Unter dem Nussbaum – Michael Donhauser

AutorMichael Donhauser
VerlagMatthes & Seitz Berlin
Datum16. Januar 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten508
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3751809917

„Fluchtgedanken ins Gestrüpp./Mit dem Wunsch, es zu verdichten./Seiner Verdichtung sprachlich näherzukommen./(Um dicht im Sinne von undurchdringlich zu sein.)“ (Zitat Pos. 504)

Thema und Inhalt

Diese Sammlung von Lyrik und Prosa 1986 bis 2023 vereint eine Auswahl von bereits in früheren Einzelausgaben veröffentlichten Texten. Teilweise wurden sie neu geordnet und ergänzt durch wiedergefundene Texte, Fragmente und neue Gedichte, die nach 2018 entstanden sind, drei davon sind in hier zum ersten Mal veröffentlicht. Eine weite Themenvielfalt führt durch beinahe vierzig Jahre schriftstellerisches Schaffen, oft sind es Varianten der Natur in allen Jahreszeiten und Zwischenjahreszeiten, manche Titel werden im Lauf der zeit nochmals zum Thema, ergänzt, anders betrachtet. Es geht auch um Kindheitserinnerungen, die Großeltern, sonntägliche Familientreffen, Festtage, das Sarganserland, Reisen, wo der lyrische Erzähler zum lyrischen Ich wird.

Gestaltung

In den Sammlungen „Der Holunder“ und „Die Wörtlichkeit der Quitte“ beobachtet der Schriftsteller einzelne Vögel, aber auch unterschiedliche Bäume, oder den Flug eines Stück Papiers im Wind, Er schaut und lässt seine Gedanken sprachlich weit schweifen. Im Abschnitt „Von den Dingen“ ergeben Beobachtungen eines Gestrüpps oder eines Misthaufens Sprachspiele in allen möglichen und immer neuen Varianten von Deutungen eines Begriffes und der lyrische Pfad führt vom Gestrüpp zum Misthaufen zu den Obstbäumen und gleichzeitig durch die religiösen Festtage des Jahres, Gedichte zwischen Erinnerung, Gegenwart und Vergangenheit. Umfassende Betrachtungen über den Kies sind gleichzeitig Metapher als Philosophie eines Lebens.

„Die Sprache ist eine unterhaltsame Einöde. (Meine leidenschaftliche Unterhaltung: der Kies. Hin und her und weggewischt: bis auf den Staub.)“ (Zitat Pos. 994)  

Venedig im Oktober und Aufenthalte in Frankreich inspirieren Michael Donhauser, seine Eindrücke in Worte zu fassen. Zwei Jahre nach der Verwirrung des Gestrüpps findet sich dann Klarheit in den Reihen der Zypressen in Siena.

Die Lyrik von Donhauser ist nicht in Formen und Reime gepresst, sie entfaltet sich frei. Nicht eingeschränkt durch Zeilenlängen lässt Michael Donhauser seinen Gedanken, die seine Beobachtungen begleiten, Zeit und Raum zur Entfaltung. So werden auch die Grenzen zwischen seiner Lyrik und lyrischen Prosa fließend. Wer ein neugieriges Interesse an den vielen Facetten von möglichen Ausdrucksformen der Sprache hat, wird diese Sammlung genießen.

Fazit

Auch wenn in der Beschreibung des lyrischen Schaffens von Michael Donhauser präzisiert wird, dass es ihm weniger um die Beobachtung geht, als um die Fragen im Zusammenhang des Beobachteten, so ist es doch die hier in sprachlicher Fülle geschilderte Vielfalt der Bewegungen und Erfahrungen in der Natur im Lauf der Jahreszeiten, der Eindrücke auf Reisen, der Stimmungen und Erinnerungen an seine Kindheitsheimat Liechtenstein und das nahe Sarganserland, die uns beim Lesen seiner Texte sofort in den Bann zieht und die Gedankenbilder, Stimmungen, Erfahrungen, Erinnerungen mit unseren eigenen verbindet. En Lyrikband, den man immer wieder in die Hand nehmen wird, um sich darin im positiven Sinne zu verlieren.

EINS+EINS=DREI: Buch 3 – Lutz Flörke & Vera Rosenbusch

AutorLutz Flörke
AutorinVera Rosenbusch
VerlagBoD – Books on Demand
Datum18. September 2025
AusgabeTaschenbuch
Seiten152
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3695133574

„Denk dir einfach eine Geschichte aus! Die Einwände kannst du später berücksichtigen. Schreib!“ (Zitat Seite 9)

Thema und Inhalt

Mitte September naht der Herbst und damit erscheint pünktlich zur Lese-Jahreszeit das nunmehr dritte Jahrbuch des Dichter-Duos Vera Rosenbusch und Lutz Flörke. Die neunzehn Geschichten sind den Monaten im Jahreslauf zugeordnet, beginnend im Januar und endend im Dezember. Die Texte sind entweder von Lutz Flörke oder Vera Rosenbusch verfasst, dazwischen Geschichten, die gemeinsam entstanden sind. Eines der Themen sind diesmal Eindrücke auf Reisen, von Hamburg bis Paris, Griechenland, oder auch auf die Insel Helgoland. Auch SEV, Schienenersatzverkehr, zeitlos aktuell, kann zu sehr unterschiedlichen Beobachtungen führen. Generell ist es eine bunte Mischung von allem, was das literarische Duo bewegt, erheitert, nachdenklich gestimmt und zu variantenreichen Denk- und Schreibweisen angeregt hat.

Umsetzung

Mit den hier als Einleitung zitierten Sätzen beginnt auf Seite neun die Januar-Geschichte und zugleich auch diese Geschichtensammlunng. Diese Worte könnten am Beginn jedes einzelnen Textes stehen, denn genau diese Freude am Schreiben, an den Gedankenspielen mit Erlebnissen des Alltags und mit vielen, unterschiedlichen Begegnungen von ebenso vielfältigen Figuren, verbindet alle Geschichten. Immer wieder hinterfragen Überraschungen und ironische bis skurrile Wendungen die Varianten des Erzählens, die Gedankenströme zwischen Erinnerung und Fiktion und die unterschiedlichen Ausdrucksformen der Literatur. So treffen wir diesmal auch auf literaturkritische Haustiere, die ihren Menschen so viel erklären könnten, aber leider nicht verstanden werden.

Fazit

Ein unterhaltsamer, literarischer Spaziergang durch die kleinen Erlebnisse und Situationen in den zwölf Monaten eines Schreibjahres. Aktuell und mit phantasievollen Umwegen, nachdenklich, aber immer auch mit einer guten Prise Humor und Empathie für das Menschliche. Kann eine Geschichte mit einem kürzlich erfolgten Umzug, röchelnden Rohren und und einem zur Weihnachtszeit völlig überlasteten Handwerker beginnen, und bei Giersch enden? Sie kann: typische, vertraute Alltagsprobleme eben, literarisch betrachtet und die Garantie für Lesevergnügen.

Hydra – Antonia Löffler

AutorAntonia Löffler
VerlagMILENA Verlag
Datum27. August 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten260
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3903460447

„Kannst du mir sagen, was auf Hydra passiert ist, sage ich. Meine Großmutter dreht sich im Sessel um und richtet ihren Blick auf den großen alten Schrank neben dem Esstisch. Mehr zu ihm als zu mir sagt sie: Das fragst du bitte deine Mutter.“ (Zitat Seite 135)

Inhalt

Im November 1990 erzählen griechische Freunde dem Schauspieler Matthias Illis und seiner Frau Eva, Regieassistentin, sowie deren Freunden, den Schauspielern Thomas und Fanny, von einem Theaterprojekt auf der griechischen Insel Hydra, das im kommenden Sommer mit einem internationalen Team umgesetzt werden soll. Eva, Matthias, Fanny und Thomas wären der österreichische Teil der Truppe und sie sagen zu. Dreißig Jahre später schreibt Matthias Illis an einem Buch über die Ereignisse des Sommers 1991. Als im Januar 2022 die Journalistin Anne, die älteste Tochter von Eva und Matthias, mit ihrem langjährigen Freund Jacob knapp einem Flugzeugabsturz entgeht, nimmt sie eine Auszeit, um ihren Platz im Leben zu überdenken und endlich Antworten auf ihre Fragen über die Vergangenheit ihrer Eltern zu erhalten.

Thema und Genre

„Das Gewesene ist allein durch die Erzählung anderer Menschen rekonstruierbar. Alle Darstellungen der Vergangenheit sind Erfindungen von Leuten, die über die Vergangenheit sprechen.“ (Zitat Seite 239) Diese philosophische Aussage ist das Kernthema dieses Romans, in dem es um Familiengeschichten geht, die aus der Vergangenheit der Eltern in die Gegenwart reichen und um Entscheidungen und Geheimnisse, die auch das Leben der inzwischen erwachsenen Kinder prägen.

