Der Sommer, in dem alles begann – Claire Léost

AutorClaire Léost
VerlagKiepenheuer&Witsch
Datum11. April 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ÜbersetzungStefanie Jacobs, Jan Schönherr
ISBN-13978-3462003871

„In diesem magischen Jahr entdeckt Hélène ein neues Land, bevölkert von Schriftstellern und Worten. Jedes Buch ist eine Schatzkiste.“ (Zitat Pos. 173)

Inhalt

Marguerite Renaud, eine erfolgreiche Dozentin für Literaturwissenschaften in Paris, ist mit dem erfolgreichen Krimi-Schriftsteller Raymond Berger verheiratet. Als Raymond vorschlägt, für einige Zeit in die Bretagne zu ziehen, in der Hoffnung, in der wilden Einsamkeit seine Schreibblockade überwinden zu können, sagt sie zu. Sie verschweigt Raymond, dass auch sie einen Grund hat, ausgerechnet in die Finistère zu ziehen. Marguerite ist auf der Suche nach ihrer Mutter, die sie nach der Geburt zur Adoption freigegeben hat und aus dieser Gegend stammte. Marguerite nimmt eine Vertretungsstelle als Französischlehrerin am Gymnasium in Bois d‘en Haut an. Dort trifft sie auf die sechzehn Jahre alte Hélène und sie erkennt rasch die Begabung des Mädchens. Während Hélène sich begeistert der Literatur zuwendet, entsinnt sich ihr Freund Yannik plötzlich seiner bretonischen Wurzeln. Die Ereignisse dieses Sommers werden genau beobachtet von der druidischen Kräuterfrau Mamie Alexine, Hélènes Großmutter, und deren bester Freundin Émile Tanguy, Inhaberin des Dorfladens.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Gesellschaftsstrukturen, Familie, Frauenleben, Literatur, Nationalismus und alte Traditionen in der Bretagne.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Einstieg in der Gegenwart, führt dann zwanzig Jahre zurück zu einem bestimmten Tag im Jahr 1994 und beginnt von dort an, in einem umgekehrten, rückwärtsgerichteten Zeitablauf, die Ereignisse aufzurollen. Parallel dazu führt ein zweiter Erzählstrang weitere fünfzig Jahre zurück und bietet dadurch auch Hinweise auf die bretonische Geschichte. Erinnerungen und Gedanken vertiefen die Erlebnisse und Charaktere der einzelnen Figuren. Es sind unterschiedliche Figuren, deren Verhalten nicht immer nachvollziehbar ist, da sich die Geschichte aus den Konflikten und den Handlungen der einzelnen Figuren ergibt. Die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsroman und ist leicht zu lesen.

Fazit

Dieser Frauen- und Generationenroman konnte meine Erwartungen nicht ganz erfüllen. Die Geschichte wirkt auf mich zu bewusst konstruiert und die Figuren zu klischeehaft. Die abwechslungsreiche Erzählform macht diesen Roman dennoch zu einer angenehm zu lesende Unterhaltungslektüre, die sicher andere Leserinnen begeistern wird.

Bin das noch ich – Stefan Moster

AutorStefan Moster
VerlagMareverlag
Datum8. August 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3866487123

„Wenn die Noten verstummen und nicht einmal mehr Bachs notierte Freiheit der Artikulation hilft, den Ton zu treffen, weil es keinen Ton mehr gibt. Was, wenn man keinen Bach mehr spielen kann? Und auch nichts sonst.“ (Zitat Seite 31)

Inhalt

Simon Abrameit ist Geiger, Musik ist sein Leben. Er vermutet schon länger, dass etwas mit zwei Fingern seiner linken Hand nicht stimmt. Im Rahmen eines Sommerfestivals spielt er ein Solokonzert, Bach und Bartók, und genau hier passiert es endgültig, er muss den Auftritt abbrechen. Er braucht Zeit zum Nachdenken, wie es weitergehen soll. Das einfache Ferienhaus seiner Musikerkollegin Mai auf einer kleinen, abgelegenen Insel wird sein Rückzugsort. Nur er, die Natur der endlos hellen Mittsommertage, die Seevögel und hier besonders ein brütendes Möwenpaar in Hausnähe, und dazu die notwendigen Tätigkeiten des Alltags. Zwischen Hoffnungslosigkeit und Aufbruch schwebend, macht er sich Gedanken über die vielen Facetten der Musik, über sein Leben als Musiker, beobachtet täglich gespannt den Ablauf der Natur und versucht dabei, sich selbst nicht zu verlieren.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Musik und die damit eng verbundenen Themen, um die Vielseitigkeit der Natur auf einer einsamen Insel im finnischen Mittsommer und um die Suche nach einem Neubeginn, wenn plötzlich nichts mehr so ist, wie es war.

Charactere

Simons Leben ist die Musik und seine Geige, die ihn viele Jahre lang durch sein Musikerleben geführt hat, obwohl er nie der herausragende, international berühmte Konzertsolist war. Er ignoriert die Probleme mit seinen Fingern, bis es nicht mehr möglich ist und er gezwungen ist, sich mit der Situation auseinanderzusetzen.

Erzählform und Sprache

Im Mittelpunkt dieses Romans steht Simon, der sich ein Leben ohne Musik nicht vorstellen kann und durch äußere Umstände gezwungen ist, genau darüber nachzudenken. Er steht im Mittelpunkt einer personalen Erzählform, die ihm in die Einsamkeit der kleinen Schäreninsel folgt, auf der es nur das Ferienhäuschen gibt und die Natur – das Meer, die Bäume, die vielen Vogelarten, das Rauschen der Wellen an sonnigen Tagen und bei stürmischem, wildem Seegang, die ungewohnte Helligkeit der Mittsommernächte. Es sind diese Schilderungen, poetisch, leise und doch bildintensiv, die zusammen mit der Hauptfigur und ihren Konflikten den beeindruckenden Sog dieses Romans ausmachen. Die Spannung der Sprache entsteht aus dem Wechsel in der Erzählformen, personal, doch unterbrochen durch Simon im gedanklichen Gespräch mit Darja, einer berühmten Geigerin, deren Karriere er von Jugend an mitverfolgen konnte, und Simon als Ich-Erzähler, der seine Sicht einer entscheidenden Situation der personalen Schilderung des Erzählers gegenüberstellt. Spannung erhält die Handlung selbst besonders durch die Frage, wie Simon mit seiner Situation umgehen wird.

Fazit

Es gibt Bücher, in denen man sich von der ersten Seite an „zu Hause“ fühlt, so ging es mir mit diesem Roman. Mein Interesse an Simon mit seinen einfühlsam und präzise dargestellten Problemen und Fragen war sofort geweckt, die Naturschilderungen in ihrer Vielfalt sind beeindruckend und packend, dazu noch interessantes, für mich neues, Musikwissen, besonders über Bela Bartók, auch Bach hatte ich bisher nicht mit Violinkonzerten verbunden. Ein leiser und gleichzeitig starker Roman, ein in allen Bereichen positives, überzeugendes Leseerlebnis.

Als Großmutter im Regen tanzte – Trude Teige

AutorTrude Teige
Verlag S. FISCHER Verlag
Erscheinungsdatum 22. Februar 2023
FormatGebundene Ausgabe
Seiten384
SpracheDeutsch
ÜbersetzerGünther Frauenlob
ISBN-13978-3949465123

„Die meisten Geheimnisse der Menschen haben keine Konsequenzen für jemand anderen als sie selbst. Sie wollen einfach nicht, dass andere etwas über sie erfahren. Aber es gibt auch Geheimnisse, die für das Leben der anderen wichtig sind und die erzählt werden sollten.“ (Zitat Seite 361)

Inhalt

Juni, Anfang dreißig, braucht eine Auszeit, um über ihre Ehe mit Jahn und über ihre Zukunft nachzudenken. Sie zieht sich in die Einsamkeit einer kleinen norwegischen Insel zurück. Von ihrer vor kurzem verstorbenen Mutter Lilla hat Juni dort das Haus ihrer Großeltern geerbt. Umgeben von den Erinnerungen an ihre Kindheit, deren erste Jahre sie in diesem Haus bei den Großeltern verbracht hatte, beginnt Juni, die Sachen zu ordnen. Sie entdeckt zwei Schachteln, die tief hinter der Wäsche im Schrank der Großeltern versteckt waren. Darin befinden sich Erinnerungsstücke und ein altes Foto, das ihre Großmutter Tekla mit einem deutschen Soldaten zeigt, datiert 27. Juni 1945. Auf der Suche nach Antworten beginnt Juni nachzuforschen und mit dem Wissen um die Vergangenheit findet sie auch zu sich selbst.

Thema und Genre

In diesem Generationen- und Familienroman geht es um die Auswirkungen, die das Schweigen der Großeltern auf die Nachkommen hat. Der Zweite Weltkrieg, Norwegen unter deutscher Besetzung und die unmittelbare Nachkriegszeit bilden den Hintergrund vor allem für die Schicksale der Frauen in dieser Zeit, Leid, aber auch Freundschaft und Liebe.

