Ein anständiger Mensch – Jan Christophersen

AutorJan Christophersen
Verlag mare verlag
Erscheinungsdatum 23. Juli 2019
FormatHardcover
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3866486072

„Am Ende geht es vor allem darum, dass wir mit dem, was wir tun, leben können.“ (Zitat Seite 179)

Inhalt

Steen R. Friis, Schriftsteller, seit vielen Jahren mit der Psychotherapeutin Frauke verheiratet, zieht sich zum Schreiben oft in sein gemütliches Haus auf einer kleinen dänischen Insel zurück. Hier findet er Ruhe und kann seine Gedanken beim Betrachten der Natur ordnen, um einen weiteren Bestseller zum Thema Anstand zu schreiben. Nun steht ein Wochenende mit Freunden bevor. Er hat Ute, seine Verlagsagentin und langjährige Freundin, auf „seine“ Insel eingeladen, zusammen mit ihrem Partner Gero. Es sollen gemütliche Tage werden, wandern, essen, plaudern. Beim Pilze sammeln erinnert Frauke Steen, für ihn völlig überraschend, an ein altes Versprechen. Bei ihrer Heirat waren sie sich einig gewesen, einander immer die gegenseitige Freiheit zu lassen, auch in der Liebe. Dies wirft Steen völlig aus der Bahn, mit unvorhersehbaren Folgen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Beziehungen, um den Alltag nach vielen Ehejahren, um Schweigen, das nicht immer Verständnis bedeutet, sowie um Ehrlichkeit und Schuld. Ein wichtiges Thema sind Wertvorstellungen, die eigenen und die der öffentlichen Meinung.

Charaktere

„Macht alles, was nötig ist, und bleibt anständig.“ (Zitat Seite 93). Dieser Satz charakterisiert den Hauptprotagonisten Steen R. Friis und seine Lebenseinstellung, von der er zutiefst überzeugt ist, bevor er an sich selbst und einen Überzeugungen zu zweifeln beginnt. Seine Frau Frauke fühlt sich aus seiner Welt als Schriftsteller ausgeschlossen, die Tochter Bea ist erwachsen und Frauke scheint mit der Situation überfordert. Zudem fühlt sie sich zum charmanten Gero hingezogen.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte ist in die Zeit „Davor“ und „Danach“ eingeteilt. Dazwischen liegt ein Ereignis mit weitreichenden Folgen für alle. Die Handlung beginnt mit dem Eintreffen von Ute und Gero auf der Insel, Steen und Frauke erwarten sie. Erzählt wird die Geschichte im Nachinein von Steen, ist daher in der „Ich-Form“ geschrieben, mit einigen vorausschauenden Hinweisen. Ergänzende Ereignisse erfährt der Leser daher durch die Erinnerungen von Steen, sein Charakter wird neben den Gesprächen auch durch seine Gedanken akzentuiert.

Die gekonnte Sprache ist präzise, wo es um Dialoge geht, und beschreibend, wenn die Natur und das Umfeld geschildert wird, zusammen mit den Gedanken des Hauptprotagonisten.

Fazit

Der Autor legt schreibend seine Finger auf gesellschaftliche Klischees und Stereotypen, kritisch, manchmal sarkastisch überzeichnend, aber nie belehrend. Viele Themen werden angeschnitten, nicht alle werden umfassend beantwortet. Damit lässt er dem Leser Freiraum für eigene Gedanken und Überlegungen, regt auch nach der Lektüre zum Nachdenken an. Darauf sollte man sich einlassen können, dann wird man mit einer interessanten, vielschichtigen Geschichte in einer mit Vergnügen zu lesenden Sprache belohnt.

Was man von hier aus sehen kann – Mariana Leky

AutorMariana Leky
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 18. Juli 2017
FormatGebundene Ausgabe
Seiten320
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3832198398

„Man kann sich die Abenteuer, für die man gemacht ist, nicht immer aussuchen“, sagte ich. (Zitat Seite 256)

Inhalt

Wenn Selma, Luises Großmutter, von einem Okapi träumt, dann stirbt am nächsten Tag im Dorf jemand. Auch wenn die Dorfbewohner angeblich nicht daran glauben, benehmen sie sich in diesen vierundzwanzig Stunden besonders vorsichtig, denken über alle bisher in ihrem Leben ungesagten Dinge nach, schreiben manchmal sogar Briefe und sind froh, wenn der nächste Tag endlich da ist. Doch es ist genau so ein Morgen, der dann alles verändert.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um ein Dorf und seine Bewohner. Es geht um den Zusammenhalt einer kleinen Gemeinschaft, um Verständnis auch für manchmal nur schwer zu verstehenden Eigenheiten. Es geht um Heimat und Fernweh, um Verlust und um Liebe in allen Facetten.

Charaktere

Luise und Selma, Enkelin und Großmutter, sind einander sehr verbunden, da Luises Eltern wenig Zeit für sie hatten und haben. Eng mit den beiden verbunden ist auch der Optiker, der sich wie ein Großvater um Luise kümmert und dessen innere Stimmen manchmal laut durcheinanderreden. Dazu kommen die Menschen der Dorfgemeinschaft, speziell, schrullig und liebenswert, der Buddhist Frederik, der in Japan lebt und der Hund Alaska.

Handlung und Schreibstil

Luise erzählt die Geschichte in der Ich-Form, im Grunde sind es aufeinanderfolgende Ereignisse, die sich über Jahre ziehen, von der Vergangenheit bis in die Gegenwart, manchmal dicht und intensiv, manchmal vergehen Jahre wie im Zeitraffer. Der Roman enthält einen Prolog, drei Bücher, die in einzelne Kapitel eingeteilt sind und einen Epilog. Die Sprache ist einfühlsam, lebhaft schildernd und detailliert bei den einzelnen Charakteren. Dieses Buch regt zum Nachdenken an, da es auch um die Suche nach dem eigenen Weg geht, um Versäumnisse und Ängste. Doch der Grundtenor bleibt positiv und auch der Humor und das Lachen kommen nicht zu kurz.

Fazit

Eine eigenwillige Geschichte mit Tiefgang, positiv, klug und humorvoll erzählt. Liebenswerte Charaktere, die man am Ende des Buches nur ungern wieder in ihr Leben in diesem Dorf irgendwo im Westerwald entlässt.

Alte Sorten – Ewald Arenz

AutorEwald Arenz
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 18. März 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
ISBN-13978-3832183813

„In Sally wurde es das erste Mal seit langer Zeit für einen Augenblick ganz still, und sie bewegte sich nicht, um diese Stille nicht gleich wieder zu verlieren.“ (Zitat Seite 17, 18)

Inhalt

Sally, jung, Schülerin kurz vor dem Abitur, gerade wieder in einer psychotherapeutischen Klinik, verlässt diese und macht sich auf den Weg, einfach weg. Irgendwo zwischen Weite und Feldern, nahe bei einem Dorf, trifft sie auf die ältere Liss, die alleine einen Hof bewirtschaftet. Liss, schweigsam, unangepasst, findet in Sally viel von sich selbst in jungen Jahren wieder. Sie lädt Sally ein, bei ihr auf dem Hof zu übernachten und aus einer Nacht werden viele Tage. Es ist Herbst und gemeinsam erledigen sie die anfallenden Arbeiten – und aus dem ersten Schweigen werden Gespräche und gegenseitiges Verständnis.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um das Erwachsenwerden, Erziehung, Familie. Doch auch gegenseitiges Verständnis und Aufbegehren gegen Vorurteile und Zwänge sind Themen. Gleichzeitig erfährt der Leser viel über das realistische Landleben, Obstbau und alte Obstsorten.

Charaktere

Liss und Sally, die beiden Hauptprotagonistinnen sind eigenwillig und für die Menschen um sie herum „anders“. Das Leben besteht für Liss‘ Vater aus Arbeit und genauer Ordnung, Bücher und Bildung passen nicht in dieses Leben. Doch Liss widersetzt sich der Enge des Dorflebens, auch wenn sie an den Hof zurückkehrt.

