Rayuela. Himmel und Hölle – Julio Cortázar

AutorJulio Cortázar
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum16. August 2010
AusgabeTaschenbuch
Seiten656
SpracheDeutsch
ÜbersetzerFritz Rudolf Fries
NachwortChristian Hansen
ISBN-13978-3518460573

“Sie hatten angefangen, durch ein märchenhaftes Paris zu wandern, sich leiten zu lassen von den Zeichen der Nacht, Wege einzuschlagen, die aus dem Satz eines Clochards entstanden waren, aus einer beleuchteten Dachkammer in der Tiefe einer schwarzen Straße. Auf den kleinen, intimen Plätzen hielten sie an, küßten sich auf den Bänken oder betrachteten die Kreidestriche von Himmel-und-Hölle, die kindlichen Riten mit dem Kiesel, das Hüpfen auf einem Bein, um in den Himmel zu gelangen.“ (Zitat Seite 36)

Inhalt

In den Fünfzigerjahren lebt der Argentinier Horacio Oliveira einige Zeit in Paris. Tagsüber streift er mit der Maga, seiner Freundin, durch die Stadt an der Seine, durch Museen, Straßen und Cafés. Die Nächte jedoch verbringen sie in einem Künstlerclub, wo sie mit ihren Freunden über Kunst, Literatur, Musik und alle Fragen des Lebens diskutieren. Doch dann verlässt ihn die Maga und verschwindet spurlos. Als Horacios Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird, kehrt er nach Buenos Aires zurück. Wie schon zuvor in Paris, sucht Horacio in Gedanken immer noch nach der Maga, glaubt sie manchmal in seiner Einbildung zu sehen, verliert sich immer mehr in einer Phantasiewelt.  

Thema und Genre

In diesem Roman, der in Paris und Buenos Aires spielt, geht es um die Pariser Künstlerszene, Schriftsteller, Philosophie, Politik, Lebensentwürfe, imaginäre Parallelwelten, Beziehungen und Liebe in vielen Facetten.

Charaktere

Die Hauptfigur Horacio Oliveira ist ein Suchender. Ein intellektueller Denker und kreativer Träumer, dessen Leben davon geprägt ist, dass er sich in seinen mäandernden Gedanken über jedes Problem und Thema verfängt, statt zu entscheiden und dann auch zu handeln. So wird es für ihn immer schwieriger, die Realität von seiner Phantasiewelt zu trennen.

Erzählform und Sprache

Rayuela, ein besonderer, vielseitiger Roman, den man in 56 fortlaufenden Kapiteln lesen kann und der dann bei Seite 406 endet. Oder aber man liest das Buch, benannt nach dem Kinder-Hüpfspiel Himmel und Hölle, in der vom Autor vorgegebenen Reihenfolge und mit ergänzenden Kapiteln. In dieser Variante beginnt man mit Kapitel 73, gefolgt von 1 und 2, springt dann auf 116 und zurück auf 3 und so geht es fort über insgesamt 636 Seiten. Diese zusätzlichen Kapitel ergänzen mit vertiefenden Gedanken, Überlegungen, Bewusstseinsströmen, aber auch Ausflügen in die Literatur, immer jedoch im Zusammenhang mit den ursprünglichen Kapiteln und auch immer wieder in die Reihenfolge 1 – 56 zurückkehrend. Die praktische Umsetzung ist einfach, denn am Ende eines Kapitels steht die Nummer des Kapitels, welches als nächstes gelesen werden soll. Die Handlungsfragmente, die wechselnden Erzählperspektiven und die sprachliche Ausdrucksform mit ihren Satzlabyrinthen ergeben ein spannendes, surreales, aber auch anspruchsvolles Verwirrspiel. „Dritte Möglichkeit: aus dem Leser einen Komplizen machen, einen Weggenossen. Und einen Zeit-Genossen, da ja die Lektüre die Zeit des Lesers tilgt und in die des Autors überführt. So könnte der Leser Mitbeteiligter und Mitbetroffener der Erfahrung werden, die der Romanautor durchgemacht hat, im gleichen Augenblick und in der gleichen Weise.“ (Zitat Seite 456-457, 79. Kapitel)

Fazit

Rayuela ist ein literarisches, sehr ungewöhnliches Kapitel-Springen, ein Labyrinth, das sprachlich und inhaltlich eine Herausforderung ist. Keine Lektüre „für zwischendurch“, wenn man sich entscheidet, dem Wegweiser des Autors durch das ganze Buch zu folgen, aber es lohnt sich aus vielen Gründen, sich auf dieses Leseabenteuer einzulassen.

