Nach dem Winter – Guadalupe Nettel

AutorGuadalupe Nettel
Verlag Karl Blessing Verlag
Erscheinungsdatum 5. März 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-133896676139

„Jede neue Freundschaft, vor allem wenn eine gewissen Anziehungskraft besteht, bedeutet eine Reise in eine unbekannte Dimension oder zumindest in Parzellen der Wirklichkeit, mit denen wir nicht vertraut sind.“ (Zitat Seite 139)

Inhalt

Aufgewachsen in Kuba, lebt Claudio nun in New York. Er arbeitet als Lektor und Übersetzer in einem Verlag und auch als Lektor. Er ist mit der Designerin Ruth befreundet, lebt jedoch allein. Sein Tagesablauf folgt einem festen Ritual, was ihm Sicherheit gibt.

Cecilia hat Mexiko verlassen, um in Paris Literaturwissenschaften zu studieren und schreibt an ihrer Magisterarbeit. Sie lebt sehr zurückgezogen in einer Wohnung mit Blick auf einen Friedhof. Nur zwei Menschen können sie immer wieder aus ihrer Isolation holen, ihre Freundin Haydée und ihr Wohnungsnachbar Tom.

Claudio kennt Haydée schon seit der gemeinsamen Jugend in Kuba und als er für einige Tage nach Paris kommt, trifft er sie. Haydée bringt Cecilia zu diesem Treffen mit und Claudio und Cecilia verlieben sich auf den ersten Blick. Weihnachten verbringen die beiden in Paris, dann fliegt Cecilia zu Claudio nach New York. Doch es gibt immer noch Ruth und Tom …

Thema und Genre

Dieser Roman handelt von Problemen, die nicht aufgearbeitet wurden und daher das Verhalten der Protagonisten auch Jahre später noch beeinflussen. Ein weiteres Thema sind Depressionen und die Art der Menschen, damit umzugehen. Es geht aber auch um Migration und die damit verbundene Einsamkeit in einer Großstadt, was sowohl bei Claudio in New York, als auch bei Cecilia in Paris zu einer Isolation führt, die jedoch in beiden Fällen gewollt ist. Gerade dieses bewusste Leben als zurückgezogene Einzelgänger stellt beide vor völlig neue emotionelle Herausforderungen, als sie im anderen eine verwandte Seele finden und sich verlieben.

Charaktere

Claudio verlässt Kuba nach einem traumatischen Erlebnis, das er mit den Jahren verdrängen kann, das aber dennoch seine Persönlichkeit prägt. Daher verlaufen seine Beziehungen zu Frauen, bevor er Cecilia trifft, auf Distanz. Mit Ruth, die fünfzehn Jahre älter ist, trifft er sich daher niemals in seiner eigenen Wohnung, schafft es aber auch nicht, sich definitiv von ihr zu trennen. Er ist kein Protagonist, den man als Leser ins Herz schließen möchte, obwohl man sein Verhalten im Kontext nachvollziehen kann.

Cecilias Mutter verlässt die Familie, als Cecilia ein kleines Kind ist. Dieses Erlebnis prägt sie und sie beginnt früh, sich für Friedhöfe zu begeistern. Mit fünfzehn gehört sie zur Literatur- und Gothic-Szene und auch als erwachsene Frau in Paris hält sie sich gerne auf Friedhöfen auf. Sie hat Phasen in ihrem Leben, in denen sie sich völlig von der Außenwelt abschottet. Sie braucht eine wichtige Aufgabe, um aus ihrer Isolation aufzutauchen.

Handlung und Schreibstil

Die Autorin erzählt die Geschichte in der Ich-Form, wobei es zwei Ich-Erzähler gibt, Claudio und Cecilia. Als zusätzliches Stilmittel lässt sie jene Passagen des Romans, welche die Beziehung zwischen Claudio und Cecilia betreffen, doppelt erzählen, dieselbe Situation jeweils aus der Sicht von Claudio, dann, wie Cecilia es sieht. Durch dieses betonte Schildern erhält der Leser einen tieferen Einblick in die unterschiedlichen Denkweisen der beiden, wodurch sich das jeweilige Verhalten nachvollziehen lässt.

Rückblenden in Form von Kindheits- und Jugenderinnerungen erklären Probleme, die in der Vergangenheit liegen, aber auch in der Gegenwart Auswirklungen auf die Persönlichkeit der Charaktere haben.

Die Spannung ergibt sich nicht so sehr aus den Geschehnissen, sondern aus den unterschiedlichen, möglichen Entscheidungen der Hauptprotagonisten, als Leser überlegt man zuvor, wie es weitergehen wird und danach, wie man selbst vielleicht entschieden hätte. In erster Linie ist es jedoch eine Erzählung, die uns über eine bestimmte Zeitspanne am Leben von Claudio und Cecilia teilhaben lässt.

Die anspruchsvolle Sprache liest sich flüssig, sie beschreibt, verdichtet dort, wo es um die jeweiligen Gedankengänge geht, verzichtet jedoch auf Metapher.

