Sturmvögel – Manuela Golz

AutorManuela Golz
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 17. Mai 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3832181376

„Sie hatte nichts Besonderes getan, um alt zu werden. Sie hatte einfach nur gelebt und immer versucht, sich selber treu zu bleiben. (Zitat Position 2045)

Inhalt

Emmy Seidlitz stammt aus sehr einfachen, armen Verhältnissen. Sie wäre gerne länger in die Schule gegangen, aber schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges wird sie wieder freigestellt, weil ihre Mithilfe zu Hause gebraucht wird. Mit vierzehn Jahren kommt sie als Dienstmädchen zu einer vermögenden Familie in Berlin-Charlottenburg. Dort lernt sie Hauke kennen, der trotz des großen Standesunterschiedes ihr Ehemann wird. Nun, 1994, sind ihre drei Kinder längst erwachsen, am 20. November wird Emmy siebenundachtzig Jahre alt und lebt ein einfaches, zufriedenes Leben. Hilde und Otto, die beiden älteren Kinder, entdecken inmitten des alten Gerümpels im Keller einen Aktenordner mit Dokumenten, welche Emmy als Besitzerin von Grundstücken in Potsdam ausweisen. Sie müssen dringend mit ihrer Mutter darüber reden, denn offensichtlich hat sie keine Ahnung, was diese Immobilien wert sind. Vielleicht ergibt sich an ihrem Geburtstag eine Gelegenheit?

Thema und Genre

In diesem Frauen- und Familienroman wird ein Frauenleben geschildert, welches vom Beginn des 20. Jahrhunderts, durch zwei Weltkriege und wechselvolle Zeiten, bis zum Ende des Jahrhunderts reicht. Es geht um Verlust, Familiengefüge und die Liebe.

Charaktere

Emmy ist humorvoll, vorlaut und eigenwillig, und hat sich trotz zweier Weltkriege ihre positive Lebenseinstellung bewahrt. Keksbrösel bedeuten für sie, dass es auch Kekse gegeben hat. Leider gleitet diese Hauptfigur teilweise ins Klischeehafte ab, auch alle weiteren Charaktere der Geschichte passen in unterschiedliche, aber zu gewollt typische Raster.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird in mehreren Handlungssträngen erzählt, die einander abwechseln. Der aktuelle Erzählstrang umfasst einige Monate zwischen 1994 und 1995, die zweite Ebene erzählt das Leben Emmys in den Jahren 1911 bis 1945. Nicht immer halten die einzelnen Kapitel den Zeitablauf chronologisch ein und werden ergänzt durch Ereignisse in den Jahren 1974 und 1981. Jedes Kapitel trägt als Überschrift die jeweilige Zeitangabe, sodass es einfach ist, den Überblick zu behalten. Die gesamte Handlung bewegt sich im belletristischen Wohlfühlbereich und bleibt vorhersehbar. Auch die einfache Erzählsprache bringt keine Überraschungen. Auf Grund des Klappentextes hatte ich mehr erwartet.

Fazit

Ein leichter, positiver, manchmal etwas rührseliger Frauenroman, teilweise in die üblichen Klischees abgleitend, unterhaltsam zu lesen.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Band I: Combray – Stéphane Heuet

AutorStéphane Heuet, Marcel Proust
Verlag Knesebeck
Erscheinungsdatum 19. August 2010
FormatGebundene Ausgabe
Seiten72
SpracheDeutsch
ÜbersetzungKai Wilksen
ISBN-13978-3868732610

„Es ist verlorene Liebesmühe, unsere Vergangenheit heraufbeschwören zu wollen. Alle Anstrengungen unseres Geistes sind vergeblich, Sie verbirgt sich außerhalb seiner Reichweite, in irendeinem unvermuteten Gegenstand.“ (Zitat Seite 13)

Inhalt

Viele Jahre lang erinnert sich Marcel, wenn er nachts aufwacht und nachzudenken beginnt, nur an sein Zimmer in Combray, die abendlichen Rituale des Zu-Bett-Gehens. Bis er eines Tages seine Mutter besucht, ein Stückchen einer Madeleine in seinen Tee taucht und plötzlich kehren die Erinnerungen an seine Jugendzeit lebhaft und mit allen Gefühlen und Gerüchen zurück.

Thema

1998 begann der französische Autor und Zeichner Stéphane Heuet, fasziniert vom Originalwerk von Marcel Proust, an einer Comic-Adaption zu arbeiten. 2012 waren sechs Bände als Graphic Novel in französischer Sprache erschienen, die seit 2014 auch in einer deutschen Ausgabe vorliegen.

Umsetzung

Diese Graphic Novel orientiert sich an Band 1 des Werkes „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust. Durch seine Auswahl der für ihn wichtigen Kernszenen, die er textlich und zeichnerisch umsetzt, und auch den Aufbau der Bildfolgen, gelingt es Stéphane Heuet, die Stimmung des Originalwerkes einzufangen. In der berühmten Szene, als Marcel plötzlich durch den Geruch und dann Geschmack eines in Tee getauchten Stückchens einer Madeleine auch in die Erinnerungen an seine Kindheit eintaucht, fühlen auch wir uns sofort in diese besondere Situation versetzt. Der Stil der Zeichnungen erfasst die damalige Zeit bis in das kleinste Detail, ist gleichzeitig modern und einfühlsam und verbindet sich mit dem Text zu einer Einheit, die mich von der ersten Seite an begeistert hat.

Fazit

Eine sprachlich und zeichnerisch überzeugende, interessante und lebendige Umsetzung des Originaltextes, in deren Bildersprache man sofort eintaucht, immer wieder neue Details entdeckend. Für mich ist es gleichzeitig eine späte Anregung, mich doch noch auf das Originalwerk einzulassen, denn diese Graphic Novel macht auch neugierig.

