verfangenes Herz rast.“ (Zitat Seite 72)

Inhalt

Auch an diesem Samstag im Herbst 2012 geht Nadja Semjonowa auf dem Weg oberhalb des Tagebaus zur Arbeit, an der Hand ihre kleine Tochter Ika. Dort steht noch der Seilbagger, an dem Nadja vor Jahren gearbeitet hat, sie wäre gerne bei dieser Arbeit geblieben, doch das Bernsteinkombinat von Jantarny ist insolvent und Nadja muss nun im Geschäft Schmuck verkaufen. Manchmal, wenn sie an der Annagrube vorbeigeht, hört sie eine Art Raunen, ein Raunen aus der Vergangenheit, über das sie nie etwas wissen wollte.

Auch Kazimira „Kaz“ Morautene wollte lieber wie die Männer in der Grube arbeiten, statt mit ihrem Sohn Ake zu Hause zu bleiben und den Haushalt zu führen. Doch Ende des 19. Jahrhunderts war daran nicht zu denken. Dennoch, es sind der Bernstein und die Annagrube, die das Schicksal der Menschen dort an der Nehrung und in Königsberg bestimmen.

Thema und Genre

Den historischen Hintergrund dieses Generationenromans bildet die wechselvolle Geschichte dieses Landstriches an der Ostseeküste im ehemaligen Ostpreußen, zwischen Memel und Königsberg, heute Klaipėda, Litauen und Kaliningrad, Russland. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der Bernsteinabbau und die politischen Umbrüche zweier Weltkriege, deren Gewalt und Grausamkeit die auch vor den Menschen in diesen entlegenen Orten nicht Halt machen und besonders die Mädchen und Frauen treffen.

Charaktere

Kazimira, eigenständig, unangepasst und auf Grund ihrer Neigungen eine Außenseiterin, ist die erste von insgesamt fünf Generationen von Frauen und Mädchen, alle auf der Suche nach ihrem eigenen Weg. Jede ist auf ihre Art unbeugsam und besonders, passt nicht in die engen Normen ihrer Zeit, oder will sich diesen Normen nicht widerspruchslos unterordnen.

Handlung und Schreibstil

Der Zeitrahmen der Handlung ist in zwei Hauptteile gegliedert, der erste Teil endet mit dem Ende des ersten Weltkrieges, der zweite Teil beginnt 1930 und berichtet über die Jahre bis bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Ein zweiter Handlungsstrang spielt in der aktuellen Zeit im Jahr 2012 und daraus bildet sich ein Bogen, der aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart führt. Die Erzählstränge wechseln einander ab, wobei die einzelnen Kapitel sehr übersichtlich als Überschrift jeweils den betreffenden Ort und die Jahreszahl tragen. Es ist auch die wunderbare Erzählsprache der Autorin, die leise, aber tief, in das Leben und in die Gefühlswelt ihrer Figuren eindringt, die mich schon in den ersten Seiten in den Bann dieser Geschichte gezogen hat.

Fazit

Es ist ein eindrücklicher, atmosphärisch dichter Roman, erzählt in einer einprägsamen Sprache, die sich mit ihren Bildern und einfühlsamen Schilderungen beim Lesen sofort in die Gedanken gräbt und unsere Gedanken noch lange beschäftigt.

Der Schrank – Simon Sailer

AutorSimon Sailer
IllustratorJorghi Poll
Verlag Edition Atelier
Erscheinungsdatum 28. Februar 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten104
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3990650608

„Eine Wand gehörte dem Schrank. Er lehnte daran, als wäre er der eigentliche Bewohner des Raums, der wahre Herr des Hauses, und blickte verärgert auf das verhängte Bett.“ (Zitat Seite 30)

Inhalt

Lena Kovac ist Möbelpackerin. Eigentlich wäre der Auftrag an diesem Nachmittag kein Problem: einen Schrank in einer Villa im neunzehnten Wiener Bezirk abholen und in eine Wohnung im ersten Bezirk bringen. Doch dann hat das Team vom Vortag den Wagen nicht vollgetankt und Korni, neben Yilmaz der Dritte in ihrem Team, kommt wie immer zu spät. Die Zeit wird knapp, denn der Schrank muss unbedingt noch am selben Tag ankommen. Sie holen den wuchtigen Schrank ab, doch als sie ihn im Wagen fixieren, bricht ein Bein ab. Lena trifft die erste von mehreren Entscheidungen, und ihre Welt gerät aus den Fugen.