Sally ist jung, begabt, doch sie hat ihren eigenen Willen und ihre eigene Meinung, manchmal ist sie auch einfach eine Suchende. Ihre Eltern meinen es gut, verstehen sie aber nicht. So wie die meisten Erwachsenen mit Unverständnis auf Sally und ihre Probleme reagieren. Bei Liss, die sie nicht drängt, sondern wartet, bis Sally selbst entscheidet, fühlt sie sich akzeptiert.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt im Herbst, zwischen Anfang September und Mitte Oktober, auf einem großen Hof irgendwo auf dem Land in der Nähe eines Dorfes. Rückblenden in Form von Erinnerungen der beiden Protagonistinnen ergänzen die Handlung. Der Roman ist ein einzelne Kapitel eingeteilt, die als Überschrift das jeweilige Datum tragen. Im Mittelpunkt steht jeweils Sally oder Liss, sodass der Leser die Ereignisse auch aus verschiedenen Perspektiven erfährt. So erhält der Roman zusätzliche Tiefe. Die Spannung ergibt sich einerseits aus dem schrittweisen Annähern der beiden Frauen, den ebenso auftretenden Missverständnissen, andererseits aus der Frage, warum die Dorfbewohner Liss meiden.

Der Autor erzählt leise, eindrücklich, gibt jeder der beiden Frauen die passende Sprache. Intensive Schilderungen der Natur, der alten Obstsorten und des Landlebens im Herbst ergänzen die Geschichte, großartig, aber realistisch und ohne falsche Romantik.

Fazit

Ein leises, eindrucksvolles Buch, in dessen Mittelpunkt zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Frauen stehen, die bald erkennen, wie viel sie gemeinsam haben. Eine Geschichte und Sprache, die den Leser sofort in ihren Bann zieht und noch lange in den Gedanken bleibt.

Archipel – Inger-Maria Mahlke

AutorInger-Maria Mahlke
Verlag Rowohlt Buchverlag
Erscheinungsdatum 21. August 2018
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3498042240

„Seitdem hat sich der Füllstand der Straßen zu einem verlässlichen Barometer für die Zerbrechlichkeit oder Stabilität der Verhältnisse auf der Insel entwickelt.“ (Zitat Seite 387)

Inhalt

Rosa Bernadotte Baute bricht ihr Kunststudium ab und kehrt in ihre Heimat zurück, auf die Insel Teneriffa. Dort gehören die Bernadottes zur einflussreichen Oberschicht. Rosas Mutter ist Politikerin, Rosas Großvater mütterlicherseits, Julio Baute, lebt im Asilo La Laguna, wo er mit 96 Jahren noch Pförtnerdienste innehat. Er hat die politische Geschichte Teneriffas in den beinahe einhundert Jahren seines Lebens miterlebt, aktiv gegen die Faschisten im Bürgerkrieg, dann ihr Gefangener. Rosas Vater Felipe Bernadotte ist Historiker. Er hatte ein Forschungsprojekt gestartet, das auch die Aufarbeitung  die Rolle seiner Familie unter Diktator Francisco Franco beinhaltet hätte, doch eine Kollegin wurde mit der Leitung beauftragt, worauf er sich vor elf Jahren ins Privatleben zurückgezogen hatte.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine Mischung aus Generationen- und Familienroman und arbeitet gleichzeitig die Geschichte Teneriffas im 20. Jahrhundert auf. Daher sind neben Themen wie Familie, gesellschaftliche Strukturen und Grenzen, auch die Politik und der Widerstand ein Schwerpunkt. Die Geschichte spielt auf Teneriffa.

Charaktere

Drei Familien stehen im Mittelpunkt dieses Romans: die adeligen, privilegierten Bernadottes, die Frauen Morales Ruiz, arme Unterschicht, Haushaltshilfen bei den Bernadottes, und die gutbürgerliche Familie Baute. Diese unterschiedlichen Familien sind durch die Ereignisse dieser einhundert Jahre, durch ihr Umfeld oder auch durch die Liebe miteinander verbunden. Julio Baute, geboren 1919, ist der stille Hauptprotagonist dieses Romans, denn er allein hat dies alles er- und überlebt, es ist auch seine Geschichte, die hier erzählt wird.

Handlung und Schreibstil

In dieser Geschichte bilden kurze Rückblenden nur einen erklärenden Hintergrund. Erzählt wird die Handlung in einem einzigen Strang, dieser ist eingeteilt in Kapitel mit Zeitangabe. Eher ungewöhnlich ist es, dass die Geschichte von der Gegenwart in die Vergangenheit erzählt wird. Sie beginnt im Jahr 2015 und endet schließlich im Jahr 1919. Dennoch hält der Spannungsbogen den Leser gefangen, denn statt wie üblich zu erfahren „was passiert“, ist hier die interessante Frage „wie ist es dazu gekommen“.

Die Sprache erfasst viele Details, ergänzt durch Schilderungen und Beschreibungen, auch die Charaktere sind sehr stimmig entwickelt. Ein Glossar am Buchende erklärt spanische Bezeichnungen, beschränkt sich leider auf die gängigen Wörter und Wortverbindungen, die man ohnedies kennt, auch wenn man die Sprache nicht spricht.

Fazit

Ein zeitgeschichtlicher Generationen- und Familienroman, erzählt am Beispiel von drei Familien. Es geht vor allem um das Leben der einzelnen Menschen, beeinflusst durch die Ereignisse, die sich durch die politische Situation ergaben. Einhundert Jahre, interessant und spannend erzählt „im Rückwärtsgang“, von 2015 bis 1919.

Die Liebe im Ernstfall – Daniela Krien

AutorDaniela Krien
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 27. Februar 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten288
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257070538

„Man muss die Liebe vom Ernstfall aus betrachten.“ (Zitat Seite 144)

Inhalt

Fünf moderne Frauen, alle etwa Ende dreißig, treffen Entscheidungen, mit deren Konsequenzen sie anschließend irgendwie zu leben versuchen. Sie kennen einander, von kaum bis sehr gut, und manche Handlungen breiten sich in diesem Kreis von Einzelschicksalen wie die Schwingung einer Welle aus, beeinflussen und verändern auch das Leben der anderen Frauen.

Thema und Genre

In diesem Roman, genau genommen sind es fünf Erzählungen, geht es um Frauen, die ihren Platz im Leben gefunden zu haben glaubten, nun aber mit veränderten Umständen konfrontiert sind. Es geht um die Problematik, Mutter zu werden und darum, Entscheidungen zu treffen und in der Folge mit diesen Entscheidungen zu leben.

Charaktere

Die Protagonistinnen dieses Romans sind fünf Frauen und dazu passend fünf große Kapitel, die jeweils eine der Frauen zur Hauptfigur haben. Alle fünf Charaktere haben Probleme, mit den Folgen des jeweiligen Verhaltens, der Entscheidungen, die sie treffen, zu leben. Sie alle sind eher destruktiv und es bereitet ihnen, große Schwierigkeiten, sich selbst treu zu bleiben, auch wenn auf dem Klappentext das Gegenteil geschrieben steht.

Handlung und Schreibstil

Der rote Faden, der sich als Gemeinsamkeit durch die fünf Frauenleben zieht, ist teilweise so fein, dass sich der Roman wie Einzelerzählungen liest. Es wird jeweils ein aktueller Zeitpunkt aus dem Leben gegriffen, wo die Handlung einsteigt und weitergeht. Die Geschichte wird durch Rückblenden ergänzt und aufgerollt.

Im Mittelpunkt der einzelnen Handlungen steht jeweils eine wichtige Entscheidung und die Ereignisse, die zu dieser Entscheidung führen. Im Verlauf der Handlung erfährt der Leser, wie die jeweilige Protagonistin mit den Folgen ihrer Entscheidung zu leben versucht.

Der Schreibstil ist knapp und geradlinig, auch die Beschreibungen der Befindlichkeiten der Protagonistinnen beschränken sich auf prägnante Feststellungen in kurzen Sätzen. Dadurch liest sich dieses Buch rasch und zügig.

Fazit

Ein Roman, gebildet aus fünf Einzelerzählungen. Frauen, die Entscheidungen treffen, mit denen sie dann nicht umgehen können, was im Buch oft eine negative Stimmungslage erzeugt. Ich hatte mit starken, modernen Frauenfiguren gerechnet, fand zwischen diesen Seiten aber zweifelnde, sich selbst hinterfragende Protagonistinnen, die ich eher bedauert, als verstanden habe.