Das Wasserhaus – Reinhard Schultze

AutorReinhard Schultze
Verlag GRAFIT
Erscheinungsdatum 18. März 2021
FormatTaschenbuch
Seiten448
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3894257705

„Wir sind alle Akteure in einem komplizierten Feld. Das Wasser hat es verdient, dass wir unsere persönlichen Möglichkeiten so weit es geht ausschöpfen.“ (Zitat Seite 13)

Inhalt

Ma, die erfolgreiche Unternehmerin, wird gerade zum ersten Mal Großmutter und will nun mehr für die Familie da sein, ihnen mehr hinterlassen, als nur die Familienvilla im Allgäu und den Familiensitz Burg Gauchstein, eine Ruine mit Wasserturm. Doch gerade dieser Wasserturm könnte die Familie entzweien, denn als die Wasser-Südwest ihr die Leitung eines innovativen Wasseraufbereitungsprojektes in Südafrika anbietet, kann sie nicht ablehnen. Doch es gibt Personenkreise in Südafrika, die völlig andere Interessen vertreten, es kommt zu Problemen und schließlich benötigt sie zusätzliche Finanzmittel. Die Bank verlangt den Wasserturm als Sicherheit.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Geschichte einer Familie und ihrer Mitglieder. Ein wichtiges Thema sind saure Grubenwässer, Politik, internationale Wirtschaftsbeziehungen und die Frage nach dem Umgang mit der wichtigen Ressource Wasser.

Charaktere

Im Mittelpunkt des Romans stehen die Mitglieder der Familie Holzrichter: der Vater, Physiker, Spitzname „Forscher“, „Ma“ die Mutter, eine erfolgreiche Developerin, und die vier bereits erwachsenen Kinder, Jeffrey, der Älteste, ein Adoptivkind, Anwalt für Gesellschaftsrecht, und die eigenen Kinder Mies, Senta und Flocke, von Jeffrey „Bundeskanzlerin“ genannt, seit sie in Berlin Politikwissenschaften studiert und sich für Menschenrechte einsetzt. Mies arbeitet im Marketingbereich eines international tätigen Lebensmittelkonzerns, Senta bringt eine eigene Zeitung heraus.

Handlung und Schreibstil

Die aktuelle Handlung, spielt in Deutschland und Südafrika und wird chronologisch erzählt. Rückblicke ergänzen mit weiteren Details, wobei die alte Familiengeschichte eine wichtige Rolle spielt. Besonders die historischen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Stammsitz der Familie in Sachsen sind nach wie vor wichtige Themen am Mittagstisch der Familie, wo bei gemeinsamen Treffen alle Ereignisse besprochen werden. Generell ist dieser Roman auf die einzelnen Personen dieser Familie, ihre Problematiken und Konflikte aufgebaut, in vielen Kapiteln steht Ma im personalen Mittelpunkt der Ereignisse. Den sprachlichen Schwerpunkt bilden die zahlreichen Dialoge. Auch die technischen und wissenschaftlichen Erklärungen zum Kernthema, der innovativen, umweltfreundlichen und leistbaren Wasseraufbereitung finden in Dialogen statt. Das moderne Weglassen alle Satzzeichen, die im Zusammenhang mit der direkten Rede gesetzt werden und das Fehlen von Angaben, wer gerade spricht, macht das Lesen der oft rasch wechselnden Dialogsätze zeitweise etwas anstrengend.

Fazit

Eine interessante Geschichte, in deren Mittelpunkt die einzelnen, sehr unterschiedlichen Mitglieder einer Familie stehen, ihre enge Beziehung zueinander und jeweils das eigene Leben. Die Handlung fließt eher ruhig, wie das Wasser, das brisante Kernthema des Romans, in einem breiten Strom und wird hauptsächlich in Dialogen erzählt.

Jane – Aline Brosh McKenna

AutorAline Brosh McKenna
ZeichnungenRamón K. Perez
ErzählerinCharlotte Brontë
Verlag Panini Verlags GmbH
Erscheinungsdatum 24. September 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten228
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3741609909

„Du weißt nicht, warum du hier bist? Okay. Meine Mom ist tot und mein Dad fast immer weg. Du bist meine Nanny.“ (Zitat etwa Seite 31)

Inhalt

Da ihre Eltern, in der Hochseefischerei tätig, von einer Fahrt nicht zurückkommen, wächst Jane bei ihrer Tante auf. Sie arbeitet auf einem Fischerboot, bis sie genug Geld für ein Busticket nach New York gespart hat. Um für ihr Kunststudium ein Stipendium zu bekommen, muss sie einen Job haben – und sie hat nur eine Woche Zeit. Auch Adele hat ihre Mutter verloren und ihr Vater Edward Rochester ist ein vielbeschäftigter, erfolgreicher Geschäftsmann. Jane will sich um das einsame Mädchen kümmern und sie fühlt sich auch zu dem rätselhaften, manchmal schroffen Mr. Rochester hingezogen. Doch Rochester hat ein dunkles Geheimnis und gefährliche Feinde.

Thema und Genre

Diese Graphic Novel ist eine moderne Neuinterpretation des Klassikers Jane Eyre von Charlotte Brontë.