Erzählform und Sprache

Es ist Anne, die als Ich-Erzählerin die Ereignisse schildert, die zwischen Januar 2022 und Juni 2022 stattfinden, verbunden mit vielen Erinnerungen und Einblicken in ihre Gedankenwelt, ihre Beziehung zu Jacob, in ihre aktuellen Probleme und Gefühle. Anne hatte schon als Kind eine enge Bindung zu ihrer Großmutter und so fließen gemeinsame Gespräche in die aktuelle Handlung ein und ergänzen diese mit neuen Details. Annes Vater wird bald sechzig Jahre alt und hat begonnen, die Ereignisse auf Hydra zwischen Juni 1991 und August 1991 aus seiner Sicht aufzuschreiben. Als dritten Handlungsstrang erfahren wir die Vorgeschichte zu dem Hydra-Projekt, die verbunden ist mit dem Werdegang von Eva Illis ab 1989 und jene Ereignisse auf Hydra 1991, die Eva betreffen und von denen Matthias teilweise nichts weiß. Hier steht Eva im Mittelpunkt einer personalen Erzählform. Daraus ergibt sich die spannende Möglichkeit von unterschiedlichen Erzählsprachen, wobei das Manuskript von Matthias die Gelegenheit für zusätzliche Gedankenströme bietet, für seine Gedanken über das Schreiben, über das Erinnern, über Erinnerungslücken und Unschärfen in der Wahrnehmung so viele Jahre später.

Fazit

Eine packende Geschichte, die durch Facettenreichtum besticht und viele Details, die zunächst den Eindruck von eigenständigen, kurzen Erlebnissen im Alltag der Hauptfiguren machen und die erst im Laufe der Handlung ihre Zusammenhänge mit der Kerngeschichte offenlegen. Ein überzeugender Debütroman, der auf weitere Werke dieser Autorin hoffen lässt.

Zeit der Mutigen – Dimitré Dinev

AutorDimitré Dinev
VerlagKein & Aber
Datum8. September 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten912
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3036950792
 

„Das Wissen allein aber reicht nicht, um sich zu retten. Um gerettet zu werden, braucht man einen Menschen.“ (Zitat Pos. 3922)

Inhalt

Eva trifft als Rotkreuzschwester auf dem Schiff Kulpa im Ersten Weltkrieg eine Entscheidung, die ihr weiteres Leben verändert. In der Donau will sie ihr Leben beenden, doch sie geht dem Fischer Xaver ins Netz. Auch die gemeinsame Tochter Angela muss sich eines Tages entscheiden und damit gibt sie nicht nur ihrem eigenen Leben eine unvorhersehbare Wendung mit weitreichenden Folgen.

Der Tiroler Gymnasiast Leopold meldet sich im zweiten Weltkrieg freiwillig, wird nach Griechenland geschickt, desertiert und lebt bei einer Gruppe Roma in Bulgarien, deren Oberhaupt Gjuro eines Tages einen ungewöhnlichen Gefallen von ihm einfordert. Als Leopold die Gruppe verlassen muss, kehrt er nach Hause zurück. Beide Entscheidungen haben ebenfalls Konsequenzen, die Leben verändern.

Rotarmisten greifen Ende des zweiten Weltkriegs eine Gruppe deutsche Soldaten auf und erschießen sie. Doch einer überlebt mit einer Kugel im Kopf und ohne Erinnerungen. Die unabhängige Schafhirtin Neda nimmt den Verletzten auf und er bleibt. Doch dann muss auch sie eine Entscheidung treffen, da er in Gefahr ist. Um ihn zu schützen, schickt sie ihn zurück an den Ort, wo er vermutlich aufgewachsen ist. Doch in seiner Erinnerung gibt es nur Neda. Das Leben geht weiter, mit neuen Herausforderungen diese Elterngeneration und ihre Kinder und Enkel und es erfordert Mut, den eigenen Weg zu finden und ihm zu folgen.

Thema und Genre

In diesem epischen Generationenroman geht es um europäische Zeitgeschichte mit Schwerpunkt Bulgarien und Roma, Krieg, Diktaturen, Unterdrückung, Widerstand, und den Wunsch der Menschen, ein selbstbestimmtes Leben nach den eigenen Überzeugungen zu führen. Werte wie Freundschaft, Treue, Familie und die Liebe sind wichtige Themen.

Charaktere

Dimitré Dinev nimmt sich viel Zeit für seine Figuren, er stellt jede detailliert und einprägsam vor, da er bereits mit Schilderungen der Kindheit beginnt. So füllt er sie mit Leben und folgt ihnen mit Empathie durch Konflikte, Probleme und Gefahren. Dadurch werden ihre Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar, wobei er seine Figuren schon im frühen Kindesalter aus traditionellen Rollenbildern löst, Frauen folgen selbstbewusst den Berufen ihrer Väter, treffen ihre eigenen Entscheidungen und kämpfen dafür in einer Zeit, als dies weder selbstverständlich noch einfach ist.

Erzählform und Sprache

Der Roman ist in große Teile gegliedert, deren Titel immer auch einen realen oder metaphorischen Bezug zur jeweiligen Handlung haben. So trägt der erste Abschnitt, in dem es um Eva und Xaver geht, die Überschrift „Wasser“. Jeder Teil folgt den Ereignissen einer der Hauptfigurengruppen und so ergeben sich lange Erzählstränge voller Leben und in einer packenden, einprägsamen Dichte, denn der Autor überzeugt auch durch seine fließende, bildintensive Erzählsprache.

Fazit

„Einen Freund kann man immer brauchen. Willst du mitmachen?“ (Zitat Pos. 15510) Mit diesem Satz endet dieser Roman, der neben einer spannenden Handlung, überzeugenden Figuren, und zeitlos aktuellen Themen auch interessante Einblicke in die nahe Vergangenheit Bulgariens bietet, ein Land, über dessen Geschichte ich bisher wenig wusste. Dieser letzte Satz und die darin enthaltene Aussage umfasst den Kerngedanken der Schicksale, die hier beeindruckend erzählt werden.

Mein Name ist Emilia del Valle – Isabel Allende

AutorIsabel Allende
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum4. August 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten359
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinSvenja Becker
ISBN-13 978-3-518-43220-4

„Hier in diesem verwunschenen Ort im Süden von Chile liegen meine ältesten Wurzeln, die Wurzeln meiner Vorfahren, von Mapuche, Spaniern und Mestizen, und sie reichen tiefer als die meiner Mutter aus Irland oder die an meinem Geburtsort in Kalifornien. Nur so kann ich mir die unwiderstehliche Anziehung erklären, die dieser entlegene Landstrich am Fuß der Vulkane auf mich ausübt.“ (Zitat Seite 349)

Inhalt

An ihrem siebten Geburtstag, dem 14. April 1873, geht ihre Mutter Molly Walsh mit Emila zu einem Fotografen. Das Foto ist für Emilias leiblichen Vater bestimmt, Gonzalo Andrés del Valle aus einer angesehenen chilenischen Familie, der die junge Molly verführt hatte. Für Emila allerdings wird Francisco Claro, der ihre Mutter noch vor Emilias Geburt heiratet, immer ihr geliebter Papo bleiben. Die wissbegierige, selbstbewusste Emilia wächst in einem Einwandererviertel von San Francisco auf. Sie spricht Englisch und Spanisch. Schon früh beginnt sie zu schreiben, mit siebzehn Jahren veröffentlicht sie mit Erfolg spannende Heftchenromane, allerdings unter einem männlichen Pseudonym. Kurz vor ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag wird sie die erste Reporterin für die Zeitung Examiner. Als Chile Anfang des Jahres 1891 vor dem Beginn eines Bürgerkrieges steht, setzt sie sich bei der Zeitung durch und wird als Kriegsberichterstatterin nach Chile geschickt, zusammen mit ihrem jungen Kollegen Eric Whelan. Emilia hat nicht vor, sich hinter den Fronten zu verstecken, wie immer ist es ihr wichtig, für ihre Reportagen direkt im Geschehen mit den Menschen zu sprechen, mitten in dieser grausamen, blutigen Auseinandersetzung. Diese Erfahrungen und auch die Einblicke in das Land Chile, das Kennenlernen des ihr bisher unbekannten Mannes, der ihr Vater ist und ihrer chilenischen Wurzeln, verändern und prägen sie. Sie beginnt, ihre Geschichte aufzuschreiben.

Thema und Genre

Im Mittelpunkt dieses historischen Romans, der im 19. Jahrhundert spielt, steht mit Emilia del Valle eine freiheitsliebende, außergewöhnliche junge Frau, die sich den gesellschaftlichen Regeln ihrer Zeit widersetzt und ihren eigenen Weg geht. Gleichzeitig handelt dieser Roman von Chile, von den dort lebenden Menschen und der politischen Situation, die zu den blutigen Auseinandersetzungen des Jahres 1891 führt, von diesem Bürgerkrieg und den direkten Folgen.