Alfred – Alfred Komarek

AutorAlfred Komarek
Verlag Haymon Verlag
Erscheinungsdatum 22. Januar 2019
FormatGebundenes Buch
Seiten120
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3709934548

„Alfred etablierte sich als praxistauglicher Idealist und gründlich geerdeter Visionär.“ (Zitat Seite 80)

Inhalt

Alfred hat genug vom Müll, den Alltag und Gesellschaft auf ihm abladen. Er verweigert, bricht aus und begibt sich auf die Suche nach dem Sinn und nach sich selbst. Oft verweilt er, dann erkennt er, dass es doch nicht das Richtige für ihn ist und zieht weiter.

Thema und Genre

Diese Geschichte ist ein Lebenslauf im eigentlichen Sinn des Wortes, wie vieles in diesem Buch aus der Bedeutung eines Wortes entspringt. Eine Suche wie das Leben selbst, Alfred glaubt immer wieder, gefunden zu haben und geht dann doch weiter, in eine neue, völlig andere Richtung. Es ist eine poetische, moderne Form der Faust’schen Wanderung, der kritischen Suche nach dem Wesentlichen.

Sprache

Der Autor spielt mit der Sprache. Gerne setzt er den buchstäblichen Sinn eines Wortes, einer Redewendung ein, sodass es zu einer Handlung wird. Er malt Bilder mit der alten und neuen Bedeutung, mit feiner Feder und Selbstironie. Im entgeht keine Worthülse unserer Zeit, alles wird in Sätze geformt, mit Personen und Dingen verknüpft, bis es ergründet und neu begründet ist. Seine Metapher bringen den Leser dazu, bejahend zu nicken und zu schmunzeln.

Fazit

Ein kleines Buch um eine gedanklich große Suche nach dem eigenen Wohlfühlort im Chaos, das sich Leben nennt. Manchmal ironisch, dann ernst und nachdenklich, philosophisch, aber immer mit seinem leisen Lächeln, das sich durch die Geschichte zieht und auf den Leser überträgt.

Abendrot – Kent Haruf

AutorKent Haruf
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 23. Januar 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten416
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257070453

„Ich will das Gefühl haben, dass ich den nächsten Schritt auch allein kann.“ (Zitat Seite 348)

Inhalt

Mary Wells hat zwei Töchter, Dena und Emma. DJ, elf Jahre alt, hilft ihr bei der Gartenarbeit. Seine Mutter ist vor Jahren gestorben und er lebt bei seinem Großvater, in einem Häuschen im Norden von Holt, Colorado. DJ und Dena schaffen sich in einem alten Schuppen einen Rückzugsort, wo sie lesend ihre Freizeit verbringen. Joy Rae und ihr kleiner Bruder Richie leben mit ihren Eltern in einem Wohnmobil. Rose Tyler vom Sozialamt kümmert sich um die Familie. Victoria Roubideaux zieht mit ihrer kleinen Tochter Katie nach Fort Collins, um dort ihre Ausbildung als Grundschullehrerin abzuschließen. Für die McPheron-Brüder, sie sich in den beiden letzten Jahren wie eine Familie um Victoria gekümmert hatten, ist es nicht einfach, wieder alleine zu sein.

Thema und Genre

Der Roman spielt in der fiktiven Kleinstadt Holt, in der abgeschiedenen Weite Colorados. Es geht um den Alltag von einfachen Menschen, um einzelne Schicksale und darum, einander zu helfen. Thema sind Familienbeziehungen, fehlende Eltern und wie Kinder versuchen, mit der Situation klarzukommen.

Charaktere

Die etwas ruppig wirkenden McPheron Brüder sind liebenswerte Einzelgänger mit einem großen Herzen für die Probleme anderer. Auch Rose Tyler versucht zu helfen, wo sie kann und ist besonders aufmerksam, wenn es um Kinder geht. Kent Haruf versteht es, sich in jede seiner Figuren einzufühlen und er nimmt sich Zeit für Details.

Handlung und Schreibstil

In diesem Roman geht es nicht um Spannungsbögen und Höhepunkte. Der Autor erzählt Geschichten, manchmal leise, manchmal sehr hart und traurig, realistisch, aber nie deprimierend, sondern immer mit einem positiven Ausblick. Irgendwie schaffen es seine Protagonisten, sich in das Leben einzufügen und ihren Platz darin zu finden. Das Kleinstadtleben in Holt besteht aus vielen Einzelschicksalen, doch man kennt sich, die Wege der einzelnen Protagonisten kreuzen sich und man hilft einander.

Die poetische Sprache und in diesem Fall auch die Übersetzung sind wunderbar zu lesen. Ereignisse wechseln ab mit Schilderungen, Gefühle finden sich als Metapher in Beschreibungen der Natur wieder.

Fazit

Der Autor erzählt die Geschichten des einfachen, kargen Lebens der Menschen in einer Kleinstadt. Einfühlsam erzählt er von ihren Problemen. Als Leser fühlt man sich in der poetischen Sprache geborgen und bedauert, am Ende des Buches diese Kleinstadt irgendwo in der weiten amerikanischen Ebene und ihre Bewohner wieder verlassen zu müssen.

Neujahr – Juli Zeh

AutorJuli Zeh
Verlag Luchterhand
Literaturverlag
Erscheinungsdatum 10. September 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten192
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3630875729

„Wenn er versucht, falsche Gedanken zu vermeiden, rennt er wie ein gehetztes Reh durch den eigenen Kopf.“ (Originalzitat, Seite 33)

Inhalt

Ohne seine Frau Theresa vorher zu fragen, hat Henning spontan ein kleines Ferienhaus auf Lanzarote gemietet, zwei Wochen über Weihnachten und Neujahr. Das Ehepaar hat zwei Kinder, den vierjährigen Jonas und die zwei Jahre jüngere Bibbi. Eine moderne Familie, beide haben gute Jobs mit Teilzeit-Anwesenheitspflicht, teilen sich Kinderbetreuung und Haushalt. Doch kurz nach Bibbis Geburt begannen bei Henning die heftigen Panikattacken und die Angststörung bestimmt seither sein Leben, das ihn ohnedies oft überfordert. An diesem Neujahrsmorgen in Lanzarote nimmt er sich vor, sich auch wieder Zeit für sich selbst zu nehmen und schwingt sich auf sein Leihrad: sein Ziel ist das hoch über dem Meer gelegene Bergdorf Femés, zu erreichen über eine herausfordernd steile Straße. Erschöpft erreicht er sein Ziel und plötzlich überfällt ihn die Erinnerung an ein schreckliches Ereignis, das er bisher verdrängt hatte, denn vor vielen Jahren hatte er genau hier mit seinen Eltern und seiner Schwester Luna Urlaub gemacht.

Thema und Genre

Dieser Roman handelt von den psychischen Auswirkungen einer gravierenden Erfahrung in der Kindheit und vom Tabuthema Angststörung. Thema sind auch moderne Familienstrukturen zwischen Karriere, Job und Kindererziehung und der Druck, funktionieren zu müssen.

Charaktere

Hauptprotagonist ist Henning, ein Mann, von dem erwartet wird, in vielen Rollen gleichzeitig perfekt zu funktionieren: als liebender Ehemann und Vollzeitvater, erfolgreicher Mitarbeiter eines Sachbuchverlages. Auch seine jüngere Schwester Luna kommt immer wieder Hilfe suchend zu ihm und er fühlt sich für sie verantwortlich, genau wie damals, als seine Eltern von ihm erwarteten, als „großer Junge“ auf seine Schwester aufzupassen, obwohl er damals selbst erst vier Jahre alt gewesen war.r

Handlung und Schreibstil

Juli Zeh ist eine herausragende Schriftstellerin, die mit der Sprache spielt und der es perfekt gelingt, einerseits ruhig schildernd zu erzählen, um dann andererseits wieder sprachgewaltige, beklemmende Bilder vor den Augen der Leser entstehen zu lassen.

Der Weihnachtsurlaub auf Lanzarote und die Gedanken, die sich Henning über seine aktuelle Lebenssituation macht, bilden nur die Rahmenhandlung. Die Haupthandlung findet in der Vergangenheit statt, es sind die dramatischen Ereignisse seiner frühen Kindheit, an die sich Henning plötzlich wieder erinnert, chronologisch, wie in einem Film.