Charaktere

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen drei Frauen, Tekla, Lilla und Juni, Großmutter, Tochter und Enkelin. Doch es sind vor allem Männer, die ihr Leben und ihre Entscheidungen geprägt haben.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird in zwei Erzählsträngen geschildert. Der erste Erzählstrang spielt in der Jetztzeit und im Mittelpunkt stehen Juni und ihre Recherchen. Junis Erinnerungen an ihre Großmutter Tekla, ihren Großvater Konrad, und auch an ihre Mutter Lilla unterbrechen und ergänzen die aktuelle Handlung. Der zweite Erzählstrang spielt in der Vergangenheit, in den Jahren zwischen 1944 und 1948. Die Sprache entspricht dem Genre.

Fazit

Die Beschreibung dieses Romans als „Der bewegende Bestseller aus Norwegen um ein unbekanntes Stück deutscher Geschichte“ hat mich neugierig gemacht. Doch leider ist es nur eine weitere Geschichte des seit einigen Jahren sehr beliebten Genres „Berührender Generationen- und Starke-Frauenfiguren-Roman mit Familiengeheimnis“. Den Hintergrund bildet eine plakative Schilderung der Zeit um und nach Kriegsende im Osten von Deutschland unter den Russen, und im völlig zerstörten Berlin. Somit nichts, das man nicht schon wusste. Auch die deutsche Besetzung Norwegens wird nur kurz und oberflächlich für Teklas Geschichte gestreift. Meine Erwartungen konnte dieser Roman nicht erfüllen, aber ich bin sicher, dass er auch in hier in Deutschland Leserinnen dieses Genres begeistern wird.

Schwarzer Jasmin – Manfred Rumpl

AutorManfred Rumpl
Verlag Picus Verlag
Erscheinungsdatum 26. August 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3711720979

„Es wäre nicht das erste Mal, dachte Franz, dass ihnen von höherer Stelle in die Arbeit gepfuscht würde. Und es wäre auch nicht das letzte Mal, dass sie sich keinen Deut darum scherten.“ (Zitat Seite 80)

Inhalt

Julia arbeitet für ein Projekt, das Asylwerber und Migranten betreut. Nach fünf Jahren kriselt es in ihrer Beziehung zu Jakob, einen Fachjournalisten und Weinkritiker. Ihre kurze Auszeit soll am 19. Dezember enden, bis dahin wollen sich beide klar sein, ob es eine gemeinsame Zukunft gibt.

Frank ist Kriminalhauptkommissar beim GTAZ, Terrorismusabwehr. Seit Monaten gibt es ernstzunehmende Hinweise, dass in Berlin „ein Zeichen gesetzt werden soll“. In diesem Dezember 2016 sind Frank und sein Team mit ihren Ermittlungen wesentlich weiter, doch es fehlen immer noch das Wann, Was, Wo. Für das Wer gibt es einen konkreten Verdacht. Die jungen Tunesier Eymen und sein bester Freund Ahmed waren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, doch während Ahmed erfolgreich eine Ausbildung als Koch beginnt, gleitet Eymen am Rande der Kriminalität dahin, bis er im Islamkreis Unterstützung und Freundschaften findet. Doch damit steht er in ihrer Schuld …

Thema und Genre

In diesem spannenden Roman und Thriller geht es um wichtige Entscheidungen, die, einmal getroffen, das Leben verändern können und gleichzeitig um die Frage, wie weit es möglich ist, den Lauf der Dinge zu beeinflussen. Ein wichtiges Thema ist die Migration als Chance, aber auch als Bedrohung.

Charaktere

Die Figuren dieser Geschichte haben eines gemeinsam, sie alle sind auf der Suche. Julia sucht Möglichkeiten, Migranten zu helfen. Sie will in ihrer Beziehung intensiv über dieses Thema reden und sieht bei Jakob mehr Einsatz für tunesische Qualitätsweine, als für die europäische Flüchtlingsbewegung. Beide suchen mehr Tiefe in ihrer Beziehung. Frank und sein Team suchen in einem Gewirr aus Politik, Religion und V-Männern nach realen Gefährdern. Eymen und Ahmed, junge Flüchtlinge, suchen in Deutschland ein neues, besseres Leben.

Handlung und Schreibstil

Im Mittelpunkt der Handlung stehen einige Tage im Dezember 2016 in Berlin. Unterbrochen werden diese Ereignisse durch weitere Erzählstränge, welche früher beginnen und die Geschichte der einzelnen Hauptfiguren bzw. Figurengruppen schildern, bis sie alle in diesem Dezember 2016 aufeinandertreffen Ein sehr klug und gekonnt entwickeltes Netz aus Zufall und Unabwendbarkeiten, eindrücklich und achtsam erzählt. 

Fazit

Ein packender, vielschichtiger Roman mit einem brisanten Thema und authentischen Figuren, deren Schicksale nachdenklich stimmen. Eine leise Geschichte mit einem gerade deshalb intensiven Sog und einer beeindruckenden Dichte.

Der zerrissene Brief – Hanns Zischler

AutorHanns Zischler
Verlag Galiani-Berlin
Erscheinungsdatum 13.13. Februar 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3869712079

„Wahrsagende Begebenheiten – auf die kommt es an. Die kommen ganz überraschend und strahlen in alle Richtungen aus, auch in unsere Vergangenheit. Unsere Erinnerungen spulen sich um das, was gewesen ist, wie Eisenspäne um einen Magneten.“ (Pos. 1654)

Inhalt

Pauline ist siebzehn Jahre alt und lebt in dem kleinen Ort Treuchtlingen, als sie den dreißig Jahre älteren Max Lassenius, Weltreisenden, Fotograf, Kameramann, Sammler, kennenlernt. Dieser finanziert und ermöglicht ihr 1899 einen Aufenthalt in New York, über zwei Jahre lang arbeitet sie dort in den Botanic Garden in der Bronx. Anschließend heiraten sie. 1966 besucht Elsa, die in Frankfurt Biologie studiert, die nun vierundachtzig Jahre alte Pauline, bei der sie als Kind Ferien verbracht hatte. Elsa hat gerade eine Beziehung beendet und wird von Paulines Erinnerungen an die vielen intensiven Augenblicke eines abenteuerlichen, von Reisen in ferne Länder geprägten Lebens mit Max in eine völlig andere, vergangene Zeit entführt.

Thema und Genre

Dieser Roman erzählt eine spannende Lebensgeschichte, es geht um Erinnerungen, Erfahrungen, um Weltoffenheit, um Kultur und Natur, aber auch um Beziehung und Liebe.

Charaktere

Der Aufenthalt in New York bringt Pauline Selbstständigkeit und ein umfassendes Wissen und Bildung, was sie zur perfekten Gefährtin des gewandten Weltreisenden Max macht. Als Pauline später als Witwe wieder im Dorf ihrer Kindheit lebt, spürt sie keine Enge mehr, sie hat sich verändert, weil ihr Leben mit Erfahrungen und Erinnerungen gefüllt ist. Max kann sich durch die Heirat mit Pauline endlich aus der Umklammerung seiner Mutter lösen. Elsa besitzt die natürliche Neugierde einer Forscherin, sie stellt Fragen, kann aber auch zuhören.

Handlung und Schreibstil

Pauline erzählt ihr Leben nicht chronologisch, sondern in bruchstückhaften, Puzzleteilen gleichenden Erinnerungen, die plötzlich durch eine Bemerkung, eine Situation wieder lebendig werden. Die gemeinsame Zeit mit Max ergibt sich durch Antworten auf Elsas Fragen. Der Roman beginnt mit einem Brief Elsas an den Autor, in dem sie erklärt, woher sie Pauline kennt, wie sie zu deren umfangreichen Aufzeichnungen kam und der die Geschichten zu einem Ganzen schließt.

Die Sprache ist in den Dialogen lebhaft, einfühlsam und passt zu den beiden Frauen. Die erzählenden Beschreibungen sind jedoch intensiv ausgeschmückt, kein Objekt darf in knappen Worten einfach sein, sondern wird dicht mit Adjektiven und Metaphern versehen. Dadurch verliert die Sprache hier die poetische Leichtigkeit der Dialoge. „Das Papiergeraschel der Blätter. Grüne Schattenfächer zerteilten den Widerschein schwach durchwindeter Wolken auf dem Wasser. In nervösen Wellen floss das Licht der Pappeln hinauf und ließ die Luft erzittern.“ (Zitat Pos. 1782) Schilderungen wie diese erzeugen in mir kein Bild der Szene, weil die Gedanken an den Sätzen festhängen.

Fazit

Dieser Roman erzählt das erfüllte, abenteuerliche Leben einer klugen, selbstbewussten Frau, das Erkunden ferner Länder und Kulturen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Als habe diese Geschichte nur darauf gewartet, einmal, ein einziges Mal erzählt zu werden“ (Zitat Pos. 2605) Durch das Erzählen und Teilen der eigenen Erinnerungen mit der nächsten Generation wird die Vergangenheit noch einmal zur Gegenwart.