Umsetzung

Aline Brosh McKenna ist eine erfahrene Drehbuchautorin. Sie nimmt sich aus dem ursprünglichen Roman die für sie wichtigsten Details und transferiert diese in das heutige New York. Es gelingt ihr, auch die düstere Spannung des Originalromans beeindruckend umzusetzen. Mit Ramón K. Perez konnte sie einen bekannten Künstler für die Zeichnungen gewinnen und das Ergebnis, das man nun in Händen hält, überzeugt und macht Freude. Die Charaktere sind einprägsam gezeichnet, die Bildsprache der einzelnen Szenen zeigt lebhaft das Umfeld in der großartigen Stadt New York, nimmt sich Zeit für viele Details, die es zu entdecken gibt und wird dunkel-düster, wenn es um die gefährlichen Situationen der Geschichte geht. Dass Jane Eyre in dieser modernen Version selbst Kunststudentin ist, die schon als Kind alles, was sie sah, sofort zu Papier brachte, ergibt spannende Bild in Bild Situationen, in denen sie ihre Eindrücke zeichnet und so die Ereignisse nochmals selbst interpretiert.

Fazit

Eine packende, moderne Jane Eyre, das Romantikdrama als interessante, beeindruckende Graphic Novel im New York der Jetztzeit.

Meteoriten – Éloise Cohen de Timary

AutorÉloise Cohen de Timary
Verlag Atlantik
Erscheinungsdatum 5. Mai 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMaja Ueberle-Pfaff
ISBN-13978-3455010848

„Sie waren allein auf der Welt. Nichts zählte außer der Gegenwart – ihrer Gegenwart. Sie waren bestrebt, sich möglichst nicht jeden Tag zu sehen. Um die Sehnsucht wachzuhalten, sie zu genießen wie ein Bonbon, das im Mund allzu schnell schmilzt.“ (Zitat Pos. 426)

Inhalt

Völlig überraschend erhält die junge Journalistin Marianne von Paul Wiazowski, ein bekannter, aber extrem schwieriger Schriftsteller, eine Zusage für ein Gespräch. Sie scheitert zwar dann an dem Versuch, ein ausführliches Interview zu erhalten, stattdessen lernt sie den Landschaftsarchitekten Virgile Lifar kennen. Diese hat sich erst kürzlich von seinem Freund getrennt, verliebt sich jedoch sofort in Marianne und sie sich in ihn. Gemeinsam entdecken sie Paris, fahren ans Meer, finden die perfekte gemeinsame Wohnung. Gerade als sie ihre weitere Zukunft planen, zu der auch Kinder gehören sollen, kommt der Tag, an dem sich alles ändert.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um das französische Lebensgefühl, Musik, Lebensfreude, aber auch um Abschied, Trauer, prägende Entscheidungen, um Freundschaft und vor allem um die Liebe.

Charaktere

Virgile, Marianne, Florence, Olive und Kamel und ihre versteckte Bar, es sind authentische Figuren, die man beim Lesen sofort ins Herz schließt, die man gerne auch im realen Leben kennen möchte.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung wird im Zeitablauf nicht durchgehend linear erzählt, geht manchmal in die Zukunft, blickt zurück, was die Geschichte besonders lebhaft macht. Es gibt keine Kapitel, sondern Abschnitte, manchmal steht Marianne im personalen Mittelpunkt, manchmal Florence, in einigen Virgile. Der leichte, französische Lebensstil, die Liebe zur Natur, zum Meer und zum Leben prägen diese Geschichte, dazu die Musik von Patti Smith, Janis Choplin und vielen anderen aus dieser Zeit, Songs, die auch durch ihre lyrischen Texte das damalige Lebensgefühl geprägt haben und zeitlos geworden sind. Die Sprache passt perfekt zu dieser Geschichte einer großen Liebe, erzählt einfühlsam, wird aber niemals kitschig.

Fazit

Ein Roman über die Liebe, die Menschen, und die Freude am Leben. Durch dieses Buch schwingt Musik und die vielseitige, besondere Atmosphäre von Paris. Tiefgang erhält die Geschichte durch ein brisantes, aktuelles Thema, eine Problematik im Zusammenhang mit mehreren Entscheidungen, die zum weiteren Nachdenken anregt.

Mittwochs am Meer – Alexander Oetker

AutorAlexander Oetker
Verlag Atlantik
Erscheinungsdatum 5. Mai 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten176
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3455010961

„Aber ja, sie waren wie ein Gedicht, sie schienen sich zu reimen, sie beide, sie passten wie zwei Puzzleteile, er hoffte in diesem Moment, dass sie ein langes Gedicht sein würden, er wollte das Ende nicht lesen, noch lange nicht.“ (Zitat Pos. 812)

Inhalt

Maurice van der Berge ist Anwalt in Paris, spezialisiert auf die Abwicklung von Insolvenzen. Einer seiner aktuellen Klienten ist eine Firma, die in dem kleinen bretonischen Hafenstädtchen Cancale Austernsäcke produziert und so fährt er jeden Mittwoch in die Bretagne. Obwohl er Ideen hat, die Fabrik zu retten, machen es ihm die sturen Arbeiter und einheimischen Fischer schwer, sie halten ihn für weltfremd und zu zögerlich. Im Hotel, in dem er zu übernachten pflegt, steht eines Mittwochs statt der ihm bekannten Rezeptionistin eine schöne Frau an der Rezeption, Dominique Vial. Plötzlich freut er sich auf seine wöchentlichen Reisen in die Bretagne.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um eine leidenschaftliche, intensive Liebesbeziehung am Meer in der großartigen Landschaft der Bretagne. Auch die Gedichte von Arthur Rimbaud spielen in dieser Geschichte eine Rolle.

