Der Sommer, in dem alles begann – Claire Léost

AutorClaire Léost
VerlagKiepenheuer&Witsch
Datum11. April 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ÜbersetzungStefanie Jacobs, Jan Schönherr
ISBN-13978-3462003871

„In diesem magischen Jahr entdeckt Hélène ein neues Land, bevölkert von Schriftstellern und Worten. Jedes Buch ist eine Schatzkiste.“ (Zitat Pos. 173)

Inhalt

Marguerite Renaud, eine erfolgreiche Dozentin für Literaturwissenschaften in Paris, ist mit dem erfolgreichen Krimi-Schriftsteller Raymond Berger verheiratet. Als Raymond vorschlägt, für einige Zeit in die Bretagne zu ziehen, in der Hoffnung, in der wilden Einsamkeit seine Schreibblockade überwinden zu können, sagt sie zu. Sie verschweigt Raymond, dass auch sie einen Grund hat, ausgerechnet in die Finistère zu ziehen. Marguerite ist auf der Suche nach ihrer Mutter, die sie nach der Geburt zur Adoption freigegeben hat und aus dieser Gegend stammte. Marguerite nimmt eine Vertretungsstelle als Französischlehrerin am Gymnasium in Bois d‘en Haut an. Dort trifft sie auf die sechzehn Jahre alte Hélène und sie erkennt rasch die Begabung des Mädchens. Während Hélène sich begeistert der Literatur zuwendet, entsinnt sich ihr Freund Yannik plötzlich seiner bretonischen Wurzeln. Die Ereignisse dieses Sommers werden genau beobachtet von der druidischen Kräuterfrau Mamie Alexine, Hélènes Großmutter, und deren bester Freundin Émile Tanguy, Inhaberin des Dorfladens.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Gesellschaftsstrukturen, Familie, Frauenleben, Literatur, Nationalismus und alte Traditionen in der Bretagne.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Einstieg in der Gegenwart, führt dann zwanzig Jahre zurück zu einem bestimmten Tag im Jahr 1994 und beginnt von dort an, in einem umgekehrten, rückwärtsgerichteten Zeitablauf, die Ereignisse aufzurollen. Parallel dazu führt ein zweiter Erzählstrang weitere fünfzig Jahre zurück und bietet dadurch auch Hinweise auf die bretonische Geschichte. Erinnerungen und Gedanken vertiefen die Erlebnisse und Charaktere der einzelnen Figuren. Es sind unterschiedliche Figuren, deren Verhalten nicht immer nachvollziehbar ist, da sich die Geschichte aus den Konflikten und den Handlungen der einzelnen Figuren ergibt. Die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsroman und ist leicht zu lesen.

Fazit

Dieser Frauen- und Generationenroman konnte meine Erwartungen nicht ganz erfüllen. Die Geschichte wirkt auf mich zu bewusst konstruiert und die Figuren zu klischeehaft. Die abwechslungsreiche Erzählform macht diesen Roman dennoch zu einer angenehm zu lesende Unterhaltungslektüre, die sicher andere Leserinnen begeistern wird.

Der Hund, der nur Englisch sprach – Linus Reichlin

AutorLinus Reichlin
VerlagGaliani Berlin
Datum17. August 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten320
SpracheDeutsch
ISBN-13‏978-3869712857

„Klar, der Hund war dabei, aber jetzt ist er erstens weg. Und selbst wenn er hier wäre, würde er eisern schweigen. Ja, wenn Hunde sich etwas in den Kopf setzen, die können stur sein, denkt Felix.“ (Zitat Pos. 74)

Inhalt

Es ist eine von diesen heißen Tropennächten in Deutschland, genau genommen die erste im Jahr 2022, als alles damit beginnt, dass der vierundsechzig Jahre alte Felix Sell aus Nostalgiegründen zwei vierundvierzig Jahre alte LSD-Pillen ausprobiert. Damit startet ein Abenteuer, das rasch zu einer Reihe von unvorhersehbaren Ereignissen führt, die Felix völlig überfordern und zu überrollen drohen, wäre da nicht der Hund, der ihm mit Rat und Tat, vor allem mit den Ideen dazu, zur Seite steht. Hobo, ein kleiner Jack-Russell Rüde, der nur eines will, dass Felix ihn vor seinen Entführern in Sicherheit und so rasch als möglich zurück in seine Heimat, nach Naples, Florida, bringt.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine moderne Abenteuergeschichte, philosophisch, menschlich, sehr komisch und manchmal sehr surreal, oder doch real?

Charactere

Felix Sell ist ein geschiedener Landschaftsarchitekt in Pension, und lebt allein ein pragmatisches, ruhiges Leben. Anschaffungen berechnet er auf Grund seines Alters mit einem Preis-Leistung-Lebenserwartungsverhältnis. Er mag Katzen, doch diesen Hundeaugen kann er sich auf die Dauer nicht entziehen. Hobo liebt Leckerli und jagt begeistert Stöckchen nach, er ist ein ganz normaler Hund, mit einer Ausnahme: er spricht Englisch, genau genommen amerikanisches Englisch, und dies wesentlich besser als Felix.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, an den ein Handlungsablauf anschließt, der innerhalb eines knappen Zeitrahmens von wenigen Wochen stattfindet und zu der Situation im Prolog führt. Im personalen Mittelpunkt der Geschichte, deren Erzähler manchmal ins Auktoriale wechselt, steht Felix, da neben den Action-Elementen der Handlung auch seine Gedanken und inneren Monologe eine wichtige Rolle spielen. Denn natürlich beschäftigen Felix die Zweifel, ist der Hund nun real, ist eine andere logische Erklärung möglich, als die, dass es sich um eine Halluzination als Folge der beiden Pillen handelt, im letzteren Fall ein Zustand, der bald vorbeigehen sollte. Doch bis er Klarheit hat, versteckt er sich mit Hobo vor dessen Entführern, nur um sicherzugehen. Die Sprache erhöht das Lesevergnügen, unterhält zusätzlich mit den kleinen Missverständnissen durch den amerikanischen Slang des frechen, temperamentvollen Jack Russell Terriers, der wohl nicht nur für mich die eigentliche Hauptfigur in dieser Geschichte ist.  

Fazit

Der knappe Zeitrahmen, Flucht vor Verfolgern, Konflikte mit der Polizei, sorgen für Spannung, die Geschichte selbst mit vielen skurrilen Szenen für lautes Lachen, der kleine, freche Hund für den Wohlfühlfaktor. Es ist ein schmaler Grad zwischen möglicher, logisch argumentierbarer Realität und phantasievoller Einbildung und dem Autor ist genau dieser geniale Mittelweg gelungen.