Erzählform und Sprache

Emilia del Valle schreibt ihre Eindrücke und Erlebnisse chronologisch als Erinnerungen auf, bis sich daraus schließlich die ganze Geschichte ergibt. Daher ist die Erzählform die erste Person und dies bedeutet, dass wir die Ereignisse mit Emilas Augen sehen, verstärkt durch ihre Beobachtungen, Gedanken und Gefühle. Ihre Schilderungen der beeindruckenden Natur und des Umfeldes ergeben ein lebhaftes Bild Chiles zu dieser Zeit. Gleichzeitig setzt Isabel Allende gekonnt wiederholt entsprechende Reportagen Emilias ein, um zusätzliche Informationen und Details in journalistischer Form einzuflechten. Dies bringt sprachliche Facetten in den packenden, interessanten Stoff mit für mich neuem Wissen und Fakten, da ich bisher wenig über das Land und nichts über diesen dramatischen Bürgerkrieg und die realen Umstände wusste. Getragen wird die Handlung auch durch die unterschiedlichen Figuren, fiktive und einige reale Persönlichkeiten, die detailliert und lebensnah beschrieben werden.

Fazit

Ein sehr vielseitiger, eindrücklicher, bemerkenswerter Roman, spannendes Lesevergnügen von der ersten bis zur letzten Seite. Für mich eine weitere Bestätigung, warum Isabel Allende seit vielen Jahren eine meiner Lieblingsschriftstellerinnen ist.
 

Die Holländerinnen – Dorothee Elmiger

AutorDorothee Elmiger
VerlagCarl Hanser Verlag
Datum19. August 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3446282988

„Man müsse dies alles, sagt sie, im Kontext der Holländerinnen betrachten, man müsse alles, war nun folge, den Terror der Nächte, die schonungslosen Tage, vor dem Hintergrund dieser Geschichte verstehen, die der Theatermacher für sein Stück noch einmal hervorgeholt und ans Licht geschleift habe, weil er darin, so seine Erklärung, etwas in Bilder gefasst oder in diesen Bildern enthüllt finde, das er aber nicht sagen könne, das sich grundsätzlich nicht sagen lasse, das letzte Reale vielleicht, mit Lacan gesprochen, das Angst-objekt per excellence.“ (Zitat Pos. 415)

Inhalt

„Sie“ ist eine bekannte Schriftstellerin und wurde eingeladen, einen Vortrag über ihre Arbeit und ihre Texte zu halten. Doch stattdessen spricht sie nur über ihren letzten Text, einen Text, den sie nie fertiggestellt hat. Es ist drei Jahre her, seit sie den Anruf eines Theatermachers erhalten hatte, der gerade ein neues Stück vorbereitet, die Rekonstruktion eines tragischen Falls. Sie soll als Protokollantin alle Vorkommnisse und Ereignisse in einem Text festhalten, aus dem später das Drehbuch entstehen wird. Eine Reise, bei der sie sich von Beginn an unbehaglich fühlt. Einfache, etwas verwitterte Bungalows an einem abgelegenen, einsamen Küstenstreifen am Pazifik, in Südamerika irgendwo zwischen den Wendekreisen, und ein Pfad in den Urwald, auf dem vor einiger Zeit zwei Holländerinnen auf einer Wanderung spurlos verschwunden sind. Diesem Pfad will der Theatermacher mit seiner Gruppe folgen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Verstrickungen, Verbindungen, Beziehungen, und um die scheinbaren Zufälle im Leben. Themen sind Psychologie, Philosophie, der Mensch und die unberechenbare, wilde Natur und die damit verbundenen Urängste. 

Erzählform und Sprache

Die Schriftstellerin spricht bei einer Fachtagung als Vortragende über die Ereignisse auf dieser besonderen Reise, in der Ich-Form und durchgehend in der indirekten Rede. Ihre Unterlagen sind zahlreiche Notizen, Fragmente und Aufzeichnungen. Der Ablauf der chronologischen Handlung wird getragen von den Erinnerungen und damit verbundenen Gefühlen der Schriftstellerin, die Schilderung der eigenartigen Stimmung, dazu Geschichten, die ihr von anderen Mitgliedern dieser Gruppe um den Theatermacher erzählt werden und vertiefende fachliche und philosophische Erklärungen des Theatermachers selbst. Das allem zugrunde liegende Verschwinden der beiden Holländerinnen steht im Mittelpunkt der täglichen Gespräche der Gruppe und wird so weit als möglich durch Nachforschungen recherchiert. Was diese an sich klare Handlung so besonders macht, ist die in den Beobachtungen der Schriftstellerin manchmal unerklärbar zerfließende Realität, Splitterbilder anderer Bewusstseinsebenen, und im Hintergrund eine nicht definierbare Gefahr aus dem Urwald, ein subtiles Unbehagen, besonders während der dunklen Nächte.

Fazit

Dieser Roman ist in meinen Augen eine sehr moderne, eigenwillige und durch die Themenvielfalt facettenreiche Version des klassischen englischen Schauerromans. Teilweise unerklärbare Ereignisse, verbunden mit einem steten, beklemmenden Gefühl einer drohenden Gefahr werden später von jemandem, der dies selbst erlebt hat, erzählt. Keine einfache Lektüre, aber das sind die Romane von Dorothee Elmiger nie, aber es lohnt sich auch bei diesem neuesten Roman, sich die Zeit für diese vielschichtige Gegenwartsliteratur zu nehmen.

Südliche Autobahn – Julio Cortázar

AutorJulio Cortázar
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum5. Juni 2019
AusgabeTaschenbuch
Seiten266
SpracheDeutsch
ÜbersetzerRudolf Wittkopf
Fritz Rudolf Fries
Wolfgang Promies
ISBN-13978-3518242278

„Nie wird man wissen, wie das erzählt werden muß, ob in der ersten Person oder in der zweiten, indem man sich der dritten Person des Plurals bedient oder fortwährend Formen erfindet, die sich dann als nicht brauchbar erweisen.“ (Zitat Seite 379)

Thema und Inhalt

Es sind Alltagsthemen und alltägliche Situationen, über die Julio Cortázar schreibt. In der Sammlung „Geschichten der Cronopien und Famen“ finden sich auch kurze Texte, die mit wenigen Worten auskommen und dennoch eine ganze Geschichte erzählen. Diese oft skurrilen Texte verpacken sehr gekonnt die Freude am Spielen mit der Sprache und Humor mit ernster Gesellschaftskritik. Im Abschnitt „Handbuch der Unterweisungen“ finden sich zum Beispiel Unterweisungen im Weinen, im Singen, im Uhrenaufziehen, im Treppensteigen, im Verständnis berühmter Gemälde. Es folgen „Sonderbare Beschäftigungen“ über den wechselvollen Tag einer Tageszeitung und über das Verhalten bei Beerdigungen, sowie über die vergeblichen Bemühungen eines Kamels für eine Einreisegenehmigung. Cronopien und Famen sind phantastische Wesen mit sehr unterschiedlichen Eigenheiten und Verhalten, und darüber lesen wir in den Geschichten, in deren Mittelpunkt sie stehen.

In der ersten Sammlung dieses Buches finden wir die für Julio Cortázar so typischen Erzählungen zwischen Realität und Phantasie. Die Erlebnisse der einzelnen Figuren beginnen mit gewöhnlichen Situationen, ein Brief von Mama, ein Theaterbesuch. Zunächst kaum zu bemerken, wenden sich die Ereignisse Satz um Satz in beklemmende, bedrohliche Empfindungen und jeder Versuch der Figur, einen Ausweg zu finden, steigert nur die Ausweglosigkeit, was ist noch Realität, was bereits nicht mehr zu erklären?

Völlig unterschiedlich dagegen sind die Erzählungen der letzten Sammlung dieses Bandes, die mit einer Geschichte über menschliches Verhalten zwischen Realität und Gedankenströmen während eines langen Staus auf der Autobahn vor Paris beginnt. Einige der weiteren Erzählungen sind geprägt von den Eindrücken jener Jahre, die der Schriftsteller in Buenos Aires verbracht hat, und befassen sich kritisch mit der politischen Situation in Argentinien. In dieser Sammlung finden sich auch beeindruckende Geschichten, in deren Mittelpunkt  die menschlichen Gefühle stehen und die Suche nach dem schmalen Pfad zwischen Realität und Einbildung. „Mehr als einmal habe ich das Gefühl gehabt, als setzte sich alles wie von selbst in Bewegung, als besänftigte sich alles, als wiche der Boden zurück, und widerstandslos war ich bereit, auf diese Weise von einer Sache zur anderen zu schreiten.“ (Zitat Seite 667, aus „Der andere Himmel“)

Gestaltung

Dieser zweite Band der kompletten Erzählungen umfasst die Sammlungen „Die geheimen Waffen“ aus dem Jahr 1959, die „Geschichten der Cronopien und Famen“ aus dem Jahr 1962 und „Das Feuer aller Feuer“ aus dem Jahr 1966 mit der titelgebenden Erzählung „Südliche Autobahn“. Die Reihenfolge der Erzählungen verläuft chronologisch und ist nach dem Erscheinungsdatum der Originalausgaben angeordnet.