KRYONIUM. Die Experimente der Erinnerung – Matthias A. K. Zimmermann

AutorMatthias A. K. Zimmermann
Verlag Kulturverlag Kadmos Berlin
Erscheinungsdatum 28. Oktober 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten324
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3865994448

 „Während ich zu lesen versuchte und in Gedanken doch ganz woanders war, wälzte ich unzählige Fragen in meinem Kopf: Wo bin ich? Wie kam ich hierher? Warum bin ich hier? Vor allem aber ließ mir eine Frage keine Ruhe: Wer bin ich?“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

„Ich“ befindet sich in einem Schloss, orientierungslos, ohne jede Erinnerung, kennt nicht einmal den eigenen Namen. „Ich“ ist ein Untertan in einer strengen Hierarchie aus einem König, Rittern und Wachen, und leitet die Lichterwerkstatt, wo an einer Lichtmauer gebaut wird, die das Schloss vor den Fabelwesen und Ungeheuern schützen soll, die in einem Wald hausen, der das Schloss umgibt. Es handelt sich um eine Insel in einem See und es soll einen geheimen Fluchtweg geben, der unter dem See auf das Festland führt. Denn „Ich“ will nur eines: fliehen, obwohl Fluchtversuche streng bestraft werden. Als „Ich“ einen Zauberstab findet, ist dies der erste von vielen mutigen Schritten in die Freiheit – doch in welche Freiheit?

Thema und Genre

Der Autor selbst nennt seine Geschichte ein technoides Märchen und führt uns in phantastische virtuelle Welten voller Magie und Fabelwesen. Das Kernthema sind philosophische Fragen, bis zurück zu Platons Ideenlehre und Höhlengleichnis, die Frage, wie weit vergängliche, veränderbare Sinneswahrnehmungen unsere Vorstellung von der tatsächlichen Realität, der wahren Wirklichkeit, beeinflussen. Es geht auch um die modernen Realitätsbegriffe, die mehr Fragen aufwerfen, als beantworten.

Charaktere

„Ich“ als Figur bleibt über lange Zeit schwer zu definieren, jeder Leser füllt die optische Präsenz dieses Wesens nach der eigenen Logik, die sich später als zutreffend erweist, oder auch nicht. Wir wissen jedoch, dass die Figur sehr mutig ist, kreativ, niemals ihre Fluchtversuche aufgibt und Entscheidungen trifft, die überraschen.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman ist in Worte gefasste phantastische Malerei, er versetzt den Leser sprachgewaltig in das Panorama der Bilder des Autors wie „Die Raummaschine 6“, „Die Raummaschine 7“ und „Die Zwischengänge zu Räumen unterschiedlicher Zeiten“. Die Handlung ist in drei übergeordnete Teile gegliedert, diese wiederum in fortlaufende Kapitel. Zwei Handlungsorte werden durch unterschiedliche Sichtweisen  nochmals aufgefächert. Die Wahrnehmungsebene der Figur pendelt wiederholt zwischen der verzauberten, magischen Welt und einer möglichen, erklärbaren Realität, und wieder zurück zur Magie. Die Ereignisse werden zeitlich fortlaufend geschildert, doch im dritten Teil schwenkt die Ich-Form zur personalen Erzählform, fasst beide Handlungsorte nochmals zusammen und diese veränderte Sichtweise verbindet die vorhergegangenen Ereignisse zu einem neuen, überraschenden Gesamtbild.

Fazit

Eine magische, geheimnisvolle, aber auch beklemmende Geschichte. Man erlebt mit einer Ich-Figur spannende Abenteuer, gefährliche Fluchten, trifft Zauberwesen und entwickelt selbst Zauberkräfte, wird durch virtuelle Ebenen von Computerspielen gewirbelt mit zum Glück mehreren Leben, um dann festzustellen, dass alles doch völlig anders ist. Ein phantastisches, packendes Leseerlebnis, dessen Themen zum Weiterdenken anregen.

Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus – Jana Revedin

AutorJana Revedin
Verlag DUMONT Buchverlag
Erscheinungsdatum 12. November 2018
FormatKindle Ausgabe
Seiten305 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB07CH3987G

„Ihre Bauhaus-Idee sei in den Köpfen der Menschen also tatsächlich eine Marke geworden, und diese sei seit der vergangenen Woche um einiges mehr wert.“ (Zitat Pos. 1824)

Inhalt

Ise Frank hat einige Semester in Berlin Germanistik studiert. Seit zwei Jahren arbeitet sie in einer Verlagsbuchhandlung in München, schreibt Rezensionen und ist auch journalistisch tätig. Am 28. Mai 1923 begleitet sie ihre Freundin Lise, die Architektur studiert, zu einem Vortrag des Architekten Walter Gropius an der TU Hannover, wo dieser über seine innovative Bauhaus-Idee referiert. Am 11. August 1923 fährt sie zu den Eröffnungstagen der Bauhaus-Ausstellung nach Weimar. Die Bauhaus-Idee begeistert und inspiriert Ise. „Ise, ich brauche Sie“, sagt Gropius zu Ise Frank, die am 16. Oktober 1923 Frau Gropius wird und als gleichrangige Partnerin von Gropius bald für alle „Frau Bauhaus“ ist.

Thema und Genre

Dieser biografische Roman Hintergrund stellt Ise Gropius in den Mittelpunkt, engagiert, eigenständig, entspricht die Journalistin und Schriftstellerin dem modernen Frauenbild. Kernthema ist die Bauhaus-Idee, die künstlerische Umsetzung und die mit dem Bauhaus in Weimar und später Dessau verbundenen bedeutenden Künstler.

Charaktere

Seit dem Tag, als Ise Walter Gropius kennenlernt, ist sie von der Bauhaus-Idee begeistert und lebt sie. Nicht nur Ehefrau, sondern gleich berechtigte Partnerin von Gropius, wird sie von den Künstlern auch auf Grund ihrer Kreativität und präzisen wirtschaftlichen Ideen geschätzt. Auch wenn es sich hier um einen Roman und kein Sachbuch handelt, bleiben die realen Figuren im Rahmen ihrer Biografien, werden aber durch die ausgearbeitete Handlung mit neuen Leben erfüllt.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman zeigt nur einen Ausschnitt aus dem Leben von Ise und Walter Gropius. Es geht im die aktiven Bauhaus Jahre von den Ideen bis zur Umsetzung der Projekte. Er spielt daher, ergänzt durch Rückblenden, in den Jahren 1923 bis zum 1. April 1928, als Gropius unter dem Druck der Politik die Leitung des Bauhaus abgibt. Mit einem kurzen Ausblick auf die weiteren Ereignisse im Leben des Ehepaares Gropius mit den bekannten Fakten und Daten schließt der Roman.

Der Autorin gelingt es, nicht nur die Künstlerin Ise Gropius in allen Facetten und mit vielen interessanten Details zu schildern, sondern auch das einmalige kreative Umfeld und Schaffen in dieser Gemeinschaft von Kunstschaffenden zu erfassen, das die Architektur und Innenarchitektur mit völlig neuen Inhalten und Leben abseits der starren Lehre der Hochschulen erfüllt. Großartig und spannend zu lesen ist der Weg des jungen Marcel Breuer und die Entwicklung seiner modernen Stahlrohrmöbel.

Fazit

Ein biografischer Roman über Ise Gropius, die engagierte Frau und kreative Partnerin an der Seite des Architekten und Bauhaus-Gründers Walter Gropius. Ein Buch, dessen Seiten die Ideen und künstlerische Vielfalt des Bauhaus Gedankens atmen und den damit verbundenen Aufbruch in völlig neue Wege einer modernen Architektur.

Die Seebadvilla – Kathleen Freitag

AutorKathleen Freitag
Verlag HarperCollins
Erscheinungsdatum 24. März 2020
FormatBroschiert
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3959673921

„Tatsächlich glich ihre Familiengeschichte einem Puzzle, bei dem sie nur die Randstücke zusammensetzen konnte.“ (Zitat Pos. 186)

Inhalt

1992 führt Henriette (Henni) Faber seit über fünfunddreißig Jahren ein erfolgreiches Modeatelier in München. Ihre Tochter Caroline hilft ihr beim bevorstehenden Umzug in ein günstigeres Geschäftslokal. Dabei entdeckt sie eine alte Fotografie und das Schreiben eines Anwaltsbüros aus Greifswald, in dem es um die mögliche Rückübertragung einer Villa auf der Insel Usedom geht. Doch ihre Mutter will damit nichts zu tun haben, will nicht einmal darüber reden. Caroline aber will die Wahrheit wissen und besucht zuerst ihre Großmutter Grete in Berlin, anschließend fährt sie auf die Insel Usedom. Zu viele offene Fragen warten auf Antworten.

Thema und Genre

Dieser Familien- und Generationenroman spielt in den Nachkriegsjahren und nach der Wende. Es geht um die DDR, um die Aktion Rose, um Schweigen, um zu vergessen. Ein Thema sind auch die Liebe, Hoffnung und Mut zum Neubeginn.