Jenny Erpenbeck über Christine Lavant – Jenny Erpenbeck

AutorJenny Erpenbeck
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Herausgegeben vonVolker Weidermann
Erscheinungsdatum 17. August 2023
FormatGebundene Ausgabe
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462004687

„Das eigene Leben bewahren, ohne den eigenen Willen aufzugeben, Kompromisse eingehen, die einen nicht die Seele kosten – wie das gelingen kann, und auch, wie manche ihrer Figuren tragisch daran scheitern, hat Christine Lavant in ihren Texten beschrieben.“ (Zitat Pos. 817)

Thema und Inhalt

Dieses Buch ist der fünfte Band der Serie „Bücher des Lebens“, herausgegeben von Volker Weidermann. Es geht um Bücher, welche die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck besonders beeindruckt und geprägt haben. Erpenbeck ist dreißig Jahre alt, als sie zum ersten Mal ein Gedicht von Christine Lavant liest. „Dreißig Jahre alt musste ich werden, bevor ich zum ersten Mal ein Gedicht von Christine Lavant gelesen habe. Bevor sich mir diese fremde Welt aufgetan hat, die ich nicht kannte und dich im ersten Moment wiedererkannt habe.“ (Zitat Pos. 284) Seither folgt sie den Spuren und dem Leben dieser ungewöhnlichen Frau, der einfachen Strickerin und Schriftstellerin und vertieft die biografischen Geschichten mit den Themen Bücher, Lyrik, das Leben als Schriftstellerin.

Umsetzung

Nach einem kurzen Vorwort von Volker Weidermann beginnt Jenny Erpenbeck ihr Essay mit der Frage, wann der richtige Moment sei, um ein Gedicht zu lesen, gibt sich selbst in Gedanken verschiedene Antworten, die ebenfalls Fragen bleiben. Im zweiten Kapitel schreibt sie, was Christine Lavant in ihren biografischen Notizen über das Lesen von Gedichten geschrieben hat und tritt so mit dieser österreichischen Lyrikerin aus Kärnten in einen inneren Dialog. Diesen führt sie in allen weiteren Kapiteln abwechselnd fort, Jenny Erpenbeck berichtet über ihre Erlebnisse während der fünf Jahre, die sie in Graz gelebt hat und beginnt danach mit der Kindheit von Christine Lavant, mit bürgerlichem Namen Christine Habernig, geb. Thonhauser. Erpenbeck folgt einerseits dem von Selbstzweifeln geprägten Leben von Christine Lavant, sucht in den vielen vorhandenen Aufzeichnungen, besonders Briefen, in den Archiven und Museen nach dem Menschen und der Künstlerin. Besondere Aussagen ergänzt Erpenbeck mit entsprechenden Gedichten von Christine Lavant.

Im Anhang finden sich die Lebensdaten von Christine Lavant und die Erklärungen zu den durchnummerierten Fußnoten.

Fazit

Dieses Buch berichtet über das Leben der österreichischen Schriftstellerin Christine Lavant, deren literarisches Werk in der breiten Öffentlichkeit nicht allzu bekannt ist, und in deren Würdigung seit 2016 ein eigener Literaturpreis, der Christine Lavant Preis, verliehen wird.

Mann vom Meer: Thomas Mann und die Liebe seines Lebens – Volker Weidermann

AutorVolker Weidermann
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 7. Juni 2023
FormatGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462002317

„Die Größe, die Bedeutung und die lang währende Kraft und Wirkungsmacht von Thomas Manns Werk besteht darin, dass er einerseits schonungslos und radikal immer wieder sich  selbst preisgab. Und – noch wichtiger – dass dieses Selbst auf, ja, magische Weise mit seiner Zeit, mit den Menschen seiner Zeit, der Politik, der Gesellschaft, den Ängsten, den Hoffnungen der Gegenwart verbunden war.“ (Zitat Seite 141)

Thema und Inhalt

Dieses Buch ist eine ungewöhnliche, sehr gut gelungene Mischung. Ein narratives, kreatives Sachbuch, welches die Geschichte des Lebens von Thomas Mann neu erzählt, ausgehend von seiner engen, sehnsuchtsvollen Bindung und Liebe zum Meer, welche sich durch sein Leben und seine Werke zieht.

Umsetzung

Ihre frühen Kindheitsjahre verbrachte die Mutter von Thomas Mann in Brasilien, in einem Haus direkt am Meer. Für Thomas Mann, der in Lübeck aufwächst, wird das Meer zum Sehnsuchtsort, einerseits Begriff von endloser Weite  und Freiheit, andererseits Sinnbild für einen geheimnisvollen Sog in die ebenfalls endlose Tiefe.

In vielen Textbeispielen aus Thomas Manns Werken folgt Volker Weidermann dem Menschen Thomas Mann, der die Vorbilder für seine Romanfiguren vor allem in sich selbst findet, aber auch in den Menschen in seinem Umfeld, beginnend mit dem großen Roman seiner Familie, den Buddenbrooks. „Er war ein Seelenkenner, nicht nur seiner selbst. Sondern auch ein Seelenkenner der Welt, die ihn umgab.“ (Zitat Seite 141)

„Mann vom Meer“ ist keine verklärte oder verklärende Biografie des berühmten deutschen Schriftstellers und Nobelpreisträgers, sondern es zeigt einen lebenslang mit seinen Gefühlen ringenden Menschen, der sich selbst und sein Leben in seinen Romanen schonungslos offenlegt, den Ehemann und Familienvater, an dessen Seite es niemand leicht hat, der seine Frau Katia liebt, sich aber auch immer wieder in junge Männer verliebt. Volker Weidermann schildert offen, aber nicht wertend, die sich mit den Jahren und Erfahrungen stark verändernden politischen Überzeugungen von Thomas Mann, vom patriotischen Optimisten zum überzeugten Demokraten. Im Nachwort geht es um Thomas Manns Tochter Elisabeth Mann Borgese, eine beeindruckende, selbstbewusste Frau, eine Wissenschaftlerin mit Ansichten, Ideen und Anliegen, die ihrer Zeit weit voraus waren und bis heute zeitlos aktuell sind. Mit einer ausführlichen Bibliographie schließt das Buch.

Fazit

Diese Geschichte vom Mann vom Meer birgt eine Fülle an neuem oder ergänzendem Wissen, nicht nur für interessierte Lesende, die  Thomas Mann bisher vielleicht von der Schullektüre her kennen, sondern auch für Menschen, die sich schon lange und intensiv mit Thomas Mann und seinem Werk beschäftigt haben. Die Sprache sorgt für Lesevergnügen und das Buch selbst schlägt auch nach der Lektüre Wellen, die einen langen, stetigen Sog entwickeln und dazu anregen, die Romane von Thomas Mann nun wieder, oder aber auch zum ersten Mal, zu lesen.

Die Familien der anderen: Mein Leben in Büchern – Christine Westermann

AutorChristine Westermann
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 3. November 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462003017

„Das Leben der anderen, da möchte ich reingucken, das ist es vielleicht auch, was mich zu Büchern hinzieht. Lesen, wie es auch gehen kann mit dem Leben.“ (Zitat Pos. 129)

Thema und Inhalt

In fünfzehn Kapiteln, von denen jedes als Überschrift ein Zitat von einem Schriftsteller oder einer Schriftstellerinnen zum Thema Bücher trägt, schreibt Christine Westermann über ihr Leben. Ihre Geschichte beginnt mit den zwei sehr unterschiedlichen Bücherregalen ihrer Kindheit und Jugend, eines in der Wohnung ihrer Mutter und das andere in der Wohnung ihres Vaters. Sie schildert ihren Werdegang als Journalistin, wobei sie ursprünglich nicht damit gerechnet hatte, dass ihre beruflichen Wege sie zu den Büchern führen würden und dass es ihr gelingen würde, Menschen für Bücher zu begeistern. Ihr Schwerpunkt waren immer Romane, in denen es um Menschen, Familien, Beziehungen ging und siebenundvierzig davon stellt sie in diesem Buch vor. Sie hat nie negative Bewertungen geschrieben, ihr war und ist es wichtig, Bücher zu empfehlen und dabei zu erklären, warum ihr ein Roman gefallen hat und ihre Gedanken und Eindrücke während des Lesens zu schildern.

