Buchgeplauder 18

Diesmal geht es um lose Enden
Buchgeplauder 18
Der Roman „Twist“ von Colum McCann regte mich zum Nachdenken darüber an, welche unterschiedlichen Erwartungen wir als Leser und Leserinnen an einen Roman stellen. Wollen wir, dass am Ende des Buches alle offenen Fragen bis ins Detail gelöst wurden, wie zum Beispiel in der romantischen Belletristik, in den sogenannten Wohlfühlbüchern, mit den Happy Endings? Oder genügen uns Andeutungen? Wie gehen wir mit offenen Enden um, die Platz lassen für eigene Überlegungen darüber, wie es weitergehen könnte?
Ich habe „Twist“ im Rahmen einer Leserunde gelesen und es war interessant, wie unterschiedlich die Teilnehmerinnen auf einige lose bleibenden Enden in dieser Geschichte reagiert haben. Ich habe kein Problem damit, am Buchende selbst über mögliche Varianten nachzudenken, wenn die Geschichte wie hier so stimmig und nachvollziehbar geschrieben ist, Colum McCann versteht es perfekt, auch noch mit Andeutungen präzise Gedankenbilder zu malen.
„Twist“ von Colum McCann, Rowohlt Buchverlag, 11. März 2025, Gebundene Ausgabe: 416 Seiten, Sprache: Deutsch, Übersetzer: Thomas Überhoff, ISBN-13: 978-3498003852
„Das erste Rätsel jeder Reise ist nicht so sehr, wo sie enden wird, sondern wie du überhaupt an den Ausgangspunkt gekommen bist.“ (Zitat Seite 120)
Darum geht es:
Anthony Fennell, ist ein Schriftsteller aus Dublin, der als Journalist für Online-Magazine arbeitet. Er ist auf der Suche nach einer neuen Geschichte zu den Themen Verbindung und Reparatur, als ihm seine Redakteurin anbietet, eine Reportage über die Tiefseekabel auf dem Meeresgrund, Kabelbrüche und deren Reparaturen zu schreiben.
Für mich war es eine interessante, beeindruckende Leseerfahrung mit unvorhersehbare Twists, geschrieben in einer großartigen Sprache mit nachdenkenswerten Formulierungen. Einige lose Kabelstränge bleiben am Ende dieser Geschichte, doch das stört nicht, da bleibt Platz für eigene Überlegungen. „Zwischen Fakt und Fiktion gedeihen Erinnerung und Phantasie. In Erinnerung und Phantasie gedeiht unser Wunsch, zumindest eine Essenz der bestenfalls vertrackten Wahrheit zu gewinnen.“ (Zitat Seite 209)
Eine Erzählform, in der sich vorerst noch offene Fragen in einem etwas später stattfindenden Epilog lösen, finden wir zum Beispiel in literarischen Kriminalromanen.
„Ketzer“ von Leonardo Padura, Unionsverlag, 15. Juni 2015, Taschenbuch: 656 Seiten, Sprache: Deutsch, Übersetzer: Hans-Joachim Hartstein, ISBN-13: 978-3293206960
„Die Häufung von Zufällen, Ungereimtheiten und überraschenden oder erzwungenen Wendungen in dieser Geschichte überstiegen sein Fassungsvermögen.“ (Zitat Seite 163)
Darum geht es:
In diesem heißen September 2007 in Havanna wird Mario Conde von dem New Yorker Künstler Elias Kaminsky kontaktiert. Dieser erzählt ihm die abenteuerliche Geschichte seiner Familie, die seine Vorfahren von Polen nach Kuba und dann in die USA geführt hat und von einem Originalbild von Rembrandt, eine Vorstudie zu den Pilgern von Emmaus, das sich seit 1648 im Besitz seiner Familie befand.
Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura, einer meiner Lieblingsschriftsteller, ist ein Meister darin, mehrere unterschiedliche Handlungen mit unterschiedlichen Zeitebenen langsam, gleichsam Schritt für Schritt, zusammenzuführen. Oder, um es mit seiner Hauptfigur Mario Conde „El Conde“ zu sagen: „Er war nun überzeugt davon, das sich am Ende dieser Geschichte mehrere Wege kreuzen würden.“ (Seite 135)
Paduras Romane sind eine besondere Mischung zwischen Kubaroman, Gesellschaftsroman, Künstlerroman, historischem Roman und auch Kriminalroman und sind immer ein Lesegenuss.
Auch der Autor Martin Suter ist immer ein Garant für überraschende Wendungen und völlig unvorhersehbare Entwicklungen.
„Wut und Liebe“ von Martin Suter, Diogenes Verlag, 23. April 2025, Gebundene Ausgabe: 304 Seiten, Sprache: Deutsch, ISBN-13: 978-3257073331
„Wie eine Buchhaltung. Da kann man auch nicht warten, bis sie stimmt. Man muss etwas tun.“ (Zitat Seite 30)
Darum geht es:
Anfang dreißig hat Camilla noch andere Pläne, wie sie ihr Leben gestalten will, als mit ihrem Gehalt als Buchhalterin auch für den als Künstler bisher erfolglosen Noah zu sorgen und sie verlässt ihn. Noah ist am Boden zerstört und als Betty Hasler, eine fünfundsechzig Jahre alte Witwe, ihm ihr persönliches Problem und den größten Wunsch schildert, den sie in ihrem Leben noch hat, lässt ihn dies nicht mehr los.
Auch in diesem neuesten Roman zeigt sich Martin Suter als sprachgewandter, phantasievoller Autor mit einem besonderen Blick für dunkle Facetten menschlichen Verhaltens. Eine unterhaltsame, packende Geschichte mit zunächst vielen losen Fäden, die sich langsam zu verbinden scheinen, allerdings mit einigen sehr überraschenden Wendungen.
Sommer, das bedeutet Sonne und Meer, Ferien, erholsame Wanderungen und gesellige Veranstaltungen, aber Zeit für ein Buch ist doch immer, nicht wahr?