Fazit

Ein beklemmender Roman, sehr packend erzählt. Auf nur 200 Seiten enthüllt sich dem Leser langsam und eindringlich eine spannende Geschichte aus der Vergangenheit, die erklärt, warum die Gegenwart ist, wie sie ist. Ein Buch, das noch lange in den Gedanken des Lesers bleibt.

Wie hoch die Wasser steigen – Anja Kampmann

AutorAnja Kampmann
Verlag Carl Hanser Verlag
Erscheinungsdatum 29. Januar 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3446258150

„Sie trieben auf einem sehr breiten Strom, aber anders als die Helden in den Abenteuerbüchern seiner Kindheit konnten sie fallen, und diejenigen, die fielen, kamen nicht zurück.“ (Zitat Seite 99)

Inhalt

Es ist eine extrem dunkle Nacht und der Sturm tobt um die Ölplattform irgendwo im Atlantik vor Marokko, doch die Bohrungen müssen weitergehen. Als die Arbeiten endlich abgebrochen werden, kommt einer der Männer nicht mehr zurück: Mátyás, der beste Freund von Waclaw. Die Suche wird aus Kostengründen rasch eingestellt. Waclaw erhält Urlaub und reist nach Ungarn, um die Sachen seines toten Freundes an dessen Familie zu übergeben. Will er wirklich wieder zurück, auf die nächste Ölplattform? Er macht sich stattdessen auf die Suche nach seinen Wurzeln, nach dem Rest seines Lebens. 

Thema und Genre

Man könnte diesen Roman als Roadmovie in einzelnen Bildern bezeichnen, Szenen, die durch plötzliche Erinnerungen wie schräg geschachtelt auftauchen und wieder verschwinden. Es geht um das Leben der Menschen in einer globalisierten Welt, wo Entfernungen ein möglicher Weg aus der Armut sind, mehr Geld für sich und die Familie. Natürlich ist auch Fernweh ein Thema, die Sehnsucht, die Enge der Kindheit zu verlassen. Es geht auch um die Frage, was der Verlust der eigenen Wurzeln mit den Menschen macht.

Charaktere

Waclaw, schon über 50 Jahre alt, ist anders, als man sich Männer im harten, gefährlichen Leben mitten auf dem Meer vorstellt. Er ist manchmal verträumt, verloren, er ist auf der Suche nach seinem „anderen“ Leben, nach Milena, die er immer wieder verlassen hat, um das fehlende Geld auf einer Ölbohrinsel zu verdienen. Als er Enzo „Alois“ in Bobbio, Norditalien, besucht, den besten Freund seines verstorbenen Vaters, überzeugt ihn dieser, weiter nach Norden zu fahren, zu Milena. Waclaw trifft auf seiner Reise die unterschiedlichsten Personen, sie alle sind sehr gut beschrieben und überzeugen.

Handlung und Schreibstil

Die Reise von Waclaw ist das chronologische Kernstück der Handlung, immer neue Zwischenhalte machen die Ereignisse interessant und überraschen. Die Frage, ob es eine Zukunft mit Milena geben kann, macht die Geschichte spannend. Die wie auf Stichworte bunt in die Handlung geschriebenen Erinnerungen irritieren teilweise den Ablauf und unterbrechen den Lesefluss. Wirklich großartig und beeindruckend ist die poetische Sprache dieser Autorin. Metapher und Symbolik wie die enge Bohrinsel, der enge Pick-up, Brieftauben als Symbol für Heimkehr, bereichern die Schilderungen und regen zum Nachdenken an.

Fazit

Für mich ist es besonders die intensive Sprache, in der diese innere und äußere Reise von Afrika bis an die polnische Ostseeküste geschildert wird, die diesen Roman prägt. Keine einfach zu lesende Geschichte, teilweise deprimierend, mit einem ernsten, vielschichtigen Thema, das auch in Zukunft gesellschaftlich aktuell sein wird. Für diesen ersten Roman einer jungen Autorin braucht man Zeit, aber die sollte man sich nehmen.

Anna – Niccolò Ammaniti

AutorNiccolò Ammaniti
Verlag Giulio Enaudi editore
Erscheinungsdatum 30. Mai 2017
AusgabeTaschenbuch
Seiten310
SpracheItalienisch
ISBN-13978-8806234485

Deutsche Ausgabe: Eisele Verlag, 10. August 2018, Hardcover 336 Seiten, ISBN 978-3961610099

„Nuvole o pioggia, freddo o caldo il buio, prima o poi, perdeva la sua quotidiana battaglia con la luce.“ Zitat Seite 120 (Wolken oder Regen, Kälte oder Wärme, die Dunkelheit verlor früher oder später ihren täglichen Kampf mit dem Licht)

Inhalt

IIm Jahr 2016 tritt ein Virus auf, das alle Erwachsenen tötet und fûr das es kein Gegenmittel zu geben scheint. Nur Kinder sind immun, bis sie etwa vierzehn Jahre alt sind. So hat 2020 auch in Sizilien die Natur begonnen, die Dörfer und Städte zurück zu gewinnen. Anna war 9 Jahre alt, als ihre Eltern starben, ihr Bruder Astor 4. Jetzt ist sie 13 Jahre alt und weiß, dass sie aufbrechen und ihren Bruder auf das Festland bringen muss, wo vielleicht Erwachsene überlebt und ein Gegenmittel gefunden haben. Doch zuerst muss sie ihren Bruder finden, denn er ist plötzlich verschwunden..

Thema und Genre

In diesem postapokalyptischen Abenteuerroman geht es um das Überleben in einer urzeitlichen Umgebung, wo auch Lebensmittel knapp sind. Kinder, die sich in neuen Strukturen zusammengeschlossen haben, ohne Erwachsene. Der Autor überlegt in seinem Roman das Verhalten seiner Protagonisten, wie es sein könnte. Es geht um Mut, Vertrauen und auch Liebe.

Charaktere

Während der kleine Astor misstrauisch und meistens unvernünftig auf die neue Situation reagiert, ist die Hauptprotagonistin Anna eine Kämpferin, sie ist clever und einfallsreich und gibt nicht auf. Vom „Heft der Wichtigen Dinge“, wo ihre Mutter für sie Anleitungen für alle nur möglichen Situationen aufgeschrieben hat, holt Anna sich die notwendigen Ratschläge, auch wenn sie erkennen muss, dass vieles davon nicht mehr stimmt. Dennoch bleibt Anna ein positiv denkendes Mädchen und als Leser schließt man sie rasch ins Herz. Ein weiterer wichtiger Protagonist ist sicher der Maremmen-Schäferhund Coccolone. Auch er gibt nie auf und hat, wie Anna sagt, sieben Leben wie eine Katze.

Handlung und Schreibstil

Der Autor erzählt die Geschichte chronologisch, mit einigen Rückblenden. Die Handlung gewinnt nach einem ruhigen Einstieg, als er das Leben der beiden Kinder in ihrem Haus, der Maulbeerfarm, schildert, rasch an Spannung und bleibt bis zum Ende packend. Die Sprache ist im Gegensatz zum Thema poetisch, ein Höhepunkt ist für mich die rückblickende Schilderung, wie das Licht langsam ausging. Beeindruckend realistisch auch die Beschreibung der bekannten Orte, wie sie nach vier Jahren ohne Technik und Erhaltung aussehen könnten.

Fazit

Ein bedrückendes Endzeit-Szenario, sehr spannend, sprachlich großartig umgesetzt. Besonders beeindruckt hat mich die positive Grundstimmung, die in dieser postapokalyptischen Geschichte um ein mutiges Mädchen immer mitschwingt. Ein Roman, der noch lange in den Gedanken bleibt.

