Hotel Amerika – Maria Leitner

AutorMaria Leitner
Verlagmehrbuch Verlag
Datum10. November 2021
AusgabeKindle
Seiten235 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB09X61WZNP

„Du wirst schon sehen, ich werde wirklich gehen, noch heute, alles dalassen, dies ganze hässliche, schwere Leben. Möchtest du das nicht auch? (Zitat Pos. 127)

Inhalt

Shirleys Mutter Celestine ist Scheuerfrau im Hotel Amerika, die junge Shirley ist eine der Wäscherinnen. Seit sechs Jahren lebt Shirley mit ihrer Mutter und drei weiteren Frauen in einem erbärmlichen, engen Zimmer in diesem New Yorker Hotel, das die Gäste mit jedem nur denkbaren Luxus verwöhnt. Shirley träumt von einer Veränderung in ihrem Leben, bald wird auch sie das Hotel als Gast betreten, das hat ihr ihr neuer Freund versprochen. Heute soll ihr letzter Tag als schwer arbeitende Wäscherin sein, doch die Ereignisse entwickeln sich anders, als von ihr erwartet.

Thema und Genre

In diesem sozialkritischen Roman geht es um den Traum von einem besseren Leben in Amerika, der sich jedoch nur für einen kleinen Teil der New Yorker Bevölkerung erfüllt hat. Die meisten Einwandererfamilien fristen ein Leben unter den härtesten Arbeitsbedingungen, immer in Sorge um den Arbeitsplatz. Es geht um Erpressung, Liebe, Luxus, Armut, Träume, und den Beginn von gewerkschaftliche Zusammenschlüssen.

Erzählform und Sprache

Dieser Klassiker, erschienen 1930, spielt an einem einzigen Tag und ist eine interessante Mischung aus Kriminalgeschichte und gesellschaftskritischem Zeitbild. Eine bunte Vielfalt von unterschiedlichen Menschen mit Träumen, Hoffnungen und Schicksalen erlebt die ebenso vielfältigen Ereignisse an diesem besonderen Tag. Durch Erinnerungen und Gespräche ergeben sich viele Einzelgeschichten, deren Fäden sich bereits um die Mittagszeit in diesem Hotel verknüpfen, während die Vorbereitungen für eine Luxushochzeit laufen und das Personal erstmals bei einem völlig ungenießbaren Mittagessen offen gegen die Missstände aufbegehrt. Maria Leitner war bekannt für ihre intensiven Recherchen, für ihre Sozialreportagen nahm sie auch selbst inkognito Arbeit in den unterschiedlichen Bereichen an und diese Erfahrungen finden sich in auch in diesem Roman wieder, was die Geschichte zu einem authentischen Zeitbild macht. Ich selbst habe die Kindle-Version gelesen, doch am 16. Februar 2024 erscheint im Reclam Verlag unter der ISBN-13: 978-3150114766 eine neue, gebundene Ausgabe.

Fazit

Ein Klassiker, der bei seinem Erscheinen 1930 sehr erfolgreich war, bis die Bücherverbrennung im Jahr 1933 den Roman für viele Jahre in Vergessenheit geraten ließ. Dicht, interessant, authentisch, lesenswert.

Der Anfang vom Ende – Mark Aldanow

AutorMark Aldanow
VerlagRowohlt Verlag
Datum13. Juni 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten688
SpracheDeutsch
VorwortSergej Lebedew
NachwortAndreas Weihe
ÜbersetzungAndreas Weihe
ISBN-13978-3498003357

„Zu allen Zeiten haben die moralischen und politischen Bankrotteure verkündet, dass es nicht ihre Schuld war, wenn ihr Experiment schiefging, dass ihnen die Zukunft gehört, dass die Nachwelt ihnen recht geben, das die Geschichte ihr Urteil noch sprechen wird.“ (Zitat Seite 313)