Charaktere

Maurice van der Berge ist Anwalt, ein introvertierter, ernster Mann, den die Liebe zu Dominique völlig verändert. Die Beziehung beginnt mit einem Liebesbrief, den Dominique ihm schreibt, nachdem sie ihn an der Rezeption gesehen hat. „Wer war diese Frau, die so offen über ihre Gefühle schreiben konnte, ohne Angst vor einer Zurückweisung, ohne Angst vor Entdeckung?“ (Zitat Pos 353)  

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt einen Sommer lang in der Bretagne und ist in einzelne Abschnitte eingeteilt, die chronologisch jeweils als Überschrift das Datum des entsprechenden Mittwochs tragen und in Kapitel unterteilt sind. Rückblenden in Form von Erlebnissen, die Maurice und Dominique einander erzählen, ergänzen die eigentliche Handlung, von der ich mehr erwartet hatte. Denn diese wird durch die wiederholten Schilderungen der wöchentlichen Liebesszenen trotz der lebhaften Beschreibungen der großartigen, rauen Landschaft, der interessanten Sehenswürdigkeiten und der eigenwilligen Bewohner von Cancale etwas eintönig. Die Sprache erzählt flüssig und ist angenehm zu lesen.

Fazit

Eine leidenschaftliche, romantische Liebesgeschichte, die gerade in diesen Tagen die Gedanken sofort auf die Reise schickt, in die Bretagne, ans Meer und zur magischen Insel Mont-Saint-Michel.

Daheim – Judith Hermann

AutorJudith Hermann
Verlag S. FISCHER
Erscheinungsdatum 28. April 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten192
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3103970357

„Wir sind Trabanten, denke ich, wir kreisen um unsere Sonnen, jeder um seine eigene.“ (Zitat Pos. 1667)

Inhalt

Die Ich-Erzählerin ist siebenundvierzig Jahre alt, geschieden. Vor dreißig Jahren hätte sie als Mitglied einer Zaubergruppe auf einem Kreuzfahrtschiff nach Singapur reisen können, erzählt sie, hat es aber doch nicht getan. Plötzlich erinnert sie sich wieder an diese Geschichte. Seit beinahe einem Jahr wohnt sie jetzt schon in einem kleinen, baufälligen Haus in einem Dorf an der östlichen Nordseeküste. Ihrem Bruder gehört hier eine Kneipe am Hafen und sie arbeitet für ihn, fünf Tage pro Woche. Sie sehnt sich nach ihrer erwachsenen Tochter Ann, die rastlos durch die Welt zieht und auch ihrem Exmann Otis schreibt sie oft, erinnert sich an gemeinsame Erlebnisse, erzählt von der Natur im Wechsel der Jahreszeiten. Wird sie bleiben?

Thema und Genre

Themen dieses Romans sind die Suche nach dem Platz im eigenen Leben, Beziehungen, Veränderungen, Aufbruch, Ankommen, Neubeginn. Es geht auch um Erinnerungen, reale und falsche.

Charaktere

Nicht grundlos erinnert sich die erzählende Hauptfigur beim Anblick einer Marderfalle an die Geschichte mit dem Zaubertrick und Singapur, sie scheint auch in ihrem Leben irgendwo zwischen Vergangenheit und Neubeginn gefangen, wie auch alle sie umgebenden Figuren irgendwie festzuhängen scheinen, der Bruder, ein Lebenskünstler, der die Arbeit in der Kneipe lieber der Schwester überlässt und in einer Beziehung zu einer Frau gefangen ist, die jünger ist, als seine Nichte. Der Landwirt, der nie wo anders leben könnte, als in diesem Dorf, und sich deshalb um den Hof seiner Eltern kümmert, samt Feldern und Schweinen in Massentierhaltung. Nur Mimi, die Bildhauerin und Malerin ist freiwillig zurückgekommen, sie ist hier aufgewachsen. Obwohl wir viel über das Leben und die Gedanken und Wünsche der einzelnen Figuren erfahren, bleiben sie auf Distanz.

Handlung und Schreibstil

Die Hauptfigur erzählt von ihrem Aufbruch aus dem alten Leben und dem Neubeginn in diesem kleinen Dorf an Meer. Die Handlung spielt während eines Jahres, im Wechsel der Jahreszeiten und der Natur, und wird rückblickend am Ende dieses ersten Jahres erzählt. Es geht um die kleinen Ereignisse, entspannte Stunden der Hauptfigur mit der neugierigen, aufgeschlossenen Mimi, die wie ein nicht aufzuhaltendes Ereignis als Freundin in das Leben der Ich-Erzählerin stürmt und ein Lichtblick in dieser insgesamt trostlosen, deprimierenden Geschichte ist. Die Sprache der Autorin ist klar und knapp, einprägsam in ihren symbolhaften Bildern, wie zum Beispiel die Marderfalle: „Du fängst selten das, was du fangen willst. Du fängst mitunter was ganz anderes. Dann musst du sehen, was du damit machst.“ (Zitat Pos. 1802).

Fazit

Eine deprimierende Geschichte und wenig sympathische Figuren. Gegen Ende wirft die Autorin plötzlich noch ein Gewaltverbrechen in die Handlung, ohne jedoch weiter darauf einzugehen, eine von vielen offenen Fragen, mit denen mich dieser Roman etwas ratlos zurücklässt.

