Ypsilons Rache – Lou Bihl

AutorLou Bihl
Verlag Unken-Verlag
Erscheinungsdatum 28. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten289
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3949286001

„Ein Wesen, das mein Reisemotto „Werde, der du bist“ für sich selbst wörtlich genommen hatte und die Frau geworden war, die ich in meinen Träumen gerne wäre, nur dass mir der Mut zur Entscheidung fehlte und die Leidensbereitschaft, sie umzusetzen.“ (Zitat Seite 203, 204)

Inhalt

Professor Dr. Kristian Starck, ein erfolgreicher Pathologe, geschieden, zwei Töchter, eine Enkelin, ist fünfundfünfzig Jahre alt, als er beschließt, ein Jahr Auszeit zu nehmen. Er arbeitet an einem Buch, doch vor allem plant er sein Coming-out, er will endlich sich selbst finden und entscheiden, ob er die weiteren Lebensjahre als Kris oder Kristina verbringen will. Doch die Routineuntersuchung vor seinem Aufbruch ändert alles, denn die Diagnose Prostatakrebs erfordert ein rasches Handeln. Er braucht Zeit zum Nachdenken, verschiebt die endgültige Entscheidung, welche Therapieform er wählt, um drei Monate und geht nun mit drei Themen auf seine Reise durch Deutschland, sein Buch, der Krebs und sein Coming-Out. In Stuttgart nimmt er an einem Klassentreffen teil und trifft  seinen Bruder, in Heidelberg einen langjährigen Freund, in Hamburg besucht er auch diesmal nicht nur seine Mutter, sondern auch Conchita, die Männer mag und Frauen liebt, und mit der er regelmäßig als Kristina durch die Lokale zieht. Durch Conchita lernt er Chloé kennen, erfolgreiche Inhaberin einer Consulting-Agentur und Trans*frau. Nun hat er ein viertes Thema, die Liebe.

Thema und Genre

Themen dieses Romans sind Transidentität und Diversität in allen Facetten, und mögliche Antworten auf die Frage, wer man ist und wer man sein möchte. Es geht auch darum, wie wir mit der Diagnose Krebs umgehen, um alle Schattierungen der menschlichen Psyche, um Verlust, um Freundschaft und die Liebe.

Charaktere

Es sind sympathische, liebenswerte Charaktere, die wir in dieser Geschichte kennenlernen. Kristian, manchmal Kristina, der versucht, seinen Weg durch diesen Wirbel an Fragen, Problemen, Gefühlen zu finden, meistens mit Humor und etwas Selbstironie, manchmal auch Selbstmitleid, aber immer authentisch. Alex, Conchita, Chloé sind selbstbewusste, empathische Frauen und jede ist auf ihre Art eine Bereicherung für Kris, gerade in diesen turbulenten, gefühlsintensiven Wochen.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in der aktuellen Zeit und in einem begrenzten Zeitrahmen. Erzählt wird sie von Kris selbst als Ich-Erzähler. Überraschende Wendungen werden zu prägenden Ereignissen, Rückblicke durch Erinnerungen und Gespräche ergänzen und verdichten. Die Ausgangsposition ist die ungewöhnliche, aber durchaus realistische Fragestellung, wie ein Mann mit der Diagnose Prostatakrebs umgeht, wenn er gleichzeitig gerade auf der Suche nach seinem persönlichen Platz im weiten Spektrum der Gender-Palette ist. Denn besagte Prostata befindet sich möglicherweise im falschen Körper, den sich Kris und Kristina bisher teilen. Die Sprache erzählt einfühlsam und nachdrücklich, lebensnah und mit leisem Humor.

Fazit

Ein komplexes, interessantes Thema und eine packende, vielschichtige Geschichte mit starken psychologischen Momenten und Fragestellungen, die uns Lesende auf eine turbulente, intensive Reise mitnimmt.

Adas Raum – Sharon Dodua Otoo

AutorSharon Dodua Otoo
Verlag S. FISCHER
Erscheinungsdatum 24. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten320
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3103973150

„Die neuen Grenzen wirkten fließend, mehrdeutig, und als sie nicht mehr zu gebrauchen waren, verpufften sie. Sie wurden gegen andere Grenzen ausgetauscht.“ (Zitat Position 1701)

Inhalt

Ada ist verzweifelt, als ihr Kind im März 1459 kurz nach der Geburt stirbt. Das besondere Perlenarmband, das sie ihrem toten Sohn mitgeben will, macht sich auf eine eigene Reise durch die Jahrhunderte. Es kommt zur Wissenschaftlerin Ada Lovelace, die im März 1848 mit ihrem besonderen Freund Charles Dickens mathematische Formeln diskutiert, während ihr Gatte in Paris weilt. Im besonderen Block 37 im KZ Mittelbau-Dora ist Ada im März 1945 so oft im selben Zimmer, dass es den Namen „Adas Raum“ trägt und in genau diesem Zimmer liegt das Perlenarmband plötzlich auf dem Boden. Ada, Augusta Adaune Lamtey, ist dreiundzwanzig Jahre alt, als sie 2019 aus Ghana nach Berlin kommt, um hier zu studieren. Sie wohnt bei ihrer jüngeren Halbschwester, ist aber auf Wohnungssuche, freut sich auf ihr Baby. In einem Ausstellungskatalog entdeckt sie das Foto eines ungewöhnlichen Armbandes, dreiunddreißig Perlen, Fünfzehntes Jahrhundert, Westafrika, und damit schließt sich das Netz aus Schicksalsschleifen.

Thema und Genre

Der Roman handelt von Frauen, Frauen als Mütter, Freundinnen und Schwestern, auch im übertragenen Sinn. Themen sind Gewalt, Unterdrückung, Diskriminierung, aber auch Stärke, Zusammenhalt und die Suche nach Unabhängigkeit.

Charaktere

Ada, das ist die Summe aus vier Adas in vier unterschiedlichen Epochen, sie steht für die Summe von möglichen Frauenleben im Lauf der Geschichte. Die Übergänge erfolgen rasch, manchmal innerhalb eines Satzes, und so erfahren wir durch das jeweilige Umfeld  und die Situation zwar mehr über die entsprechende Ada, gleichzeitig bleibt sie dadurch als Figur auf Distanz.

Handlung und Schreibstil

Die vier Geschichten, in deren Mittelpunkt jeweils eine Ada steht, spielen in unterschiedlichen Jahrhunderten, wobei die Grenzen fließend sind. Die Autorin selbst spricht von Schleifen und ähnlich verknüpfen sich einzelne Situationen, um sich dann, oft mitten im Satz, wieder zu lösen und in die nächste Episode  in einem anderen Jahrhundert zu gleiten. Nur das etwas wirre und sehr konstruierte Ende überzeugt mich nicht, Schleifen sind luftig und in Bewegung, wenn man sie bewusst verknüpft, verlieren sie die Leichtigkeit. Die Grundzüge des Settings bleiben in allen vier Geschichten ähnlich, Hausnummern, wie Personen, familiäre Beziehungen und Namen. Lässt die Autorin zunächst jede Ada in der Ich-Form erzählen, wechselt sie rasch zu einem zeitlosen, geistigen Erzähl-Ich, das zu einzelnen Gegenständen wird und so die Ereignisse als Kehrbesen, Türklopfer oder Reisepass schildert, versucht, das Geschehen zu lenken und allwissend kommentiert. Dieses im philosophischen Sinn übergeordnete geistige Ich hat durchaus auch Humor, was zu skurrilen Dialogen führt. Die klare, gerade Sprache des Romans schildert und kann alles zwischen sehr kurzen und eindrucksvoll langen Sätzen, auch Metaphern werden bewusst eingesetzt.

Fazit

Ein Roman mit zeitlos aktuellen, politischen und sozialkritischen Themen, geschrieben in einer klaren, geraden Sprache. Unterschiedliche interessante Erzählformen schildern ein ebenso vielschichtiges Bild von Frauenschicksalen. Doch dieses deutlich ambitionierte Bemühen im Sinne der Kriterien der zeitgenössischen Literaturwissenschaften wird für mich teilweise zu offensichtlich und der Roman dadurch zu konstruiert – diese Perfektion ist zu gewollt, es fehlt die Seele.

Nächstes Jahr in Berlin – Astrid Seeberger

AutorAstrid Seeberger
Verlag Urachhaus
Erscheinungsdatum 10. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten252
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinGisela Kosubek
ISBN-13978-3825152611

„Großvater wusste, was ich wollte, er wusste es, bevor ich es selber wusste. Schreiben war mein Leben.“ (Zitat Pos. 2471)

Inhalt

Nach dem Erscheinen ihres Buches „Goodbye Bukarest“ in Deutschland, meldet sich der Priester Alois, ein alter, enger Freund ihres Vaters, über den Verlag bei der Ich-Erzählerin, um ihr etwas über ihre Mutter zu erzählen. Fünf Jahre sind seit dem Tod ihrer Mutter vergangen und nun schreibt die Tochter die Geschichten über die Familie nieder, die ihre Mutter ihr erzählt hatte. Gleichzeitig denkt sie über die Zeit kurz vor und nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2007 nach, über ihre eigenen Erinnerungen an die Eltern und die Großeltern und verbindet diese mit ihrem aktuellen Leben, die Zeit des Schreibens zwischen Dezember 2012 und Dezember 2013.