Fazit

Eine spannende Mischung von unterschiedlichen Geschichten, die ihren Ausgangspunkt in alltäglichen Situationen haben und mit humorvollen, sehr skurrilen Momenten spielen, oder jedoch aus einer ebenfalls alltäglichen Situation rasch in sich immer mehr steigernde, bedrohliche Krisen führen, eine Spirale von der Realität in das Phantastische und zurück.

Auē – Becky Manawatu

AutorBecky Manawatu
VerlagAlfred Kröner Verlag
Datum24. April 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten464
SpracheDeutsch
ÜbersetzungJana Grohnert
ISBN-13978-3520630018

„Ich dachte, dass es für Ari und mich immer so sein würde. Wir würden in Spiegeln und Menschenmengen nach Fragmenten von all jenen suchen, die wir verloren hatten.“ (Zitat Seite 81)

Inhalt

Nach dem Unfalltod der Eltern bringt der junge Maori Taukiri seinen Bruder Ārama „Ari“ in ein neues Zuhause bei Tante Kat, die Schwester der verstorbenen Mutter, und dessen Ehemann Stu. Taukiri selbst fährt mit seiner Gitarre und seinem Surfbrett auf dem Autodach Richtung Norden, auf der Suche nach einem eigenen Leben. Obwohl er seinem Bruder verspricht zurückzukommen, hat er dies nicht vor. Beth, die Tochter des benachbarten Farmers, ist zwar ein halbes Jahr jünger als Ari, doch während Ari ängstlich und ruhig ist, ist Beth frech und tough. Rasch entsteht eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden, in der Ari Halt in seinem neuen, schwierigen Leben findet. Seit Generationen ist das Familiengefüge zerrissen und von einer Spirale von Gewalt umgeben, weil Entscheidungen mit unvorhersehbaren Folgen getroffen worden waren. Doch der Wind trägt starke Gedanken und Erinnerungen mit sich, die sich so sehr wünschen, etwas zu verändern.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine sozialkritische Coming-of-Age Geschichte und es geht um Familienbeziehungen, Verlust und Trauer, Bandenkriminalität, Gewalt in der Familie, aber auch um Freundschaft und Liebe.

Erzählform und Sprache

Der Roman spielt in einer ländlichen Gegend in Neuseeland. Die Ereignisse werden chronologisch geschildert und durch Erinnerungen ergänzt. Ārama und Taukiri erzählen ihre Erlebnisse selbst und diese Ich-Form lässt uns intensiv an ihren Gedanken teilhaben. Für die Geschichte von Jade und Toko, die schon erwachsen sind, verwendet die Autorin dagegen die personale Form. Dadurch ergibt sich auch eine sprachliche Vielfalt, der junge Ārama erzählt und denkt seinem Alter entsprechend anders, als sein älterer Bruder Taukiri. Interessant ist, wie im Zuge der Erzählung die Zusammenhänge und Hintergründe Stück für Stück sichtbar werden.  Maori-Traditionen in Verbindung mit Naturbeschreibungen und magischen Momenten ergänzen die Handlung selbst, eine Handlung, die allerdings geprägt ist von brutaler Gewalt gegenüber Mensch und Tier. Obwohl mir die Intention der Autorin und der Grund, aus welchem dieser Roman geschrieben wurde, bekannt sind, sind es für mich unglaubwürdig viele tödliche Gewalttaten, die Mitgliedern dieses verbundenen Familiengefüges zugefügt werden und ich empfinde die Handlung als zu bewusst für die Kernthemen konstruiert.

Fazit

Trotz der aufflackernden Poesie, Magie, trotz glücklicher Momente, positiver Phasen und wiederholter Lichtblicke, ist es eine schonungslos trostlose, deprimierende Geschichte.

„Die Nacht auf dem Rücken“ – Julio Cortázar

AutorJulio Cortázar
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum28. September 2019
AusgabeTaschenbuch
Seiten333
SpracheDeutsch
VorwortMario Vargas Llosa
ÜbersetzerWolfgang Promies
Rudolf Wittkopf
ISBN-13978-3518242261

„Die Tür zum Salon und dann der Dolch in der Hand, das Licht der Fenster, die hohe Rückenlehne eines Sessels aus grünem Samt, der Kopf des Mannes in dem Sessel, einen Roman lesend.“ (Zitat Seite 196)

Thema und Inhalt

Dieses Buch ist der erste von vier Bänden mit den Erzählungen des argentinisch-französischen Schriftstellers. Neben seinem Roman „Rayuela – Himmel und Hölle“ sind es besonders diese Geschichten, die seinen literarischen Ruhm begründen. Cortázar spielt ein geniales, besonderes Spiel mit der Sprache, der Phantasie und den Gedankenbildern, und führt die Leser aus scheinbar beschaulichen, einfachen Alltagssituationen leise und zunächst nur mit leichtem Unbehagen in schließlich zutiefst beklemmende, surreale Situationen und Ereignisse. Wirklichkeiten und mögliche Wirklichkeiten überschneiden sich und führen seine Figuren zu unabwendbaren Konsequenzen. „Denn in Cortázars Büchern spielt der Autor, spielt der Erzähler, spielen die Figuren und spielt der Leser, zum Spiel gezwungen durch die teuflischen Fallen, die ihn beim Umblättern erwarten, wenn er es am wenigsten erwartet.“ (Zitat Seite 5, Mario Vargas Llosa, Vorwort)

Gestaltung

Die Erzählungen sind in drei Sammlungen zusammengefasst, chronologisch geordnet nach der Zeit ihrer Entstehung. Dem Vorwort von Mario Vargas Llosa folgt die Sammlung „ Das andere Ufer – 1945“ welche zwölf frühe Geschichten umfasst. Daran schließt „Bestiarium -1951“ an mit acht Geschichten, wobei die letzte Geschichte dieser Sammlung den Namen gibt. Die letzte Sammlung  ist die 1964 erweiterte Fassung von „Ende des Spiels – 1956“ und ist nach der letzten Geschichte benannt, welche auch die letzte Geschichte dieses ersten von insgesamt vier Bänden ist.

Fazit

Die vielen kleinen, einfachen Alltagssituationen oder ebenso klaren Ereignisse haben eines gemeinsam: subtile Wendungen, die sich plötzlich zu einer eigenständigen, packenden Dramatik entwickeln, bei der wir Leser den Atem anhalten und gespannt den Ereignissen und den Entscheidungen und dem Schicksal der Figuren folgen. Wir wissen nun zum Beispiel, was passiert, wenn sich ein Vampir ernsthaft verliebt, und werden wohl noch lange einen Pullover nur mit einem gewissen Unbehagen anziehen. Es ist schwer mit wenigen Worten zu beschreiben, warum man diese auch sprachlich großartigen Erzählungen lesen sollte, doch lesen sollte man sie.

wolken westwärts: ermittlungen zweiter ordnung – ralf b. korte

AutorRalf B. Korte
VerlagKlingenberg Verlag
Datum1. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten192
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3903284616

„deine Erfahrung soll auch bereits gemachte und laufende beobachtungen der ermittelnden sehen und mit entsprechendem abstand identifizieren, wer denn was gesehen und anderes übersehen hat.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Michael Henze, ein nicht mehr aktiver Kriminalbeamter, wird von Eliza aus Graz kontaktiert, im Namen von Auftraggebern, die zunächst im Hintergrund bleiben. Bru, eine Mitarbeiterin von dem Grazer Unternehmen sens_x, die an brisanten Recherchen gearbeitet hat, ist in Triest ermordet worden. Auf Intervention der österreichischen und amerikanischen Botschaft wurden die Ermittlungen jedoch rasch eingestellt, Unterlagen und die von der Triester Polizei gesammelten Indizien sind verschwunden. Nun soll Henze als neuer Beobachter des bisher Beobachteten nochmals die Hintergründe der Tat ermitteln. Er reist zwischen Berlin, Graz und Triest, Eliza scheint ihm zu folgen und Henze frage sich, ob er tatsächlich den Spuren folgen, oder sie, während er sucht, verwischen soll.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um philosophische, naturwissenschaftliche, psychologische und gesellschaftsrelevante Überlegungen und Themen, in deren Mittelpunkt KI und das Metaverse stehen, verbunden mit der Frage, wie weit es möglich ist, mittels KI durch gezielt eingesetzte Emotionen die Menschen zu manipulieren und in die Gedankenfreiheit einzugreifen. Auch die Literatur und hier vor allem die themenrelevante Lyrik, fließen wiederholt in Henzes Überlegungen ein.