Sechs Koffer – Maxim Biller

AutorMaxim Biller
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 8. August 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462050868

„Wäre ich geblieben, wäre ich geflohen, hätte ich selbst meine engsten Freunde und Verwandten verraten, wenn die Kommunisten mich erwischt hätten?“ (Zitat Seite 90)

Inhalt

Der Großvater der Familie wird 1960 auf dem Flughafen von Moskau verhaftet und wegen seiner verbotenen Devisengeschäfte hingerichtet. Kurz danach war einer seiner Söhne, Dima, ebenfalls verhaftet worden, weil er, in Prag lebend, nach Westberlin flüchten wollte. Seither stellt sich in der Familie durch die Jahre und Generationen die Frage, ob es da einen Zusammenhang gibt, war es Dima, der damals den Großvater verraten hatte?

Thema und Genre

Der Autor erzählt einen biografischen Generationenroman, eingebettet in eine Zeit der Geheimdienste, der Vertreibungen – eine Flucht quer durch Europa und darüber hinaus. Kernpunkt ist die Familie und ein Verdacht, der ihre Mitglieder entzweit. Es geht auch um die zeitlose Frage, wie man selbst sich verhalten hätte, unter extremem Druck und Lebensgefahr.

Handlung und Schreibstil

Jemand hat den Großvater verraten, was diesen das Leben gekostet hat und der Verdacht und die Suche nach der Wahrheit zieht sich über die Generationen. Der Zeitablauf ist chronologisch, in Einzelkapitel und Einzelgeschichten gegliedert. Die Personen im Mittelpunkt wechseln, wie auch die Erzählform vom Ich zur personalen Erzählperspektive dort, wo der Ich-Erzähler eine vergangene Geschichte selbst nur kennt, weil sie ihm erzählt wurde. Die Frage nach dem Verräter aus dem Kreis der Familie baut den Spannungsbogen auf und bringt Elemente eines Kriminalromans in dieses Buch.

Fazit

Das Schicksal einer russisch-jüdischen Familie, Verrat, Flucht, Ankommen und die Frage nach einem Verrat. Erzählt auf verhältnismäßig wenigen Seiten, aber so lebendig und packend, dass die Geschichte den Leser sofort in ihren Bann zieht.

Die Gewitterschwimmerin – Franziska Hauser

AutorFranziska Hauser
Verlag Eichborn Verlag
Erscheinungsdatum 23. Februar 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3847906445

„Die Wellen haben mich zurück zum Ufer getragen, haben mich ausgespuckt, wollen mein Leben nicht haben.“ (Zitat Seite 66)

Inhalt

2011 erhält Tamara Hirsch die Nachricht vom überraschenden Tod ihrer Mutter Adele. Selbst Mutter von zwei Töchtern, Henriette und Maja, und auch schon Oma, blickt sie beim Entrümpeln und Umbau des geerbten Elternhauses auf ihr Leben zurück. Sie war immer das unangepasste Familienmitglied, geprägt durch die Mutter Adele, die am liebsten reiste, den Tod der jüngeren Schwester Dascha, die Erzählungen von Großvater Friedrich und Vater Alfred.Inh

Thema und Genre

Dieser autobiografische Generationen- und Familienroman ist gleichzeitig ein politisches Bild Deutschlands zwischen Nationalsozialismus und DDR. Die Themen sind vielschichtig, es geht um politische Überzeugungen, Enttäuschungen und eine Männerwelt, in der Frauen manchmal gehorsame Kulisse zu sein hatten. Dazu kommen noch problematische Mutter-Tochter-Beziehungen. Die eigenwillige Tamara, geprägt durch ihre Erziehung, durch das Verhalten von Vater und Onkel, durch die ständigen Abwesenheiten ihrer Mutter, kann sich in die Grenzen des Alltags der DDR schwer einfügen.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman ist in viele Kapitel unterteilt, die eher willkürlich aneinander gereiht scheinen. Jede Kapitelüberschrift trägt eine Jahreszahl und der erste Satz beginnt oft mit dem Namen des Familienmitgliedes, das dann im Mittelpunkt steht. Dies ist eine gewisse Orientierung für den Leser. Die Geschichte der Familie wird von Tamara in der Ich-Form erzählt, soweit es die eigenen Erinnerungen und Rückblicke auf ihr Leben betrifft. Die Ereignisse im Leben der anderen Charaktere, die Tamara nicht wissen kann, werden von einem Erzähler in der dritten Person geschildert, sodass sich ein umfassendes Bild über drei Generationen ergibt. Die Sprache ist kraftvoll, lebhaft erzählend und beschreibend.

Fazit

Mein erstes Buch vom Stapel einer persönlichen Auswahl aus den Titeln der Longlist, hat mich dieser Roman gefesselt, aber auf Grund der vielen Zeitsprünge nicht vollkommen überzeugen können. Der Leser erhält einen tiefen Einblick in die Interna der Familie Hauser, im Roman die Familie Hirsch und einen realen Eindruck vom Alltag in der DDR. Für dieses Buch sollten man sich Zeit nehmen und diese möglichst ohne allzu große Pausen, denn die sich gleichsam im Rösselsprung und vor und zurück durch die Generationen und Personen bewegende Geschichte wird sonst wirklich unübersichtlich und zeigt dadurch Längen.

Kruso – Lutz Seiler

AutorLutz Seiler
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 6. September 2015
FormatTaschenbuch
Seiten480
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518466308

„Er gehorchte jetzt anderen Regeln, jener ersten, im Grunde kindlichen Überzeugung von Freundschaft und dem, was sie beinhaltete, wenn sie echt und einzig war.“ (Zitat Seite 299)

Inhalt – Buchrücken

Als seine Freundin verunglückt und er in ein tiefes Loch zu stürzen droht, beschließt Edgar Bendler, nach Hiddensee zu fliehen – auf jene legendenumwobene Insel, die schon vielen Gestrandeten als Zuflucht diente. Er wird Abwäscher im Klausner, einer Kneipe hoch über dem Meer, und lernt Alexander Krusowitsch kennen – Kruso. Eine schwierige, zärtliche Freundschaft beginnt. Von Kruso, dem Meister und Inselpaten, wird Ed eingeweiht in die Rituale der Saisonarbeiter und die Gesetze ihrer Nächte. Nach und nach erschließen sich ihm die Geheimnisse der Insel und des Klausners. Als Ed schon glaubt, wieder einen Platz im Leben gefunden zu haben, erschüttert der Herbst 89 das fragile Gefüge der Inselbewohner. Am Ende steht ein Kampf auf Leben und Tod – und ein Versprechen.

Thema und Genre

Ist man schon frei, wenn man sich frei fühlt?

Ein sprachgewaltiges Buch über den „Sehnsuchtsort der Freiheit“, die Insel Hiddensee im Jahr 1989 und über die Freundschaft zwischen dem Germanistikstudenten Edgar Bendler und Alexander Krusowitsch, genannt Kruso. Vom Aufbau her geht dieser anspruchsvolle Roman was den Protagonisten Edgar betrifft, teilweise in Richtung Entwicklungsroman.

Handlung und Schreibstil

Für dieses Buch sollte man sich Zeit nehmen, denn die realistisch-poetische Sprache fordert den Leser spätestens auf Seite 65 mit einem Satz, der über neun Zeilen geht, aber dennoch Anfang, Ende und Inhalt hat. Auch die manchmal surreale Handlung, gefüllt mit intertextuellen Bezügen und Verweisen, macht das Buch zu keinem einfachen Lesestoff, von anderen Lesern durchaus unterschiedlich aufgenommen.

Fazit

Mich hat der Autor sprachlich in seinen Bann gezogen, ein Stern Abzug für die teilweise überbordernde Metaphorik, die es manchmal schwer macht, in der Handlung zu bleiben. Ein Buch, das in jedem Satz die volle Konzentration des Lesers verlangt.

bleiben – Judith W. Taschler

AutorJudith W. Taschler
Verlag Droemer Taschenbuch
Erscheinungsdatum 2. November 2017
FormatTaschenbuch
Seiten252
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3-426-30479-2

„Der Sinn des Lebens besteht darin, dass man erkennt, wie schön es ist. Aber darauf kommt niemand.“ Zitat Seite 173

Inhalt

1994 steigt Juliane mit ihrem Chello in den Nachtzug nach Rom. In einem Abteil trifft sie durch Zufall auf Max, den angehenden Koch, den Student Felix und den Anwalt Paul. Bevor sie sich auf dem Bahnsteig in Rom trennen, spielt sie auf ihrem Chello und Max zeichnet sie. Auf ihrer Wanderung nach Spoleto sieht sie Paul wieder, sie heiraten. Zwanzig Jahre später besucht ihre Tochter Emilia mit der Schule eine Ausstellung. Auf einem Gemälde ist eine Chellospielerin zu sehen – Juliane. Der Maler ist Max, der ehemalige Koch aus dem Zug. Die Fotografien neben den Gemälden sind von Felix – so treffen sie einander wieder und für eine kurze Zeit verknüpfen Zufälle und Entscheidungen das Leben dieser vier Personen zu einem dichten Ganzen.