Thema und Genre

Dieser autobiografische Roman ist eher ein Erzählband, mit einer Familiengeschichte durch bewegte Jahre einer glücklichen Zeit in Ostpreußen, Vertreibung, Flucht, Krieg, das geteilte Deutschland und einer problematischen Mutter-Tochter-Beziehung als Verbindung  der einzelnen Fragmente aus Geschichten und Erinnerungen.

Charaktere

Durch den dichten, autobiografischen Hintergrund dieses Romans sind die handelnden Personen sehr realistisch und präzise beschrieben, ihr Verhalten im Rahmen der Ereignisse verständlich und nachvollziehbar. Andererseits bleiben sie gerade wegen dieser Realität auf Distanz zum Leser.

Handlung und Schreibstil

Es ist ein Roman in Fragmenten. Im ersten, sehr beklemmenden Teil wechseln die Erinnerungen an die Tage vor und nach dem Tod der Mutter im Jahr 2007 mit dem aktuellen Jahr zwischen Dezember 2012 und Dezember 2013, in welchem die Tochter als Ich-Erzählerin in ihrem Haus auf einer Insel in einem See in Schweden an dem Buch über ihre Mutter schreibt. Den zweiten Teil bilden viele einzelne Erzählungen, nicht immer chronologisch, die in vier großen Kapiteln mit je einem übergeordneten Thema zusammengefasst sind. Es sind die Familiengeschichten, die ihre Mutter ihr erzählt hat, beginnend mit der Kindheit und Jugend der Mutter in Ostpreußen. Daran schließen die eigenen Kindheitserinnerungen der Tochter an. Das letzte dieser vier Kapitel hat jene der Ich-Erzählerin bisher unbekannte Geschichte über ein Ereignis aus dem Leben der Mutter zum Inhalt, die ihr der alte Freund ihres Vaters erzählt, und die den Übergang bildet zum nachfolgenden Roman „Goodbye Bukarest“, der aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen in deutscher Übersetzung jedoch als erstes Buch erschienen ist.

Fazit

Ein stark autobiografischer Roman, der sich aus vielen unterschiedlichen Geschichten aus dem Leben von insgesamt drei Generationen der Familie der Ich-Erzählerin zusammensetzt. Es sind beklemmende Ereignisse, aber auch glückliche Kindheitserinnerungen, insgesamt eine sehr persönliche Aufarbeitung der schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung, geschrieben in einer poetischen, dichten Sprache. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt, mich aber etwas ratlos zurücklässt. „Ich weiß es nicht. Er ist so schwer, alles in Einklang zu bringen.“ Dies schreibt die Ich-Erzählerin (Zitat Pos. 3164) und so geht es auch mir mit diesem Buch.

Seeland Schneeland – Mirko Bonné

AutorMirko Bonné
Verlag Schöffling & Co.
Erscheinungsdatum 2. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
UmschlagbildJochen Hein
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3895614101

„Je weiter weg man von den wirklich guten Leuten und den wahrhaft schönen Dingen ist, umso mehr soll man glauben, dass es sie gibt.“ (Zitat Seite 128)

Inhalt

Merce Blackboro war siebzehn Jahren alt, als er 1914 mit der bekannten Shackleton-Expedition auf der Endurance in die Antarktis aufbrach. Diese Erfahrungen haben Merce verändert. 1921, vierundzwanzig Jahre alt, fühlt er sich immer noch antriebslos, was fehlt ihm? Er ist unglücklich verliebt, doch kann dies der einzige Grund für seinen Zustand sein? Für ihn ist Ennid Muldoon die Frau seines Lebens. Diese jedoch trauert um ihren im Kampfeinsatz als Pilot gefallenen Verlobten und es hält sie nichts mehr in Newport. Auf dem Dampfer „Orion“ ist Ennid, zusammen mit vielen anderen Passagieren, einige davon sehr reich, die meisten jedoch arme Auswanderer, unterwegs in ein neues Leben in Amerika. Doch noch ist sie nicht in New York angekommen, denn nach heftigen Schneestürmen treibt der Dampfer manövrierunfähig vor der Küste Schottlands. Sofort bricht Merce zu Ennids Rettung auf, doch wird er sie finden?

Thema und Genre

Dieser Roman schreibt das Leben von Merce Blackboro aus „Der eiskalte Himmel“, in den Jahren nach seiner Rückkehr von der Endurance-Expedition weiter. Wieder steht ein Schiff im Mittelpunkt, diesmal ein alter Dampfer, Schnee, Eis und die wilde See, vor allem jedoch geht es um die Sehnsüchte, Träume und Wünsche, der reichsten Passagiere ebenso wie der ärmsten Auswanderer. Ein wichtiges Thema sind Familie, Freundschaft und die Kraft der Liebe in ihren unterschiedlichen Facetten.

Charaktere

Es sind seine Figuren, deren Beweggründe, Träume, Handlungen der Autor präzise beobachtet und uns an ihren Gedanken teilhaben lässt, die uns sofort in ihren Bann ziehen. Vom Beginn der Geschichte an werden sie einfühlsam geschildert und sind uns sofort vertraut. Zunächst noch auf der Suche, verändern die Ereignisse sie alle nachhaltig, Merce Blackboro, Ennid Muldoon, Diver Robey und die zwanzig Jahre jüngere Kristina Merriweather, Divers Assistenten und Vertrauten Bryn Meeks und den leisen, mutigen Steward Jirō Shimimura.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung spielt im Jahr 1921 und wird durch einige kurze, erklärende Rückblenden in Form von Erinnerungen ergänzt. Die einzelnen Kapitel wechseln zwischen den Ereignissen an Land und auf See und stellen in ihrer personalen Erzählform abwechselnd jeweils einen der einzelnen Hauptcharaktere in den Mittelpunkt. Geschrieben in einer eindrücklichen, poetischen und lebhaft schildernden Sprache, fasziniert diese Geschichte von der ersten bis zur letzten Seite.

Fazit

Ein poetischer, intensiver Roman über Abenteuer, Träume, Sehnsüchte, die Suche nach dem Platz im eigenen Leben und über die Liebe. Wir bangen und hoffen mit den uns sofort vertrauten Figuren, während die lebhaften, eindrücklichen Schilderungen uns Bilder von Eis, Schnee, der wilden Natur, vom Leben in Newport „wir nennen unsere Stadt Casnewydd“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber auch von den Tagen und Nächten in den engen Kojen der Auswandererschiffe in die Gedanken malen. Ein großartiges Leseerlebnis!

Das Flüstern der Bienen – Sofia Segovia

AutorSofia Segovia
Verlag List Hardcover
Erscheinungsdatum 1. März 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten480
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3471360354

„Wenn er gekonnt hätte, hätte er ihnen von der Musik erzählt, die ihm die Bienen in sein lauschendes Ohr sangen: über die Blumen in den Bergen, Begegnungen in der Ferne und Freundinnen, die den weiten Weg nach Hause nicht geschafft hatten, über die Sonne, die heute vom Himmel strahlte, aber morgen hinter Gewitterwolken verschwinden würde.“ (Zitat Pos. 775)

Inhalt

Im Oktober 1910 findet die alte Nana Reja ein Baby. Ausgesetzt, um zu sterben, doch eingehüllt in einen Bienenschwarm, hat der kleine Simonopio überlebt. Die vermögenden Plantagenbesitzer Francisco und Beatriz Morales nehmen ihn als Patensohn an und er wächst auf ihrer Hazienda La Amistand auf, zusammen mit seinen Bienen, von denen er den Kreislauf der Natur lernt. Als im April 1923 Beatriz, schon neununddreißig Jahre alt, nochmals Mutter wird, kümmert sich Simonopio wie ein Bruder um den kleinen Francisco. Alle halten Simonopio auf Grund eines Geburtsfehlers, eine Oberlippenspalte, für beinahe stumm, doch Francisco lernt seine Sprache und er liebt die vielen Geschichten, die ihm Simonopio erzählt – nur eine nicht, die vom Kojoten, denn er spürt, dass diese Geschichte auch Simonopio Angst macht.

Thema und Genre

Dieser Familien- und Generationenroman spielt in Mexiko, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Den Hintergrund bildet die wechselvolle Geschichte Mexikos in dieser Zeit, Krieg, Revolutionen, politische Umstürze und die Spanische Grippe, doch im Vordergrund stehen die Menschen, die auf der Hazienda La Amistand nahe der Stadt Linares leben.