Umsetzung

Mir gefällt die ungewöhnliche Art, wie Christine Westermann ihr Buch aufgebaut hat. Viele Jahrzehnte lang hat sie sich buchstäblich um den dicken Wälzer hinter Glas im Regal herumgeschlichen, „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Als sie begonnen hat, an diesem Buch zu schreiben, hat sie auch begonnen, „Der Zauberberg“ zu lesen, in kleinen Schritten, mit Unterbrechungen, knapp vor dem Scheitern und dies ist so etwas wie eine Rahmenhandlung zu den Geschichten ihres Lebens in Büchern. Christine Westermann berichtet über Erlebnisse während ihrer Lesereisen, über die vier Jahre als Mitglied des „Literarischen Quartett“, über ihre Sendungen in Radio und Fernsehen, ihre Kolumnen. Sehr spannend und interessant ist das Kapitel über ihre Teilnahme am Deutschen Literaturpreis als Mitglied der Jury. Ich konnte mir nie vorstellen, wie es funktioniert, im ersten Durchgang Hunderte von Büchern zu lesen, hier bekommt man einen Einblick und sieht die Arbeit der Jury und die komplizierten Auswahlverfahren der einzelnen Listen nun mit anderen Augen.

Die siebenundvierzig in diesem Buch besprochenen Romane sind je nach Stichwort in die Texte eingebunden, im Anhang findet sich eine Liste aller Romane, geordnet in der Reihenfolge, in der sie im Buch vorgestellt werden. Das Kapitel fünfzehn beginnt mit folgendem Zitat: „Wenn der Funke nicht überspringt, ist nichts zu machen. Die Klassiker liest man nicht aus Pflicht oder Respekt, sondern nur aus Liebe.“ Italo Calvino (Zitat Pos. 2159). Damit schließt sich der Kreis zu Thomas Mann und dem Zauberberg.

Fazit

Eine unterhaltsame, interessante Zeitreise durch die Geschichten eines Lebens als Journalistin, Moderatorin, Autorin, Leserin und Vorleserin. Die Art, wie sie Bücher vorstellt, macht neugierig auf jene Romane, die man noch nicht kennt, die persönliche Wunschliste wird auch mit diesem Buch wieder länger – und bei mir der Vorsatz, trotzdem, den Zauberberg auch aus meinem Regal zu nehmen und endlich zu lesen.

Mon Chéri und unsere demolierten Seelen – Verena Roßbacher

AutorVerena Roßbacher
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 10. März 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten512
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3-462-00119-8

„Tatsache war: Aus dem völlig vergagelten Kind war eine hundertprozentig chaotisch zusammengewürfelte Erwachsene geworden.“ (Zitat Pos. 2265)

Inhalt

Charly Benz ist dreiundvierzig Jahre alt und lebt in Berlin. Sie arbeitet im Marketing von LuckyLily, einer veganen Foodcompany, wobei Charly weder Veganerin, noch wenigstens Vegetarierin ist. „Ich hatte keine Ahnung von Marketing und machte einen guten Job. Diese Tatsache allein war so himmeltraurig, dass ich hätte heulen können.“ (Zitat Pos. 280) Ihre Post bringt sie alle zwei Wochen zu Herbert Schabowsky, der sie für sie öffnet und sortiert. Dies mit viel Kaffee, Mohawk Red Zigaretten und Gesprächen über Gott und die Welt. Charly ist so etwas wie eine chaotische Optimistin, die sich zu viele Sorgen macht, Single, manchmal einsam, aber nicht unglücklich. Dennoch – zur Zeit fühlt sie sich in der Eintönigkeit gefangen, aber aus eigenem Antrieb schafft sie keinen Neubeginn. Bis mehrere Dinge gleichzeitig geschehen: von ihrer Schwester Sybille hatte sie zum Geburtstag einen Gutschein für die Teilnahme an einer Familienaufstellung bekommen, doch Charly hatte keine Absicht, hinzugehen. Nun trifft sie mit Herrn Schabowsky die Vereinbarung, an dieser Familienaufstellung teilzunehmen, wenn er im Gegenzug dringend notwendige ärztliche Untersuchungen machen lässt, bei denen sie ihn begleitet. Beides setzt völlig unvorhersehbare Ereignisse in Gang.

Thema und Genre

Im Mittelpunkt dieses Romans steht eine eigenwillige, moderne Frau, die sich ihren vielen Fragen und Themen zu stellen versucht. Es geht um Freundschaft, Familie, Beziehungen, Liebe in vielen Facetten, kurz, um die bunte, manchmal verwirrende Vielfalt des Lebens.

Charaktere

Charly isst nicht Schokolade, sondern verkohlte Croissants zum Frühstück, dazu Kaffee und Zigaretten. „Fazit: Mein Leben sah nicht gut aus. Verzehrte Croissants: fünf. Zigaretten: viele. Fertig.“ (Zitat Pos. 320) Sie ist vielleicht nicht perfekt, dafür unwiderstehlich und liebenswert, man wünscht sie sich sofort als BFF, ab der ersten Seite dieses Romans.

Handlung und Schreibstil

Charly Benz ist eine chaotische Ich-Erzählerin, die in Bezug auf ihre Person gerne mal untertreibt. Der Handlungsrahmen umfasst etwa ein Jahr, verläuft nicht unbedingt chronologisch, alles andere wäre bei dieser Ich-Erzählerin auch eher erstaunlich. Ergänzungen durch viele Erinnerungen und Rückblenden lassen Raum für eigene Überlegungen und ergeben in Verbindung mit den aktuellen Ereignissen ein sehr gelungenes Gesamtbild. Die Sprache passt perfekt zu dieser eigenwilligen Hauptfigur.

Fazit

Moderne Frauenliteratur, die zeigt, was in diesem Genre möglich ist, überzeugend und sehr erfrischend, weil ohne Protagonistinnen, die in jammerndem Selbstmitleid versinken. Eine originelle, einfühlsame und positive Geschichte von unglaublich komisch, schräg, skurril bis zu ernst, traurig, nachdenklich – bittersüß, wie das Schokoladekonfekt im Titel.

Die dritte Quelle – Werner Köhler

AutorWerner Köhler
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 10. Februar 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462001143

„Er hatte eine Idee, einen Wunsch, das Gefühl, etwas zu Ende bringen zu müssen. Er fühlte sich prächtig.“ (Zitat Seite 12)

Inhalt

Das Leben des Bankangestellten Harald Steen aus Hamburg verlief bisher in ruhigen, sehr geordneten Bahnen. Jetzt ist er vierundsechzig Jahre alt und in Frühpension. Die Galapagosinsel Floreana und die geheimnisvollen Ereignisse der 1930er Jahre lassen ihn nicht mehr los, seit er weiß, dass diese auch seine eigene Geschichte betreffen. Doch was damals wirklich passiert ist, kann er nur vor Ort recherchieren. So beginnt seine Reise in die Vergangenheit und gleichzeitig in neue, unbekannte Abenteuer. Bei den misstrauischen Bewohnern von Puerto Velasco Ibarra, der einzigen Ansiedlung auf der kleinen Insel, gibt er sich als Schriftsteller aus und erklärt damit auch seine längeren Ausflüge in die einsame, unwegsame Natur von Floreana. Auf sich allein gestellt, wächst er mit den täglich neuen Herausforderungen, doch wird er auch Antworten auf seine Fragen finden?