Charaktere

Grete, Henni und Caroline, drei unterschiedliche Generationen einer Familie, aber jede ist auf ihre Art eine starke, mutige Frau. Sie alle sind durch Geheimnisse und Verschweigen wichtiger Familienereignisse geprägt. Generell sind die Charaktere dieses Romans klar in „gut“ und „böse“ eingeteilt, es fehlen die menschlichen Graubereiche, die den Figuren mehr Tiefe gegeben hätten.

Handlung und Schreibstil

Die Familiengeschichte wird in zwei Zeitsträngen erzählt, ein Teil der Ereignisse spielt in den Jahren 1952 und 1953, der aktuelle Teil spielt im Jahr 1992. Die einzelnen Hauptprotagonistinnen Grete, ihre beiden Töchter Henni (Henriette)  und Lisbeth, und Henriettes Tochter Caroline stehen abwechselnd im Mittelpunkt eines Kapitels, die Zuordnung erfolgt durch die Jahresangabe und den Namen. Die Handlung ist nachvollziehbar, gut geschildert und ergänzende Beschreibungen des Lebens in Ahlbeck auf der Insel Usedom und der Natur bieten einerseits zeitgeschichtliche Informationen, lassen andererseits Inselfeeling aufkommen. Die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsroman.

Fazit

Ein Familien- und Generationenroman mit zeitgeschichtlichem Hintergrund, der auf der Insel Usedom spielt. Eine spannende, interessante Handlung, leicht und unterhaltsam zu lesen, passend für den Strandkorb, Liegestuhl oder das Sofa.

Alle Tage, die wir leben – Dagmar Hansen

AutorDagmar Hansen
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 19. November 2019
FormatTaschenbuch
Seiten320
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499276576

„Frau im besten Alter (84), stark eingespannt, sucht stundenweise verschwiegene/n Privatsekretär/in und Personal Assistant für diverse Aufgaben. Auch als Reisebegleitung. Führerschein Kl. B unverzichtbar. Sehr gute Bezahlung.“ (Zitat Seite 60)

Inhalt

Mitte fünfzig und arbeitslos geworden, machte sich Mathilde „Tilda“ Richter mit einem Schreibservice-Büro selbstständig.  Nun geht ihr Hauptauftraggeber in Pension und sie braucht einen Zusatzjob. Spontan antwortet sie auf eine Anzeige der vierundachtzig Jahre alten Ruth Wellentin und wird engagiert. Als Privatsekretärin wird sie ihr beim döstädning helfen. Ausgerechnet Tilda, die überhaupt nicht damit klarkommt, in einem Monat sechzig Jahre alt zu werden.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Freude am Leben in jedem Alter, um persönliche Erfahrungen, die jeden Menschen prägen. Das Kernthema ist das aus Schweden kommende döstädning, das gezielte Ordnen der Dinge und das Aufräumen des Lebens. Man möchte glückliche Erinnerungen hinterlassen und nicht ein Chaos und Gerümpel, das aufwändig entsorgt werden muss.

Charaktere

Ruth ist eine selbstbewusste Frau, die auch mit vierundachtzig Jahren noch unangepasst ist und neugierig auf jeden neuen Tag. Im Laufe ihres Lebens hat sie einige Entscheidungen getroffen, deren Auswirkungen sie heute noch spürt, aber sie weiß auch, dass „was wäre gewesen, wenn“ keine Lösungen bringt.

Tilda neigt dazu, die Dinge pessimistisch zu sehen und die Tatsache, in Kürze sechzig Jahre alt zu werden, versetzt sie in Panik. Zum Glück hat sie zwei lebensfrohe Freundinnen, die sie immer wieder in das positive Hier und Jetzt zurückholen.

Handlung und Schreibstil

Tilda erzählt die Geschichte chronologisch in der Ich-Form. So lässt sie uns auch an ihren Gedanken teilhaben. Der Handlungszeitraum erstreckt sich nur über einen Monat, wird jedoch durch Rückblicke in Form von Erinnerungen und Gesprächen ergänzt. Die Autorin schreibt mit leisem Humor und viel Empathie über diese zwei so unterschiedlichen Frauen, die einander spontan gegenseitig helfen, von ihren Erfahrungen geprägte, festgefahrene Denkmuster zu überwinden und neue Ansätze zu finden.

Fazit

Ein einfühlsamer, humorvoller Roman, den man mit Vergnügen liest, der aber auch Zeit zum Nachdenken lässt, über die Geschichte selbst und die Anregungen, die man als Leserin daraus mitnehmen kann.

Der Attentäter – Ulf Schiewe

AutorUlf Schiewe
Verlag Bastei Lübbe
Erscheinungsdatum 27. November 2019
FormatTaschenbuch
Seiten512
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3404179039

„Ich danke Ihnen für die Besorgnis um unseren Thronfolger. Aber wegen ein paar Gerüchten können wir nicht die Reise absagen.“ (Zitat Seite 230)

Inhalt

Mlada Bosna ist eine serbisch-nationalistische Organisation junger bosnischer Serben, die mit allen Mitteln für ein vereinigtes Großserbien kämpfen. Auch der neunzehnjährige Gavrilo Princip und seine beiden gleichaltrigen Freunde Nedeljko und Trifko gehören zu dieser Vereinigung. Intensiv geschult und ausgebildet durch Mitglieder des serbischen Geheimbundes Schwarze Hand, bereiten sie ab März 1914 einen Anschlag auf das österreichische Thronfolgerpaar vor. Ausgerechnet am 28. Juni, dem serbischen Gedenktag an die Schlacht auf dem Amselfeld, werden Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie Sarajevo besuchen. Immer wieder hört Major Rudolf Markovic vom österreichischen Geheimdienst Gerüchte über ein geplantes Attentat, doch ein Thronfolger lässt sich nicht durch Gerüchte beeinflussen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt…

Thema und Genre

Dieser historische Thriller handelt von dem Anschlag am 28. Juni 1914 auf das österreichische Thronfolgerpaar, auf die politischen Zusammenhänge und die massiven Fehleinschätzungen, die dazu geführt haben, dass dieses Attentat nicht verhindert wurde.

Charaktere

Ein Ereignis, das bereits ob seiner geschichtlichen Tragweite in zahlreichen Biografien, Sachbüchern und Dokumentationen geschildert und im Jahr 2014 nochmals intensiv diskutiert wurde. Ein Anschlag, bei dem Tatzeit, Täter, Opfer, Tathergang und Hintergründe bekannt sind, wir Leser wissen schon vorab, was passieren wird. Dennoch entwickelt der Autor aus diesen Tatsachen eine intensive, packende, neue Geschichte.  Unterschiedliche Perspektiven, eine personale Erzählweise, die abwechselnd Gavrilo Princip und die Vorbereitungen des Attentats, Erzherzog Franz Ferdinand und die Reise, sowie Rudolf Markovic und seine Recherchen in den Mittelpunkt stellt, sowie die straffen Zeitangaben mit teilweise minütlich gleichzeitigen Geschehnissen machen aus diesem Roman der Fakten, vermischt mit etwas Fiktion, ein Leseerlebnis, das man am besten mit „Geschichte lebt“ beschreiben kann.

Handlung und Schreibstil

Ein Ereignis, das bereits ob seiner geschichtlichen Tragweite in zahlreichen Biografien, Sachbüchern und Dokumentationen geschildert und im Jahr 2014 nochmals intensiv diskutiert wurde. Ein Anschlag, bei dem Tatzeit, Täter, Opfer, Tathergang und Hintergründe bekannt sind, wir Leser wissen schon vorab, was passieren wird. Dennoch entwickelt der Autor aus diesen Tatsachen eine intensive, packende, neue Geschichte.  Unterschiedliche Perspektiven, eine personale Erzählweise, die abwechselnd Gavrilo Princip und die Vorbereitungen des Attentats, Erzherzog Franz Ferdinand und die Reise, sowie Rudolf Markovic und seine Recherchen in den Mittelpunkt stellt, sowie die straffen Zeitangaben mit teilweise minütlich gleichzeitigen Geschehnissen machen aus diesem Roman der Fakten, vermischt mit etwas Fiktion, ein Leseerlebnis, das man am besten mit „Geschichte lebt“ beschreiben kann.

Fazit

Eine überzeugende Mischung aus Biografie und Roman, welche die Tage vor dem Attentat von Sarajevo und den Anschlag selbst facettenreich, straff und spannend schildert. Interessante, genau recherchierte Hintergrundinformationen ergänzen die packend und stimmig neu erzählte Geschichte.

Subliminal. Das Experiment – Thorsten Oliver Rehm

AutorThorsten Oliver Rehm
Verlag Ruhland
Erscheinungsdatum 1. Dezember 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten472
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3920793467

„Und warum fiel es ihr, einer kleinen Journalistin, nach drei Wochen Recherche zur Entwicklung des Verhaltens der Menschen im Lande auf, entging aber offensichtlich allen anderen?“ (Zitat Seite 137)

Inhalt

Ein nächtlicher Tauchgang im Dunkel der Ostsee, ein Taucher, der etwas verbirgt und alle Spuren verwischt. Doch dies kann eine Gruppe Menschen, eine gefährliche Mischung aus Wissenschaft, Forschung und Macht nicht stoppen. Vier Jahre danach entdeckt die Investigativ-Journalistin Natascha Da Silva, der ein beängstigender Anstieg von Gewalt im Alltagsleben aufgefallen war, geheime wissenschaftliche Experimente, groß angelegte Feldversuche, die mit nichtsahnenden Probanden durchgeführt werden. Zunächst befürchtet sie, vielleicht in ihren Gedanken Realität und Phantasie zu vermengen, weil sie mit einer brisanten Story erfolgreich Karriere machen könnte. Doch rasch muss sie erkennen, dass die Realität weitaus bedrohlicher und erschreckender ist, als zunächst vermutet. Ihre Gegner sind skrupellos und gefährlich und unerklärbare Todesfälle begleiten bald ihre Recherchen.