Charaktere

Simonopio ist ein besonderer Junge, er hat eine enge, magische Bindung zu seinen Bienen, scheint in Gedanken mit ihnen zu reden. Ungebunden lebt er den Jahreslauf mit der Natur und mit seinen Bienen. Sein Wissen setzt er zum Wohle der Hazienda ein, denn früh erkennt man seine besondere Gabe und hört auf ihn. Der kleine Francisco ist ein ungestümer Wildfang, doch seinem Bruder Simonopio hört er zu und bei ihm kommt er zur Ruhe. Beatriz Cortés de Morales ist, obwohl ihrer Erziehung und den gesellschaftlichen Konventionen der mexikanischen Oberschicht verpflichtet, eine starke, selbstbewusste Frau, bereit, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird von Francisco erzählt, der inzwischen längst ein alter Mann ist. Dies erfolgt, mit einigen Vorgriffen und Rückblicken, chronologisch. Dort, wo es Francisco selbst betrifft, in der Ich-Form, die anderen Teile als personaler Erzähler. Seit vielen Jahren lebt er schon in Monterrey, doch ein Mal will er noch zurück nach Linares, das Haus seiner Kindheit sehen und während der Fahrt schildert er dem Taxifahrer die Geschichte seiner Familie und die damaligen Ereignisse. Geschrieben in einer eindrücklichen, poetischen Sprache, geht die Autorin einfühlsam mit ihren Figuren um, gibt ihnen Freiraum, sich zu entwickeln und vertieft die Handlung mit einer Art positiver Magie. Damit gewinnt sie von den ersten Seiten an die Aufmerksamkeit der Lesenden und die vielen Hinweise und Andeutungen auf kommende Ereignisse, die in der Mitte des Buches auf beinahe jeder Seite auftauchen und wohl den Spannungsbogen steigern sollen, sind in meinen Augen unnötig. Es sind die eindrücklichen Hauptfiguren, welche die Geschichte tragen und denen man auch ohne diese Stilmittel gespannt und neugierig folgt.

Fazit

Eine faszinierende Geschichte, poetisch, einfühlsam und mit einem Hauch Magie erzählt.

Geheimakte Cíbola – André Milewski

AutorAndré Milewski
Verlag epubli
Erscheinungsdatum 28. November 2018
FormatTaschenbuch
Seiten340
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3746785356

„Zum ersten Mal, von den Lippen dieses unbekannten Indianers, hörten die Spanier den Namen, der von nun an auf ewig mit den Sieben Städten verbunden sein sollte – Cíbola.“ (Zitat Pos. 574)

Inhalt

Die Archäologen Max Falkenburg und Joe Carter müssen das Büro ihres vor sechs Wochen verstorbenen Freundes und Kollegen räumen. Zu ihrer Überraschung finden sie in einer versteckten Mappe alte Unterlagen über die Legende von Cíbola und die Sieben Goldenen Städte. Ihr Freund hatte der Spur alleine folgen wollen, diesmal sollte sein Name mit einer sagenhaften Entdeckung verbunden sein. Obwohl Professor Crichton die Berichte über Cíbola als reine Legende und Mythos abtut, ist Falkenburg entschlossen, den Spuren dieser Unterlagen zu folgen, um den Traum ihres toten Freundes in dessen Namen noch zu erfüllen.

Thema und Genre

In diesem archäologischen Abenteuerroman geht es um spanische Berichte aus dem 16. Jahrhundert, in denen ursprünglich von Dörfern der Pueblo-Indianer die Rede war, aus denen das Mythos von Sieben Städten aus Gold entstand.

Charaktere

Max Falkenburg fühlt sich dem Andenken an seinen verstorbenen Kollegen und Freund verpflichtet und ist fest entschlossen, Cíbola in dessen Andenken zu suchen und zu finden, obwohl niemand an den Mythos glaubt. Trotz der Skepsis begleiten ihn seine Freunde und Professor Crichton auf diesem Abenteuer.

Handlung und Schreibstil

Die aktuelle Handlung spielt im Oktober 1961 und wird unterbrochen durch Rückblicke auf die Recherchen des verstorbenen Kollegen, drei Monate zuvor. Bereits durch dessen Besuch in der Biblioteca Colombina in Sevilla wurden gierige Schatzjäger aufmerksam. Doch auch der neue Kollege in Boston, Experte für Amerikanische Geschichte, erkennt die Zusammenhänge und bietet seine Zusammenarbeit an. Doch Falkenburg lehnt ab und es beginnt ein Wettlauf gegen skrupellose spanische Schatzjäger, Kleinganoven vor Ort in Sierra Vista, Arizona, die ebenfalls vom unermesslichen Reichtum träumen und den Kollegen, der beides für sich allein will, das Gold und den mit der Entdeckung verbundenen Ruhm. Die spannende, actionreiche Geschichte erhält durch die unterschiedlichen handelnden Personen und ihre verschiedenen Beweggründe eine zusätzliche psychologische Komponente und Tiefe. Dieser Abenteuerroman ist Teil der Geheimakte-Serie, die Handlung ist jedoch in sich abgeschlossen und kann auch unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.

Fazit

Eine packende Geschichte mit archäologischem Hintergrund, eine interessante Mischung aus spannenden, abwechslungsreichen Actionszenen in einer gekonnt aufgebauten fiktiven Handlung in Verbindung mit geschichtlichen Fakten.

Geheimakte Uxmal – André Milewski

AutorAndré Milewski
Verlag epubli
Erscheinungsdatum 18. Dezember 2017
FormatTaschenbuch
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3745071207

„Es war, als ob wir durch den Dorfältesten die Verantwortung übertragen bekommen haben. Dafür, darüber zu wachen, dass niemals jemand dieses alte Maya-Geheimnis lüftet.“ (Zitat Seite 59)

Inhalt

Anlässlich der feierlichen Verleihung der Ehrenbürgerwürde an seinen langjährigen Mentor und Freund Professor Crichton wird der Archäologe Max Falkenburg von dem Millionär Juan Barrales angesprochen. Dieser stellt gerade eine Expedition zusammen, es geht um Uxmal und ein altes Maya-Geheimnis. Falkenburg lehnt ab, obwohl auch Dr. Jody Wellesley, seine ehemalige Freundin, Mitglied dieser internationalen Forschergruppe ist. Vor vielen Jahren hatten Professor Crichton und Dekan Harris ein Jadestück mit Hinweisen auf ein Artefakt mit geheimnisvollen Kräften gefunden. Die eine Hälfte dieses Jadestückes wurde dem Museum von Barcelona übergeben, die andere Hälfte hat inzwischen ein Kunstsammler aus Florida erworben. Max Falkenburg und seine Freunde Joe und Patrick, ebenfalls Archäologen, sollen beide Teile so rasch als möglich zurück nach Boston bringen. Doch sie kommen zu spät …

Thema und Genre

In diesem archäologischen Abenteuerroman geht es um Uxmal, die einst kulturell wichtige Stadt der Maya auf der Halbinsel Yucatán in Mexiko, heute UNESCO-Welterbe, und ein dort verborgenes Artefakt.

Charaktere

Jody hat sich von Max Falkenburg getrennt und nimmt in England das Angebot im Team des Kunstmäzens Juan Barrales an. Trotz seiner privaten Probleme zögert Falkenburg nicht, sich gemeinsam mit seinen Archäologenkollegen und Freunden Joe Carter und Patrick O’Malley auf die Suche nach den Jadestücken und in der Folge nach Barrales zu machen. Wieder treffen sie auf alte und neue Freunde und Feinde und manchmal wechseln diese auch die Position, mit logisch nachvollziehbaren Beweggründen.

Handlung und Schreibstil

Die spannende Suche führt den Archäologen Falkenburg und seine Freunde diesmal von Boston nach Barcelona, Florida und dann nach Kuba. Doch ihr Ziel ist die Halbinsel Yucatán, Mérida und die Ruinen der weitläufigen alten Mayastadt Uxmal. Die Geschichte wird in mehreren, parallel verlaufenden Handlungssträngen erzählt. Abwechselnd erfahren wir die Fortschritte der von Barrales geleiteten Expedition, der zweite Erzählstrang schildert die Abenteuer von Max, Joe und Patrick und im dritten Erzählstrang folgt Eddie Wellesley den Spuren von Barrales, um seine Schwester Jody zu beschützen. Auch die katholische Kirche greift in die Geschehnisse ein und verfolgt eigene Zwecke, wodurch sich weitere überraschende Wendungen ergeben. Sprachlich lösen packende Actionszenen, interessante Schilderungen und wissenschaftliche Fakten einander ab.

Fazit

Ein vielschichtiger, packender archäologischer Roman mit einem grandiosen Showdown im weitläufigen Gelände der alten Mayastadt Uxmal. Spannende, actionreiche Unterhaltung zwischen Fakten und Fiktion.