Thema und Genre

In diesem Abenteuerroman, in dessen Hintergrund die bekannte „Galapagos-Affäre“ steht, geht es um eine kleine Insel der Galapagos-Inselgruppe, um ungeklärte Ereignisse in der Vergangenheit, um das Leben mit der wilden, einzigartigen Natur, über Auswanderer und die Sehnsucht nach einem Neubeginn.

Charaktere

Harald Steen ist ein Eigenbrötler und Einzelgänger, sein geordnetes Arbeitsleben hat er als Bankangestellter verbracht. Doch die neuen Herausforderungen in der Wildnis von Floreana verändern ihn, er stellt sich den Strapazen und Abenteuern und irgendwo zwischen Kreativität und Traum wird er zu einem anderen Menschen. „Wer von den Kollegen in der Bank hätte ein solches Abenteuer gewagt? Niemand von denen hätte gerade ihm eine solch einschneidende Änderung der Lebensführung zugetraut.“ (Zitat Seite 121)

Handlung und Schreibstil

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Harald Steen, seine Reise auf die Insel Floreana Ende der 1990er Jahre und sein neues Leben auf der kleinen, nur wenig besiedelten Insel. Seine eigenen Erinnerungen und Gedanken teilt er mit einem Hund und später mit Mayra, einer Inselbewohnerin. So erfahren wir beim Lesen abwechselnd zum Erzählstrang der aktuellen Ereignisse auch seine Version der immer noch nicht vollständig aufgeklärten Vorkommnisse im Zusammenhang mit den ersten deutschen Siedlern auf Floreana und der „Galapagos-Affäre“. Eindrückliche Naturschilderungen ergänzen die Handlung.

Fazit

Ein moderner Abenteuerroman voller Geheimnisse, in dem die Grenzen zwischen realer Welt und Scheinwelten teilweise verschwimmen und dessen Handlung daher viel Spielraum für eigene Interpretationen lässt. „Aber denkt man erst einmal über das Ende der Welt nach, stößt man auf das Ende der Dinge und da fängt alles Erzählen an. Das Erzählen endet nie.“ (Zitat Seite 415)

Der Silberfuchs meiner Mutter – Alois Hotschnig

AutorAlois Hotschnig
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 9. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462002133

„Unsere gemeinsame Welt war aus ihrem Koffer gekommen, aus einem Buch und aus einer Geschichte über eine Mutter und ihren verlorenen Sohn. Diese Welt war von nun an unser Versteck, und eine ganze Welt als Versteck, das war schon nicht nichts.“ (Zitat Pos. 220)

Inhalt

Gerd Hörvold ist Norwegerin, verlobt mit dem deutschen Soldaten Anton Halbleben. Als sie schwanger wird, ist sie in ihrer Heimat nicht mehr sicher, sie ist die Nazi-Hure und muss Norwegen verlassen. Über Oslo und Berlin kommt sie nach Hohenems, wo sich Antons Familie um sie kümmern soll, so lange er noch im Krieg ist. Doch auch die Menschen hier lehnen sie ab, Anton behauptet, das Kind sein von einem unbekannten Russen und verbietet sich jeden Kontakt. Ende 1942 kommt ihr Sohn Heinz zur Welt, es folgen Kinderheim und Pflegefamilie. 1946 findet die Mutter Heinz durch das Rote Kreuz und sie ziehen nach Lustenau, immer wieder gibt es Unterbrüche durch die Epilepsie seiner Mutter. Die Frage, was damals wirklich geschehen ist, lässt Heinz nicht los, immer wieder begibt er sich auf der Suche nach Antworten auf die Frage, wer er wirklich ist, während er im Leben immer wieder ein eine neue Rolle gleitet. Als Kind und Jugendlicher flieht er in die Geschichten, die er selbst erfindet, später auf der Theaterbühne und im Film als Schauspieler.

Thema und Genre

Dieser Roman erzählt die Suche nach der Wahrheit über die eigenen Wurzeln, über die Geschichte seiner Mutter und die Frage, warum sein Vater und dessen Familie seine Mutter und ihn plötzlich ablehnen. Es geht um das Aufwachsen im ländlichen, engen Vorarlberg nach dem Krieg, um Armut und Vorurteile, um das beharrliche Schweigen einer Generation. Diese Geschichte handelt von den vielen möglichen Varianten von Erinnerung und Wahrheit.

Charaktere

Um von den Menschen, die ihn umgeben, Ruhe zu haben, hat Heinz schon früh gelernt, sich selbst als Rolle zu spielen.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman ist der Monolog eines nun alten Ich-Erzählers, seine Erinnerung in Verbindung mit den Erinnerungen anderer, die sie ihm erzählt haben. Es ist die Geschichte seiner Mutter und zugleich die Geschichte seines eigenen Lebens. Dies verbindet sich mit seinen Gedanken, Gefühlen, den Fragen, die er sich immer wieder stellt, warum er von seinem Vater und dessen Familie plötzlich verleugnet wurde. Seine Erfahrungen vernetzt er später mit den Rollen, die er im Theater und im Film spielt. Es sind harte, raue Bedingungen, unter denen er aufwächst und so ist es auch ein harter, rauer Text, in dem die schönen Erinnerungen und glücklichen Momente rasch von der Realität des Alltags überdeckt werden. Daran ändert sich für mich auch nichts, als gegen Ende noch ein Schwenk in eine mögliche, zweite Variante auftaucht, denn dies bleibt ein Fragment, lose Enden, offene Fragen zwischen Schein und Wirklichkeit. Auch die Sprache ist eine direkte und raue Umgangssprache, manchmal ausufernd, langatmig, wenn das erzählende Ich in den eigenen Gedanken und Geschichten versinkt.  

Fazit

Die als Monolog geschilderte Suche nach der Wahrheit im Leben des 1942 geborenen Ich-Erzählers Heinz Fritz und seiner norwegischen Mutter Gerd. Eine tragische, harte Geschichte eines Lebens voller Lücken, die sich von Heinz trotz seiner intensiven Fragen nicht füllen lassen.

FRAUEN LITERATUR: Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt – Nicole Seifert

AutorNicole Seifert
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 9. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462002362

„Mehr Literatur von Frauen zu lesen, von Schwarzen Menschen, von People of Color, von queeren und anderen marginalisierten Menschen wird an sich nichts an den beschriebenen strukturellen Missständen ändern. Aber es ist eine sehr gute Möglichkeit, das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und Schieflagen zu entwickeln oder zu schärfen.“ (Zitat Seite 57)

Thema und Inhalt

In diesem Sachbuch zwischen Literaturwissenschaft, den Büchern in den Regalen der Buchhandlungen und den Rezensionen in den Medien geht es um das Thema Frauen und Literatur, nicht zu verwechseln mit dem immer wieder anzutreffenden Genre „Frauenliteratur“, ein Begriff, der unnötig ist und endlich gestrichen werden sollte.