Thema und Genre

Dieser Wissenschaftsthriller greift eine Reihe von brandaktuellen Themen auf, welche uns gerade beschäftigen. Es geht um wissenschaftliche Experimente an unwissenden Probanden, um technisch hochentwickelte Formen von subliminalen Reizen und totaler Beeinflussung. Es geht um neuronale Prozesse und die Philosophie des Transhumanismus. Daher ist auch die Frage nach dem ethischen Aspekt einer Forschung ohne jede Grenzen ein wichtiges Thema. „Manchmal müsse man auch Risiken eingehen, sonst gehe nichts vorwärts“, lässt der Autor es einen der Verantwortlichen definieren, und alles sei nur zum Wohle der Menschheit.

Charaktere

Natascha da Silva ist alleinerziehende Mutter einer Tochter und arbeitet als Journalistin bei einem Online-Nachrichtenmagazin. Als die Vorkommnisse ihre Neugierde wecken, recherchiert sie intensiv und mutig. Die einzelnen Protagonisten sind stimmig und realistisch geschildert, überraschendes Verhalten wird im Zuge der weiteren Handlung nachvollziehbar.

Handlung und Schreibstil

Hauptorte der Handlung sind Mallorca, München, Hamburg und die Ostsee. Die Sprache ist eine perfekte Mischung aus spannenden, rasch wechselnden Episoden, unvorhersehbaren Wendungen und den für das Verständnis erforderlichen wissenschaftlichen Erklärungen, die interessant und verständlich geschildert werden. Man erkennt beim Lesen rasch die intensive Recherchearbeit, die den detailliert aufgebauten Hintergrund für diesen Thriller ergeben hat. Die Handlung selbst wird durch einen kurzen Prolog in der Vergangenheit und einem Nachtrag sechs Monate nach den Ereignissen ergänzt.

Fazit

Subliminal ist ein packender, informativer Wissenschaftsthriller. Das aktuelle, vielschichtige Forschungsthema birgt Stoff und Anregungen für weitere eigene Überlegungen, „kann es sein“, „was wäre, wenn“, „was würde ich tun“. Ein Experiment unter transhumanistischen Aspekten, eine gut recherchierte, glaubhafte Handlung und stimmige Figuren ergeben einen spannenden, interessanten Pageturner.

Das Versprechen des Buchhändlers – Jillian Cantor

AutorJillian Cantor
Verlag Heyne Verlag
Erscheinungsdatum 11. November 2019
FormatBroschiert
Seiten400
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3453423411

„Doch wenn sie in seinem Laden spielte, fühlte es sich so an, als gäbe sie ein Konzert nur für ihn.“ (Zitat Seite 157)

Inhalt

Max Bissinger hat von seinem Vater eine Buchhandlung in Gutenstadt, eine Stunde westlich von Berlin, geerbt. 1931 lernt er zufällig die Geigerin Hanna Ginsberg kennen und sie verlieben sich. Doch ihre Zukunftspläne werden von der Realität eingeholt, denn Hitler kommt an die Macht und Hanna ist Jüdin. 1936 erhält Hanna ein Angebot eines niederländischen Sinfonieorchesters und sucht um eine Ausreiseerlaubnis an. Doch plötzlich klopft die SA an die Tür. 1946 erwacht Hanna völlig desorientiert auf einem Feld nahe Berlin, nur ihre Stradivari hat sie bei sich und ihre Liebe zur Musik bestimmt auch weiterhin ihr Leben – und ihre Sehnsucht nach Max.

Thema und Genre

Dieser Roman handelt von den Jahren von Hitlers Machtübernahme in Deutschland und von den Jahren des Aufbaus, die dem Ende des zweiten Weltkrieges folgen. Es geht um Religion, die Schicksale der Juden, die Probleme der Musikerinnen, in bekannten Sinfonieorchestern einen Platz zu erhalten, wo stets die männlichen Bewerber bevorzugt werden. Ein wichtiges Thema sind auch Familie, Freundschaft und Liebe.

Charaktere

Die Protagonisten und ihre Entscheidungen sind realistisch und stimmig. Hannas Lebensinhalt ist die Musik und ihre wertvolle Geige. Die Erinnerung an ihre große Liebe Max bestimmt ihr Leben nach dem Krieg. Max hat ein Geheimnis, das ihn immer wieder zwingt, Entscheidungen zu treffen, die er niemandem erklären kann.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird in zwei Zeitsträngen fortlaufend und abwechselnd erzählt, wobei die Sprache flüssig und rasch zu lesen ist. In den Kapiteln, welche die Jahre 1931 bis 1936 betreffen, steht Max im Mittelpunkt. Hier wählte die Autorin die personale Erzählform. Hanna dagegen schildert ihr Leben in den Jahren 1946 bis 1959 in der Ich-Form. Jedes Kapitel trägt den entsprechenden Namen und die Jahreszahl, was die Handlung sehr übersichtlich macht. Die eigentlichen Kriegsjahre bilden nur den Hintergrund der Geschehnisse, es stehen die Menschen und ihr Schicksal im Mittelpunkt. Die gut recherchierten Fakten und der spannende Aufbau machen aus dem Stoff eine interessante Geschichte, bis plötzlich eine magisch-fiktionale Komponente auftaucht, die sich dann wie ein roter Faden durch die Handlung zieht und die für mich in diesem Genre und Zusammenhang nicht passt.

Fazit

Eine packende Geschichte mit zeitgeschichtlichem Hintergrund, die durch eine überraschende Wendung zwischen Sci-Fi und Fantasy in den Bereich Unterhaltungsliteratur abgleitet. Eine Empfehlung sicher für jüngere Leserinnen, die romantische Frauenromane mit Tiefgang bevorzugen.

Die Frauen von Skagen – Stina Lund

AutorStina Lund
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 19. November 2019
FormatBroschiert
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499291883

„Mir ist, als könnte das Licht jedes Geheimnis aufdecken. Ja, als wäre es gar nicht möglich, in Skagen Geheimnisse zu haben.“ (Zitat Seite 77)

Inhalt

1887 ist Marie Triepke zwanzig Jahre alt und will unbedingt Malerin werden. Schließlich stimmen die Eltern zu. 1888 reist Marie mit ihrer gleichaltrigen Gesellschafterin Asta nach Paris, wo sie den Maler Peder Severin „Søren“ Krøyer wiedersieht, den sie 1889 heiratet. 1891 ziehen sie nach Skagen, eine Künstlerkolonie am Meer. Wird Marie, inzwischen Mutter, nun endlich wieder malen können?

2018 ist Vibeke Weber zweiundzwanzig Jahre alt und nach einem abgeschlossenen Management-Studium soll sie die Farbenfabrik ihres Vaters übernehmen. Doch sie will endlich Malerei studieren. Auf den Spuren der Malerin Marie Krøyer reist sie mit ihrer Mutter nach Skagen, verliebt sich sofort in das besondere, strahlende Licht und wird an der dortigen Kunstschule aufgenommen. Neben dem Studium arbeitet sie im Skagens Kavehus, wo ein unsigniertes Bild hängt, das die Familie Krøyer zeigt. Hat sie ein bisher unbekanntes Bild von Marie Krøyer entdeckt?

Thema und Genre

Dieser Roman handelt von der berühmten dänischen Künstlerkolonie in Skagen, wo sich im späten 19. Jahrhundert Künstler trafen, die ihren eigenen Stil der realistisch-naturalistischen Freiluftmalerei entwickelten, der später auch vom französischen Impressionismus beeinflusst wurde. Ein wichtiges Thema sind die Schwierigkeiten und Probleme, die Frauen auf ihrem Weg als Künstlerin überwinden müssen. Es geht auch um Freundschaft, Familie und Liebe.

Charaktere

Marie, Tochter aus gutem Hause, will kein gesellschaftlich bequemes Leben führen, sie will die Kunst zu ihrem Beruf machen. Von ihrer Ehe mit dem erfolgreichen, deutlich älteren Søren Krøyer erhofft sie sich Inspiration, Unterstützung und Freiheit.

Asta, aus armen Verhältnissen, ist auf den Verdienst als Maries Gesellschafterin angewiesen und manipuliert diese.