Fazit

Trotz des Textes auf der Buchrückseite „ … ein berührender Roman über die heilende Kraft der Liebe“ sollt man bei dem vorliegenden Buch keinen romantischen Wohlfühlroman erwarten, denn dann wird man enttäuscht. Es ist eine sehr realistische Schilderung von Menschen, die in der Anonymität der Großstadt untertauchen, geprägt von Kindheits- und Jugenderlebnissen und wie sie mit den Herausforderungen einer Beziehung umgehen. Interessant ist dabei, dass die wichtigsten Entscheidungen nicht von ihnen selbst getroffen werden, sondern sie durch nahestehende Dritte gleichsam in die Entscheidung gedrängt werden. Die Autorin überlässt es dem Leser, über andere Varianten, das bekannte „was wäre, wenn“ nachzudenken.

Ein Roman, auf den man sich einlassen muss, doch wenn man dies tut, legt man ihn erst aus der Hand, wenn die letzte Seite umgeblättert ist. 

London Stalker – Oliver Harris

AutorOliver Harris
Verlag Karl Blessing Verlag
Erscheinungsdatum 13. März 2017
FormatGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3896675606

„Ein kluger Mann würde Samen kaufen, Kompost in die Schubladen seines alten Schreibtischs füllen und als Einsiedler weiterleben.“ (Originalzitat)

Inhalt

In diesen dritten Fall wird Detective Nick Belsey eher durch Zufall verwickelt. Er ist im Dienst suspendiert und es wird eine Anklage gegen ihn vorbereitet. Daher ist er untergetaucht, ohne festen Wohnsitz lebt er teilweise im ehemaligen, nun aufgelassenen Polizeirevier in Hampstead. Da bittet ihn Maureen Doughty um Hilfe – ihr erwachsener Sohn Mark Doughty ist seit zwei Tagen verschwunden. Als Nick Belsey im Zimmer des Vermissten Hinweise findet, dass Mark Doughty den bekannten Star Amber Knight intensiv gestalkt hat, erwacht seine Neugierde an diesem Fall. Zu diesem Zeitpunkt hat er noch keine Ahnung, welche Lawine an Ereignissen er mit seinen unverfrorenen Ermittlungen auslöst – und wie passt sein ehemaliger Mentor Detective Chief Inspector Geoff McGovern ins Bild?

Thema und Genre

London-Thrillerreihe mit Detective Nick Belsey, Band 3

Die Welt der Stars und Starlets, IT Girls, der sogenannten Influenzer wird sehr treffend geschildert, das Ganze im Ambiente des Adels und Geldes in der Weltmetropole London. Sehr realistisch tritt im Zuge der Ermittlungen von Nick Belsey aber auch die andere, arme Seite Londons auf, oft nur durch eine Straße voneinander getrennt.

Charaktere

Ein spezielles Thema ist der Hauptcharakter, Nick Belsey. An ihn muss man sich erst gewöhnen, auch wenn man als Leser Ermittler mit Ecken und Kanten, einem Eigenleben im Graubereich, bevorzugt. Dieser hier bewegt sich ausschließlich im Dunkelgraubereich, oft neben dem Gesetz, in dieser Geschichte hier auch auf der Flucht vor dem Gesetz, wobei er teilweise zu unrecht zum Verdächtigen erklärt wird, weil er bei seinen Ermittlungen mächtigen Interessen in die Quere kommt. Streckenweise wird er zum Getriebenen, der aber trotz allem zu den „Guten“ gehört.

Was den Leser für Nick Belsey einnimmt ist die Art, wie er direkt und kompromisslos ermittelt und die Selbstverständlichkeit seines Auftretens.

Handlung und Schreibstil

Oliver Harris behält auch in diesem dritten Band um Nick Belsey seinen lockeren, frechen Schreibstil bei und erzählt flüssig. Die Handlung ist schnörkellos spannend aufgebaut, von der ersten Seite bis zum show-down zum Ende der Geschichte. Cliffhanger hat dieser Autor nicht nötig, er packt seinen Leser, indem er bei jeder Antwort, die Belsey findet, gleichsam zwei neue Fragen aufwirft. Dies und unerwartete Wendungen machen die Geschichte sehr spannend.

Fazit

Ein Roman, ich würde sagen, Thriller, auf jeden Fall für Leser, die bereits die beiden Vorgängerromane um Nick Belsey gelesen haben. Aber auch Leser, die eine sehr spannende Geschichte lesen wollen, die ein aktuelles Thema in London spielen lässt, werden nicht enttäuscht. Ein geradliniger Thriller, mit einer großen Prise Humor viel Action. Auch wenn man die ersten Fälle „London Killing“ und „London Underground“ nicht gelesen hat, gibt der Autor genügend Hinweise, um sofort in die Handlung einzusteigen. Richtig spannende Unterhaltung, ein fesselndes Buch, das eine lesend verbrachte Nacht garantiert.