Inhalt

Drei Herren im fortgeschrittenen Alter reisen gemeinsam in einem internationalen Botschaftswaggon mit der Bahn von Moskau nach Paris. Allerdings liegen unterschiedliche Aufgaben vor ihnen. Der Ökonom und Diplomat Kangarow-Moskowski blickt auf eine Parteikarriere in diversen politischen Konstellationen zurück. Nun wurde er endlich in den  diplomatischen Dienst berufen und tritt in einer kleinen Monarchie den Posten als bevollmächtigter Gesandter an. Der ebenfalls mit einem Diplomatenpass mitreisende Agent, Spion, Revolutionär Wislicenus kann den Botschafter nicht ausstehen, doch in den kommenden Jahren treffen sie bei gesellschaftlichen Gelegenheiten immer wieder aufeinander. Was die beiden Herren mit dem dritten Mitreisenden gemeinsam haben, dem erfahrenen Militärexperten Konstantin Alexandrowitsch Tamarin, der dienstlich nach Paris reist, ist das Wissen, dass ein neuer Krieg knapp bevorsteht, dazu die innere Sorge, dass die stalinistischen Säuberungen in der Heimat auch sie treffen könnten und eine heimliche oder weniger heimliche Schwärmerei für die junge Botschaftssekretärin Nadeschda Iwanowna. Der bekannte, früher sehr erfolgreiche französische Schriftsteller Louis Etienne Vermandois steht ideologisch dem Kommunismus nahe, brilliert bei den Abendgesellschaften als literarisch gebildeter, sprachgewandter Redner und hält seine Zuhörer generell für dumm und ungebildet. Er schreibt gerade an einem geplanten Roman über das antike Griechenland, während sein Sekretär Alvera heimlich eine Waffe kauft und den perfekt nach Dostojewski inszenierten Mord plant. Sie alle drehen sich in diesen prägenden Jahren wie ein Karussell im Kreis. Sich ihren persönlichen Zweifeln an früheren Überzeugungen und ihrem Platz in der aktuellen politischen Lage stellend, klammern sie sich fest, hoffend, nicht zu stürzen.

Thema und Genre

Dieser Roman ist ein eindrückliches, vielschichtiges Zeitbild der späten 1930er Jahre, ein sozialkritischer, politischer Gesellschaftsroman mit überlegt und gekonnt gewählten Figuren, die nachvollziehbar für die jeweilige Meinung und das entsprechende Verhalten stehen und die Darstellung einer Vielfalt von essentiellen Themen ermöglichen. Es geht besonders um die Darstellung der unsicheren politischen Situation dieser Jahre, Russland unter Stalins Diktatur, Deutschland unter dem Führer Adolf Hitler und seinen Nationalsozialisten, Spanien im Bürgerkrieg. Auch die Literatur ist ein wichtiges Thema.

Charactere

Es sind Figuren zwischen Hoffnung und Resignation, in ihren Ansichten und Bewertung des eigenen Verhaltens im großen weltpolitischen Zusammenhang rückblickend zerrissen und zweifelnd. „Wieder überkamen ihn die alten, inzwischen fast schon vertrauten schwermütigen Gedanken, dass alles umsonst gewesen war, dass das ganze Leben ein Irrtum war, dass von den früheren Überzeugungen fast nichts mehr übrig war, bei niemandem.“ (Zitat Seite 312)

Erzählform und Sprache

Ort der Handlung ist überwiegend die Stadt Paris in den späten 1930er Jahren. Die Handlung als Ganzes wird fortlaufend geschildert, wobei auch Zeiträume ereignislos übersprungen werden, dies aber für den gesamten Figurenkreis. Doch obwohl die Ereignisse im Leben der einzelnen Protagonisten chronologisch erzählt werden, besteht dieser Roman aus aneinander gereihten Episoden, Teilchen, die sich nicht unbedingt zusammenzufügen, sondern die Zerrissenheit dieser Jahre zeigen. Sie bleiben es Bruchstücke, die dennoch einem gemeinsamen Spannungsbogen folgen. Die Geschichte um Alvera, dem jungen Sekretär des Schriftstellers Vermandois, und den von ihm geplanten, perfekten, skrupellosen Mord nach literarischem Vorbild, wechselt zeitlich mit den andren Handlungssträngen ab, ist jedoch eine eigenständige, in sich abgeschlossene Erzählung.

Fazit

Es sind die langen inneren Monologe der einzelnen Figuren, ihre unterschiedlichen Bewertungen der politischen Situation, aber auch die intensive Hinterfragung des eigenen Lebens, sowie die literarischen und philosophischen Aussagen, die diesen Roman so interessant, spannend und lesenswert machen. Denn hier handelt es sich um ein Zeit- und Gesellschaftsbild direkt aus den 1930er Jahren, mit authentischen Beobachtungen und Aussagen, und nicht um den Bericht von heutigen Historikern oder Politwissenschaftlern. Was Mark Aldanow damals nicht ahnen konnte ist, wie sehr sich alles gerade jetzt, etwa neunzig Jahre später, wiederholt.