Obwohl Vibeke eine moderne junge Frau des 21. Jahrhunderts ist, fehlt ihr die Sicherheit, ihre eigenen Wünsche konsequent durchzusetzen, weder gegenüber ihrem Vater, noch gegenüber einem aufdringlichen Mitstudenten. Dies dient sicher der Handlung, ist aber nicht immer stimmig.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird abwechselnd auf zwei Ebenen erzählt, das Leben von Marie Krøyer zwischen 1883 und 1940, und Vibekes Erlebnisse in Skagen 2018. Großartig sind die lebendigen Schilderungen des Lebens der bekannten dänischen Künstler in Skagen, gekonnt verbindet die Autorin die bekannten Fakten mit der fiktiven Geschichte ihres Romans. Für die Charaktere hätte ich mir mehr Stärke gewünscht, die starken, intensiven Bilder von Marie Krøyer passen für mich nicht ganz zum Bild, das die Autorin von ihr zeigt.

Fazit

Ein interessanter Roman über das Leben der bekannten dänischen Skagen-Maler. Sehr gut recherchiert, lässt er die Künstlerkolonie lebendig werden und macht Lust, sich näher mit dieser Künstlergruppe zu beschäftigen.

Wie auf Sand – Valeska Reon

AutorValeska Reon
Verlag A.P.P. Verlag (Nova MD)
Erscheinungsdatum 14. Dezember 2019
FormatKindle-Ausgabe
Seiten300 (Print-Ausgabe
SpracheDeutsch
ASINB082RZ7P86

„Spätestens an diesem Tag musste ich lernen, dass es Dinge gibt, die nie mehr in Ordnung gebracht werden können.“ (Zitat Seite 197)

Inhalt

Sie kennen sich schon aus der gemeinsamen Schulzeit in Hamburg, Maren, Markus und Stefan. Nun treffen sie einander beim Begräbnis ihres gemeinsamen Freundes Andreas. In einer Woche wäre er dreißig Jahre alt geworden, doch er hatte sich in seinem Keller erhängt. Auch Robert, von dem sie seit vielen Jahren nichts mehr gehört hatten, ist mit seiner Frau Lea angereist. Gemeinsame Erinnerungen, besonders an eine Klassenfete kurz vor dem Abitur und an den Selbstmord ihres Klassenkameraden Michael nach dem Abitur, steigen wieder auf. Damals hatte man die Gründe vermutet, doch niemand kann verstehen, warum der beliebte, erfolgreiche Andreas Selbstmord begangen haben sollte und die Umstände seines Todes sind sehr eigenartig. War es wirklich ein Selbstmord?

Thema und Genre

In diesem Roman mit autobiografischem Hintergrund geht es um die Frage, wer man ist, wer man nach der Meinung anderer sein soll und wer man für sich selbst sein will. Wichtige Themen sind der gesellschaftlich gepflegte, schöne Schein vom perfekten Leben, Schuld und Mitschuld durch Wegschauen, und natürlich auch die Liebe in ihren Facetten.

Charaktere

Die unterschiedlichen Charaktere sind pointiert gezeichnet, aber dennoch einfühlsam und mit Verständnis. Wie im realen Leben, das in diesen Roman sehr präsent ist, geht es bei den Figuren nicht um gut und böse, sondern um die vielschichtigen, tief menschlichen Grautöne. Besonders Maren schließt man als Leser trotz einiger Unsicherheiten ins Herz und vor allem natürlich Lea, die sympathische erfolgreiche Kinderbuchautorin, die mutig ihren eigenen Weg geht.

Handlung und Schreibstil

Schon der Aufbau des Buches ist interessant gewählt, ein Prolog führt den Leser kurz mitten in ein Ereignis, das vor zwölf Jahren stattgefunden hatte. Es folgt Teil 1, der in der knappen Zeitspanne zwischen Montag und Freitag in der Gegenwart spielt. Teil 2 mit den Kapiteln 9 bis 17 zeigt die Jahre dazwischen, wobei unterschiedliche Protagonisten ihre Erlebnisse in der Ich-Form schildern, Teil 3 führt den Leser zurück zum Freitag in der Gegenwart. Ein Prolog schließt die Handlung ab. Diese Einteilung bringt Spannung, langsam fügen sich die einzelnen Puzzleteile zu einem Ganzen und auch die Antwort auf die Frage, Selbstmord oder Mord, kann lange nur vermutet werden. Als Geschichte in der Geschichte fügt die Autorin Ausschnitte und Bilder aus einem einfühlsamen Kinderbuch ein, „Charlotte Innendrin“, das innere Kind als beste Freundin der kleinen Charlotte. Die Sprache ist modern, mit einer guten Prise Humor und viel positiver Energie.

Fazit

Ein spannender autobiografischer Roman, der den Leser in den Bann zieht. Modern, nachdenklich, kritisch, mit einer guten Spur Romantik ist dies ein perfekter Roman für Frauen, aber kein typischer leichter „Wohlfühlroman“, dafür ist er zu dicht und intensiv.

The Ice: Der Kampf um den Nordpol hat begonnen – John Kåre Raake

AutorJohn Kåre Raake
Verlag Goldmann Verlag
Erscheinungsdatum 16. September 2019
FormatTaschenbuch
Seiten512
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3442489664

„Obwohl Anna nichts entdeckte, hatte sie das starke Gefühl, dass die Gefahr noch nicht gebannt war. Irgendwann würde sie ausgehend von dem, was sie sah, eine Entscheidung treffen müssen.“ (Zitat Seite 129)

Inhalt

Der 1. November 2018, Allerheiligen, auf dem Nordpol. Anna Aune, die ehemalige Elitesoldatin, und der 73-jährigen Wissenschaftler Prof. Daniel Zakariassen sind mit ihrem Luftkissenboot Salvabaa unterwegs, um wichtige Messungen und Untersuchungen der Auswirkungen der Erderwärmung durchzuführen. Plötzlich leuchtet der Himmel rot, ein Notsignal von der nahe gelegenen chinesischen Forschungsstation Eisdrache. Das Wissenschaftlerteam wurde brutal ermordet, doch es gibt zwei Überlebende. Müssen Anna und Daniel nicht nur gegen den tobenden, gefährlichen Schneesturm und die eisige Kälte ankämpfen, sondern auch gegen zwei Mörder?

Thema und Genre

In diesem packenden Thriller geht es um die gewaltigen Ressourcen von unschätzbarem Wert, die noch unter dem Eis des Nordpols ruhen und um den streng geheimen, rücksichtslosen Kampf der Großmächte, die ihren Anspruch auf den Nordpol ausweiten wollen.

Charaktere

Anna Aune hat nach einem einschneidenden Erlebnis bewusst die Rolle der Soldatin hinter sich gelassen, doch in Gefahrensituationen wird sie automatisch wieder zur Elitekämpferin. Flashbacks lassen diese sympathische Protagonistin kaum zur Ruhe kommen, doch ihr Überlebenswille ist stärker. Alle Charaktere sind interessant und facettenreich geschildert, sehr gut beschrieben ist auch die unterschiedliche chinesische Mentalität.

Handlung und Schreibstil

Die aktuelle Handlung auf dem Nordpol findet innerhalb von nur zwei Tagen statt, was sie noch spannender macht. Parallel dazu schildern ebenso packende Rückblenden den letzten Syrien-Einsatz von Anna gegen den IS. Der straffe Schreibstil passt perfekt zu diesem Thriller, die Actionszenen werden durch interessante, lebendige Schilderungen des Nordpolgebietes mit heftigen, extrem kalten Schneestürmen, der wissenschaftlichen Forschungen, aber auch der menschlichen Konfliktsituationen ergänzt.

Fazit

Ein packender Thriller, der unter extremen Bedingungen auf dem Nordpol spielt und eine lange Lesenacht garantiert, denn aus der Hand legen kann man diesen Pageturner nicht.

Der unsichtbare Roman – Christoph Poschenrieder

AutorChristoph Poschenrieder
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 25. September 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257070774

„Meyrink fühlt sich erloschen. Der Docht nimmt keine Flamme an. Bis über die Knöchel steht er in abgebrannten Zündhölzern.“ (Zitat Seite 153)

Inhalt

Gustav Meyrink, der bekannte Autor des „Golem“, braucht dringend einen neuen erfolgreichen Roman, um seinen aufwändigen Lebensstil weiterhin finanzieren zu können. Demnächst wird er fünfzig Jahre alt und es fehlen ihm die Ideen für einen neuen Stoff. Als er 1917 vom Auswärtigen Amt in Berlin angefragt wird, ob er eine Auftragsarbeit schreiben will, stimmt er nach kurzem Überlegen zu. Allerdings muss der neue Roman beweisen, dass die Freimaurer am Ausbruch des Ersten Weltkriegs schuld sind. Hier beginnt das Problem für Meyrink, denn trotz der umfangreichen Unterlagen, die er aus Berlin erhält, hat er keine Idee, wie er dies umsetzen soll und er will dieses Buch auch nicht schreiben.

Thema und Genre

Dieser biografische Roman schildert eine spannende, wenig bekannte Episode im Leben des Schriftstellers Gustav Meyrink. Der Autor verknüpft gekonnt Fakten mit der Geschichte und Handlung, die er in seinem Buch erzählt.