Gesammelte Werke“ von Lydia Sandgren

AutorLydia Sandgren
Verlag mareverlag
Erscheinungsdatum 12. Oktober 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten880
SpracheDeutsch
ÜbersetzungStefan Pluschkat
Karl-Ludwig Wetzig
ISBN-13978-3866486614

„Das Leben führt einen von einer Weggabelung zur nächsten, und an jeder wählt man zwangsläufig eine Richtung. Man kann sich nie nicht entscheiden. Da auch das Nicht-Entscheiden eine Entscheidung ist.“ (Zitat Seite 768)

Inhalt

Cecilia Berg ist vierundzwanzig Jahre alt, als ihre Tochter Rakel zur Welt kommt, einunddreißig bei der Geburt von Sohn Elis. Dreiunddreißig Jahre ist sie alt, als sie im April 1997 ihre Doktorarbeit erfolgreich abschließt. Etwa zwei Wochen später, an einem Samstagmorgen, wecken die Kinder ihren Vater, Martin Berg, und fragen, wo die Mama sei. Auf ihrem leer geräumten Schreibtisch findet er einen Brief, in dem sie ihm mitteilt, dass sie ihre Familie verlassen hat. Inzwischen sind fünfzehn Jahre vergangen, der Göteborger Verlag Berg & Andrén bereitet die Fünfundzwanzigjahrfeier vor, der Verleger Martin Berg selbst wird demnächst fünfzig Jahre alt, trägt weiterhin seinen Ehering, doch Cecilia ist noch immer verschwunden. Eine deutsche Lektorin empfiehlt Martin den Roman „Ein Jahr der Liebe“, er solle ihn sich ansehen und überlegen, ob er die schwedische Übersetzung nicht in seinem Verlag herausbringen wolle. Martin bittet seine Tochter Rakel, die nach ihrer Studienzeit in Berlin sehr gut Deutsch spricht, den Roman zu lesen und ihm ihre Meinung dazu zu sagen. Rakel hat, obwohl sie sich für ein Psychologiestudium entschieden hat, eine große Begabung für Literatur und Sprachen. Zuerst desinteressiert, beginnt Rakel dann doch, das Buch zu lesen und plötzlich verändert sich ihr ganzes Leben.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Literatur, Malerei, Künstlerleben, den Schreibprozess, Schriftsteller, um lebenslange Freundschaften, um Beziehungen, Familie und Liebe.

Charaktere

Martin Berg ist Verleger und der Wunsch, selbst ein Buch zu schreiben, zieht sich in Form von zahlreichen Entwürfen, Texten und Notizen dazu durch sein bisheriges Leben. Rakel studiert Psychologie und ihr Leben ist vom Verschwinden ihrer Mutter geprägt und der Frage nach dem Warum. Gustav Becker ist Martins bester Freund und Vertrauter seit Studienzeiten, Patenonkel von Rakel, doch ihre Lebenswege verlaufen seit Jahren völlig unterschiedlich. Gustav Becker ist ein erfolgreicher Maler und ein Künstler mit einem exzentrischen Lebenswandel.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman umfasst mehrere, abwechselnd erzählte Geschichten: die intensiv gelebte Studienzeit des jungen Martin Berg in der Künstlerszene der 1980er Jahre in Göteborg und Paris, zusammen mit seinen Freunden Gustav Becker und Per Andrén, mit dem er später den Verlag gegründet hat, die Zeit seiner Ehe und seine Versuche als Schriftsteller, sowie seine arbeitsintensive Tätigkeit als Verleger, die brillante, ehrgeizige Cecilia Berg als Studentin, junge Ehefrau und Mutter, der Verleger Martin Berg in der aktuellen Zeit, kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag und dem fünfundzwanzigjährigen Verlagsjubiläum, seine nun erwachsene Tochter Rakel, ihre Kindheitserinnerungen, ihr Leben als Studentin und die aktuellen Ereignisse. Innerhalb der einzelnen Erzählstränge erfolgen die Ereignisse nicht immer chronologisch, ergänzt werden sie durch Erinnerungen. Unvorhersehbare Wendungen, welche manche Ereignisse aus neuen Blickwinkeln zeigen, uns beim Lesen über mögliche Hintergründe nachdenken lassen, ergeben den packenden Spannungsbogen.