Thema und Genre

In diesem Beziehungsroman geht es um die Zufälle, die durch eine einzige Entscheidung ein Leben prägen können, um Freundschaft und Vertrauen.

Charaktere

Die vier ursprünglich zufällig im selben Abteil sitzenden Personen werden zwanzig Jahre später zu den Hauptprotagonisten der Geschichte, deren Mittelpunkt Sie sind glaubwürdig, die Handlungen und Entscheidungen nachvollziehbar.

Handlung und Schreibstil

Die vier Hauptpersonen Juliane, Paul, Max, Felix erzählen ihre Geschichte abwechselnd jeweils einer Person, wobei der Leser weiß, wer diese jeweiligen Gesprächspartner sind, aber diese bleiben im Hintergrund. Teilweise sind es Erinnerungen aus Kindheit und Jugend, aber haupsächlich geht es um die Zeit seit dem Wiedersehen, Ereignisse aus der unterschiedlichen Sichtweise der einzelnen Personen. Dies erzeugt eine eindrückliche Spannung.

Fazit

Eine dichte Beziehungsgeschichte, erzählt von vier Hauptpersonen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Immer wieder bringt die Autorin eine neue, unvorhersehbare Verknüpfung ins Geschehen, bis sich ein Gesamtbild ergibt. Sprachlich !eise und doch einprägsam erzählt, sollte man freie Zeit zum Lesen haben, denn dieses Buch legt man nicht aus der Hand.

El Greco und ich – Mark Thompson

AutorMark Thompson
Verlag Mare Verlag
Erscheinungsdatum 14. August 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3866482791

„Ich hätte ewig dort auf diesem umgedrehten Boot sitzen bleiben und die Sonne, den Wind und den Geruch von Jod und Salz aufsaugen können, fest in dem Glauben, dass Glück von Dauer sein kann.“ (Zitat Seite 156)

Inhalt

Sommer 1968 in Cranford County, New Jersey. J. J. (John Joseph) Walsh und El Greco (Tony) Papadakis sind zehn Jahre alt. Da gehören Zigaretten zum Alltagsleben, heimlich geraucht im verlassenen Gelände am Hafen, ihre intensive Freundschaft, ihr gegenseitiges Verstehen, ihre kreativen Ideen, ihre Träume. Von den Eltern noch für Kinder gehalten, wissen die beiden Jungen wesentlich mehr vom Leben, als man in ihrem Alter erwartet, denn sie leben in für ganz Amerika und die Welt prägenden Zeiten des Aufbruchs, Musik, Hippies, Mondlandung, aber auch Protestkundgebungen, Vietnam und soziale Unruhen. Beide träumen davon, den Pazifik zu sehen und endlich erwachsen zu sein. Doch manchmal hat das Leben andere Pläne. Eine Reise entlang der Ostküste, auf die der Vater von J. J. die beiden mitnimmt, bringt neue Erfahrungen und prägende Eindrücke.

Thema und Genre

In diesem literarischen Coming-of-Age Roman geht es um eine Kindheit und Jugend Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre in einer fiktiven Kleinstadt in Crandorf County, New Jersey. In der kritischen Aufbruchsstimmung dieser Zeit beobachten die zwei Jungen das Leben neugierig, aber auch realistisch und machen sich so ihre Gedanken darüber. Es geht aber auch um Verluste, Schicksale und vor allem um eine tiefe Freundschaft, die sich bewähren muss.

Charaktere

Der Autor beschreibt die einzelnen Protagonisten mit Humor und einer sehr guten Beobachtungsgabe. In den Seiten dieses Romans erwachen sie sofort zum Leben, der etwas vorsichtige, aber sehr kreative J. J. und El Greco, der sich über viel Dinge Gedanken macht und präzise seine Schlüsse zieht. Das macht ihn zum großen Vorbild für J. J. Dann ist da noch Old Man Taylor, der die Jungen ernst nimmt und mit ihnen ehrlich und wie mit Erwachsenen redet. Damit gibt er vor allem J. J. Halt, als dieser mit nicht vorhersehbaren Ereignissen konfrontiert wird.har

Handlung und Schreibstil

J. J. erzählt sein Leben, die Ereignisse seines Alltags, die Gespräche mit seinem besten Freund El Greco in der Ich-Form, ergänzt durch Gedanken und Rückblicke. Dies macht die Handlung fließend, hier geht es nicht um Spannung, sondern um die täglichen Abenteuer des Lebens. Sprachlich großartig sind die Beschreibungen, Gedankenbilder und Metapher, die in die Erzählung einfließen und die dazu führen, dass man dieses Buch öfter als ein Mal lesen wird.

Fazit

Der Roman erzählt vom Leben und den Träumen von zwei Freunden auf dem Schritt von der Kind zum Jugendlichen, im aufregenden, aber auch problematischen Amerika der späten 60er Jahre. Die Sprache ist pures Lesevergnügen, klug, in Bildern erzählend und einprägsam. Definitiv ein Höhepunkt meines Lesejahres 2018.

Ein unvergänglicher Sommer – Isabel Allende

AutorIsabel Allende
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 13. August 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten350
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518428306

„Nicht die Schwerkraft hält unser Universum im Gleichgewicht, sondern die Liebe.“ (Zitat Seite 319)

Inhalt

Richard Bowmaster, 60, ist Professor an der Universität New York und holt eine Kollegin, Lucía Maraz aus Chile, 62, als Gastdozentin für sechs Monate an seine Fakultät. Sie wohnt als Untermieterin mit ihrem alten Chihuahua in Richards Haus, doch sie haben persönlich weniger Kontakt, als sie gehofft hatte. Es ist später Abend an einem Samstag Ende Januar 2016, als gerade ein eisiger Schneesturm über Brooklyn tobt, als Richard sie dringend um Hilfe bittet. In seinem Wohnzimmer sitzt Evelyn Ortega, eine junge Frau aus Guatemala. Auf dem Weg zum Tierarzt war Richard einige Stunden zuvor auf ihr Auto aufgefahren. Was wie ein Bagatellfall aussah, hat ungeahnte Folgen für alle. Denn Evelyn hatte für einen dringenden Weg in die Apotheke das Auto ihrer Arbeitgeber genommen, ohne zu fragen und im Kofferraum eine Leiche entdeckt. Zur Polizei können sie nicht gehen, da Evelyn sich illegal in den USA aufhält. Für Lucía gibt es nur eine Lösung – sie müssen das Auto und die Leiche loswerden und das möglichst rasch.

Thema und Genre

In ihrem neuesten Roman rund um einen Mordfall im eisigen Winter 2016 erzählt die Autorin von Schicksalsschlägen, Flucht und Hoffnungen. Es geht um die Lebensumstände der ungemeldet und illegal in den USA arbeitenden Menschen aus Mittelamerika, sowie um die aktuelle politische Lage. In den Geschichten von Lucía und Evelyn erhält der Leser einen Einblick in die Situation in Chile, Guatemala und Mexiko. Vor allem jedoch handelt dieses Buch vom Leben, von starken, mutigen Frauen und von der Chance auf einen Neubeginn.

Charaktere

Die Autorin stellt drei Personen in den Mittelpunkt der Handlung: Richard, den etwas schroffen, durch das Schicksal gezeichneten Einzelgänger. Die patente Lucía, deren Leben nie einfach war, die dennoch fröhlich und positiv geblieben ist. Evelyn, die nach einer abenteuerlichen Flucht durch Mexiko bei ihrer Mutter in den USA gelandet ist, jedoch abgeschoben werden soll, kümmert sich seit 2011 in New York rund um die Uhr um ihren Schützling Frankie und oft auch um seine Mutter. Sie alle sind speziell, etwas schrullig und gerade deswegen einfach liebenswert.