Die Erfindung der Welt – Thomas Sautner

AutorThomas Sautner
Verlag Picus Verlag
Erscheinungsdatum 22. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten400
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3711721037

„Für gewöhnlich fügen sich Romanfiguren zumindest im Groben der Idee des Buches, diesmal aber entwickeln sie nicht nur, wie man gerne sagt, ein Eigenleben, diesmal boykottieren sie mich regelrecht. Sie pfeifen auf mich.“ (Zitat Seite 359)

Inhalt

Aliza Berg, eine erfolgreiche Schriftstellerin, erhält von einem unbekannten Auftraggeber das schriftliche Angebot, einen Roman zu schreiben. „G.“, so nennt sich die Person, überweist sofort eine großzügige Anzahlung, die sie auf jeden Fall behalten kann. Eine einzige Bedingung ist an den Auftrag geknüpft, es muss ein Roman über das Leben selbst sein, am Beispiel einer genau vorgegebenen Region und aller Bewohner. Die im Auftrag markierte Gegend liegt außerhalb einer Ortschaft und zeigt hauptsächlich Wald, Wiesen und einige Teiche. Es scheint nur ein Haus und eine Burg oder Schloss zu geben. Dass es sich tatsächlich um beides handelt, ein neues Schloss und eine mittelalterliche Burg, sieht Aliza, als sie nach Litstein reist und sie wohnt sogar in diesem Schloss, als Gast von Gräfin Elli und Graf Leopold Hohensinn. Zu ihrem Ärger war ihr Kommen von G. groß angekündigt worden und sie will sofort umkehren, zurück fahren, aber es kommt anders.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um das Leben und seine besonderen Überraschungen, um den Lauf des Jahres und die vielfältige Schönheit der Natur, auch in den kleinsten Dingen, um Literatur, das Schreiben, Freundschaft und die Liebe.

Charaktere

Es sind schrullige und in ihren manchmal schroffen Eigenheiten liebenswerte Figuren, denen die Schriftstellerin begegnet. Spontan beschließt sie, sich nicht um die Vorgaben von G. zu kümmern, sie allein entscheidet, welche Menschen sie als Figuren in ihren Roman aufnimmt. Aliza lernt alle ihre Figuren erst kennen, ich habe mit großem Vergnügen auch Bekannte aus Großmutters Haus wiedergetroffen.

Handlung und Schreibstil

„An jenem Abend war ich seit etwa zwei Wochen in der Gegend. Seit zwei Wochen auf Recherche für einen Roman, von dem ich noch nicht wusste, ob ich ihn schreiben würde.“ (Zitat Seite 10). Das Gespräch an jenem Abend führt, ebenso wie Elli Hohensinn, mit dazu, dass sie bleibt. Beinahe ein Jahr lang recherchiert Aliza Berg, beobachtet ihre Figuren, lernt ihre Geheimnisse kennen und die ihr bisher unbekannten Seiten der Natur, weil sie sich Zeit nimmt, alles zu beobachten. Es sind lustige Begebenheiten, sehr skurrile Erlebnisse und sehr traurige. Der Autor spielt mit unterschiedlichen Erzählperspektiven, stellt nicht nur abwechselnd eine seiner Figuren in den Mittelpunkt, sondern es kann auch plötzlich ein Teil der Natur sein, oder Aliza als Ich-Erzählerin. Mit einem humorvollen Augenzwinkern beobachtet er seine Schriftstellerin bei ihren Recherchen, führt sie immer wieder in überraschende Situationen. Verbunden mit der poetischen, leichten und gleichzeitig eindrücklichen Sprache, den wunderbar detaillierten Schilderungen der Natur und der Menschen, ergänzt durch eingestreute philosophische Betrachtungen, führt dies zu seinem Roman, in den man versinkt und plötzlich mit Bedauern bemerkt, schon an der letzten Seite angekommen zu sein.

Fazit

Der Autor lässt in diesem Roman die Schriftstellerin llse Hofstätter während einer Vorlesung über Literatur sagen: „Alles, was sie zu wissen glaube, sei, Literatur solle mutig, ja übermutig sein, solle Kopf- und Herztöne zusammenführen, durcheinanderwirbeln und spielerisch wieder auffangen. Dann sei in ihr alles enthalten, selbst das, was ungesagt geblieben ist.“ (Zitat Seite 394) Besser kann man diesen Roman nicht beschreiben.

Nora Joyce und die Liebe zu den Büchern – Nuala O’Connor

AutorNuala O’Connor
Verlag Insel Verlag
Erscheinungsdatum 18. April 2021
FormatBroschiert
Seiten461
SpracheDeutsch
ÜbersetzungEike Schönfeld
ISBN-13978-3458681427

„Vielleicht bin ich ihm als Frau zu einfach, zu sehr Galway, zu wenig Bildung, zu arm. Vielleicht stehe ich ihm im Weg und er will jetzt seine Freiheit, vielleicht schreibt er mir deshalb Dinge, damit ich mich gräme und weine, allein in unserem Bett.“ (Zitat Seite 189)

Inhalt

Die Irin Nora Barnacle arbeitet als Zimmermädchen in einem Hotel in Dublin. Sie ist zwanzig Jahre alt, als sie 1904 James Joyce kennenlernt. Gemeinsam verlassen sie heimlich Irland und leben in wilder Ehe zusammen. Ihr Weg führt sie nach Zürich, Triest, Paris. Beide können nicht mit Geld umgehen und so leben sie viele Jahre mit ihren zwei Kindern auf engstem Raum und in großer Armut, unterstützt von seinem Bruder  Stanislaus Joyce und Freunden, bevor der Erfolg seiner Bücher sie finanziell absichert. Für Nora, Vorbild der Frauenfiguren in seinen Romanen, ist der alkoholsüchtige, schwierige Künstler, ihr Jim, der Mittelpunkt ihres Lebens und sie glaubt an seinen Erfolg als Schriftsteller.

Thema und Genre

Dieser Roman mit biografischem Hintergrund schildert das Leben von Nora Joyce an der Seite des irischen Schriftstellers James Joyce als fiktive Autobiografie der Ich-Erzählerin Nora.