Geheimakte Babylon – André Milewski

AutorAndré Milewski
Verlag epubli
Erscheinungsdatum 29. Juni 2019
FormatTaschenbuch
Seiten362
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3748552260

„Es enthält eine Art Prophezeiung. Wenn ich die Inschrift richtig gedeutet habe, wurde es womöglich von Daniel angefertigt, einem der Propheten aus dem alten Testament.“ (Zitat Seite 89)

Inhalt

Der Archäologe Max Falkenburg hat die Überraschungsparty zum Geburtstag seiner Freundin Jody Wellesley bis ins Detail geplant, denn er will ihr an diesem Abend die berühmte Frage stellen. Als er Professor Crichton abholen will, sind gerade Männer in dessen Büro eingedrungen und sie entführen nicht nur den Professor, sondern auch Falkenburg. Der Professor hatte in den Dreißigerjahren ein Buch über die Ausgrabungen von Babylon veröffentlicht und die Entführer haben in Jerusalem in altes Rollsiegel gestohlen, welches Hinweise auf ein machtvolles babylonisches Artefakt enthält. Jody und seine Freunde folgen den Spuren, um ihn und den Professor zu befreien. Unabhängig davon übernimmt Ed Wellesley, Jodys Bruder einen verdeckten Einsatz für den englischen Geheimdienst. Alle haben das gleiche Ziel, den Irak, die Ruinen der einst mächtigen Stadt Babylon an den Ufern des Euphrat.

Thema und Genre

In diesem archäologischen Abenteuerroman geht es um den neubabylonischen König Nebukadnezar II., das antike Babylon und ein Artefakt von apokalyptischer Macht.

Charaktere

Max Falkenburg und seine Freunde, ebenfalls Archäologen, nehmen diese Herausforderung an, einerseits angetrieben durch Forscherdrang und archäologische Neugierde, andererseits müssen sie auch unter Einsatz des eigenen Lebens ihre Gegner stoppen, deren Motiv die persönliche Gier nach uneingeschränkter Macht ist, nicht die wissenschaftliche Entdeckung alter Kulturen. 

Handlung und Schreibstil

Dieses packende Abenteuer führt führt Max Falkenburg und seine Freunde im März 1960 in den Ostteil der geteilten Stadt Berlin, nach Israel und durch die syrische Wüste in den Irak, vom Ischtar-Stadttor im Pergamonmuseum zur realen Ausgrabungsstädte des antiken Babylon im Irak. Schon der Aufenthalt an diesen Orten ist gefährlich, doch gleichzeitig befinden sie sich diesmal im Zentrum der Aktivitäten von unterschiedlichen Geheimdiensten mit ebenfalls sehr unterschiedlichen Interessen. Die straffe Handlung überzeugt durch überraschende Wendungen, spannende Actionszenen und einen sehr gelungenen Mix zwischen Fakten und Fiktion, Beschreibungen und humorvollen Dialogen. Obwohl Teil einer Serie, ist auch diese neue Geheimakte ein in sich abgeschlossener Fall und somit durchaus unabhängig von den anderen Bänden der Serie zu lesen.

Fazit

Ein spannendes, rasantes archäologisches Abenteuer, in dessen Zentrum das antike Babylon des legendären Königs Nebukadnezar II steht. Ein packendes Lesevergnügen zwischen Fakten und Fiktion.

Geheimakte Excalibur – André Milewski

AutorAndré Milewski
Verlag epubli
Erscheinungsdatum 29. Mai 2018
FormatTaschenbuch
Seiten358
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3746729008

„Aber Excalibur wurde von treuen Gefolgsleuten versteckt und verwahrt, über Jahrhunderte hinweg. Sie waren es, die die Legende von Avalon in Umlauf brachten und es damit schafften, das Schwert ebenfalls in das Reich der Sage zu entrücken.“ (Zitat Pos. 1347)

Inhalt

Die Archäologen Max Falkenburg und Joe Carter haben gemeinsam ein Buch über ihre Entdeckungen in Ägypten herausgebracht und sind eingeladen, einen Vortrag im British Museum zu halten. Max nützt die Gelegenheit, um die Eltern seiner Freundin Jody Wellesley, alter englischer Adel, auf deren Landsitz zu besuchen. Doch der Besuch verläuft anders als erwartet. In der Nacht erfolgt ein brutaler Überfall, Jodys Mutter wird schwer verletzt und ihr Vater entführt. Denn der Viscount von Wellesley gilt als einer der Hüter des mythischen Schwertes Excalibur. Die Mitglieder eines alten Geheimordens, der seinen Ursprung in der Zeit der Kreuzzüge hat, halten ihren Orden für den rechtmäßigen Besitzer dieser legendären Waffe, denn sie kennen die wahre Macht und Kräfte dieses Schwertes.

Thema und Genre

In diesen archäologischen Abenteuerroman geht es um die bekannte Arthur-Sage, das mystische Avalon und das berühmte Schwert Excalibur.

Charaktere

Obwohl für Max Falkenburg, auch auf Grund seiner deutschen Wurzeln, der Besuch bei den versnobten Eltern seiner Freundin Jody mit mehr Nervosität und Aufregung verbunden ist, als manche seiner Ausgrabungen, zögert er nicht, die Entführer von Jodys Vater zu verfolgen, um diesen zu befreien und andererseits das Geheimnis um Excalibur zu lüften.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte führt weit zurück in die Zeit des legendären King Arthur und zu den Kreuzzügen von Richard Löwenherz. Die aktuelle Handlung spielt innerhalb von nur wenigen Tagen im Januar 1958. Diese rasant-kurze Zeitspanne  bringt Spannung auf jede Seites dieses Buches. Dennoch findet der Autor auch Zeit für Fakten. Er führt Max Falkenburg, seinen Freund und Kollegen Patrick O’Malley, Jody Wellesley, ihren Bruder Eduard „Eddie“  und uns Leser auf eine gefährliche Reise durch das verschneite England an alle mit der bekannten Legende verbundenen Orte: Glastonbury, das legendäre Avalon, mit dem Glastonbury Tor und natürlich auch nach Tintagel. Kartenskizzen, sowie Informationen am Buchende und Hinweise auf weiterführende Lektüre ergänzen die Handlung. Die Sprache passt zum Genre, schildert rasante Actionszenen, nimmt sich aber dennoch Zeit für die Erklärung der Hintergründe und auch der Humor kommt nicht zu kurz.

Fazit

Ein packender archäologischer Abenteuerroman zwischen Fakten und Fiktion, in dessen Mittelpunkt die Legenden um King Arthur und das Schwert Excalibur stehen. Obwohl dieses Buch Teil einer Serie ist, handelt es sich um eine abgeschlossene Geschichte, die unabhängig von den anderen gelesen werden kann, doch vermutlich bleibt es nicht bei diesem einen Band, denn es ist eine Serie mit hohem Fan-Faktor.

Das kleine Friesencafé“ (Die kleine Friesencafé-Reihe 1) – Janne Mommsen

AutorJanne Mommsen
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 16. Februar 2021
FormatBroschiert
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499003950

„In Wirklichkeit war der Gedanke, Backen und Malen an einem Ort zu verbinden, natürlich illusorisch, aber spinnen durfte sie ja.“ (Zitat Seite 69)

Inhalt

Julia Koslowski führt gemeinsam mit ihrer Oma Anita ein Blumengeschäft in Gelsenkirchen, doch jetzt braucht sie eine Auszeit. Julias jung verstorbene Mutter hatte mit der damals einjährigen Julia eine Mutter-Kind-Kur auf der Insel Föhr gemacht und daran erinnert sich ihre Oma, als sie ein altes Heft von Julias Mutter findet, das Tagebuch mit Zeichnungen aus diesem Urlaub. Julia reist auf die Insel Föhr, um die dargestellten Örtlichkeiten zu erkunden und zu malen. Zufällig entdeckt sie eine alte, restaurierte Scheune, das perfekte Atelier für sie, doch der Besitzer, der gerade pensionierte Kapitän Hark Paulsen will unbedingt seine Ruhe haben. In einem unbedachten Moment stimmt er jedoch zu und vermietet die Scheune an sie. Jetzt kommt auch noch Oma Anita nach mit alten, nie benützten Möbeln, in ihrer Jugend hatte sie davon geträumt, in Paris ein Café zu eröffnen. Rasch füllt sich die Scheune mit Bildern, Torten, Kuchen und vielen Gästen. Kann das gut gehen, denn für Kapitän Paulsen sollte diese Scheune ein Ort der Stille sein …

Thema und Genre

In diesem Wohlfühlroman geht es um die schöne Nordseeinsel Föhr, ihre Eigenheiten, um Familie, Mut zum Neubeginn in jedem Lebensalter und natürlich um die Liebe.

Charaktere

Als Julia auf die Insel kommt, hat sie das Gefühl, es sei vielleicht Zeit, mit ihren dreißig Jahren noch einmal etwas Neues zu beginnen. Andererseits war für sie immer klar, dass sie von ihrer Malerei nicht würde leben können und sie will auch ihre Oma, bei der sie aufgewachsen ist, nicht mit dem Blumengeschäft im Stich lassen. Rasch fühlt sie den Zauber der Insel, der schon ihre Mutter begeistert hatte. Alle Charaktere sind gerade wegen ihrer Eigenheiten sympathisch, der Autor beobachtet die Menschen sehr genau und dies macht seine Figuren natürlich.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt im Sommer auf der Nordseeinsel Föhr. Julia sucht anhand der Skizzen im Tagebuch ihrer Mutter die Orte, an denen diese Zeichnungen entstanden sind. Julia ist kaum ohne ihre Staffelei anzutreffen und gleichzeitig mit ihrer Entwicklung als Malerin werden wir durch die Schilderungen der Natur und der besonderen Plätze auf der Insel mitten in einen Sommer auf Föhr hineinversetzt. Es gibt auch Rückschläge, doch Julia beginnt sich zu fragen, ob es mehr werden könnte, als eine schöne Urlaubszeit.