Erzählform und Sprache

wolken westwärts ist im Grunde ein Gedankenmonolog in Romanform. Es sind Henzes Gedanken und Überlegungen, seine Beobachtungen und Selbstbeobachtungen, die wir lesen, mit Auslassungen und Gedankensprüngen. Eliza überlässt Henze Brus Aufzeichnungen, doch auch diese sehen wir nur durch Henzes Gedankenströme, er liest und interpretiert, bindet seine eigenen Überlegungen und Wissen ein. Dialoge finden nicht statt, auch der Informationsaustausch zwischen seiner Auftraggeberin Eliza und Henze erfolgt ausschließlich schriftlich und manchmal vermisst Henze die fehlende Interaktion. Die klare, präzise Sprache verzichtet auf Groß- und Kleinschreibung, was mich zu der Überlegung brachte, dass auch unsere Gedanken ohne Groß- und Kleinschreibung fließen. Der Autor setzt auch die Beistriche sehr sparsam ein. Manche Sätze musste ich zwei Mal lesen, um dann mit Vergnügen diese wohlüberlegte, literarische Wortsetzung und Anordnung im Satz zu erkennen.

Fazit

Dies ist kein einfacher Kriminalroman, sondern es ist eine Vielfalt an gesellschaftsrelevanten, aktuellen Themen, eingebunden in ein gedankliches Verwirrspiel mit möglichen Erkenntnissen. Es gibt beim Lesen und auch danach reichlich Stoff zum Nachdenken und auch neues Wissen über wissenschaftliche Begriffe wie Noosphäre, Metaverse und moderne Lyriker wie Ben Lerner. Eine anspruchsvolle Lektüre, die mich inhaltlich und auch sprachlich gefordert hat, aber es war eine positive Herausforderung, die mich gepackt und begeistert hat.

Wut und Liebe – Martin Suter

AutorMartin Suter
VerlagDiogenes Verlag
Datum23. April 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten304
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257073331

„Wie eine Buchhaltung. Da kann man auch nicht warten, bis sie stimmt. Man muss etwas tun.“ (Zitat Seite 30)

Inhalt

Noah Bach und Camilla da Silva sind seit fast drei Jahren ein Paar, als Camilla ihm plötzlich mitteilt, dass sie ihn verlässt, obwohl sie ihn liebt. Doch mit Anfang Dreißig hat sie noch andere Pläne, wie sie ihr Leben gestalten will, als mit ihrem Gehalt als Buchhalterin auch für den als Künstler bisher erfolglosen Noah zu sorgen. Noah ist am Boden zerstört und als Betty Hasler, eine fünfundsechzig Jahre alte Witwe, ihm ihr persönliches Problem und den größten Wunsch schildert, den sie in ihrem Leben noch hat, lässt ihn dies nicht mehr los. Denn Camilla will eine finanziell gesicherte Zukunft und die Vernissage in einer mittelmäßig erfolgreichen Galerie zeigt wieder, dass der Erfolg von Noah Bachs Bildern noch auf sich warten lässt. Doch da ist immer noch Betty Haslers Visitenkarte.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Beziehungen, Freundschaft und Hass, Künstlerleben, Wirtschaft und Finanzwelt.

Erzählform und Sprache

Die drei Teile der Geschichte schließen fortlaufend aneinander an, die Ereignisse werden chronologisch geschildert und finden innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne statt. Details aus der Vergangenheit fließen in Form von Erinnerungen und Gesprächen in die aktuelle Handlung ein und ergänzen diese. Im personalen Mittelpunkt der Geschichte stehen Noah und Camilla, teilweise gemeinsam, aber auch getrennt und abwechselnd. Freunde, Bekannte und weitere, für die Handlung wichtige Kernfiguren ergänzen den Personenkreis. Martin Suter versteht es, jede seiner Figuren pointiert so zu gestalten, dass ihre Probleme und Konflikte sie menschlich machen und man auch dort, wo sich ihre Entscheidungen irgendwo in einem Bereich zwischen Grau und sehr dunklem Grau abspielen, hofft, dass es für sie dennoch ein positives Ende gibt. Die Sprache unterstreicht das Lesevergnügen.

Fazit

Auch in diesem neuesten Roman zeigt sich Martin Suter als sprachgewandter, phantasievoller Autor, der manchmal ironisch-böse auf die Beweggründe und das Verhalten seiner Figuren schaut, aber immer auch mit Empathie. Eine unterhaltsame, packende Geschichte mit zunächst vielen losen Fäden, die sich langsam zu verbinden scheinen, allerdings mit einigen sehr überraschenden Wendungen.

Twist – Colum McCann

AutorColum McCann
VerlagRowohlt Buchverlag
Datum11. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten416
SpracheDeutsch
ÜbersetzerThomas Überhoff
ISBN-13978-3498003852

„Das erste Rätsel jeder Reise ist nicht so sehr, wo sie enden wird, sondern wie du überhaupt an den Ausgangspunkt gekommen bist.“ (Zitat Seite 120)

Inhalt

Anthony Fennell, ist ein Schriftsteller aus Dublin, der als Journalist für Online-Magazine arbeitet. Er ist auf der Suche nach einer neuen Geschichte zu den Themen Verbindung und Reparatur, als ihm seine Redakteurin anbietet, eine Reportage über die Tiefseekabel auf dem Meeresgrund, Kabelbrüche und deren Reparaturen zu schreiben. Anfang Januar 2019, am Wochenende seines achtundvierzigsten Geburtstags, geht er in Kapstadt an Bord der Georges Lecointe, die erste Station der Reise ist ein gebrochenes Kabel vor der Küste der Republik Kongo. Nicht nur die extrem schwierigen Einsätze interessieren Fennell, sondern vor allem der Einsatzleiter John Conway, geheimnisvoll, entschlossen und gleichzeitig irgendwie orientierungslos.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Brüche, lose Enden und Reparaturen der wichtigen Datenkabel auf dem Grund der Ozeane weltweit. Dieses Kernthema zieht sich metaphorisch auch durch das Leben der beiden Hauptfiguren Conway und Fennell. Im Leben beider Männer gibt es Brüche, fehlende Kommunikation, lose Fragmente und mühsame Versuche, die Enden wieder zusammenzufügen. Auch aktuelle Probleme wie Gesellschaftspolitik und die Zerstörung der Umwelt spielen eine Rolle.

Erzählform und Sprache

Der Verlauf der Handlung wird vom Ich-Erzähler Fennell nicht immer chronologisch geschildert, denn er schreibt die Geschichte erst nach allen Ereignissen fertig, rückblickend, auf Basis seiner Notizen, Erinnerungen und weiteren Recherchen auf. Daher greift er manchmal vor, erklärt Details, Hintergründe, und seine Gedanken aus der aktuellen Sicht und auf Grund dessen, was er inzwischen weiß. Auch wichtige Details aus seiner eigenen Vergangenheit bindet der Ich-Erzähler ein, so lernen wir seine persönlichen Hintergründe und Konflikte kennen. Die Spannung ergibt sich aus den einzelnen Charakteren, ihren Problematiken, Verhalten, Entscheidungen, und natürlich aus der Realität der Einsätze selbst. Interessante, wissenswerte Fakten ergänzen die Geschichte. Auch die Sprache begeistert, einerseits in den Schilderungen des Innen und Außen, andererseits durch die Gedanken über den Schreibprozess selbst, das Entstehen einer Geschichte, deren einzelne Teile beginnen, sich zusammenzufügen.

Fazit

Conway und Fennell sind eine interessante Mischung aus traditionellen Charakteren aus klassischen Abenteuerromanen, gleichzeitig aber ungeheuer verletzliche Männer, mit vielen losen Enden in ihren Leben, auf der Suche nach einer möglichen Heilung. „Alles wird geflickt, und wir alle bleiben gebrochen.“

Eine interessante, beeindruckende Leseerfahrung mit unvorhersehbare Twists, geschrieben in einer großartigen Sprache mit nachdenkenswerten Formulierungen. Einige lose Kabelstränge bleiben am Ende dieser Geschichte, doch das stört nicht, da bleibt Platz für eigene Überlegungen. „Zwischen Fakt und Fiktion gedeihen Erinnerung und Phantasie. In Erinnerung und Phantasie gedeiht unser Wunsch, zumindest eine Essenz der bestenfalls vertrackten Wahrheit zu gewinnen.“ (Zitat Seite 209)

Ein Raum zum Schreiben – Kristin Valla

AutorKristin Valla
Verlagmareverlag
Datum21. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinGabriele Haefs
ISBN-13978-3866487376

„Das Haus war nicht nur ein Ort, wo ich schrieb, sondern ein Ort, wo ich mich in Gedanken vertiefen, mich in meinen eigenen Kopf einklinken, Klarheit daran erlangen konnte, was ich wollte und was in mir wohnte. (Zitat Pos. 2826)