Charaktere

Im zeitgenössischen Freundes- und Bekanntenkreis wird Nora als sehr gewöhnliche, ungebildete Frau geschildert. Obwohl Brenda Maddox in ihrer Biografie dieses wohl einseitige Bild ändern konnte, zeigt der vorliegende Roman wieder das Bild einer Nora, die zwar die Gedichte ihres Jim liebte, doch seine Bücher nie gelesen hat, weil sie einfachste Heftromane bevorzugte. In den schwierigen Zeiten vor seinem Erfolg bleibt sie nur bei ihm, weil sie befürchtet, alleine nicht für ihre beiden Kinder sorgen zu können. Die Gutmütigkeit von Stanislaus, James‘ Bruder, nützt sie aus, immer wieder bittet sie ihn mit Selbstverständlichkeit um Geld. So macht dieser Roman aus Nora eine nicht sehr sympathische Frau.

Handlung und Schreibstil

Nora Barnacle-Joyce schildert ihre Geschichte selbst, der Roman ist als Ich-Erzählung in Tagebuchform gestaltet. Er beginnt mit dem ersten Date mit James „Jim“ am 16. Juni 1904. Es folgt eine kurze Schilderung ihrer Kindheit bis zu diesem Tag. Die Handlung endet 1951 in Zürich. Um Nora authentisch wirken zu lassen, ist dieser Roman in einer einfachen Umganssprache geschrieben und konnte mich streckenweise nicht überzeugen und packen. Vielleicht liegt dies teilweise auch an der Übersetzung, oftmals „grunzt“ Jim, oder Nora, oder ein Freund, bevor sie bzw. er etwas sagen und hier hätte es, wie so oft in der englischen Sprache, mehrere Übersetzungsmöglichkeiten geben. Während der Bahnfahrt nach Zürich: „Jim grunzt. ‚Bald geht’s durch den Arlbergtunnel, Nora.‘“ (Zitat Seite 260)

Fazit

Ein Roman in autobiografischer Form, dessen deutscher Untertitel „und die Liebe zu den Büchern“, der im englischen Original fehlt, dazu führte, dass ich eine etwas andere Schilderung des Lebens von Nora Joyce erwartet hatte. Hier wird zwar auch erzählt, wie James Jocye an seinen Romanen schreibt, aber generell geht es nicht um Literatur, sondern um Noras Alltag, ihre Befindlichkeiten, ihre Suche nach Freundinnen in fremden Städten, ihre sexuellen Phantasien. Dennoch ist es eine interessante Frauengeschichte über das Leben an der Seite eines schwierigen Künstlers, die sicher begeisterte Leserinnen finden wird.

Fahrtwind – Klaus Modick

AutorKlaus Modick
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 15. April 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462001303

„Ich sah die Villa in ihrer selbstbewussten Schlichtheit, den lässig halb verwilderten Garten, den türkisfarbenen Spiegel des Sees, und kam mir vor wie ein alter Römer, der, einen breiten Strohhut auf dem Kopf, das süße Leben auf seinem Landgut genoss und fünf gerade sein ließ – procul negotiis.“ (Zitat Pos. 1265)

Inhalt

Vor etwa fünfzig Jahren hatte der Autor anlässlich einer Vorlesung über Eichendorffs Taugenichts die Idee, wie es wohl wäre, diesen ungebundenen, abenteuerlustigen und manchmal verträumten Freigeist in den turbulenten 1970er Jahren nach Süden ziehen zu lassen. Statt der Geige nimmt sein Protagonist die Gitarre mit und auf den Spuren des Taugenichts schreibt er eigene Texte und Songs. Sein Weg führt ihn in ein nobles Hotel in der Nähe von Wien, dann weiter auf ein Landgut in der Toskana, die Villa Maria Ioana, umgeben von einem auf romantische Art etwas verwilderten Garten, Olivenhainen und einem verschwiegenen Beet mit sattgrün wuchernden Pflanzen. Weiter geht die Reise nach Rom und über den Gardasee zurück nach Wien.  Mit den beiden Künstlern Wyatt und Billy, eigentlich Leo und Guido, kommt das perfekte Easy Rider Feeling in sein Leben und auch einige Abenteuer und überraschende Wendungen.

Thema und Genre

Dieser Roman, die moderne Version der bekannten romantischen Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, handelt von Freiheit, Musik, italienischer Lebensfreude und von der Liebe. Es geht um die zeitlose Sehnsucht nach der Verwirklichung der Lebensträume und Romantik, im 19. Jahrhundert wie auch im Umbruch der Siebziger Jahre.

Charaktere

Der sympathische Hauptprotagonist weiß nicht, was er will, nur eines weiß er genau, er will auf keinen Fall als „& Sohn“ in das väterliche erfolgreiche Sanitärunternehmen Johann Müller eintreten. Er ist offen für Abenteuer, fasst seine Gefühle in Texte und Melodien und genießt das freie Leben als Musikus.

Handlung und Schreibstil

Die Hauptfigur, von den Menschen, denen er begegnet, Musikus genannt, schildert die Geschichte seiner Reise als Ich-Erzähler. Er lässt uns poetisch an seinen Gedanken, Gefühlen und Träumen teilhaben und ergänzt seine mit Witz geschilderten Erlebnisse und Abenteuer durch lebhafte Beschreibungen der Menschen, die ihm begegnen. Musik als Ausdruck seiner Lebenseinstellung zieht sich durch den Text, vermischt sich mit den genussvollen Eindrücken des italienischen Dolce Vita in der sonnigen Wärme der Toskana und in der lebhaften Metropole Rom.