Thema und Genre

Eine erstaunliche, schwer zuordenbare Erzählung, die als Wiener Alltagsstudie beginnt und rasch ins Genre Phantastik wechselt.

Charaktere

Die toughe Lena ist mit ihrem Leben zufrieden, sie ist gewohnt, verlässlich und effizient zu arbeiten. Das ist nicht einfach an solchen Tagen, wo der Chef sie unter Zeitdruck setzt, die beiden Kollegen mehr Pausen verlangen und sie selbst am Abend pünktlich zu Hause sein wollte.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt am Abend, Lena kommt nach Hause, Feierabend, während ihr Freund Hakan seinen Nachdienst antritt. Am Nachmittag des nächsten Tages wartet der letzte Auftrag. Sobald sie den Schrank abgeholt haben, passieren eigenartige Dinge, die immer rätselhafter und skurriler werden. Wir wissen nicht, wer die Geschichte Lenas erzählt und der Erzähler überlässt es uns, über mögliche Erklärungen nachzudenken. Er berichtet über erstaunliche Ereignisse und Begegnungen, vielleicht als Folge von Lenas Entscheidungen, wir wissen es nicht. Vielleicht ist es ja auch nur ein schlimmer Alptraum und Lena erwacht am Morgen, der Tag mit dem Schranktransport beginnt erst.

Fazit

Eine erstaunliche Geschichte, in deren Mittelpunkt ein robuster alter Schrank und viele Tiere stehen und deren zunächst gemütliche, humorvolle Szenen rasch ins grotesk-phantastisch-Schaurige kippen und viel Raum zum Nachdenken über mögliche Hintergründe und Erklärungen lassen.   

Lektionen in Dunkler Materie – Ursula Knoll

AutorUrsula Knoll
Verlag Edition Atelier
Erscheinungsdatum 28. Februar 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten248
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3990650684

„Dunkle Materie ist für alles der Grund. Ein Zeug, von dem man nur weiß, dass es Schwerkraft ausübt, dass es viermal so viel davon gibt wie von sichtbarer Materie und dass es durch seine Gravitation wie ein Kitt die Strukturen im Universum zusammenhält.“ (Zitat Seite 51)

Inhalt

Während Katalin gerade auf der Raumstation ISS im Weltall unterwegs ist und mit der KI Simon diskutiert, sorgt ihre Zwillingsschwester Eszeter als Polizistin für Ordnung im Alltag von Wien und als Managerin ihres Hedgefonds auch im internationalen Dschungel der Finanzwelt. Die Umweltaktivistin Dr. Milka Andrić ist Mitglied einer NGO und setzt sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Lebensmitteln ein, denn für sie ist das Gegenteil von Armut nicht Reichtum, sondern Gerechtigkeit. Seit beinahe zwanzig Jahren teilt Milka eine WG mit Martin und Ines. Ines Geiger, die in der Asylbehörde Anträge prüft und dabei laufend von ihrem Vorgesetzten mit internen Weisungen unterbrochen wird, zusätzliche Schulungen, Nachschulungen, Formulierungshilfen für ablehnende Bescheide. Fatima leitet einen Kindergarten, dessen Öffnungszeiten mit den Arbeitszeiten der seit ihrer Trennung von Katalin alleinerziehenden Mutter Heide unvereinbar sind – sie alle erkennen plötzlich, dass man immer etwas tun kann, und jede von ihnen trifft eine spontane Entscheidung.

Thema und Genre

Es ist ein Roman, der unterschiedliche Geschichten erzählt, mit einzelnen Situationen und Episoden als Auslöser für Veränderungen. Es geht um gesellschaftspolitische Probleme, Forschung, Wirtschaft, Finanzmärkte, doch auch um Themen wie zwischenmenschliche Beziehungen in ihren unterschiedlichen Formen, Freundschaft, Familie.