Fazit

Ein unterhaltsamer Wohlfühlroman, der beim Lesen direkt auf die kleine Nordseeinsel und zu seinen Bewohnern führt und uns mit entspannten Lesestunden zum Träumen bringt.

Wo wir Kinder waren – Kati Naumann

AutorKati Naumann
Verlag HarperCollins
Erscheinungsdatum 26. Januar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten496
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3749900008

„Ich frage mich: Wie weit darf man gehen, um eine Tradition aufrechtzuerhalten?“ (Zitat Seite 317)

Inhalt

Eva, gelernte Spielzeuggestalterin, hat schon als Kind begeistert Spielzeug getestet, als sie zwischen fünf und dreizehn Jahre alt war. Dies war in Sonneberg, damals DDR. Heute ist Eva zweiundfünfzig Jahre alt und lebt immer noch in Sonneberg. Gemeinsam mit ihrem Cousin Jan und ihrer Cousine Iris gehört sie zur Erbengemeinschaft der ehemaligen Spielzeugfabrik Langbein, gegründet von ihrem Urgroßvater Albert Langbein. Als Jan das alte Haus der Familie räumen muss, da es vermietet werden soll, wollen Eva und Iris helfen. Sie tauchen tief in ihre gemeinsamen Kindheitserinnerungen an dieses Haus und besonders an ihre Großmutter Flora ein, entdecken die abwechslungsreiche Geschichte der Familie und einige alte Familiengeheimnisse, gleichzeitig wächst das gegenseitige Verständnis und langsam formt sich eine Idee.

Thema und Genre

In diesem Familien- und Generationenroman geht es um die wechselvolle, reale Geschichte der Spielwarenerzeugung in der Spielwarenstadt Sonneberg von 1910 bis nach der Wende, am Beispiel eines fiktiven Familienunternehmens.

Charaktere

In der Buchinnenseite findet sich ein Stammbaum der fiktiven Familie Langbein. Alle Charaktere sind sehr lebensnah, stimmig und authentisch geschildert, ihre Handlungen und Entscheidungen sind nachvollziehbar. Es ist ein bunter Reigen an Figuren, die uns in dieser Geschichte begegnen und alle haben eines gemeinsam: sie sorgen sich um die Familie und das Familienunternehmen.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung wird in zwei Zeitebenen erzählt und der Aufbau ist sehr kreativ und originell, auch sprachlich macht es richtig Freude, diese Geschichte zu lesen und die Spannung kommt nicht zu kurz. Die drei Cousins finden im alten Familienhaus einen besonderen Gegenstand, oder sie entdecken Unterlagen, bisher unbekannte Dokumente, und im nachfolgenden Kapitel wir genau jenes Ereignis in der Vergangenheit geschildert, in dem jeweils dieses gerade entdeckte Objekt eine Rolle spielt. Dadurch erfahren wir beim Lesen auch alle Hintergründe, welche die Erben nicht wissen können. So entsteht langsam ein großartiger Familienroman, ergänzt durch sehr lebendige, interessante Schilderungen des Handwerks der Spielzeugherstellung, besonders von Puppen und Plüschtieren, im Wandel der Zeit, von der Handarbeit zur Industrialisierung. Auch der Alltag und die täglichen Probleme der Menschen in jener Zeitspanne, in der Sonneberg zur DDR gehörte, sind sehr eindrücklich geschildert.

Fazit

Ein großartiger Familien- und Generationenroman, ein lebhaftes, vielschichtiges Zeitbild. Reale Vorbilder und eine intensive Recherche ergänzen die packende Geschichte mit interessanten Informationen und ergeben in Summe ein überzeugendes Leseerlebnis.

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid – Alena Schröder

AutorAlena Schröder
Verlag dtv Verlagsgesellschaft
Erscheinungsdatum 20. Januar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3423282734

„Evelyn fixierte Hannah für einen kurzen Moment, prüfend, abwägend, müde. Sie hätte ihn einfach wegwerfen sollen, diesen Brief, nun war es zu spät.“ (Zitat Seite 13)

Inhalt

1942 fertigt Senta für ihren Schwiegervater Itzig Goldmann eine Inventurliste aller Kunstgegenstände an, die er den Nationalsozialisten übergeben muss. Seither sind die Liste und auch die Kunstwerke verschwunden. In der Jetztzeit erhält Dr. Evelyn Borowski, vierundneunzig Jahre alt, die einzige Tochter von Senta Goldmann, einen Brief von einem israelischen Anwaltsbüro, die auf diesen Tatbestand gestoßen sind und weiter Recherchen anbieten. Hannah, Germanistin, schreibt an ihrer Doktorarbeit und besucht ihre Großmutter Evelyn jede Woche. Da entdeckt sie durch Zufall diesen Brief. Warum hat man ihr nie etwas von diesem Teil ihrer Familiengeschichte erzählt und warum schweigt ihre Großmutter auch weiterhin? Hannah beginnt mit eigenen Nachforschungen.

Thema und Genre

In diesem Familien- und Generationenroman geht es um die Vergangenheit und Raubkunst, vor allem jedoch um Mütter und ihre Töchter, um die Probleme von Frauen, die schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein eigenständiges, beruflich erfolgreiches Leben führen wollten, was nur schwer mit ihrer Mutterrolle vereinbar war.

Charaktere

Evelyn hat mit ihrem langen Leben schon abgeschlossen, vor allem jedoch mit der Vergangenheit. Hannah ist für ihre siebenundzwanzig Jahre erstaunlich orientierungslos, weiß nicht, was sie will. Doch während sie sich nur sehr halbherzig ihrer Dissertation widmet, lässt sie bei ihrer Suche nach der Vergangenheit ihrer Familie nicht locker. Senta, Evelyn, Silvia, Hannah, vier Generationen, vier im Grunde nicht so unterschiedliche Frauen, die versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Handlung und Schreibstil

Die aktuelle Handlung spielt in der Gegenwart, im Mittelpunkt steht Hannah, ihr Leben und ihre Suche nach den Bildern und nach ihrer Familiengeschichte. Diese wird parallel in einem zweiten Handlungsstrang erzählt, der 1922 beginnt und 1950 endet und der das Leben von Senta und Evelyn zum Inhalt hat. Eine weitere Rückblende führt in das Jahr 2007, zu Evelyn und Silvia. Die Geschichte, in deren Mittelpunkt weniger die Ereignisse, als die Entscheidungen, Konflikte, Probleme und Beziehungen der vier Frauen stehen, ist dicht und stimmig entwickelt, beginnt intensiv und spannend, flacht jedoch im letzten Viertel etwas ab.

Fazit

Eine interessante, angenehm zu lesende Familien- und Generationengeschichte.

Orangen für Dostojewskij – Michael Dangl

AutorMichael Dangl
Verlag Braumüller Verlag
Erscheinungsdatum 26. Januar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten480
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3992002979

„Doch am meisten beseelte ihn die Anwesenheit des grandiosen Musikers, der auch ein grandioser Mann war und dabei so schlicht, so natürlich mit ihm sprach, als kennten sie einander schon lang.“ (Zitat Seite 112)   

Inhalt

Anfang August 1862 trifft Fjodor Michailowitsch Dostojewskij mit dem Zug in Venedig ein. Es ist seine erste Auslandsreise nach Europa, die am 7. Juni begonnen hatte. Er kommt aus Florenz und Italien hat ihn bisher enttäuscht. Schon vierzig Jahre alt, hat er nach ersten Erfolgen, Straflager und Strafdienst beim Militär, eine Schaffenskrise, auch wenn er durch seine Reise eine Fülle von neuen Ideen gesammelt hat. Schon überlegt er, aus Venedig früher abzureisen, als er den berühmten Komponisten Gioachino Rossini kennenlernt, der auch mit siebzig Jahren das Leben fröhlich feiert und genießt, hilfsbereit, liebenswert und großzügig. Durch ihn erlebt der zurückhaltende, schwermütige russische Schriftsteller die unvergleichliche Stadt Venedig, wie sie wirklich ist.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um eine Begegnung des Schriftstellers Dostojewskij mit dem Komponisten Rossini. Obwohl die beiden Künstler einander tatsächlich nie getroffen haben, ist diese Geschichte eine so lebendige, geniale Verbindung zwischen intensiver Recherche und einfühlsamer Phantasie, dass man beim Lesen vergisst, dass es sich um keine reale historische Begebenheit handelt.