Handlung und Schreibstil

Die spannende Handlung spielt im Januar 2016, dazwischen immer wieder Kapitel mit Rückblenden, in denen die einzelnen Protagonisten sich in Gedanken an wichtige Ereignisse in der Vergangenheit erinnern, oder den anderen auch Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Manche Rückblenden, wie zum Beispiel der abenteuerliche Weg Evelyns durch Mexiko, sind packend beschrieben und sehr spannend. Jedes Kapitel trägt als Überschrift die Namen der betreffenden Personen und auch eine Ortsangabe. Dies macht die Handlung für den Leser sehr übersichtlich und nachvollziehbar.

Isabel Allende erzählt diese besondere, sehr originelle Geschichte mit sprachlich beeindruckenden Schilderungen und vor allem wieder mit viel Wärme für alle menschlichen Facetten, Klugheit und Humor.

Etwas verwundet bin ich über den deutschen Titel, denn übersetzt würde der Originaltitel „Jenseits des Winters“ lauten, was wesentlich mehr Bezug zur Handlung hat.

Fazit

Eine spannende Geschichte mit politischen und sozialen Hintergründen, humorvoll und großartig erzählt. Die Charaktere sind originell und prägend für die Handlung, in der auch Freundschaft, Verständnis und Liebe nicht zu kurz kommen.

David – Judith W. Taschler

AutorJudith W. Taschler
Verlag Droemer HC
Erscheinungsdatum 2. Oktober 2017
FormatGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3426281338

„Alles, was auf diesen heißen Augusttag folgte, waren in den ersten Jahren tägliche kleine Katastrophen, sie mündeten in einer einzigen großen Katastrophe und die Folgen davon ließen aus ihrem Leben ein Desaster werden.“ (Zitat Seite 23)

Inhalt

Magdalena Millet kehrt nach 28 Jahren zurück ins Haus ihrer Kindheit, wo sie bei ihrer Oma Clara gelebt hat, bis diese überraschend verstorben ist und Magdalena in ein Heim kam. Sie renoviert das Haus, um darin zu leben.

Jan ist 18 Jahre alt, als seine Adoptivmutter bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Er findet sie, ihr Auto ist an einen Baum geprallt. Es ist ein großer, alter Davidsahorn, der auf Magdalenas Grundstück steht. Dieser Baum ist der Schlüssel zu einem alten Familiengeheimnis.

Thema und Genre

In diesem Familien- und Generationenroman geht es um jene Momente, in denen eine Entscheidung getroffen wird, die unvorhersehbare Folgen für alle Beteiligten und auch das Umfeld hat. Es geht auch um Vorurteile, das Leben in kleinen Dorfgemeinschaften und um die Liebe.

Charaktere

Die Autorin entwickelt unglaublich lebensnahe Charaktere mit allen menschlichen Schwächen, die den Leser mit ihren Schicksalen sofort in den Bann ziehen und uns mitfühlen lassen. Hier geht es nicht so sehr um die Frage, ob man einzelne Entscheidungen vielleicht anders getroffen hätte, sondern vor allem darum, was dann die Zeit, man kann es auch Ironie des Schicksals nennen, daraus macht.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung beginnt mit einem Ereignis in der Vergangenheit als Prolog und entwickelt sich in einzelnen Kapiteln zwischen Gegenwart und erklärender Vergangenheit weiter, bis sich der Bogen schließt. Die Geschichte ist in ihrer Komplexität spannend und schlüssig erzählt und bleibt auch nach der letzten Seite in den Gedanken des Lesers. Die poetische Sprache macht diesen Roman zu einem insgesamt beeindruckenden, großartigen Leseerlebnis.

Fazit

Eine facettenreiche Generationengeschichte in einer dichten, poetischen Sprache. Trotz der schwierigen Einzelschicksale ist es wunderbar positive Geschichte, die hier erzählt wird. Für mich persönlich eines meiner Lieblingsbücher 2018.

Der restliche Sommer – Max Scharnigg

AutorMax Scharnigg
Verlag Hoffmann und Campe
Erscheinungsdatum 14. März 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3455404944

„Der Fingerabdruck eines Paares liegt in einer Sprache, die nur ein anderer Mensch auf der Welt wirklich vollkommen richtig entschlüsseln konnte.“ (Zitat Seite 196)

Inhalt

Paul Neulich schreibt seit zwölf Jahren als August Sternberg eine konservative Ratgeber Kolumne über gutes Benehmen. Als ihm die Redaktion mitteilt, dass er nicht mehr in die zukünftige, moderne Blattlinie passt, verbringt er gerade mit der Performance Künstlerin Sara Almeida eine Auszeit in Portugal. Zwölf Jahre lang war Paul mit der Paartherapeutin Dr. Sonja Wilms verheiratet, bevor er sie verlassen hat. Sara wiederum war zuvor mit dem mit introvertierten Informatiker Tin Hasenglock zusammen, der gemeinsam mit zwei Freunden eine sehr erfolgreiche Social-Media-Community entwickelt hatte, Harpf.com. Persönliche Erlebnisse am Beginn dieses Sommers leiten Veränderungen ein …

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine Momentaufnahme im Leben der Protagonisten, gesellschaftskritisch und mit ironischer Betrachtung der Entwicklungen im Social Media Bereich und Journalismus. Er handelt aber auch von der Frage „wer war ich früher, wer will ich heute sein“, die sich wohl jeder irgendwann im Laufe des Lebens stellt.

Charaktere

Die Protagonisten haben eines gemeinsam, sie träumen sich die eigene Situation schön, spielen ihre Rollen, reagieren, statt zu agieren. Erst als der Autor sie mehr oder weniger wichtige Situationen erleben lässt, setzen Veränderungen ein. Doch selbst manche dieser Ereignisse sind im Grunde banal, nur in ihrem persönlichen Empfinden bedeutend. Dadurch bleibt man auch als Leser ein unbeteiligter Beobachter.

Handlung und Schreibstil

Der Zeitrahmen der Handlung beschränkt sich auf die ersten Sommerwochen, alle weiteren Details aus dem Leben der jeweiligen Person erfährt der Leser, indem der Autor ihn durch die personale Erzählform an den Gedanken und Erinnerungen seiner Figuren teilhaben lässt. Die einzelnen Kapitel betreffen abwechselnd Paul, Sara, Sonja, Tin; der jeweilige Name ist die Überschrift.  Ein einziges Kapitel ist aus Sicht des Nachrichtenchefs des Magazins, für das Paul schreibt, erzählt.

Die fließende, leicht zu lesende Sprache zeigt einige interessante Metapher, zum Beispiel beobachtet Paul ein Moskito in einem Spinnennetz. Interessant ist es auch, die Gedanken und Überlegungen der Protagonisten zu lesen, die oft im Gegensatz zum sichtbaren Verhalten und Handeln stehen.

Fazit

In der Realität sind die Dinge, die den vier Personen passieren, zwar wichtig, aber nicht so außergewöhnlich, wie sie es für sich selbst empfinden. Der Autor macht sich nicht die Mühe, auf die Auswirkungen der Ereignisse einzugehen, er bleibt vage, bei einem „vielleicht, vielleicht auch nicht“. Der ironisch gemeinten Gesellschaftskritik fehlen leider Humor und Ironie, dadurch versickert alles in 240 schnell zu lesenden Seiten von enttäuschender Mittelmäßigkeit.

Die Ermordung des Commendatore Band 2: Eine Metapher wandelt sich – Haruki Murakami

AutorHaruki Murakami
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 11. Mai 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten496
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3832198923

„Eine Idee kann ohne die Anerkennung durch andere nicht existieren, speist aber diese Anerkennung zugleich durch ihre Existenz.“ (Zitat Seite 105)

Inhalt

Der Maler arbeitet weiterhin am Porträt von Marie und  gleichzeitig malt er ein Landschaftsbild, eine realistisch-fotografische Darstellung der Grube im Wald. Seine kreative, künstlerische Phase dauert an, er spürt, dass beide Gemälde von beeindruckender Qualität sind. Gleichzeitig beschäftigt ihn weiterhin das Bild „Die Ermordung des Commendatore“ und das Leben von Tomohiko Amada. Als er den alten Maler eines Nachts in seinem Atelier zu sehen glaubt, beschließt er, ihn zu besuchen. Da verschwindet Marie und für den Maler beginnt ein mystisches Abenteuer, das ihn in physisch und psychisch an seine Grenzen bringt …

Thema und Genre

Da es sich um einen Roman in zwei Teilen handelt, ohne zeitliche Abgrenzung, ändert sich die Thematik nicht. Ein Schwerpunkt sind weiterhin die Ereignisse in Kriegszeiten und ihre Auswirkung auf den einzelnen Menschen, der sie überlebt. Es geht um Verluste von nahestehende Menschen und die unterschiedlichen Arten, damit umzugehen.