Fazit

Eine in die Siebzigerjahre versetzte, moderne, wunderbar leicht, poetisch und mit einem humorvollen Augenzwinkern erzählte Version der bekannten Novelle von Joseph von Eichendorff. Perfekt für angenehme Lesestunden, die uns sofort in die Aufbruchstimmung dieser Zeit und in das unvergleichliche Gefühl italienischer Lebensart versetzen. Umgeben von Musik und Songtexten, nickt im Hintergrund die Blaue Blume der Romantik begeistert im Takt.

Das Ilona-Projekt – Lutz Flörke

AutorLutz Flörke
Verlag duotincta GbR
Erscheinungsdatum 5. September 2018
FormatBroschiert
Seiten262
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3946086321

„Wie so oft fragt sich HP, in welcher Geschichte er sich befindet, ob es die eigene ist oder eine, die ihm andere aufzuwingen, seine Schwester, Reinhardt, das Leben im Allgemeinen.“ (Zitat Seite 27)

Inhalt

Seine Schwester schenkt HP aus Hamburg zum Geburtstag eine Studienreise nach Sizilien. Nun sitzt HP Proust-lesend in Taormina, als ihn Reinhardt, Beruf Erbe, ebenfalls Proust-Leser, anspricht. Er hat spontan eine Frau, Ilona, nach Taormina eingeladen, doch nun muss er geschäftlich dringend nach Samos reisen. HP soll Ilona am Treffpunkt abholen und mit ihr Reinhardt auf die Insel Samos nachreisen. Damit beginnt das Ilona-Projekt und HP taucht ein in ein skurriles, chaotisches Abenteuer. Auf der Suche nach seiner eigenen Geschichte findet er sich jedoch wieder nur als Nebenfigur in den Geschichten der anderen wieder, tröstet, hört zu. Erst wenn er jemanden findet, der ihm zuhört, dem er die ganze Geschichte erzählen kann, wird es seine eigene Geschichte sein.

Thema und Genre

In diesem vielschichtigen Roman geht um die Such nach der eigenen Identität und um den Platz im eigenen Leben. Weitere Themen sind Beziehungsformen, Liebe, Literatur, sowie die vielen Erzählformen und unterschiedlichen Erzählperspektiven, die Fülle an literarischen Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen.  

Charaktere

Die Hauptperson, kurz HP, ist eher ruhig und zurückhaltend, in seinen Gedanken jedoch läuft pausenlos eine Vielzahl von Geschichten ab, Träume, die reale Situationen spontan verändern, Literaturfragmente aus Büchern von bekannten Schriftstellern, eigene Erinnerungen. Manchmal verirrt er sich in diesen Geschichten, während er sich verzweifelt bemüht, authentisch zu wirken. Mit einem großen Augenzwinkern lässt der Autor seine Figuren mit den typischen menschlichen Verhaltensweisen und Schwächen agieren.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in Italien, Griechenland und zusätzlich in mehreren Variationen in den Gedanken von HP. Ereignisse und Szenen, die ruhig, gelassen beginnen, werden durch unvorhersehbare Wendungen und wechselnde Erzählperspektiven plötzlich chaotisch. Skurrile Gespräche über das Schreiben, das Leben und Biografien, Beschreibungen von antiken Sehenswürdigkeiten fließen als Textauszüge und Zitate in die Handlung ein. Auch in diesem Urlaub weitab von seinem alltäglichen Umfeld, führen Situationen dazu, dass sich HP in die Biografien der Personen, die ihn umgeben, einfügt, dabei sehnt er sich nach einer eigenen Biografie, mit ihm selbst als Hauptperson. Er hat die Wahl zu gehen, überlegt, sich zurückzuziehen, sich eine andere, eigene Geschichte zu suchen. Aber er bleibt, weil er neugierig ist, weil es ihn interessiert, was daraus wird und auch wir Lesende sind gespannt. Selbst als HP endlich jemandem seine Geschichte erzählen konnte, sie damit zu seiner eigenen Geschichte gemacht hat, unterbricht der Erzähler diese ruhige Nacht am Meer mit einer skurril-komischen Pointe und fügt für HP ein weiteres Kapitel an.

Fazit

Ein Roman wie eine abenteuerliche Achterbahnfahrt: ernst, chaotisch, skurril, witzig. Ein ungewöhnliches, interessantes und unterhaltsames Lesevergnügen.

Der Wal und das Ende der Welt – John Ironmonger

AutorJohn Ironmonger
Verlag FISCHER Taschenbuch
Erscheinungsdatum 25. März 2020
FormatTaschenbuch
Seiten480
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMaria Poets, Tobias Schnettler
ISBN-13978-3596704194

„Die Zeit lief hier in einem anderen Tempo ab. Ein Mann konnte mit einem Glas Cider dasitzen und aufs Meer hinausblicken, und die Zeiger der Uhr drehten ihre Runden, und niemand rief seinen Namen.“  (Zitat Seite 96)

Inhalt

In dem kleinen Küstendorf St. Piran in Cornwall wird zuerst ein nackter Mann an den Strand gespült und später ein Wal, der in einer gemeinsamen Aktion gerettet wird. Joe Haak, der junge Mann, ist ein Banker aus London. Er hatte fünf Jahre lang an einem Datensystem gearbeitet, das nun in der Lage ist, weit genauer und umfassender als alle bisher bekannten Programme, anhand von unzähligen, auch kleinsten Details, die es laufend sammelt, bearbeitet und vernetzt, zukünftige Entwicklungen präzise vorauszusagen. Hier, in St. Piran, weiß niemand, wer er ist. Zu seinem Programm hat er immer noch Zugriff und eines Tages sieht er Hinweise auf höchst alarmierende Ereignisse. Kurz entschlossen kauft er große Mengen an Lebensmitteln und lagert diese. Kann ein Computersystem, bei aller Perfektion, auch die Komponente des menschlichen Verhaltens vorhersagen?