Umsetzung

In sieben Kapiteln, jedes mit einer unterschiedlichen Problematik, wird das sehr komplexe Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet, untersucht, dokumentiert. Es sind die Fragen, die sich die Autorin nach der Präsenz der von Frauen geschriebenen Literatur in allen Bereichen, die mit Büchern und Lesen zu tun haben, stellt.  Das achte Kapitel stellt die Frage, wie es nun weitergeht und schließt mit einem Fazit. Ein Quellenverzeichnis und eine Leseliste, in der alle erwähnten Werke aufgelistet sind, ergänzen dieses interessante, klar formulierte und sehr gut zu lesende Buch. Ein Jahr lang wollte die Autorin ausschließlich Literatur von Frauen lesen, es wurden dann drei Jahre. Ihre persönlichen Erfahrungen daraus: „Wir verpassen das Beste, wenn wir in unseren Bücherregalen nicht endlich eine Frauenquote einführen.“

Fazit

Dieses Buch regt zum Nachdenken an, inspiriert und wird sicher auch die jeweilige persönliche Wunsch-Leseliste erweitern. „Dass immer wieder dieselben Titel genannt und dadurch in ihrer Bedeutung übersteigert werden, ist eine traurige Einengung der Auseinandersetzung mit Literatur. Es ist Zeit, dass Bewegung in die Sache kommt.“ (Zitat Seite 52). Dieses Buch ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Drei Kameradinnen – Shida Bazyar

AutorShida Bazyar
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 15. April 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462052763

„Ihr werdet alles, was ich sage, ein wenig anzweifeln und euch vergewissern, dass ihr es besser wisst. Ihr habt vielleicht recht, genauso wie ich. Ich habe recht, und ich habe beim Schreiben manchmal gelogen, okay, aber ich habe trotzdem recht, denn lügen und recht haben, das schließt sich nicht aus, auch bei mir nicht.“ (Zitat Pos. 4193)

Inhalt

Kasih kennt Hani und Saya schon seit ihrer Kindheit und Jugend in einer hauptsächlich von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnten Problemsiedlung am Stadtrand. Inzwischen haben sie studiert, Saya ist beruflich viel auf Reisen, doch ihre Freundschaft ist beständig. Nun treffen sie einander nach sechs Jahren wieder, Saya kommt für einige Tage zu Kasih auf Besuch, da eine gemeinsame Freundin heiratet. Dann kommt diese besondere Nacht, in der Kasih alles niederschreibt, wie es ist, als Deutsche mit den täglichen Diskriminierungen und Vorurteilen zu leben, die sich allein durch das Aussehen ergeben. Es sind Erinnerungen und aktuelle Ereignisse in einer Zeit, in welcher Ausländerhass und Rassismus stärker werden, statt zu verschwinden.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Kraft der Freundschaft, den Alltag von Frauen und Familien mit Migrationshintergrund, um Alltagsrassismus, Rechtsruck in der Politik, Vorurteile und Missverständnisse.

Charaktere

Kasih ist studierte Soziologin, arbeitslos, kritisch und dennoch der Ruhepol zwischen der pragmatischen Hani und der zornigen, aufbrausenden Saya, deren innere Wut und Solidarität dazu führen, dass sie keine Konfrontation auslässt. „Damit war die Diskussion beendet und erst Jahre später, wirklich viele Jahre später, sagen wir, in diesem Jahr, war Saya aufgefallen, dass sie in solchen Diskussionen nie eine Chance gehabt hatte, denn alle, auch sie selbst, sahen ihre Rolle lediglich darin, provozierende Dinge in die Runde zu werfen und allen inbrünstig zu widersprechen, aber ihre Rolle sah nicht vor, recht zu haben.“ (Zitat Pos. 702)

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman besticht neben Inhalt und Handlung durch seine moderne Erzählform, in Verbindung mit einer modernen, aber gleichzeitig eindrücklichen Sprache. Wir Lesende sind „Ihr“, viele von uns sicher die „Weißen“, während die drei Frauen Kasih, Hani und Saya „wir“ sind. Es sind Episoden, Ereignisse, kurze Szenen, die hauptsächlich Kasih als Ich-Erzählerin schildert, Erinnerungen an die Kindheit und Jugend, an ihre Beziehungen als Erwachsene. Eingebettet sind diese Rückblicke, in die ebenfalls knapp und rasch aufeinanderfolgend skizzierten aktuellen Ereignisse innerhalb von wenigen Tagen. Wenn es sich um Situationen handelt, in denen Kasih nicht anwesend ist, wechselt die Autorin in eine personale Erzählperspektive. Diese Vielfalt, die raschen Gedankensprünge, die geballte, zornige Kraft der Aussagen und Inhalte der Ich-Erzählerin machen diesen Roman packend, intensiv, und gleichzeitig regt jede Seite zu neuem Nachdenken an, zu Änderungen der eigenen Erfahrungen und Sichtweisen. Auch ich musste ein persönliches Vorurteil revidieren, denn ich hätte dieses Buch längst lesen können, aber die für mich negative Wortwahl des Titels schreckte mich ab, bis ich durch die Longlist-Broschüre eine längere Leseprobe lesen konnte, zusammen mit mehr Informationen.

Fazit

Eine intensive Geschichte über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, bewusst, oder im Alltag unbewusst, über gegenseitige Vorurteile und Missverständnisse, die einen normalen, unverkrampften Umgang miteinander verhindern. Es geht um eine einfach Frage: Jobsuche, Wohnungsnot, Beziehungen – es sind Probleme, die wir alle kennen, egal, ob unsere Haut etwas heller oder dunkler ist. Warum aber macht das immer noch einen Unterschied?

Fahrtwind – Klaus Modick

AutorKlaus Modick
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 15. April 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462001303

„Ich sah die Villa in ihrer selbstbewussten Schlichtheit, den lässig halb verwilderten Garten, den türkisfarbenen Spiegel des Sees, und kam mir vor wie ein alter Römer, der, einen breiten Strohhut auf dem Kopf, das süße Leben auf seinem Landgut genoss und fünf gerade sein ließ – procul negotiis.“ (Zitat Pos. 1265)

Inhalt

Vor etwa fünfzig Jahren hatte der Autor anlässlich einer Vorlesung über Eichendorffs Taugenichts die Idee, wie es wohl wäre, diesen ungebundenen, abenteuerlustigen und manchmal verträumten Freigeist in den turbulenten 1970er Jahren nach Süden ziehen zu lassen. Statt der Geige nimmt sein Protagonist die Gitarre mit und auf den Spuren des Taugenichts schreibt er eigene Texte und Songs. Sein Weg führt ihn in ein nobles Hotel in der Nähe von Wien, dann weiter auf ein Landgut in der Toskana, die Villa Maria Ioana, umgeben von einem auf romantische Art etwas verwilderten Garten, Olivenhainen und einem verschwiegenen Beet mit sattgrün wuchernden Pflanzen. Weiter geht die Reise nach Rom und über den Gardasee zurück nach Wien.  Mit den beiden Künstlern Wyatt und Billy, eigentlich Leo und Guido, kommt das perfekte Easy Rider Feeling in sein Leben und auch einige Abenteuer und überraschende Wendungen.