Die auch sprachlich überzeugend erzählte Handlung ist in drei übergeordnete Teile gegliedert und insgesamt siebenundvierzig fortlaufende Kapitel. Der zweite Teil ist nochmals unterteilt. Verbunden werden die einzelnen Kapitel durch Auszüge aus dem Interview, einem Gespräch, das Martin Becker aus Anlass des Verlagsjubiläums mit dem Svensk Bokhandel führt.

Fazit

874 Seiten erzählen vom Leben von Martin Berg, von seiner großen Liebe Cecilia, von den gemeinsamen Kindern Rakel und Elis, von seinem besten Freund, dem bekannten Maler Gustav Becker: 874 Seiten, in die man eintaucht, gebannt versinkt, um irgendwann wieder aufzutauchen, erstaunt, wie spät es inzwischen ist und dass keine einzige Minute dieser großartigen, intensiven Lesezeit langweilig war.

Die Frauen von Skagen – Stina Lund

AutorStina Lund
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 19. November 2019
FormatBroschiert
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499291883

„Mir ist, als könnte das Licht jedes Geheimnis aufdecken. Ja, als wäre es gar nicht möglich, in Skagen Geheimnisse zu haben.“ (Zitat Seite 77)

Inhalt

1887 ist Marie Triepke zwanzig Jahre alt und will unbedingt Malerin werden. Schließlich stimmen die Eltern zu. 1888 reist Marie mit ihrer gleichaltrigen Gesellschafterin Asta nach Paris, wo sie den Maler Peder Severin „Søren“ Krøyer wiedersieht, den sie 1889 heiratet. 1891 ziehen sie nach Skagen, eine Künstlerkolonie am Meer. Wird Marie, inzwischen Mutter, nun endlich wieder malen können?

2018 ist Vibeke Weber zweiundzwanzig Jahre alt und nach einem abgeschlossenen Management-Studium soll sie die Farbenfabrik ihres Vaters übernehmen. Doch sie will endlich Malerei studieren. Auf den Spuren der Malerin Marie Krøyer reist sie mit ihrer Mutter nach Skagen, verliebt sich sofort in das besondere, strahlende Licht und wird an der dortigen Kunstschule aufgenommen. Neben dem Studium arbeitet sie im Skagens Kavehus, wo ein unsigniertes Bild hängt, das die Familie Krøyer zeigt. Hat sie ein bisher unbekanntes Bild von Marie Krøyer entdeckt?

Thema und Genre

Dieser Roman handelt von der berühmten dänischen Künstlerkolonie in Skagen, wo sich im späten 19. Jahrhundert Künstler trafen, die ihren eigenen Stil der realistisch-naturalistischen Freiluftmalerei entwickelten, der später auch vom französischen Impressionismus beeinflusst wurde. Ein wichtiges Thema sind die Schwierigkeiten und Probleme, die Frauen auf ihrem Weg als Künstlerin überwinden müssen. Es geht auch um Freundschaft, Familie und Liebe.

Charaktere

Marie, Tochter aus gutem Hause, will kein gesellschaftlich bequemes Leben führen, sie will die Kunst zu ihrem Beruf machen. Von ihrer Ehe mit dem erfolgreichen, deutlich älteren Søren Krøyer erhofft sie sich Inspiration, Unterstützung und Freiheit.

Asta, aus armen Verhältnissen, ist auf den Verdienst als Maries Gesellschafterin angewiesen und manipuliert diese.

Obwohl Vibeke eine moderne junge Frau des 21. Jahrhunderts ist, fehlt ihr die Sicherheit, ihre eigenen Wünsche konsequent durchzusetzen, weder gegenüber ihrem Vater, noch gegenüber einem aufdringlichen Mitstudenten. Dies dient sicher der Handlung, ist aber nicht immer stimmig.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird abwechselnd auf zwei Ebenen erzählt, das Leben von Marie Krøyer zwischen 1883 und 1940, und Vibekes Erlebnisse in Skagen 2018. Großartig sind die lebendigen Schilderungen des Lebens der bekannten dänischen Künstler in Skagen, gekonnt verbindet die Autorin die bekannten Fakten mit der fiktiven Geschichte ihres Romans. Für die Charaktere hätte ich mir mehr Stärke gewünscht, die starken, intensiven Bilder von Marie Krøyer passen für mich nicht ganz zum Bild, das die Autorin von ihr zeigt.

Fazit

Ein interessanter Roman über das Leben der bekannten dänischen Skagen-Maler. Sehr gut recherchiert, lässt er die Künstlerkolonie lebendig werden und macht Lust, sich näher mit dieser Künstlergruppe zu beschäftigen.