Charaktere

Der Schriftsteller Gustav Meyrink, Mitglied in mehreren okkulten Geheimbünden, ist ein unpolitischer Mensch, obwohl er natürlich informiert ist und ein guter Beobachter. Er braucht das Honorar, das ihm von Berlin angeboten wird und geht eine Verpflichtung ein, als er den Vorschuss gegen sein besseres Wissen annimmt. Er kämpft mit dem eigenen Gewissen und dies führt zu einer Schreibblockade. Der Autor hält sich bei der Schilderung des Hauptprotagonisten an die bekannten biografischen Tatsachen, die er in die Problematik seines Romans einbaut.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung erstreckt sich über einen kurzen Zeitraum 1917/1918, und wird durch Rückblenden ergänzt, welche vergangene Ereignisse im Leben Meyrinks schildern, sodass sich für den Leser aus dem Roman auch eine Biografie des Schriftstellers ergibt. Geschrieben in der personalen Erzählperspektive mit Fokus auf den Hauptprotagonisten Meyrink, wechseln die Erinnerungen in die Ich-Form. Ergänzt wird die Handlung durch sachliche Recherchenotizen, welche einzelne Fakten belegen.

Der Roman mischt gekonnt Tatsachen mit Fiktion und als Leser fühlt man sich mitten in den Ereignissen, spürt die Zerrissenheit Meyrinks, aber auch seine humorvoll-kritische Art, das Leben, auch sein eigenes, zu sehen. Genial ist die Lösung, die der Autor als Meyrinks Idee für die Umsetzung dieses problematischen Auftrags anbietet.

Poschenrieders Sprache ist großartig zu lesen, seine Beschreibungen treffen den Punkt, sie malen Bilder und sehen seine Hauptfigur Meyrink mit sachlichem Humor, dessen Zweifel auf Grund des eigenen Verhaltens werden intensiv und nachvollziehbar charakterisiert. Die Schilderung der Schreibblockade zum Beispiel ist Sprachperfektion und Lesegenuss.

Fazit

Ein biografischer Roman, in dessen Mittelpunkt das abwechslungsreiche Leben des Schriftstellers Gustav Meyrink steht und hier vor allem eine politische Auftragsarbeit, die er gegen Ende des Ersten Weltkriegs auf Grund von Geldsorgen angenommen hatte. Eine spannende, sprachlich großartige Mischung aus Fiktion und Fakten.

Der Gott der Stadt – Christiane Neudecker

AutorChristiane Neudecker
Verlag Luchterhand
Literaturverlag
Erscheinungsdatum 19. August 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten672
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3630875668

„Sie werden seine Welt betreten und durch seine Abgründe schreiben. Sie werden seine Zerrissenheit spüren, seine Qualen, sein Genie. Sie werden seinen Dämonen begegnen – und ihren eigenen.“ (Zitat Seite 115)

Inhalt

Nur fünf freie Plätze gibt es jährlich für das Regiestudium der Erwin Piscator Hochschule für Schauspielkunst in Berlin. 1995 geht für die einundzwanzigjährige Katharina Nachtrab ein Traum in Erfüllung, sie wird aufgenommen. Der berühmte Regisseur Korbinian Brandner, Professor an dieser Hochschule, wird den Lehrgang als Mentor selbst unterrichten. Am 16. Januar 1912 war der expressionistische Lyriker Georg Heym beim Schlittschuhlaufen auf der Havel ertrunken, als er seinen Freund rettete. Am 16. Januar 1996 soll Heyms Faust-Fragment aufgeführt werden. Jeder der fünf Regiestudenten erhält von Brandner nur einige Sätze zur Bearbeitung und muss die eigene Szene mit den jeweils anderen vier Mitgliedern der Gruppe als Schauspieler auf die Bühne bringen. Doch zunächst müssen sie die Zusammenhänge finden und eine intensive Spurensuche beginnt. Doch statt der Aufführung gibt es am 16. Januar 1996 auf der Probebühne einen Toten.

Thema und Genre

Dieser Roman spielt in der Welt des Theaters und zeigt die Extremsituationen für junge Schauspieler und Regisseure, den enormen Druck schon während der Ausbildung. Das Buch handelt von Ehrgeiz und Träumen sich künstlerisch zu verwirklichen, von Grenzen, die dabei überschritten werden. Es geht um Realitäten, die sich verwischen und in Besessenheit enden. Hier ist Faust das Kernthema, Mephisto, Mystik, Georg Heym und sein Fragment. Die Handlung spielt 1996 in Berlin, wo die Wende das Ost-West-Denken noch lange nicht beendet hat und die politische Vergangenheit noch sehr präsent ist.

Charaktere

Die Autorin zeichnet jeden ihrer unterschiedlichen Charaktere stimmig und nachvollziehbar bis ins Detail und mit einer Vielfalt von unterschiedlichen Eigenschaften, was mit zur Spannung und Faszination dieses Romans beiträgt. Brandner, der geniale Regisseur, der die Schwächen seiner Schüler schonungslos beim Namen nennt, ein Dämon, der gegen die eigenen Dämonen kämpft. Katharina, Tadeusz, Schwarz, Francois und Nele fühlen sich bald als Gruppe, doch das Faust-Fragment macht sie zu ehrgeizigen Konkurrenten, obwohl sie als Team zusammenarbeiten müssten.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte ist vielschichtig, denn jeder der Protagonisten kämpft nicht nur um den eigenen künstlerischen Erfolg, der schon in diesem ersten Studienjahr von der Schulleitung laufend hinterfragt wird, sondern auch gegen die eigenen Dämonen, Ereignisse, die ihr bisheriges Leben geprägt haben und ihr Verhalten noch immer beeinflussen.

Die Handlung beginnt mit einem Prolog, der gleichzeitig Rückblende und Vorschau ist und endet mit einem kurzen Epilog. Die einzelnen Kapitel sind in fünf übergeordneten Hauptteilen zusammengefasst. Katharina ist die Ich-Erzählerin, doch die Autorin wechselt die Erzählperspektive und zeigt in einzelnen Kapiteln auch die Gedanken und Handlungen der anderen Hauptprotagonisten auf, eine geniale Vorgehensweise, um dem Leser weitere Informationen zu geben, die Katharina nicht wissen kann. Dies gibt der Handlung einen unwiderstehlichen Sog und Spannung.

Fazit

Ein atmosphärisch dichter, vielschichtiger und spannender Roman. Nicht nur die Handlung, auch die Sprache fasziniert. Lebendige Schilderungen, Metapher als Verweise auf Georg Heyms Lyrik, Symbole und Charaktere zwischen realer Zerrissenheit und Besessenheit für die Kunst überzeugen. Ein Buch und Leseerlebnis, das begeistert.

Das Bücherhaus: Eine philosophische Liebesgeschichte – John Kaag

AutorJohn Kaag
Verlag btb Verlag
Erscheinungsdatum 14.Oktober 2019
FormatTaschenbuch
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3442718894

„Diese frühe amerikanische Philosophie handelte von Inspiration, davon, sich aus den lähmenden und alles tötenden Wegen der Vergangenheit zu befreien.“ (Zitat Seite 72)

Inhalt

„Ist das Leben lesenswert?“ fragte William James, Mitbegründer des neuen Denkschule des philosophischen Pragmatismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Amerika. Diese Frage stellt sich auch der junge Philosophieprofessor John Kaag im Jahr 2008, als sein Leben in einer tiefen Krise steckt. Bis er in einer Bäckerei in Chococua auf Bunn Nickerson trifft. Der Dreiundneunzigjährige ist auf dem nahegelegenen Landsitz „West Wind“ von William Ernest Hocking aufgewachsen und fährt mit Kaag spontan zur Bibliothek Hockings, die sich immer noch in einem der Gebäude befindet. Kaag denkt an William James Aussage „Wer darauf verzichtet, eine sich darbietende einzige Gelegenheit zu ergreifen, verliert den Preis ebenso sicher, als wenn er den Versuch machte und keinen Erfolg hätte.“ Denn der Blick durchs Fenster hat sofort sein Interesse geweckt und die Tür ist nicht verschlossen. Schon bei diesem ersten, kurzen Stöbern in den vielen philosophischen Schätzen, Erstausgaben, Notizen, Briefen, die hier zu finden sind, nimmt diese Bibliothek John Kaag völlig gefangen und lässt ihn nicht mehr los. Es scheint, als hätten sie gegenseitig aufeinander gewartet, die großen amerikanischen Denker und ihre europäischen Vorbilder und der moderne, junge Philosoph. Zuerst schweigt er über seinen Fund, dann erzählt er seiner Kollegin Carol Hay, ebenfalls Professorin für Philosophie an der University of Massachusetts Lowell, von der Bibliothek und von da an arbeiten sie gemeinsam und kommen einander auch persönlich näher.