Thema und Genre

Dieser Roman, die moderne Version der bekannten romantischen Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, handelt von Freiheit, Musik, italienischer Lebensfreude und von der Liebe. Es geht um die zeitlose Sehnsucht nach der Verwirklichung der Lebensträume und Romantik, im 19. Jahrhundert wie auch im Umbruch der Siebziger Jahre.

Charaktere

Der sympathische Hauptprotagonist weiß nicht, was er will, nur eines weiß er genau, er will auf keinen Fall als „& Sohn“ in das väterliche erfolgreiche Sanitärunternehmen Johann Müller eintreten. Er ist offen für Abenteuer, fasst seine Gefühle in Texte und Melodien und genießt das freie Leben als Musikus.

Handlung und Schreibstil

Die Hauptfigur, von den Menschen, denen er begegnet, Musikus genannt, schildert die Geschichte seiner Reise als Ich-Erzähler. Er lässt uns poetisch an seinen Gedanken, Gefühlen und Träumen teilhaben und ergänzt seine mit Witz geschilderten Erlebnisse und Abenteuer durch lebhafte Beschreibungen der Menschen, die ihm begegnen. Musik als Ausdruck seiner Lebenseinstellung zieht sich durch den Text, vermischt sich mit den genussvollen Eindrücken des italienischen Dolce Vita in der sonnigen Wärme der Toskana und in der lebhaften Metropole Rom.

Fazit

Eine in die Siebzigerjahre versetzte, moderne, wunderbar leicht, poetisch und mit einem humorvollen Augenzwinkern erzählte Version der bekannten Novelle von Joseph von Eichendorff. Perfekt für angenehme Lesestunden, die uns sofort in die Aufbruchstimmung dieser Zeit und in das unvergleichliche Gefühl italienischer Lebensart versetzen. Umgeben von Musik und Songtexten, nickt im Hintergrund die Blaue Blume der Romantik begeistert im Takt.

GRM: Brainfuck – Sibylle Berg

AutorSibylle Berg
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 11. April 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten640
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462051438

„Sie wussten, dass sie als Kinder keine Menschenrechte hatten. Wussten, dass auch Erwachsene keine Menschenrechte hatten und dass die Idee, sich wie ein Haustier einen Chip unter die Haut schieben zu lassen, befremdlich war.“ (Zitat Seite 239)

Inhalt

Sie sind noch Kinder, Don, Peter, Hannah und Karen. In Rochdale haben sie einander gefunden, da sie eines gemeinsam haben, in einem Großbritannien einer nahen Zukunft, wo die Gesellschaft weit auseinanderklafft, sind sie sogar auf der Seite der Sozialfälle Außenseiter, alleine und auf sich gestellt. Ihre Musik ist Grime, harte Beats, wütend, wie ihr Leben, das sie täglich neu erfinden müssen. Die vier sind jetzt eine Gruppe und gleichzeitig die einzige Familie, die sie noch haben. Sie gehen nach London, in der Hoffnung auf eine Zukunft. Doch Überwachungschip und Grundeinkommen gibt es nicht für Kinder, die nirgendwo registriert sind. Als sie eine leere Fabrikhalle entdecken, haben sie ein Zuhause und eine Basis für ein Leben und Überleben außerhalb des Systems.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine kritische, schonungslose Offenlegung unserer Zeit. Es geht um AI, Scheinwelten, Gier in allen Facetten, um Menschenwürde, die nicht nur am Einkommen gemessen wird. Gesellschaftskritik zum Nachdenken, die nicht als Dystopie verstanden werden will.

Charaktere

Die vier Hauptfiguren sind dem Alter nach Kinder, konnten jedoch nie wirklich Kind sein. Sie beobachten und versuchen, die Welt, die sie umgibt, zu verstehen und darin irgendwie einen Platz zu finden. Wir folgen ihrem Weg vom Kind zum Jugendlichen, zum Erwachsenen. Ergänzt werden sie durch Figuren, die jeweils klassentypisch für Gesellschaftsschichten unserer Zeit sind. Erklärt wird jeder einzelne neue Charakter durch aufgelistete Informationen, Daten, im omnipräsenten Überwachungssystem gesammelt.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman führt das auktoriale Erzählen in eine moderne, neue Form des Schreibens, lässt uns jede der Figuren in immer wieder neuen Facetten und Situationen erleben. Die Handlung ist fortlaufend, mit erklärenden Rückblicken und Erinnerungen. Sie setzt sich aus vielen aneinandergereihten Momentaufnahmen und Ereignissen zusammen, zieht uns sofort mit in einem soghaften Lesefluss zwischen tiefer Beklemmung, Schock, Spannung und lautem Lachen, denn plötzlich landen wir in skurrilen, sehr witzigen und ironisch-bösen Szenen. Die Sprache umfasst alles zwischen stichwortartig-kurz, atemlos, intensiv und detailliert beschreibend und einfühlsam-poetisch. Erschienen im April 2019, erhält dieser Roman im Corona-Jahr 2020 eine zusätzliche Komponente von erschreckend aktueller Realität.

Fazit

Getarnt als Geschichte einer möglichen Zukunft, ist dieser vielschichtige, gesellschaftskritische, brisante Roman ein packender Aufruf, auch hinter die schönen Fassaden zu schauen und nachzudenken, welche Welt wir unseren Kindern wünschen.

Signora Sommer tanzt den Blues – Kirsten Wulf

AutorKirsten Wulf
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsdatum 10. Juni 2020
FormatKindle
Seiten384 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB07ZXRB3RK

„Blues ist nicht die choreografische Vorstellung vom Leben. Blues ist das Leben. Ehrlich und niemals perfekt.“ (Zitat Pos. 1127)

Inhalt

Im Sommer 1945 kamen mit den amerikanischen Soldaten der Swing, Jazz und Blues nach Rom. Die Musik verbindet Guenda und Lesley vom ersten Augenblick an, beide sind gerade Anfang zwanzig. Heute, viele Jahre später, verbindet die Musik, der Blues, drei völlig unterschiedliche Frauen. Laura Sommer, Anfang fünfzig, reist nach ihrer Scheidung nach Rom und trifft dort Fabio Belli, Professor für Kunstgeschichte. Doch der geplante Hochzeitstag wird zum Tag von Fabios Begräbnis. Damit scheint auch ihr eigenes Leben zu Ende. Die bunte, unangepasste Blues-Sängerin Fra ist gerade in ihre neue Wohnung eingezogen, als ein Wasserrohrbruch diese unter Wasser setzt. Es ist Fabios und nun Lauras große Wohnung, die genau darüber liegt und Fra zieht in eines der Gästezimmer. Die junge amerikanische Studentin Samantha Carter hatte bei Fra ein Zimmer gemietet, gut, das es bei Laura noch ein Gästezimmer gibt. Laura will nur eines, wieder alleine mit ihrer Trauer und ihren Erinnerungen an Fabio sein, ihre Ruhe haben. Doch Fra und Sam sehen das anders.