Charaktere

Der lebensfrohe, überschäumend italienische Komponist Rossini ist das genaue Gegenteil des schwermütigen, damals von Selbstzweifeln erfüllten Schriftstellers Dostojewskij. Die gemeinsamen Gespräche sind trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen Sichtweisen für beide eine Bereicherung und beeinflussen das weitere künstlerische Schaffen. Auch die Personen im Umfeld sind so typisch italienisch, man hat sie und die teilweise chaotischen Situationen sofort vor Augen, sie werden lebendig, sind liebenswert, ohne je in Klischees abzugleiten.

Handlung und Schreibstil

Es sind nur fünf Tage, die Dostojewskij vor seiner Heimreise nach St. Petersburg in Venedig verbringt, doch die Fülle an Erlebnissen und Eindrücken, die uns jeder Tag in diesem auch sprachlich überzeugenden Roman schildert, lässt diese kurze Zeitspanne wie Wochen scheinen. Großartig ist die Szene, in der Rossini und Dostojewskij einander zum ersten Mal begegnen. Auch der Umgang der venezianischen Bevölkerung mit den österreichischen Besatzern ist ein Thema. Spätestens, als Dostojewskij zu einem Treffen im Caffè eilt und zuerst das Quadri betritt, wo er auf das gegenüberliegende Florian verwiesen wird, erkennt er die Zusammenhänge und Viva Verdi bekommt eine völlig neue Bedeutung. Doch während die Erinnerungen an den Strafmilitärdienst die Gedanken des russischen Dichters oft in tiefes Dunkel tauchen, hat sich Venedig die lebensfrohe, südliche Leichtigkeit auch unter der österreichischen Herrschaft erhalten. Spannung erhält diese Geschichte durch eine Idee Rossinis, er macht Dostojewskij einen Vorschlag und man ist neugierig, wie der Autor dies auflösen wird, da auch diese Idee fiktiv ist. 

Fazit

Ein funkensprühendes Zeitbild, eine Begegnung von zwei großen Künstlern, der schwermütige, ernste Russe trifft auf den fröhlichen italienischen Genussmenschen und lernt die einzigartige Stadt Venedig kennen und lieben. Ein Leseerlebnis, das mich begeistert hat, mich zum Träumen brachte und Erinnerungen an Venedigbesuche lebendig werden ließ. „Italien ist Italien, Venedig ist Venedig. Venedig bleibt Venedig. Immer.“ (Zitat Seite 434)

Die verstummte Liebe – Melanie Metzenthin

AutorMelanie Metzenthin
SerieLeise Helden Band 3
Verlag Tinte & Feder
Erscheinungsdatum 12. Januar 2021
FormatTaschenbuch
Seiten461
SpracheDeutsch
ISBN-13978-2496703924

„Aber welchen Platz gab es für ein Mädchen aus reichem Haus in der Welt, das weder seine Familie noch seine Freiheit verlieren wollte? Sie hoffte so sehr, dass ihr die Reise durch Europa Antworten liefern und sie endlich befreien würde.“ (Zitat Pos. 437)

Inhalt

Am 2. Januar 1879 kommt Helen Mandeville in London als Tochter einer wohlhabenden Bankiersfamilie zur Welt. Das eigenwillige, wissbegierige Mädchen erhält eine umfassende Ausbildung, wie sie damals nur Söhnen vorbehalten war. Dennoch muss sie ihrem Vater gehorchen und im Mai 1899 findet die Verlobung mit dem sehr vermögenden, aufstrebenden Anwalt James Mitchell statt. Vor der Heirat wünscht sie sich eine Bildungsreise durch Europa. In Hamburg trifft sie ihre große Liebe, den Arzt Dr. Ludwig Ellerweg und heiratet ihn, sobald sie volljährig ist. Als ihre Mutter 1914 im Sterben liegt, reist Helen trotz aller Warnungen für einige Wochen zurück nach England. Ihr Mann bleibt mit dem gemeinsamen Sohn Fritz zu Hause in Hamburg. Als England Deutschland den Krieg erklärt, ist sie noch in London und der gefährliche Versuch, nach Hamburg zurückzukehren, scheitert. James Mitchell erweist sich als Freund und Retter und Helen trifft eine folgenschwere Entscheidung.

Thema und Genre

In diesem Familienroman mit geschichtlichem Hintergrund, dem dritten Teil der Serie „Leise Helden“, geht es um die traditionelle Stellung der Frauen, um Familie, Ehe, Gefühle und Entscheidungen, die das Leben für immer verändern.

Charaktere

Helen Mandeville, die Mutter des Arztes Fritz Ellerweg aus „Im Lautlosen“ und „Die Stimmlosen“, steht im Mittelpunkt dieses Romans, denn es ist ihre Geschichte, die erzählt wird. Entscheidungen, die sie 1914 trifft, machen aus der selbstbewussten, glücklichen Frau eine verbitterte, harte Person, die sich selbst längst verloren hat. Voll Selbstmitleid sucht sie die Schuld bei den anderen, nur in einigen ehrlichen Momenten bei sich selbst. Dies macht sie wenig sympathisch.

Handlung und Schreibstil

Die Rahmenhandlung beginnt im November 1945 und umschließt die Geschichte von Helen, beginnend mit ihrer Kindheit, bis zu diesem Tag im November 1945, an dem Helen selbst ihrer Tochter Ellinor die Wahrheit über die Vergangenheit erzählt. Die Autorin wählt jedoch nicht die Ich-form, sondern die personale Erzählform, dadurch wird aus diesem zweiten Erzählstrang eine eigenständige Geschichte, der Hauptteil dieses Romans. Obwohl man die Ereignisse durch den Einstieg in der aktuellen Zeit 1945 schon kennt, ist es spannend, die Entwicklung bis zu diesem Punkt zu verfolgen. Die gesamte Handlung ergibt sich als Konsequenz einiger unwiderruflicher Entscheidungen der Hauptfigur Helen. Das damalige Verhalten von Helen ist für mich nicht stimmig und schwer nachvollziehbar, daher ist für mich die Geschichte nicht immer plausibel.

Fazit

Ein interessanter, angenehm und leicht zu lesender Roman, etwas sehr konstruiert und daher weniger glaubhaft und überzeugend, als die beiden ersten Bücher der Serie „Leise Helden“.

Elfenborn: Ein Zeitreiseroman – Marie von Stein

AutorMarie von Stein
Verlag tredition
Erscheinungsdatum 30. November 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten252
SpracheDeutsch
SerieRegenbogenReigen 1
ISBN-13978-3347158115

„Das sah aus, als folgten die Gestalten da unten dem Regenbogen und seinem Weg bis in die Gegend von Elfenborn. Wie passend. Susannas Neugier war geweckt.“ (Zitat Seite 66)

Inhalt

An die weiße Frau, die sie manchmal sieht und in ihren Gedanken hört, ist Susanna Kallen, eine moderne junge Frau Ende zwanzig, seit ihrer Kindheit gewöhnt. Doch erst als ihre Vorfahrin Anna, Freiin von Callendorf, dringend ihre Hilfe benötigt, erkennen beide die Zusammenhänge.

Thema und Genre

Ein Roman mit Regionalbezug und zugleich eine magische Zeitreise in das 17. Jahrhundert. Die Geschichte spielt in der grünen Hügellandschaft der alten Grafschaft Lippe, heute Gemeinde Kalletal. Themen, damals wie heute, sind Neid und Geldgier, Ausgrenzung und als Gegenteil Toleranz und Verständnis, aber auch Freundschaft und mutige, tatkräftige Frauen.

Charaktere

Susanna ist naturverbunden, offen, interessiert, und wenn ihre Hilfe benötigt wird, fragt sie daher nicht lange, sondern handelt.

Anna, Freiin von Callendorf, trägt die Verantwortung für das Gut und die Ländereien der Familie, obwohl sie erst zwanzig Jahre alt ist. Sie bemüht sie sich um Bildung für alle  Kinder, aus allen Gesellschaftsschichten, um fortschrittliche Hygiene- und Gesundheitsbedingungen, was 1669 bei den meisten Menschen noch auf Unverständnis stößt. Doch sie ist mutig und lässt sich nicht beirren.

Handlung und Schreibstil

Dieser erste Band der RegenbogenReigen-Serie umfasst zwei Handlungsstränge. Die aktuelle Handlung spielt im Spätsommer 2019, der historische Teil findet 1669 statt. Auch wenn die Zeitreise in das Reich der Magie und Phantasie gehört, spürt man die genaue Recherche des Lebens in dieser Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg und die spannende Geschichte liest sich glaubhaft, bunt und sehr lebendig. Der Autorin gelingt es, auch die Sprache der jeweiligen Zeit und den Figuren anzupassen, sie tut dies jedoch charmant und unverkrampft, sodass die Geschichte sehr angenehm zu lesen ist. Typische lippische Ausdrücke werden in einem Glossar am Ende des Buches erklärt, gefolgt von den Quellenangaben. 

Fazit

Eine spannende, magische Zeitreise in das Tal der Kalle im Lipper Bergland, als die moderne Gemeinde Kalletal des 21. Jahrhunderts im 17. Jahrhundert noch die Grafschaft Lippe war. Was jedoch zeitlos ist, ist die Schönheit der Natur, die beim Lesen in unseren Gedanken entsteht und das unterhaltsame Lesevergnügen abrundet.