Inhalt

Die norwegische Schriftstellerin und freiberufliche Journalistin ist einundvierzig Jahre alt, als sie ein kleines Haus in Roquebrun kauft, ein Dorf in Südfrankreich. Ein Rückzugsort von ihrer Familie in Oslo, um endlich wieder zu schreiben, denn die Veröffentlichung ihrer Romane liegt mehr als zehn Jahre zurück. Während sie zwischen Hoffnung und Verzweiflung versucht, das stark renovierungsbedürftige Haus mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln bewohnbar und zu ihrem Eigenen zu machen, liest sie sich, ausgehend von ihrem Vorbild Virginia Woolf und deren Essay „Ein Zimmer für sich allein“ durch Biografien, Texte und Aufzeichnungen von Generationen von Schriftstellerinnen. Für sie alle waren Häuser als persönliche Rückzugsorte ebenfalls ein wichtiges Thema, sei es, um schreiben zu können, sei es umgekehrt, sie schrieben, um diese Häuser erhalten zu können. Sie selbst pendelt zwischen Oslo und Roquebrun, auf der Suche nicht nur nach Handwerkern, sondern auch nach ihren persönlichen Antworten. „Das Haus hatte mir geholfen, wieder eine Schriftstellerin zu werden, auf eine Weise, die ich noch nicht richtig verstanden hatte.“ (Zitat Pos. 2167)

Thema und Genre

In diesem Buch geht es neben den alltäglichen Problemen und Zweifeln bei der Instandsetzung eines alten Hauses vor allem um die Frage, wie es Schriftstellerinnen zu allen Zeiten und trotz aller gesellschaftlichen Probleme gelungen ist, sich einen eigenen Rückzugsort zum Schreiben zu schaffen. Der Bogen spannt sich vom Mittelalter bis in die heutige Zeit, von Christine de Pizan bis zu Chimanda Ngozi Adichie und Leila Slimani.

Erzählform und Sprache

Das Buch ist in acht große Kapitel gegliedert, wobei der jeweilige Text nur mehr in viele kurze Abschnitte unterteilt ist. Die Schilderung des Hauses in Roquebrun, die Erlebnisse während der Umbauzeit und der ersten Aufenthalte, Szenen aus dem Familienalltag in Oslo, eigene Gedankengänge und Überlegungen zum Schreiben, wechseln sich mit Abschnitten aus dem Leben der berühmten Schriftstellerinnen und ihrer Häuser ab. Dabei variiert die Erzählform natürlich ebenso, zwischen Ich-Erzählung und personaler Form. Zahlreiche Zitate und Textausschnitte aus dem Leben der jeweiligen Schriftstellerin gestalten dieses Buch abwechslungsreich. Am Buchende findet sich eine ausführliche Quellenangabe, dem jeweiligen Kapitel zugeordnet und auch in der entsprechenden Reihenfolge im Text. Diese Anordnung ist sehr übersichtlich und regt dazu an, das eine oder andere zitierte Werk selbst zu lesen.

Fazit

Ein ungewöhnliches Buch, vielseitig und mit vielen interessanten Informationen über das Leben von bekannten Schriftstellerinnen, lesenswert.

Im Traum suche ich immer das Weite – Hilmar Klute

AutorHilmar Klute
VerlagGaliani-Berlin
Datum13. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten304
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3869712963

„Ich war einfach unterwegs. Wer reiste, hatte nichts als seine Gegenwart, weil es nur diese eine Welt zum Anfassen und Anschauen gab und keine Kopie davon in irgendeinem digitalen Paralleluniversum.“ (Zitat Pos. 1657)

Inhalt

Volker Winterberg, einundzwanzig Jahre alt, hat im Frühjahr 1987 seinen Zivildienst beendet, seine Freundin Katja und Berlin verlassen und ist in seine Heimatstadt Bochum zurückgekehrt. Dort beginnt er sein Studium an der Universität für Literaturwissenschaften und Philosophie, macht ein Praktikum am Theater, doch ihm ist klar, dass er Schriftsteller werden will. Weniger klar ist ihm, wie und wo sein weiteres Leben stattfinden soll. Er sieht sich und seinen besten Freund, den Objektkünstler Leo, als verlorene Kinder Bochums und sich selbst generell als Verlorenen, verloren in seinem ereignislosten Leben. Daran ändert auch eine gemeinsame Reise mit seinem Freund Leo nach Venedig und dann weiter bis nach Ungarn wenig. Bis er zu einem Literaturtreffen in München eingeladen wird.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Suche nach dem Platz im eigenen Leben, um das Schreiben, um die Welt des Theaters und natürlich um Schriftsteller und die Literatur.

Erzählform und Sprache

Es ist der Student und angehende Schriftsteller Volker selbst, der von dieser Zeitspanne in seinem Leben erzählt. Daher überwiegen die Schilderungen seiner inneren Suche, seine Erinnerungen an den geliebten Großvater, der sein ganzes Leben als Bergmann gearbeitet hat und die vielen Geschichten, die dieser seinem Enkel erzählt hat. Als Ich-Erzähler teilt Volker mit uns seine Gedankenströme, in deren Mittelpunkt seine eigenen Schreibversuche, das Studium, die Literatur und die Schriftsteller stehen, die ihn beeindruckt haben. Lebhaft beschreibt  Hilmar Klute das Leben Ende der Achtzigerjahre in Bochum, seine Hauptfigur umgeben von Theaterleuten und Literaturschaffenden, bekannte, reale Namen. Die Sprache fließt ruhig, unterbrochen durch skurril-schräge Szenen. Sprachlich großartige Episoden, wie Volkers Streifzug durch München, versöhnen mich mit manchen etwas langatmigen Gedankenkreiseln.

Fazit

Diese Geschichte ist ein moderner Entwicklungsroman, eine Suche nach Selbstverwirklichung als Schriftsteller, verknüpft mit der Sehnsucht, aus dem eigenen Leben zu reisen und irgendwo anzukommen.

Sehr geehrte Frau Ministerin – Ursula Krechel

AutorUrsula Krechel
VerlagKlett-Cotta
Datum11. Januar 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3608966534

„Letztendlich war ich die Zeugin meines eigenen Lebens. Dass es einem enteignet werden könnte, hätte ich mir bis jetzt nicht vorstellen können.“ (Zitat Pos. 1311)

Inhalt

Eva Patarak arbeitet in dem Kräuterladen, als die Frau mit der roten Mütze zum ersten Mal in diesen Laden kommt. Noch weiß sie nicht, dass sie eine Figur in dem Roman ist, den Silke Aschauer, die Frau mit der roten Mütze, Studienrätin für Latein, schreibt. Silke Aschauer, über deren Unterricht sich ausgerechnet die Eltern ihrer Lieblingsschülerin bei der Direktorin beschweren, weil sie im Unterricht Texte von Tacitus übersetzen lässt, Texte über Kriege, Gewalt und mächtige Herrscherfamilien, sowie das Frauanbild im antiken Rom. Dabei geht es Silke um die besonderen Beziehungen zwischen Müttern und Söhnen, etwas, das ihr selbst von ihrem Körper verwehrt wird. Auch Eva beschwert sich, zuerst bei Silke selbst, dann bei der Justizministerin, denn Eva will auf keinen Fall als Figur in Silkes Roman beschrieben werden. Auch die Justizministerin soll in Silke Aschauers Roman vorkommen, doch in diesem Fall fragt Silke zuvor höflich an.

Thema und Genre

Themen dieses Romans sind die Definitionen von Frau und Mutter, Beziehungen zwischen Müttern und Söhnen, Gesellschaftspolitik und das Frauenbild in der Gesellschaft von der Antike bis heute, wobei die Grenzen immer fließend verlaufen. Gleichzeitig geht es um die Vielfalt der Erzählformen in der Literatur.

Erzählform und Sprache

Im ersten Abschnitt schildert Eva Patarak ihr Leben, ihr Verhältnis zu ihrem Sohn Philipp und ihre Arbeit in einem Kräuterladen in Essen. Im zweiten Abschnitt spielt der Kräuterladen nochmals eine Rolle, doch aus einer anderen Sicht, denn nun erzählt Silke Aschauer aus ihrem Leben als klassische Philologin, von ihrer Liebe zur lateinischen Sprache, aber auch von ihren aktuellen Problemen, die konstant in ihren Gedanken kreisen und die ihr Frausein betreffen. „Ich könnte auch sagen: Von der dritten Person bin ich in die erste Person gerutscht, getaumelt.“ (Zitat Pos. 1347). Parallel dazu wird anhand von Tacitus-Texten Rom unter der Herrschaft von Nero und seiner Mutter Agrippina geschildert und Roms Eroberungszüge gegen die Germanen. Im personalen Mittelpunkt des dritten Abschnitts steht die Justizministerin, ihr politischer Werdegang, ihre Ideen zum Urheberrecht, ihr Familienleben, auch sie hat Kinder, eine Tochter und einen kleinen Sohn. Plötzlich treffen sie zusammen, Eva, ihr Sohn Philipp, die Ministerin und ihr kleiner Sohn. Es ist unglaublich spannend, wie Ursula Krechel mit den unterschiedlichen Erzählformen spielt, ihre Figuren verschiebt, das Kernthema Mütter und Söhne in vielen Facetten darstellt. Auch die berühmte Marienstatue, die Goldene Madonna im Dom zu Essen, führt zu umfassende Betrachtungen, zu weiteren Gedankenströmen, wie sie sich durch den gesamten Roman ziehen, um die vielen unterschiedlichen Aspekte einzubinden. Die Entstehung dieses Romans selbst ist ein Thema, geschrieben zwischen 1. April 2022 und 29. Februar 2024.