Das weiße Feld – Lenka Hornakova-Civade

AutorLenka Hornakova-Civade
Verlag Blessing Verlag
Erscheinungsdatum 11. September 2017
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3-89667-582-8

„Schau dir zum Beispiel der Sterne an, sie sind weit genug weg, damit wir von ihnen träumen, und nah genug, damit wir sie sehen können.“ (Zitat Seite 165)

Inhalt

Ihre ersten Lebensjahre verbringt Magdalena in Wien, wo ihre Mutter Marie in der Praxis des Arztes Dr. Stein als Krankenschwester und Geburtshelferin arbeitet. Auch die Wiener Wohnung, in der Marie mit ihrer Tochter Magdalena lebt, wird von Dr. Stein bezahlt. Doch 1938 verlässt der Jude Dr. Stein über Nacht Wien und Marie kehrt mit der beinahe 10-jährigen Magdalena zurück nach Brünn, wo sie auf Hilfe von Verwandten hofft. Diese wollen mit einer ledigen Mutter nichts zu tun haben und so zieht sich Marie mit ihrer Tochter in ein entlegenes mährisches Dorf zurück, wo niemand sie kennt. Im Dorf verdient Marie Geld mit Nähen, Sticken und als Hebamme. Magdalena träumt davon, in Wien zu studieren, um Ärztin zu werden, während sie sich auf dem Gutshof der Familie Feldmann um die Tiere kümmert und in der Küche hilft. Sie verliebt sich in den Sohn des Gutsbesitzers. Als ihre Tochter Libuše auf die Welt kommt, ist Magdalena 20 Jahre alt.  Ausgerechnet an dem Tag, als sie Josef seine kleine Tochter zeigen will, von der er noch nichts weiß, muss die Familie Feldmann als Vertriebene das Land verlassen. Im diesem Februar 1948 hat die Kommunistische Partei die Macht in der Tschechoslowakei übernommen und die Auswirkungen haben auch das kleine Dorf in Mähren erreicht, wodurch sich das Leben jedes einzelnen Dorfbewohners massiv verändert. Was wird aus Magdalenas Träumen?h

Thema und Genre

Der Roman ist gleichzeitig die Geschichte der Tschechoslowakei, beginnend mit dem Ende des 1. Weltkriegs, mit Schwerpunkt auf die Zeit der Beneš Dekrete 1945, den Kommunismus nach dem Umsturz im Februar 1948, den Prager Frühling 1968 und endet mit der erneut einsetzenden Liberalisierung des politischen Regimes 1984.

Handlung, Charaktere und Schreibstil

Die Autorin gliedert ihre Erzählung in drei Teile, Buch I Magdalena, Buch II Libuše, Buch III Eva, wobei die erzählende Ich-Form verwendet wird, jedoch mit den drei wechselnden erzählenden Hauptprotagonistinnen. Verdichtet wird die Handlung im Laufe der Geschichte durch Rückblicke, welche sich durchaus auch auf das Leben der Mutter oder Großmutter der gerade erzählenden Frau beziehen.

Insgesamt ist es die Geschichte einer Familie, welche aus Frauen besteht, die jeweils ihr erstes Kind, immer eine Tochter, sehr jung und ledig bekommen. Die gesamte Handlung ist ähnlich einer Biographie aufgebaut und erzählt das Schicksal der einzelnen Menschen, ohne jedoch zusätzlich Spannung aufbauen zu wollen.

Die Hauptcharaktere sind insgesamt vier Frauen: Marie, Magdalena, Libuše und Eva. Jede der Frauen hat einen eigenen Lebenstraum, sie treffen jedoch, gezwungen durch die Umstände einer Politik- und Männerdominierten Zeit, Entscheidungen, die ihr gesamtes Leben und auch das ihrer Töchter nachhaltig beeinflussen.

Die Sprache ist zu Beginn des Buches ziemlich einfach und geradlinig, den Gedanken der zehnjährigen Magdalena angepasst. Im Laufe des Romans entwickelt sich auch die Sprache, wird flüssiger, beschreibender, spielt mit Wortbildern.

Ich konnte zu keiner der Hauptprotagonistinnen wirklich Zugang finden, denn die Entscheidungen, die sie plötzlich treffen, stehen für mich im Widerspruch zu ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit und zu ihren Träumen. Dadurch scheint sich für mich durch das ganze Buch eine gewisse stagnierende Resignation zu ziehen, welche sicher sehr gut das tatsächliche Befinden der Menschen in der Tschechoslowakei 1968, nach dem Scheitern des Prager Frühlings und Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes, beschreibt, mir aber insgesamt zu negativ ist. Sehr gut beschrieben ist das Leben der einfachen Menschen, die sich dem Druck der politischen Mächte beugen müssen und mit den Gegebenheiten weiterleben.

Fazit

Ein Buch für Leser, die sich für Zeitgeschichte und Erzählungen in diesem Rahmen interessieren, wobei hier insbesondere Leben und Alltag der einfachen Menschen im sich ständig wechselnden politischen Umfeld beschrieben werden, mit Schwerpunkt auf das damals geltende Frauenbild.