Die Bäckerei der Wunder – Christian Escribà und Sílvia Tarragó

AutorChristian Escribà, Sílvia Tarragó
Verlag Heyne Verlag
Erscheinungsdatum 14. September 2020
FormatTaschenbuch
Seiten288
SpracheDeutsch
ÜbersetzungUrsula Bachhausen
ISBN-13978-3453424319

„In der wohligen Wärme eines nie verlöschenden Herdfeuers, über dem sich je nach Tages- oder Jahreszeit die verschiedensten Düfte entfalteten, konnte sie beim Köcheln der Kasserollen jedes Zeitgefühl verlieren.“ (Zitat Seite 30, 31)

Inhalt

Wir schreiben das Jahr 1926 und es ist der erste Weihnachtstag. Es schneit in Barcelona und an diesem besonderen Tag wird Alba geboren, deren Begeisterung und Gabe für das Kochen und ganz besonders für das Backen sie eines Tages, als junge Frau, in die berühmte Konditorei Escribà führt, wo sie eine Konditorlehre beginnen kann. Dies in einer Zeit, als in Spanien die traditionelle Rolle der Frauen in der Ehe, Mutterschaft und damit im Kreise einer eigenen Familie gesehen wurde. Doch Alba weiß genau, was sie will und sie ist bereit, hart dafür zu arbeiten.

Thema und Genre

Dieser Roman erzählt die Geschichte der berühmten Pastisseria Escribà in Barcelona. Es geht um die Leidenschaft für das Bäcker- und Konditorhandwerk, um Kunst und Schokolade, aber auch um Familie und die Liebe.

Charaktere

Die Hauptfiguren sind einerseits Antonio und Antoni Escribà, Großvater und Vater von Christian Escribà und andererseits Alba, das Mädchen aus einfachen Verhältnissen mit der besonderen Begabung und Liebe zum Backen. Antoni Escribà ist ein begabter Künstler und als er die besonderen Eigenschaften von Schokolade für die Gestaltung von meisterhaften Skulpturen für sich entdeckt, macht dies aus der ursprünglichen Bäckerei endgültig die  berühmte Patisserie Escribà. Alba, keine besonders sympathische Figur, ist eine Getriebene, in deren Leben der Beruf, ihre Berufung, immer an erster Stelle stehen wird. Auch prägende persönliche Erlebnisse können daran nichts ändern, ihre Ideen und Empfindungen lebt sie in der Backstube aus.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung ist in drei übergeordnete Teile gegliedert, Teil I umfasst den Zeitraum 1896 bis 1948, Teil II die Jahre 1926 bis 1952 und Teil III spielt zwischen 1954 bis 1979. Mit wenigen Ausnahmen sind die einzelnen Kapitel jeweils nach einem besonderen Gebäck benannt und die Schilderungen der speziellen Eigenschaften und der Zubereitung sind in die Ereignisse eingefügt. Die Geschichte Kataloniens in den Jahren 1926 bis 1977 zieht sich durch die gesamte Handlung, bleibt jedoch vage im Hintergrund. Es ist kein Roman mit einer fortlaufenden Geschichte, sondern es werden wichtige Episoden und besondere Ereignisse aus Albas Leben erzählt, nicht immer chronologisch, und parallel dazu die Entwicklung des Hauses Escribà von der einfachen Bäckerei zur erfolgreichen Pastisseria. Auch hier werden nur Meilensteine des Aufschwungs und besonders erzählenswerte Ereignisse berichtet.

Fazit

Die fiktive Geschichte einer jungen Frau, die im Nachkriegsspanien unbedingt Konditormeisterin werden will, ist eng verbunden mit der Geschichte der berühmten, realen Pastisseria Escribà in Barcelona. Der Duft von Gewürzen, frischen Backwaren und Schokolade, der aus den Seiten des Buches in unsere Gedanken zieht, macht diese Geschichte auch zur genussvollen Weihnachtslektüre.

Scherbentanz – Chris Kraus

AutorChris Kraus
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 20. Oktober 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257071351

„Seit Jahren leben wir in dieser geflügelten Bitterkeit, die im Rhythmus der Zugvögel verlässlich entkommt, in südlichen Gestaden überwinternd, und wenn sie fast vergessen ist, verdüstert sich der Himmel, sie kehrt zurück und baut sich in unseren Herzen Nester.“ (Zitat Seite 59)

Inhalt

Jesko Solm, ein eigenwilliger Modedesigner, ist das schwarze Schaf einer ohnedies sehr dunklen Familie voller Geheimnisse, die vehement unter dem schönen, öffentlichen Schein der erfolgreichen Unternehmerfamilie verborgen gehalten werden. Nun wird Jesko dringend in die protzige Familienvilla gerufen, ohne den wahren Grund zu kennen. Er leidet unter Leukämie. Die letzte Hoffnung als mögliche Knochenmarksspenderin ist die leibliche, psychisch kranke Mutter. Eine Frau, die  Jesko und sein Bruder Ansgar seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen haben und mit der sie nie wieder etwas zu tun haben wollten. Diese wurde nun vom Vater aufgefunden und heimlich ebenfalls in den Sitz der Familie gebracht. Sieben lange Tage bis zum operativen Eingriff zur medizinischen Abklärung liegen vor Jesko, und seine Krankheit ist das bei weitem geringste Problem.

Thema und Genre

In diesem Familien- und Generationenroman geht es um tiefe Schatten der Vergangenheit, Familiengeheimnisse, über die niemals gesprochen wird und die dadurch auch die Gegenwart belasten, zusammen mit traumatischen Kindheitserfahrungen. Themen sind Krankheit, Konflikte und die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen.  

Charaktere

Jesko ist Modedesigner, er fühlt sich in Röcken am wohlsten und bevor ihn seine Krankheit aus der Bahn werfen kann, hat dies längst seine Familie getan. Auch Seneca hilft da nicht immer. Beinahe abgeklärt beobachtet und kommentiert er spöttisch-ironisch-böse und immer punktgenau die Menschen in und außerhalb der Familienvilla, die er Festung nennt. Eine Figur, die man von der ersten Zeile an ins Leser*innenherz schließt.

Handlung und Schreibstil

Jesko berichtet als Ich-Erzähler über die Ereignisse dieser Tage, gibt manchen Personen im familiären Kreis eigene Namen, die er aus den für ihn sichtbaren Eigenschaften ableitet. Rückblicke in Form eigener Erinnerungen und aus den Erzählungen anderer ergänzen und füllen die zunächst diffuse, mit offenen Fragen gefüllte Gegenwart mit Erklärungen. Zusätzliche Spannung ergibt sich aus der Frage, wer diese Renate und ihr Sohn sind, von denen die stark verwirrte Mutter immer wieder faselt. Der Klappentext lässt eine nachdenkliche, traurige Geschichte erwarten, doch die Sprache des Autors, seine einmalige Art, seine Figuren auszuwählen und dann zu erzählen, auf einem schmalen Grat zwischen sarkastisch, sehr böse und sehr liebevoll, machen diesen Roman definitiv zu einem Leseerlebnis.

Fazit

Eine zerrüttete Familie, konsequent dirigiert vom starken Willen des Vaters. Das hohe öffentliche Ansehen der erfolgreichen Unternehmerdynastie muss um jeden Preis gewahrt werden. Wie passt der todkranke zweitälteste Sohn, der sich längst aus allen Zwängen befreit hat, in dieses Bild? Der Autor lässt uns an einer bitterbösen und dennoch überaus positiven, mit feinem Humor erzählten Geschichte teilhaben, einem einfühlsam und facettenreich gemalten Bild unserer Zeit.

Das Glück der kalten Jahre – Martyna Bunda

AutorMartyna Bunda
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 29. September 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten317
SpracheDeutsch
ÜbersetzungBernhard Hartmann
ISBN-13978-3518428870

„Drei Schwestern, aber ohne die Blautöne, ohne den See, den Himmel und die mal aus dem Wasser, mal aus den Wolken springenden Fische, ohne die seltsam fahlen Blumensträuße und den Namen Astrida. Ohne all die frappanten und schönen Details. Mithin kein bisschen so wie im Leben.“ (Zitat Seite 317)

Inhalt

Es ist ein solides Haus, das erste gemauerte Haus in Dziewcza Góra, einem Dorf im polnischen Teil von Pommern, das Rozela 1932 für sich und ihre drei Töchter baut. Es wird zum Zentrum der Familie, Heimat für diese vier Frauen, Rozela, Gerta, Truda und Ilda. Auch wenn das Leben sie teilweise an andere Orte führt, so kehren die drei Schwestern immer wieder in dieses Haus zurück, um schwierige Situationen und Schicksalsschläge im Gleichschritt, Arm in Arm, und mit dem Blick nach vorne zu bewältigen.

Thema und Genre

Ein Familien- und Generationenroman, in dessen Mittelpunkt die Frauen stehen. Es geht um das alltägliche Leben auf dem Land in einem sich ständig wiederholenden Wechsel der Jahreszeiten, durch Kriegs-, Nachkriegsjahre und die nachfolgenden Jahrzehnte. Das Kernthema ist jedoch der Zusammenhalt innerhalb dieser Familie.