Thema und Genre

Im Mittelpunkt dieses Romans stehen starke Frauen, die eines gemeinsam haben: sie stehen, bewusst oder unbewusst, vor einem Neubeginn, einer Planänderung in ihrem Leben, vor neuen Möglichkeiten. Es geht um Verlust, Trauer, vor allem aber um Mut, Entscheidungen, sich auf etwas Neues einzulassen, um Freundschaft, und um die Kraft der Musik. Natürlich sind auch Beziehungen und die Liebe ein Thema.

Charaktere

Laura ist durch ihren Verlust völlig blockiert, sie scheint langsam aus ihrem eigenen Leben zu verschwinden. Die laute, unkonventionelle Fra ist ihr suspekt, erst langsam erkennt sie das große Einfühlungsvermögen dieser Frau und öffnet sich für Neues, vor allem für die Gefühle, die der Blues und das Tanzen in ihr auslösen. Sam ist Anfang zwanzig, spontan, für sie ist jeder Tag in Rom ein wunderbares Abenteuer, an dem sie die ganze Welt über Social Media teilhaben lassen will.

Handlung und Schreibstil

Der Roman spielt in Rom, in der Jetztzeit, doch ein zweiter Handlungsstrang führt als erzählte Erinnerung zurück in das Jahr 1945 und zu den Ereignissen, die damals in diesem Palazzo stattgefunden haben. Die Ereignisse bekommen ihre Intensität und Spannung durch die drei völlig unterschiedlichen Frauen und ihre Art, diese oft turbulente Zeit in Rom mit Leben zu füllen. Die Schilderungen des Alltagslebens auf der Straßen von Trastevere versetzen den Leser sofort nach Rom mit der lebhaften Italianità, den Gerüchen, der Stimmung. Ergänzt werden diese Eindrücke durch die intensive Musik, die durch alle Seiten klingt, die Sängerin Fra und die Musiker.

Fazit

Ein vielschichtiger Roman, ernst, humorvoll, ein Lesevergnügen für entspannte Stunden, in dessen positiver Stimmung der Blues mit einem glücklichen Lächeln mitschwingt.

Margos Töchter – Cora Stephan

AutorCora Stephan
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 7. Mai 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten400
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462052275

„Jeder Mensch hat eine Mutter. Jana Seliger hatte zwei. Eine war ihr nah, obwohl sie fern war, von der anderen wusste sie nur, dass sie von zweifelhaftem Charakter sein musste.“ (Zitat Pos. 32)

Inhalt

Jana Seliger ist erst dreizehn Jahre alt, als ihre Ziehmutter Leonore bei einem Autounfall stirbt. Leonore war erst zweiundvierzig Jahre alt und an den angeblichen Selbstmord kann Jana nicht glauben, bis heute nicht. Inzwischen ist Jana erwachsen und selbst Mutter von Zwillingen. Sie weiß inzwischen, dass sie zwei Mütter hat, Leonore und ihre leibliche Mutter, die sie als Kleinkind bei Leonores Eltern Margo und Henri zurückgelassen hat. Im Herbst 2011 wird ihr Antrag auf Einsicht in die Unterlagen des MfS nach neun Jahren überraschend bewilligt. Obwohl Max, ihr Ehemann, ihr rät, die Vergangenheit ruhen zu lassen, will sie endlich wissen, wer ihre wahren Eltern waren und warum ihre Mutter sie damals im Stich gelassen hat, auch wenn Leonore für sie immer die echte Mutter bleiben wird.

Thema und Genre

Dieser zeitgeschichtliche Familien- und Generationenroman beginnt mit Leonores Jugend in der Aufbruchsstimmung der sechziger Jahre und führt den Leser durch die Zeit des geteilten Deutschland und endet im Jahr 2012. Es geht um Republikflucht und um politische Überzeugungen auf beiden Seiten der Mauer, die auch nach dem Mauerfall fortbestehen. Es geht um Opfer, Familiengeheimnisse und um die Liebe.

Charaktere

Die Frauen der Familie Seliger, Margo, Leonore und Jana sind starke Frauen, doch die unangepasste Leonore, rebellisch und neugierig, prägt die Geschichte der Familie besonders. Auf einem Jugendlager in der DDR trifft sie die selbstbewusste Clara, von der sie sich verstanden fühlt. Längst erwachsen, stehen die beiden Frauen einander wieder gegenüber und Leonore trifft eine Entscheidung, die ihr Leben völlig verändert. Alle Romanfiguren bleiben stimmig und ihre Beweggründe sind nachvollziehbar.

Handlung und Schreibstil

Die Autorin beschreibt die Zeit eindrücklich, in lebendigen Farben, und macht so das Buch zu einer auch zeitgeschichtlich interessanten, spannenden Lektüre, sei es, weil man diese Zeit selbst erlebt hat, aber sicher auch für jüngere Lesergruppen, die hier in Romanform einen vielschichtigen Einblick in das Leben einzelner Menschen in diesen prägenden Jahren erhalten.

Die Handlung wird in mehreren Erzählsträngen abwechselnd erzählt. In Teil I stehen abwechselnd Jana in der Jetztzeit im Mittelpunkt und Leonore in den Jahren 1964 bis 1991, in Teil II wird Claras Geschichte erzählt und Teil III verbindet alle Schicksale. Rückblenden ergänzen die Geschehnisse und bieten auch einige Überraschungen. Ein Personenverzeichnis am Ende des Buches erleichtert den Überblick. Die Sprache schildert einfühlsam und intensiv.

Fazit

Ein zeitgeschichtlicher Generationenroman, ein fesselndes, lebendiges Bild der prägenden Jahre des Aufbruchs, aber auch des Spannungsfeldes zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland. Die vielschichtige, spannende Familiengeschichte mit starken, beeindruckenden Charakteren garantiert Lesevergnügen, das nachhallt.

Nerds retten die Welt: Gespräche mit denen, die es wissen – Sibylle Berg

AutorSibylle Berg
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 5. März 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462054606

„Wissenschaft funktioniert nur im Team, je diverser, desto besser.“ (Zitat Pos. 1058)

Thema und Inhalt

Dieses Sachbuch ist eine Sammlung von Interviews mit sechzehn Wissenschaftler*innen und Forscher*innen in unterschiedlichen Bereichen. Diese Gespräche entstanden während die Autorin an ihrem Roman „GRM“ arbeitete und wurden zunächst in ihrer Kolumne im Magazin „Republik“ veröffentlicht.

Umsetzung

Alle Interviews beginnen mit der Frage, ob sich der/die Interviewte heute schon um den Zustand der Welt gesorgt habe, was im Moment am meisten irritiert und Ideen, was man dagegen unternehmen kann, dann soll die eigene Tätigkeit und Forschungsschwerpunkte in drei Sätzen beschrieben werden. Nun folgt der eigentliche, fachbezogene Teil. Alle Gespräche enden mit der Frage nach einem positiven Schlussstatement.