Thema

Dieses beeindruckende Buch beschreibt die Entdeckung und Aufarbeitung einer in Vergessenheit geratenen Privatbibliothek der bekannten amerikanischen Philosophen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Wir finden kurze Biografien, auch unter Einbeziehung des persönlichen Lebens, Beziehungen und Familie, von berühmten Denkern unterschiedlicher Richtungen und Ideen wie William James, William Ernst Hocking, Agnes Hocking, Ralph W. Emerson, Charles Sanders Peirce, Josiah Royce, Alfred North Whitehead, Friedrich W. J. Schelling, Georg W. F. Hegel und natürlich Immanuel Kant und viele weitere. Der Autor schreibt über die wichtigsten philosophischen Strömungen, Themen sind Transzendentalismus, Amerikanischer und Deutscher Idealismus, Amerikanischer Pragmatismus, das Buch ist eine erzählte Philosophiegeschichte der Vereinigten Staaten. Kernthemen für uns heutige Leser sind Selbstbestimmung, eigenständige Entscheidungen, Freiheit im Denken und Handeln, Spiritualität, Gleichberechtigung, Freundschaft, Partnerschaft und Familie, Liebe, kurz: das Leben.

Handlung und Umsetzung

Mit Bezug auf Dante und Beatrice und auf die eigene Situation in dieser Zeit teilt der Autor das Buch in drei Teile, HÖLLE, FEGEFEUER, ERLÖSUNG. Diese wiederum sind in Kapitel unterteilt.

Als John Kaag die Bibliothek das erste Mal sieht, wirkt alles verlassen, vergessen. Vom ersten Kontakt an unterstützen die Mitglieder der Familie Hocking den Autor in seinem Vorhaben und sind mit der Idee, einen erheblichen Teil der Bücher nach einer Katalogisierung und Schätzung des Bestandes als Schenkung an die O’Leary Library der University of Massachusetts zu stiften.

Kaag gibt uns Lesern hier zwar einen fundierten, sehr komplexen Einblick in das philosophische Denken, doch er erzählt uns darüber, vergleicht einzelne Passagen und wichtige Kernaussagen, bringt sie mit heutigen alltäglichen Situationen und Gedanken in Verbindung, beschreibt, aber wertet nicht, mit Humor gelingt ihm hier eine faszinierende Kombination aus wissenschaftlichem Denken und gelebtem Alltag. Dies erreicht er, indem er über das jeweilige Buch erzählt, über den Verfasser desselben, manchmal eingebettet in Beschreibungen wie: „Ich legte den Cudworth auf den Küchentresen und trollte mich ins Bett mit dem Gedanken, dass amerikanische Philosophie einen Idealismus und eine Sympathie für das menschliche Gefühl übernommen hatte, die das Leben ein wenig erträglicher machte.“ (Zitat Seite 195) Er nimmt uns Leser mit auf eine Reise, die uns rasch in ihren Bann zieht, uns nicht mehr loslässt und auch viele eigene Gedanken anregt.

Fazit

Bis zu diesem Buch wusste ich nicht, das Philosophie so packend, spannend, interessant und vor allem, so lebendig sein kann. Natürlich musste ich viele der Passagen, wenn es um die Kernaussagen geht, mehrmals lesen, überdenken, nochmals lesen, doch ich tat es mit Genuss und Vergnügen. Dieses Buch fasziniert und macht Freude, regt auch an, sich weiter mit dem Thema Philosophie zu beschäftigen. Man sollte sich dafür Zeit und Ruhe nehmen und sich überraschen lassen.

Schutzzone – Nora Bossong

AutorNora Bossong
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 9. September 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten332
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518428825

„Wir spielen uns klare Grenzen vor. Aber jeder Versuch, ein Land mit exakten Grenzlinien zu zeichnen, hat zu nichts als Absurditäten geführt. Daran sind mehr Menschen gestorben als an Malaria.“ (Zitat Seite 128)

Inhalt

Mira Wiedner ist neun Jahre alt und verbringt einige Monate bei einer mit ihrem Vater befreundeten Diplomatenfamilie, während ihre Eltern die Scheidung abwickeln. Sie bewundert den siebzehnjährigen Sohn Milan und sein Vater Darius ist mit ein Grund für ihren Wunsch, für die Uno zu arbeiten. 2011 wird ihr Traum in New York Realität. Nach intensiven Vorbereitungen führt ihre erste Aufgabe sie 2012 nach Bujumbura, Burundi, wo sie die Aufarbeitung der Völkermorde der Jahre 1972, 1988, 1993 begleiten soll. Bald hat sie den Ruf, dass sie die Menschen dazu bringt, mit ihr und miteinander zu reden. Im April 2015 wird sie Assistentin des Sonderbeauftragten für Zypern und arbeitet 2017 in Genf an den Friedensverhandlungen für Zypern mit. Hier in Genf trifft sie Milan wieder.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um brisante Fragen zur Weltpolitik, um die internationalen Friedensbemühungen, die Rolle der UNHCR und der UN. Themen sind vor allem die Verantwortung im Umgang mit der Wahrheit, Idealismus und Realität, die Frage nach der Legitimierung der internationalen Eingriffe in die Interna eines Landes und die sich daraus ergebenden Folgen. Gleichzeitig geht es um die Auswirkungen dieser Tätigkeit auf das Privatleben der beteiligten Personen, vor allem, was Mira betrifft.

Charaktere

Die Hauptprotagonistin Mira ist für die UN mit Idealismus tätig und in der Überzeugung, tatsächlich etwas für den Frieden und für die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Krisengebieten zu tun. Ausgerechnet in diesem für sie speziellen Jahr 2017 in Genf, wo sie beginnt, ihren Standpunkt zu hinterfragen, trifft sie Milan wieder. Dies führt auch zu einer persönlichen Krise und lässt sie mit vielen offenen Fragen zurück, doch es ist niemals sie, die Konsequenzen zieht und geht. „Sucht man sich ein Leben aus?, fragte ich. Oder lebt man es nicht eher?“ (Seite 50). Sowohl Milan, beruflich auf dem Weg nach Den Haag, als auch Sarah, die sie während der Zeit in Burundi kennengelernt hat, geben sich keinen Illusionen in Bezug auf die Aktivitäten der UN hin, ihre Struktur, die Handlungsschwäche und die geschönten Berichte. „Zu viele Konflikte, zu viele Kosten, sagte Milan, die Leute wollen ihr Geld lieber für andere Dinge ausgeben, und wir sehen dabei zu, die dieses schöne Projekt namens Uno zu Ende geht. Soll man noch Geduld haben, oder sie verlieren?“ (Milan, Seite 12) „Aber was haben wir erwartet? Dass wir mal eben aus der Schweiz anrücken, ein bisschen Stacheldraht um ein Gelände spannen und darin den Entwicklungserfolg eines Landes beschließen, für das sich niemand interessiert außerhalb der Mission?“ (Sarah, Seite 29)

Handlung und Schreibstil

Die aktuelle Handlung spielt zwischen Februar 2017 und April 2018 in Genf, geschildert von Mira Wiedner in der ersten Person. Unterbrochen wird dieser Erzählstrang laufend durch Rückblicke, ihre Erinnerungen und Fragen nach dem „wie war es wirklich“, denen sie sich in diesem Jahr 2017 während ihrer Zeit in den Büros der Vereinten Nationen in Genf stellt. Sie erinnert sich an Gespräche, an politische Sackgassen und an sogenannte Nilpferde, Begriffe, die von den Korrespondenten in ihre Berichte eingefügt wurden, in der Hoffnung, dass diese durch alle Gremien weitergeleitet und nicht entdeckt würden, ein Spiel, „wir wünschten uns ein wenig Anarchie in den bürokratischen Strukturen“. Vor allem bleibt der Wunsch nach der Wahrheit hinter diesen politisch sensiblen, diplomatischen Versuchen zu vermitteln, doch diese Wahrheit ist geschönt, wie der Pfau, der gleichsam als Metapher für den schönen Schein immer wieder in der Bilanz der vergangenen Jahre auftaucht, die Mira 2017 rückblickend in Genf zieht.

Es sind kurze Kapitel, die in rascher Reihenfolge ineinandergeschoben werden, doch Ort und Zeitangabe in den Überschriften sorgen dafür, dass der Leser den Überblick behält.

Sprachlich ist diese Autorin fordernd, während sie bei der direkten Rede auf Satzzeichen verzichtet, setzt sie eine Fülle von Beistrichen ein, welche aus Gedankenfetzen, Schilderungen, Unterbrüchen, Gedanken und weiteren aneinandergereihten Feststellungen lange Satzgebilde bis zu Buchseitenlänge formen. Schon das komplexe Thema ist anspruchsvoll, die Sprache unterstreicht dies, die Autorin ist nicht bereit, den Leser in irgendeiner Form zu schonen.

Fazit

Ein Roman, der sich kritisch mit der internationalen Politik, den Friedensbestrebungen und der Frage nach der Wahrheit und der Legitimation der mächtigen UN-Institutionen auseinandersetzt. Gezeigt wird die vielschichtige, zeitlos brisante Problematik am Beispiel der Hauptprotagonistin, die, zu Beginn überzeugt und idealistisch, nun den Leser mit einer Fülle von nachdenklichen Überlegungen zurücklässt, ähnlich fordernd und unnachgiebig wie die Sprache. Kein Buch, das man einfach mal zwischendurch zur Unterhaltung liest, aber eines, das man gelesen haben sollte.