Fazit

Dieser Roman in seiner Themenvielfalt ist definitiv keine einfache Lektüre, aber beeindruckend und interessant, einerseits durch die Auswahl besonderer Mutter-Sohn-Konstellationen von der Antike bis heute, andererseits durch die vielen sprachlichen Facetten und Wendungen des Erzählens, die überraschen und begeistern. „Sie hatte uns stehen gelassen in der Landschaft, stehen gelassen im Erzählen, im Erzähltwerden. Erzählt, nicht auserzählt und nicht abgeholt.“ (Zitat Pos. 2116). Dieser Roman verlangt Zeit, es ist eine intensive, spannende Lesezeit, die sich lohnt.

Heimweh im Paradies – Martin Mittelmeier

AutorMartin Mittelmeier
VerlagDuMont Buchverlag
Datum11. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten192
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3755800330

„Wenn das gewährleistet ist, dann ist es eigentlich wie überall: Tisch, Sessel, Lampe, Bücherreihe, Thomas Mann. Zuhause ist, wo er schreiben kann.“ (Zitat Pos. 44)

Inhalt

Schon mehrmals hatten Thomas und Katia Mann die USA besucht, wo Thomas Mann als prominenter Schriftsteller geschätzt wird. 1938 fällt dann die endgültige Entscheidung und am 21. Februar 1938 treffen sie in New York ein. Im Februar 1942 beziehen sie das nach ihren Wünschen gebaute Haus in Los Angeles, eine Villa mit Blick auf den Ozean, umgeben von einem großzügigen Anwesen  im noblen Stadtteil Pacific Palisades, Sehnsuchtsort für vieler Künstler im Exil. Dort arbeitet Thomas Mann an seinem Roman Doktor Faustus, engagiert sich politisch in Texten, Vorträgen und verfasst Radioansprachen, die über die BBC auch in Deutschland ausgestrahlt werden. Die deutschsprachigen Exilanten sind eine bunte Gruppe mit einem lebhaften Gesellschaftsleben. Was sie eint, ist die Kunst, was sie verbindet, trotz unterschiedlicher Meinungen, ist der sorgenvolle Blick auf die Vorgänge in der alten Heimat, die Haltung Amerikas und die Frage, wie die Zukunft Deutschlands aussehen könnte.

Thema und Genre

„Thomas Mann in Kalifornien“ lautet der Untertitel dieses biografischen Romans und darum geht es, um das Leben der Familie Mann und anderer bekannter deutschsprachiger Künstler im kalifornischen Exil. Themen sind Literatur und Musik, Philosophie, Verlust der Heimat, internationale Politik und natürlich der Krieg.

Erzählform und Sprache

Martin Mittelmeier schildert die Jahre der Familie Mann in Amerika chronologisch von 1938 bis zum Jahr 1952, als die Stimmung in Amerika kippt und die Manns von einem Aufenthalt in der Schweiz nicht mehr nach Amerika zurückkehren. Basierend auf intensive Recherche, Tagebuchberichte, Erinnerungen und das schriftstellerische Werk von Thomas Mann, geht der Inhalt doch weit über eine Biografie hinaus und überzeugt durch eine Vielfalt an Themen, Eindrücken, Schilderungen und eine leichte, angenehm zu lesende Erzählsprache.

Fazit

Ein interessantes, facettenreiches Lesevergnügen, nicht nur im Thomas Mann Jubiläumsjahr 2025.

Ginsterburg – Arno Frank

AutorArno Frank
VerlagKlett-Cotta Verlag
Datum15. Februar 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3608966480

„Im Spätsommer 1940 wartete Ginsterburg im hügeligen Herzen des Reiches geduldig auf das Ende eines Krieges, der anderswo wütete, in den fernen Peripherien des Kontinents.“ (Zitat Seite 257, 258)

Inhalt

In Ginsterburg, einer deutschen Provinzstadt, scheint das Leben auch unter der neuen nationalsozialistischen Ordnung weiterzufließen, Familienbande werden gefestigt oder getrennt, und auch die Liebe bewegt die Menschen wie zu allen Zeiten. Während der Blumenhändler Otto Gürckel, nun auch Bürgermeister und Kreisleiter, seine beiden langjährigen Freunde, den Redakteur Eugen von Wieland und den Unternehmer Clemens Jungheinrich weiterhin von „der Sache“ zu überzeugen versucht, und sei es nur durch neue Profitmöglichkeiten und Aufstiegschancen, beginnt für die Buchhändlerin Merle eine Zeit erhöhter Vorsicht. Doch sie kann und will nicht verhindern, dass ihr Sohn Lothar der HJ beitritt, denn nur so kann er seinen Traum vom Fliegen umsetzen. Durch seine außerordentliche Begabung ist er nach erfolgreicher Ausbildung 1940 bereits aktiv im Einsatz. 1935 hatte er es beim Angeln nicht über sich gebracht, den Fisch zu töten, doch diese zehn Jahre zwischen 1935 und 1945 verändern nicht nur ihn.

Thema und Genre

Dieser Roman verfolgt den Weg eines kleinen Personenkreises in der beschaulichen deutschen Stadt Ginsterburg, symbolisch für ganz Deutschland. Es geht um persönliche Schicksale, Familienkonflikte, Freundschaft, Liebe, vor allem jedoch um das Leben und die Einstellung der Menschen im Nationalsozialismus zwischen innerem Widerstand, Anpassung und Überzeugung.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte von Ginsterburg und seinen Bewohnern wird chronologisch geschildert, in übergeordneten Kapiteln werden die Jahre 1935, 1940, 1945 beleuchtet, ergänzt durch Rückblicke in Gesprächen und Gedanken. Parallel dazu lesen wir die Geschichte von Alfred „Alfie“ Wellbeck aus Wales, dessen Flugzeug getroffen wurde und der langsam im Fallschirm auf Ginsterburg herabschwebt, während er über sein bisheriges Leben nachdenkt. Weiter kurze Texte beleuchten die Entwicklung der deutschen Luftwaffe. Es ist die besondere Erzählsprache von Arno Frank, die sofort beeindruckt, poetisch in den Schilderungen, mit gekonnt eingesetzten und dosierten Metaphern, und genau bis in die feinsten Nuancen bei der Charakterisierung der einzelnen Figuren.

Fazit

Ein Roman, der einfach sprachlos macht, leise und doch so ungemein intensiv erzählt Frank die Geschichte von Ginsterburg und seiner Einwohner, eine Stadt wie viele andere, mit Menschen wie viele andere in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Wir lernen eine Gruppe von Hauptfiguren sehr gut kennen, folgen ihrem Verhalten, ihren Konflikten, Wünschen und Träumen. Sympathisch oder unsympathisch, das macht schließlich keinen Unterschied. Ein Roman mit vielen Facetten und Themen, der bewegt und überzeugt.

Die vier Liebeszeiten – Birgit Rabisch

AutorBirgit Rabisch
VerlagVerlag duotincta GbR
Datum28. September 2018
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten252
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3946086420

„Liebe ist möglich ist zum geflügelten Wort zwischen ihnen geworden, das immer einer von ihnen irgendwann zitiert, wenn die Liebe unter Alltagssorgen und kleinlichen  Streitereien begraben zu werden droht. Bisher haben sie sie immer wieder ausgebuddelt.“ (Zitat Seite 165)

Inhalt

Als Rena im Frühling 1970 Hauke trifft, den fünfundzwanzigjährigen Cousin ihrer Freundin Monika, ist sie erst siebzehn Jahre alt. Mit einer anschließenden Fahrradtour entlang der Elbe beginnt für Rena und Hauke der Weg durch das gemeinsame Leben. Es ist Sommer, zehn Jahre später, Hauke ist Schriftsteller und Rena schreibt an ihrer Doktorarbeit, Physik, und immer noch ist es die Elbe, die ihr gemeinsames Leben begleitet, das gerade dabei ist, sie vom Paar zur Familie zu machen. Dann ist Hauke, plötzlich, wie er es empfindet, sechzig Jahre alt und während Renas Gedanken in den unendlichen Weiten ihres Forschungsgebietes Exoplaneten kreisen, überlegt Hauke, wie die gemeinsamen Jahre im Alter wohl weitergehen werden.