Die mystische Komponente verstärkt sich im weiteren Verlauf der Handlung, einzelne Szenen erinnern an das griechische Orpheus-Mythos, welches sich jedoch auch in der japanischen Mythologie findet.

Charaktere

Der Hauptprotagonist erzählt seine Geschichte weiter. Die Gespräche mit Marie, vor allem aber sein gefährliches Abenteuer nach Maries Verschwinden verändern ihn. Er beginnt, sich von der Trauer um seine Schwester zu lösen und sieht auch seine Ehe realistischer. Seine künstlerische Kreativphase, die sich beim Malen des Porträts von Marie fortsetzt, gibt ihm ein neues Selbstbewusstsein, er kann Entscheidungen treffen.

Die 13-jährige Marie Akikawa besucht den Maler öfter heimlich, mit ihm spricht sie über ihre Probleme und ihr Leben, da sie ihm vertraut und er andererseits ihre Beobachtungsgabe und kluge Sicht der Dinge erkennt.

Wataru Menshiki freundet sich mit Maries Tante an, bleibt jedoch bei seinem präzisen, ordentlichen Tagesablauf. Er unterstützt den Maler weiterhin und man könnte durchaus von einer Art Freundschaft zwischen diesen beiden unterschiedlichen Männern sprechen. Anders als der Hauptprotagonist will er jedoch keine Antworten wissen, sondern ihm genügt die Möglichkeit.

Handlung und Schreibstil

Der Spannungsbogen des ersten Teiles steigt weiter an, um dann erzählend auszuklingen. Wobei der Autor nicht für alle Themen und Erzählstränge Lösungen anbietet, manche erklärt er, dann wieder überlässt er es dem Leser, sich mögliche Entwicklungen vorzustellen.

Gerade dies macht den Roman so ungewöhnlich, aber auch packend. Für viele Ereignisse im Leben der Hauptfiguren bieten sich mehrere Erklärungen an, alle sind möglich, aber der Autor legt sich auf keine fest.

Dieser zweite Band führt die Geschichte aus dem ersten Buch mit Kapitel 33 nahtlos fort und endet mit dem Kapitel 64. Auch die Erzählperspektive wechselt nicht.

Die Sprache ist weiterhin großartig zu lesen, der Autor spielt mit Worten, Metaphern und Symbolik, teilweise werden Metapher sogar zu Protagonisten.

Fazit

Es handelt sich hier nicht zum zwei in sich geschlossene Teile, sondern um einen Roman, der in zwei Bänden erschienen ist. Daher sollte man auch mit Band 1 zu lesen beginnen. Der zweite Teil führt die surrealen Ereignisse fort und das mystische Element steigert sich. Der Autor bietet nicht für alles Erklärungen und eindeutige Antwort an, damit muss man als Leser umgehen können. Dann wird man dieses neueste Werk von Haruki Murakami mit Begeisterung lesen und vielleicht, so wie ich, eines der Lieblingsbücher des Lesejahres 2018 gefunden haben.

Die Ermordung des Commendatore Band 1: Eine Idee erscheint – Haruki Murakami

AutorHaruki Murakami
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 25. Januar 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten480
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3832198916

„Die Zivilisation schreitet voran, während du wie Urashima im Drachenpalast auf dem Meeresgrund mit den Seebrassen dein Mittagsschläfchen hältst.“ (Zitat Seite 132)

Inhalt

Ein Künstler dessen Namen wir nicht kennen erzählt seine Geschichte, die inzwischen einige Jahre zurück liegt. Der erfolgreiche Porträtmaler ist 36 Jahre alt, als sich seine Frau scheiden lassen will. Einge Monate lang reist er durch Japan, bevor ihm ein Studienfreund das einsam auf einem Berg gelegene Haus seines Vaters, des berühmten Malers Tomohiko Amadas,  zur alleinigen Nutzung überlässt. Eines Tages findet er auf dem Dachboden des Hauses ein Gemälde von beeindruckender Intensität: ›Die Ermordung des Commendatore‹, das ihn an eine Szene aus „Don Giovanni“ erinnert. Gleichzeitig kontaktiert ihn Wataru Menshiki, sein charismatischer Nachbar – er soll ihn porträtieren, wobei ihm künstlerisch keine Grenzen gesetzt sind. Der Erzähler will auf Grund seiner Schaffenskrise ablehnen, doch plötzlich kehrt die Inspiration zurück. Gleichzeitig ereignen sich einige erstaunliche Vorfälle …

Thema und Genre

Haruki Murakami hat hier wieder einen außergewöhnlichen Roman geschaffen. Angesiedelt in der Welt der Künstler, reicht der Inhalt jedoch weit darüber hinaus. Ein Erzählstrang, verbunden mit der Geschichte des Gemäldes, führt nach Wien, wo der alte Maler von 1933 bis 1939 studiert hatte. Auch zwischenmenschliche Beziehungen sind ein Thema. Eine mystische Spur von geheimnisvollen Ereignissen zieht sich durch die gesamte Handlung.

Charaktere

Der Hauptprotagonist, ein Portraitmaler, erzählt uns eine erstaunliche, teilweise unheimliche Geschichte, die er vor einigen Jahren erlebt hat. Damals befand er sich in einer Phase der künstlerischen Stagnation, da ihn mit seiner Frau auch die Inspiration verlassen hatte. Die Trennung von seiner Frau hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen, bis er sich überreden ließ, doch wieder ein Portrait zu malen.

Sein Auftraggeber und Mentor Wataru Menshiki ist ein älterer Herr, sehr begütert, eine imposante Erscheinung, charismatisch, aber nicht zu durchschauen. Er ist gewohnt, Menschen manipulieren zu können. Zur Zeit dieser Geschichte lebt er in einer großen Villa im Sichtfeld des Erzählers auf der anderen Seite des Tales.

Handlung und Schreibstil

Das Buch beginnt mit einem scheinbar zusammenhanglosen Prolog in der Jetztzeit, geht dann zurück in die Geschichte, die der namenlose Ich-Erzähler erzählen will und die inzwischen einige Jahre zurückliegt. Erklärungen und Hintergrundinformationen erhält der Leser vom Erzähler in Form von Gedanken, Überlegungen, Erinnerungen. So kommt es manchmal zu Überschneidungen, durch neue Details ergänzte Wiederholungen, wenn sich der Hauptprotagonist in seinen Gedanken nochmals mit denselben Vorgängen befasst. Insgesamt verschwimmen auch in diesem Roman Murakamis die Grenzen zwischen Realität und möglicher Einbildung, mystischen, kaum erklärbaren Vorgängen.

Die Geschichte umfasst einen Prolog und 32 Kapitel, wobei die Überschrift jeweils einen Gedanken des jeweiligen Kapitels aufnimmt. Kapitel 31 endet mit einem Cliffhanger, ein  aufregender nächster Sonntag wird erwähnt, während das kurze Kapitel 32 einen Verweis in die Vergangenheit enthält, der für den Leser noch nicht zuordenbar ist. Der zweite Band ist bereits erschienen.

Die Sprache ist pures Lesevergnügen, der Autor spielt mit Worten und Beschreibungen, geht ins Detail, wo es ihm wichtig erscheint. Als Leser taucht man sofort tief in die Geschichte ein.

Fazit

Die spannende, teilweise auch magische Handlung und die Personen begeistern von der ersten Seite an. Wenn man bereit ist, sich auf den Autor einzulassen und auch seine surrealen Einfälle auf sich einwirken lässt, ohne alles hinterfragen zu wollen, wird man das Buch kaum aus der Hand legen können.

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