Charaktere

Es sind keine starken Frauenfiguren, aber sie sind unbeugsam und hartnäckig. Die Schwestern sind oft unterschiedlicher Meinung, doch wenn es darauf ankommt, halten sie zusammen. So lange sie lebt, hat die Mutter Rozela das letzte Wort im Haus. „In ihrem ganzen Leben war es so wie an diesem Herbsttag. Drei Töchter hatte sie, die liebte sie alle gleich, aber sie konnte sie nicht alle gleich behandeln.“ (Zitat Seite 260)

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte dieser Frauen wird abwechselnd erzählt, entweder aus Sicht der Mutter, oder es steht eine der drei Töchter im Mittelpunkt. Manche Ereignisse werden daher aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschildert. Die Handlung verläuft großteils chronologisch, greift jedoch auch manchmal vor oder ergänzt mit Rückblenden, und folgt den unterschiedlichen Lebenswegen der Töchter durch Beziehungen, Mutterschaft, Schicksalsschläge und immer wieder auch das kleine Glück guter Zeiten. Wir erleben skurril-humorvolle Episoden, als Ilda im Zorn von ihrem Lebensgefährten, dem Bildhauer, wegläuft, sich auf ihr geliebtes Motorrad schwingt und, ohne es geplant zu haben, ein Motorradrennen gewinnt. Auch Schweine spielen eine Rolle in diesem Roman, wegen der besonderen Kreuzung, die ebenfalls zufällig passiert ist, verboten, dann viele Jahre später als besondere Rasse entdeckt. Die Sprache schildert unaufgeregt, auch die für mich persönlich entbehrlichen Schilderungen des Schlachtens von diversen Tieren erfolgen in einem beinahe zärtlichen Stil.

Fazit

Es ist die Geschichte über den Werdegang von Frauen im einfachen, ländlichen Umfeld im wechselvollen 20. Jahrhundert, ihr Leben zwischen Tradition und dem Wunsch nach mehr Freiheit. Ein interessantes Beispiel polnischer Gegenwartsliteratur.

Familienbande – Nadine Bismuth

AutorNadine Bismuth
Verlag btb Verlag
Erscheinungsdatum 12. Oktober 2020
FormatTaschenbuch
Seiten304
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMichaela Meßner
ISBN-13978-3442719433

„Wieder ist ein Tag zu Ende, sage ich mir, wieder ein Tag, an dem ich nichts getan habe, um mich aus dieser irrwitzigen Lage zu befreien.“ (Zitat Seite 93)

Inhalt

Magalie, vierzig Jahre alt und Mutter der fünfjährigen Charlotte, ist eine erfolgreiche Küchendesignerin. Obwohl es in ihrer Beziehung mit dem Rechtsanwalt Mathieu, Vater von Charlotte, längst kriselt, kann sich Magalie nicht entscheiden, einen Schlussstrich zu ziehen. So sieht sie über die langen Arbeitszeiten und beruflichen Abwesenheiten von Mathieu hinweg, obwohl sie diese Situation belastet.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um moderne Paarbeziehungen und Familiengefüge, und um die zeitlose Suche nach Liebe und verlässlichen Partnern.

Charaktere

Die Figuren dieses Romans sind urbane Menschen unserer modernen Zeit. Sie stehen aktiv im Berufsleben und sind gleichzeitig Paare und Eltern. Es sind unterschiedliche Charaktere, nicht besonders sympathisch, doch realistisch und ihre Denkweise und Handlungen sind nachvollziehbar

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in Montréal, in der Zeit zwischen 10. August und 4. März. Die Hauptfiguren wechseln einander als Ich-Erzähler ab, sodass die Ereignisse und die Beziehung untereinander aus den unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt werden. Es ist weniger eine Handlung mit Höhepunkten, als vielmehr eine intensive Schilderung von modernen Beziehungen, ihren Möglichkeiten und Krisen, und vor allem der Gefühle der Menschen, die diese durchleben. Spannung ergibt sich aus der Frage, ob Magalie den entscheidenden Schritt wagen wird, diese für sie belastende Beziehung zu beenden, oder ob sie und Mathieu ihre Partnerprobleme lösen können. Die Autorin ist eine sehr gute Beobachterin der Menschen und setzt ihre Eindrücke auch sprachlich gekonnt um.

Fazit

Ein Roman über mehrere Paare, die in diesem Zeitraum von weniger als einem Jahr zwischen Problemen und Hoffnungen nach Lösungen suchen. Eine Geschichte über moderne Beziehungen und Familien, die an einem Wendepunkt angelangt sind und die Frage, ob die Sehnsucht nach Liebe auch in unserer Zeit noch Gültigkeit hat.   

Putzt euch, tanzt, lacht – Karin Peschka

AutorKarin Peschka
Verlag Otto Müller Verlag
Erscheinungsdatum 26. Februar 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten300
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3701312740

„Die Bereinigung meiner Verhältnisse beginnt mit der Restaurierung einer verlassenen, zerfallenden, nicht ordnungsgemäß genutzten Hütte. (Steht da, der Satz. Steht da und fühlt sich richtig an.)“ (Zitat Pos. 411)

Inhalt

Fanni ist siebenundfünfzig Jahre alt und ihr Leben mit Ehemann und zwei erwachsenen Kindern ist fest verankert in Ried im Innkreis und in der sich täglich wiederholenden Routine. Noch sieben Arbeitsjahre im Supermarkt, dann Ruhestand. Nur die Panikattacken, die sie manchmal plötzlich überfallen, passen nicht in den geordneten Alltag. Jetzt ist sie auf dem Weg zur ersten Therapiesitzung – doch sie fährt einfach weiter, ihr Ziel ist der Pinzgau, die alte, in ihrer Einfachheit stark renovierungsbedürftigen Almhütte ihrer Eltern. Den Hof, zu dem die Hütte gehört, hat längst Ernst, ihre Jugendliebe, übernommen. Doch auch Ernst und die Hütte können Fanni nicht halten und auf ihren Reisen sammelt sie neue Freunde und bringt sie mit, wenn sie zurückkommt auf ihre Alm.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Freundschaft und gegenseitige Wertschätzung, Unabhängigkeit, Neubeginn, alternative Lebensplanung, diverse Vielfalt.

Charaktere

Es ist eine bunte Gruppe von Charakteren, die wir in dieser Geschichte kennenlernen und sie haben eines gemeinsam: man schließt sie sofort ins Herz, diese so unterschiedlichen und unangepassten Figuren. Ernst, Bauer aus Überzeugung, Velten, mit dem Fanni zu nächtlicher Stunde in einem Wäldchen an der ligurischen Küste steht, Dr. Tippi, die Wiener Ärztin, das Ehepaar Elke und Julius Ohnezweifel aus Linz, Marek, der in seiner eigenen Welt lebt und sich mit Rimbaud vor Gewittern schützt, Berlin, sie heißt wirklich so, mit fünfundzwanzig Jahren das jüngste, temporäre, Mitglied der Gruppe. Fanni, die Ich-Erzählerin, hat als Ehefrau und Mutter funktioniert, wie es von ihr erwartet wurde, mal mehr, mal weniger. Als sie einfach geht, indem sie auf die Autobahn und aus ihrem geordneten Leben fährt, hat sie ein schlechtes Gewissen, aber es überwiegt immer das Wissen, dass es für sie richtig ist, was sie tut. „Ich neige grad eher zum Unvernünftigen.“ (Zitat Pos. 3194).

Handlung und Schreibstil

Die Handlung wird nicht chronologisch erzählt, dennoch ergibt sie ein geschlossenes, klares Ganzes. Die einzelnen Kapitel springen zwischen den Jahren vor und zurück, und jede der Hauptfiguren steht mit ihrem eigenen Anteil an der Geschichte im Mittelpunkt eines der übergeordneten Abschnitte, die dann jeweils in Kapitel gegliedert sind. Durch entsprechende Überschriften wird diese lebhafte Struktur geordnet und fügt sich zu einem stimmigen Gesamtbild. Die Sprache berichtet, erzählt, schildert, wie in einem persönlichen Gespräch unter Freunden, mit einer gewollten, lebendigen Einfachheit, die großartig zu lesen ist. Die Autorin wechselt zwischen Halbsätzen, zwei, drei Worte, weil damit schon alles gesagt ist, oder mehr dazu gerade nicht zu sagen ist, und Satzgefügen über die halbe Buchseite, wo weniger nicht genug wäre, um die Situationen und Gefühle in Worte zu fassen.

Fazit

Themen, die zum Nachdenken anregen, eine überzeugende Geschichte, dazu eine bunte Gruppe von Figuren, die man wegen ihrer eigenwilligen Vielfalt und Eigenheiten sofort auch persönlich treffen möchte, eine gute Portion Humor und positive Energie, eine Sprache, die perfekt in diese Mischung passt. Kann Gegenwartsliteratur auch Wohlfühllektüre sein? Ja, dieser Roman kann das.

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