Thema und Genre

Dieser Roman endet nicht mit dem unbeschwerten, glücklichen Liebesfrühling, sondern folgt dem Paar Rena und Hauke weiter in den Alltag, begleitet diese Liebe durch den langen gemeinsamen Lebensweg. Weitere Themen sind Familie und die immer neue Faszination der Natur an der Elbe und im Wattenmeer.

Erzählform und Sprache

Die personale Hauptfigur ist Rena und ihre vielen Erinnerungen ergänzen die chronologisch verlaufende Haupthandlung, wir kennen ihre Gedanken und sie teilt ihre Beobachtungen mit uns. Hauke dagegen erzählt Details und Ereignisse aus seinem Leben in seinen Gesprächen. Rena ist es auch, die ihre Liebe in Gedanken mit den Jahreszeiten vergleicht. Birgit Rabisch schreibt in einer lebhaften Erzählsprache und ihre eindrücklichen Schilderungen des Wattenmeers und der Flusslandschaft der Elbe wecken Sehnsüchte, diese Landschaft auch selbst zu erleben.

Fazit

Ein vielseitiger Roman, in dem die Liebe einen wichtigen Platz hat, der jedoch wesentlich mehr ist, es ist die Geschichte einer Zeit der Umbrüche und darüber, was folgt, und des Lebens von der Jugend bis ins Alter, humorvoll, witzig in den Details, einfühlsam, aber niemals kitschig. Ein Buch für entspannte, genüssliche Lesestunden.

Von hier aus weiter – Susann Pásztor

AutorSusann Pásztor
VerlagKiepenheuer & Witsch GmbH
Datum13. Februar 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462005684

„Auf jeden Fall würde sie mit etwas beginnen, das irgendwann irgendwohin führte, vielleicht sogar schon bald.“ (Zitat Pos. 211)

Inhalt

Die pensionierte Grundschullehrerin Marlene Hansen braucht dringend einen Klempner, der die Dusche in ihrem Haus repariert. Als Jack Habermann vor ihr steht, erkennt dieser seine ehemalige Lehrerin sofort. Er sieht jedoch noch mehr, er sieht eine Frau, die sich in ihrer wütenden, zornigen Trauer um ihren kürzlich verstorbenen Ehemann Rolf völlig aus dem Leben zurückgezogen hat, niemanden an sich heranlässt und sich antriebslos mühsam durch die Tage quält. „Und morgen würde sie dann weitersehen. Das machte sie schließlich seit Wochen so.“ (Zitat Seite 455). Zuerst räumt Jack ihre Küche auf und zieht, da er ohnedies eine Wohnung braucht, in das Gästezimmer des großen Hauses. Als Marlene beginnt, sich wieder um Anrufe und ihre Post zu kümmern, findet sie einen Brief ihrer ehemals besten Freundin Valerie „Wally“, die in Wien lebt. Vor ihrem Tod hat der bereits unheilbar kranke Rolf einen Brief an Wally geschickt, mit genauen Weisungen, diesen Brief Marlene nur persönlich und in Wien zu übergeben. Zuerst lehnt sie ab, doch dann beschließt sie, mit dem Auto nach Wien zu fahren. Natürlich lässt Jack sie nicht alleine fahren und auch ihre Hausärztin Ida, die vor Jahren Rolfs Praxis übernommen hat, kommt mit.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um eine Frau, die aus Wut über den Tod ihres Mannes völlig aus der Bahn geworfen wird und keinen Grund mehr in ihrem Leben sieht. Themen sind Verlust, Trauer, Familiengefüge, Freundschaft und Veränderungen.

Erzählform und Sprache

Im personalen Mittelpunkt der Geschichte steht Marlene, seit wenigen Wochen Witwe. Die Handlung wird chronologisch erzählt, ergänzt durch Erinnerungen. So ergibt sich langsam ein Bild und wir erfahren, warum Marlene so wütend auf ihren verstorbenen Mann Rolf ist. Es sind die sympathischen, mit ihren Stärken, Schwächen, Problemen überzeugenden Figuren, welche die Handlung tragen. Vor allem Marlene bleibt trotz des Stillstands in ihrem Leben in ihrer wütenden Trauer aktiv, sie zieht sich bewusst zurück, verweigert sich, aber ohne Selbstmitleid. Dies macht die Handlung spannend, man ist neugierig auf mögliche Überraschungen und Wendungen. Auch kleine, magische Momente und Begegnungen fehlen nicht, nicht alles ist erklärbar, aber durchaus möglich.

Fazit

Eine Geschichte über Verlust, Trauer und Veränderungen im Leben, einfühlsam und mit leisem Humor erzählt, aber niemals kitschig. Es macht Freude, diesen Roman zu lesen. 

Die Kolonie – Audrey Magee

AutorAudrey Magee
VerlagNagel & Kimche
Datum28. Januar 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten400
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinNicole Seifert
ISBN-13978-3312012893

„Hier geht es um Irland, sagte Masson. Um die irische Sprache. Und haben die Iren mitzureden, fragte Lloyd, bei ihrem großen Plan, die Sprache zu retten?“ (Zitat Seite 104)

Inhalt

Es ist das vierte Jahr, dass JP Masson, ein französischer Linguist, auf diese kleine irische Insel kommt, auf der zweiundneunzig Menschen in zwölf Familien leben. Bei einer dieser Familien verbringt JP den Sommer als zahlender Feriengast. Er schreibt an seiner Doktorarbeit über die Veränderungen der alten Irischen Sprache, verbissen in seinem Anliegen, diese Sprache unbedingt zu erhalten. In diesem Jahr jedoch hat die Familie einen zweiten Feriengast aufgenommen. Auch der Maler Mr. Lloyd wird hier die drei Sommermonate verbringen, um in der Einsamkeit zu malen. Er ist Engländer, aus London, und natürlich spricht er nur Englisch. Vom ersten Moment an ist er für JP ein weiterer Gefährder der ursprünglichen irischen Sprache, während sich Mr. Lloyd durch JP in seiner Sehnsucht nach Ruhe und Stille gestört fühlt. Beide sind Fremde auf der Insel und beide versuchen auf ihre Art, die Menschen für ihre Zwecke einzusetzen, bewusst oder unbewusst, machen Versprechungen und wecken Hoffnungen.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen des Kolonialismus für die Sprache und Kultur, für die Identität der Menschen, am Beispiel einer kleinen irish-gälischen Insel. Themen sind das raue und gefährliche Leben der Fischer, traditionelle Familiengefüge und die Situation der Frauen. Es geht um Kunst, Künstler und die wilde Schönheit der Natur, und natürlich auch um den Nordirlandkonflikt.

Erzählform und Sprache

Die Ereignisse dieses Sommers 1979 werden chronologisch von Tag zu Tag erzählt, Nachrichtenmeldungen geben das Datum an und bringen gleichzeitig das Wissen über die beinahe täglichen Anschläge auch zu den Menschen auf dieser entlegenen Insel. Der Kreis der handelnden Figuren ist bewusst klein gehalten, was dem Roman zusätzliche Tiefe gibt.

Die Autorin lotet alle Möglichkeiten aus, welche die Sprache bietet, um eine Geschichte zu schreiben. Oft setzt sie Dialoge ein, um Sachverhalte und Konflike zu präzisieren. Schilderungen von alltäglichen Verrichtungen und  innere Monologe  fließen ohne Punkt und Innehalten über mehr als eine Seite. Letztere sind für die Autorin eine Möglichkeit, viele zusätzliche Themen und Details zu erzählen, seien es Einblicke in die Vergangenheit einzelner Figuren, Erlebnisse, die sie geprägt haben, persönliche Hoffnungen und Träume für die Zukunft, aber auch ein ausführlicher Rückblick auf die Geschichte Irlands. Dazwischen entstehen überraschend knappe lyrische Wortsequenzen. Die neunundachtzigjährige Bean Uí Fhloinn erzählt JP ihre Geschichten und so wird auch die tief verwurzelte irische Tradition des Geschichtenerzählens eingebunden. Der Maler Lloyd dagegen erfasst jede Situation, jedes Naturschauspiel, detailgenaue Beschreibungen seines Umfeldes in Gedanken sofort als Bild und gibt allen Bildern auch entsprechende Titel. Trotz meiner Begeisterung für die Ausdruckskraft der Sprache verfing ich mich beim Lesen manchmal in den langen Gedankenströmen der Figuren, wenn sie gleich Mäander sich drehten und wendeten, sich wiederholten, vielleicht wäre weniger in manchen Abschnitten mehr gewesen.

Fazit

Ein facettenreicher Irland-Roman, ein mit Worten gemaltes Bild in vielen Nuancen, Schattierungen und Tönen zwischen kraftvoll-bunt und nebelgrau.

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