Charaktere

Im Zentrum dieses Romans stehen Frauen, jede auf ihre Weise individuell, mutig, zunächst der jeweiligen persönlichen Situation noch irgendwie angepasst, werden sie aktiv, als sie immer wieder an ihre Grenzen stoßen.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman spielt in Wien. Die Handlung greift viele brisante Themen unserer Zeit auf, konfrontiert die Protagonistinnen mit spontanen Konfliktsituationen und gibt ihnen Raum, Entscheidungen zu treffen, spontan und teilweise chaotisch. Nicht immer verlaufen die Ereignisse chronologisch und auch mögliche Beziehungen zwischen ihren Figuren deckt die Autorin nicht sofort auf, sondern lässt uns die Zusammenhänge erst nach und nach erkennen, manchmal treffen die Figuren unerwartet und zufällig aufeinander. Diese Geschichten sind keine Wohlfühllektüre, dennoch ist man ihnen und vor allem den einzelnen Protagonistinnen sofort verfallen, folgt ihrem Alltag, ihren Entscheidungen. Denn die Autorin schreibt engagiert, direkt, aber auch mit viel Einfühlungsvermögen und Humor. Es ist diese schwer zu beschreibende Mischung, die diesen Roman lesenswert und empfehlenswert macht.

Fazit

„Was also sollten sie mit diesem bisschen ungebetenen Glücks namens Leben in Zukunft anstellen?“ (Zitat Seite 247). Das Leben stellt unterschiedliche Anforderungen an die modernen Frauen in diesem Roman, doch sie haben eines gemeinsam: sie wollen etwas verändern, im persönlichen Umfeld, aber auch im großen Ganzen.

Tiefenzone – Andreas J. Schulte

AutorAndreas J. Schulte
Verlag Emons Verlag
Erscheinungsdatum 15. Oktober 2020
FormatTaschenbuch, broschiert
Seiten304
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3740809034

„Das Ganze sah aus wie die Kreuzung aus einem Iglu und einer futuristischen Raumstation auf einem fernen Planeten. Der Komplex hatte einen Namen: Terra Nova II. (Zitat Seite 44)

Inhalt

Die Naturwissenschaftlerin Julia Kern ist als Journalistin für eine deutsche TV-Produktionsfirma tätig. Vor sechs Jahren nahm sie drei Monate lang an Forschungsarbeiten in der Arktis teil. Daher ist es für ihren Chef Harry Gantman klar, dass sie zu der kleinen Gruppe gehört, die als Teil einer internationalen Journalistendelegation eingeladen ist, die Antarktis-Forschungsstation zu besuchen. Terra Nova II ist ein High-Tech Komplex, mit den neuesten, zukunftsorientierten Technologien zur Tiefenforschung ausgestattet. Das Journalistenteam soll an einer wissenschaftlichen Premiere teilnehmen, die hier erstmals weltweit vorgestellt wird. Doch plötzlich geschieht ein Mord und kurz darauf übernimmt kampferprobte, gefährliche und absolut skrupellose Gruppe, die sich als Umwelt-Aktivisten bezeichnet, die Forschungsstation. Für Julia Kern und George O’Connor, ein britischer Fotojournalist, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit: sie müssen versuchen, Hilfe zu holen und gleichzeitig wollen sie unbedingt herausfinden, worum es hier wirklich geht.

Thema und Genre

Dieser Thriller spielt in der Arktis und die Themen sind Wissenschaft, moderne Technologien, Forschung und Umwelt.

Charaktere

Die unterschiedlichen Figuren sind realistisch und ihre Handlungen und Beweggründe sind nachvollziehbar. Besonders interessant ist die Reaktion der einzelnen Charaktere auf die Situation. Julia und George sind sympathisch, agieren kreativ und mutig und geraten so in den Fokus des Anführers der Terroristen.

Handlung und Schreibstil

Die straffe Handlung findet innerhalb von wenigen Tagen statt, was die Spannung der Geschichte noch steigert. Die interessanten wissenschaftlichen Erklärungen fügen sich perfekt in die Handlung ein, sie ergänzen mit wichtigen Details, ohne jedoch je den Spannungsbogen zu unterbrechen. Ein Nachwort erklärt den realen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergrund. Die Sprache entspricht dem Genre und den Themen, nimmt sich auch Zeit für die Konflikte und Gefühle der Figuren und zeigt in den Dialogen immer wieder auch lockeren Humor.  

Fazit

Ein packender Wissenschaftsthriller, spannende Unterhaltung, die überzeugt und gerade an heißen Sommertagen durch die Reise in die eisigen Schneestürme der Antarktis wenigstens gedanklich für Abkühlung sorgt.