Valerie M. Hudson, Prof., Politikwissenschaftlerin

 „Unsere Kinder werden frei geboren; wenn wir ihnen beibringen, ohne das Elend und das Leid zu leben, das durch die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verursacht wird, können sie frei bleiben.“ (Zitat Pos. 237)

Wilhelm Heitmeyer, Soziologe, Erziehungswissenschaftler

„Gewalt ist immer eine Machtdemonstration, die wiederum Anerkennung schafft in der jeweiligen Bezugsgruppe, etwa von Jugendlichen.“ (Zitat Pos. 481)

Robert Riener, Dr., Professor für Sensomotorische Systeme

„Jede – alte und neue – Technologie hat immer zwei Seiten. Sie kann uns nützen, oder sie kann so missbraucht werden, dass sie uns schadet.“ (Zitat Pos. 722)

Elizabeth Anne Montgomery, Dr., Professorin für Pathologie und Onkologie

„Die KI kann heute kaum die anatomische Herkunft einer Probe erkennen. Aber irgendwann könnte sie eine große Rolle spielen, indem sie jene Analysedaten bewältigt, die repetitiv und für einen Menschen nicht besonders interessant sind.“ (Zitat Pos. 878)

Lorenz Adlung, Dr., Systemtheoretiker und Systembiologe

„Wissenschaft funktioniert nur im Team, je diverser, desto besser.“ (Zitat Pos. 1058)

Iddo Magen, Dr., Neurobiologe

„Wenn es etwas gibt, das mich als Wissenschaftler beunruhigt, dann, dass die Menschen an Fake News, an erfundene Nachrichten, glauben und dass sie nicht an den Aussagen ihrer Führer zweifeln oder deren Aussagen überprüfen.“ (Zitat Pos. 1125)

Dirk Helbing, Physiker, Soziologe, Professor für Computational Social Science

“Wenn man die beste Einzellösung mit anderen Lösungen kombiniert, dann entsteht oft eine noch bessere Lösung. Das ist das Geheimnis der kollektiven Intelligenz. (Zitat Pos. 1507)

Abraham (Avi) Loeb, Dr., Professor für Astrophysik

„Die Quantenmechanik besagt, dass eine Information nicht verschwinden kann, Hawkings Berechnungen hingegen haben gezeigt, dass sie es tut. Dieses Informatonsparadoxon ist eines der ungelösten Probleme der modernen Physik.“ (Zitat Pos. 1563)

Odile Fillod, Ingenieurin, Kognitionswissenschaftlerin, Wissenschaftssoziologin

„Es geschieht insbesondere im Namen eines bestimmten (essenzialistischen) Feminismus, dass fragwürdige Forschung über die Unterschiede zwischen Frauen und Männern reproduziert und falsch ausgewertet wird.“ (Zitat Pos. 1866)

Hedwig Richter, Historikerin, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte

„Der Brexit war nicht Demokratie in Reinform, sondern ein demokratisches Missverständnis.“ (Zitat Pos. 2022)

Carl Safina, Meeresökologe, Dr., Professor, unterrichtet Wissenschaftskommunikation

„Wir begreifen, dass wir in der Lage sind, globale Probleme zu schaffen, aber nicht, dass wir sie dringend lösen müssen.“ (Zitat Pos. 2446)

Rolf Pohl, Soziologe, Sozialpsychologe, Männlichkeitsforscher

„Das Männliche ist weiterhin eine in der Kultur und bis ins Unterbewusste der Einzelnen tief verankerte Norm. Es gilt dem Weiblichen als überlegen und bestimmt die bei Männern und Frauen gängigen Einstellungsweisen und Wahrnehmungsmuster.“ (Zitat Pos. 2800)

Jens Foell, Dr., Neuropsychologe, Schwerpunkt Psychopathologie

„Das Smartphone, oder genauer gesagt, die Möglichkeit, ständig auf alles Wissen der Menschheit zugreifen zu können, ist eine nie da gewesene Herausforderung für unser Gehirn und unsere Gesellschaft.“ (Zitat Pos. 2855)

Jutta Weber, Dr., Technikforscherin, Philosophin, Professorin für Mediensoziologie

„Es gibt keine wertfreie Technik. Denn Technik greift in Wahrnehmung, Kommunikation, Sozialität – also in die Formen und Weises unseres Zusammenlebens – ein. (Zitat Pos. 3043)

Lynn Hersham Leeson, Künstlerin, Regisseurin, interaktive Medienkünstlerin

„Und das könnte der Schrecken der Unsterblichkeit sein: dass, um unsterblich zu werden, unsere DNA, das perfekte Archiv, bis zur Unkenntlichkeit mutieren wird.“ (Zitat Pos. 3391)

Emilia Zenzile Roig, Politologin

„Wichtig ist auch, Schuld und Verantwortung nicht zu verwechseln. Auch wenn wir in Bezug auf die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht schuldig sind, können wir trotzdem Verantwortung übernehmen.“ (Zitat Pos. 3651)

Fazit

Dieses Sachbuch bietet ein breites Spektrum an unterschiedlichen Informationen, die auch für interessierte Leser*innen ohne Fachwissen verständlich erklärt werden.  Es geht um ein besserer Verständnis unserer Welt, die sehr komplex geworden ist und um mögliche Wege in eine positive Zukunft. Zeitlos, aber in diesen Wochen von brisanter Aktualität.  

Sechs Koffer – Maxim Biller

AutorMaxim Biller
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 8. August 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462050868

„Wäre ich geblieben, wäre ich geflohen, hätte ich selbst meine engsten Freunde und Verwandten verraten, wenn die Kommunisten mich erwischt hätten?“ (Zitat Seite 90)

Inhalt

Der Großvater der Familie wird 1960 auf dem Flughafen von Moskau verhaftet und wegen seiner verbotenen Devisengeschäfte hingerichtet. Kurz danach war einer seiner Söhne, Dima, ebenfalls verhaftet worden, weil er, in Prag lebend, nach Westberlin flüchten wollte. Seither stellt sich in der Familie durch die Jahre und Generationen die Frage, ob es da einen Zusammenhang gibt, war es Dima, der damals den Großvater verraten hatte?

Thema und Genre

Der Autor erzählt einen biografischen Generationenroman, eingebettet in eine Zeit der Geheimdienste, der Vertreibungen – eine Flucht quer durch Europa und darüber hinaus. Kernpunkt ist die Familie und ein Verdacht, der ihre Mitglieder entzweit. Es geht auch um die zeitlose Frage, wie man selbst sich verhalten hätte, unter extremem Druck und Lebensgefahr.

Handlung und Schreibstil

Jemand hat den Großvater verraten, was diesen das Leben gekostet hat und der Verdacht und die Suche nach der Wahrheit zieht sich über die Generationen. Der Zeitablauf ist chronologisch, in Einzelkapitel und Einzelgeschichten gegliedert. Die Personen im Mittelpunkt wechseln, wie auch die Erzählform vom Ich zur personalen Erzählperspektive dort, wo der Ich-Erzähler eine vergangene Geschichte selbst nur kennt, weil sie ihm erzählt wurde. Die Frage nach dem Verräter aus dem Kreis der Familie baut den Spannungsbogen auf und bringt Elemente eines Kriminalromans in dieses Buch.

Fazit

Das Schicksal einer russisch-jüdischen Familie, Verrat, Flucht, Ankommen und die Frage nach einem Verrat. Erzählt auf verhältnismäßig wenigen Seiten, aber so lebendig und packend, dass die Geschichte den Leser sofort in ihren Bann zieht.