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Wirtschaftsdaten, Börsensysteme, eine Pandemie und den Zusammenhalt und das Miteinander der Menschen einer Dorfgemeinschaft.

Charaktere

Ein Fischerdorf in Cornwall mit schrulligen, liebenswerten Menschen, die auch in ihren Handlungen authentisch wirken. Joe Haak, Banker, Investment- und Computerspezialist, fühlt sich rasch als Teil dieser Dorfgemeinschaft und handelt sofort, als er die Zeichen einer weltweiten Krise erkennt.

Handlung und Schreibstil

Der Roman ist in einer leisen, poetischen Sprache geschrieben und es ist eine märchenhafte Geschichte, an welche sich alle Bewohner von St. Piran noch heute, Jahre später, erinnern und rückblickend schildern. Eine interessante Aktualität erhält dieser bereits im Februar 2015 erschienene Roman durch die Vorwegnahme einer Pandemie, wie wir sie in diesen Monaten tatsächlich erleben.

Fazit

Eine poetische, beinahe märchenhafte Geschichte von Menschlichkeit, Zusammenhalt und Hoffnung, die in einem kleinen Dorf an der Küste Cornwalls spielt.

Bogners Abgang – Hans Platzgumer

AutorHans Platzgumer
Verlag Paul Zsolnay Verlag
Erscheinungsdatum 15. März 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten144
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3552072046

„Es gibt Dinge, die behält man besser für sich. Manches verletzt erst dann, wenn man es ausspricht, nicht, wenn man es verschweigt.“ (Zitat Seite 81)

Inhalt

Die Bregenzerin Nicola Pammer studiert an der Universität Innsbruck. Auch an diesem 5. April 2018 will sie sofort nach der letzten Vorlesung nach Hause fahren, doch eine ihrer WG-Mitbewohnerinnen feiert Geburtstag. Drei Aperol Spritz später steigt Nicola nachts in ihr Auto und fährt los. Plötzlich taucht aus dem Nichts ein Schatten vor ihr auf der Straße auf.

Thema und Genre

Dieser Roman handelt von einem plötzlichen Ereignis und der Reihe von zufälligen Verkettungen, die zu dieser Situation geführt haben. Es geht um menschliches Verhalten, Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Verantwortung, auch zeitgenössische Kunst und Kunstkritik spielen eine wichtige Rolle.

Charaktere

Der Autor taucht in die Gedankenwelt seiner Figuren, zeigt uns in eindrücklichen Abschnitten ihr Befinden und ihr Verhalten. Er schildert, macht Handlungen nachvollziehbar, doch überlässt er die Wertung und Einschätzungen uns Leser:innen. Auch die Namen der Figuren sind Charakter, der Künstler Andreas Bogner, in dessen aktuellem Kunstzyklus auch ein Bogen eine Rolle spielt und der selbst in einer starken mentalen Anspannung lebt, seiner verbissenen Sucht nach Anerkennung, der überhebliche Kunstkritiker Kurt Niederer, dessen vernichtende Kunstkritik Künstler niedermacht.

Handlung und Schreibstil

Die Sprache ist präzise, teilweise protokollarisch, nimmt sich aber auch Zeit für Beschreibungen des Umfeldes, der Denkweise, der Gefühle seiner Figuren. Die Geschichte spielt innerhalb von wenigen Tagen, wird verdichtet durch erklärende Rückblenden, wechselt zwischen den einzelnen Figuren und wird nicht chronologisch geschildert. Erst langsam bringen die unterschiedlichen Handlungssplitter Klarheit darüber, was in dieser Nacht tatsächlich geschehen ist. Gespannt und neugierig folgen wir den Figuren und ihren Entscheidungen. Dadurch entstehen vielschichtige Impulse für eigene Überlegungen, was wir selbst in extremen Konfliktsituation wie den geschilderten tun würden, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.

Fazit

Eine facettenreiche, spannende Geschichte über eine Verkettung von Zufällen. Extrem belastende Situationen führen zu unterschiedlichen menschlichen Reaktionen, zu spontan getroffenen Entscheidungen und deren nicht vorhersehbaren Auswirkungen. Der Autor erzählt uns, wie es dazu kommen konnte. Das Nachdenken über die Schuldfrage, Verantwortung, eigene Verhaltensweisen und mögliche anderen Lösungen der Konflikte, auch „was wäre gewesen, wenn“-Überlegungen überlässt er uns Leser:innen.

Reise mit zwei Unbekannten – Zoe Brisby

AutorZoe Brisby
Verlag Eichborn Verlag
Erscheinungsdatum 26. März 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten416
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMonika Buchgeister
ISBN-13978-3847900566

„Sie hinterließ ihm die Erinnerungen an diese zwei Tage. Das war nicht viel, aber er konnte sich ihrer bedienen, wie man sich eines Schmuckkästchens bedient.“ (Zitat Seite 360)

Inhalt

Alex ist fünfundzwanzig Jahre alt, unsicher, schüchtern und unglücklich verliebt. Er muss raus aus dem Alltag und beschließt, durch Frankreich nach Brüssel zu fahren. Aus finanziellen Gründen sucht er über eine Mitfahrzentrale eine weitere Person. Als er in seinem alten Renault Twingo Max „Hobbies: Technik, Whisky, Tour de France“ abholt, rechnet er mit einem jungen Mann. Doch es erwartet ihn Maxine, violette Haare, exzentrisch und über neunzig Jahre alt. Sie hat erste Anzeichen für Alzheimer an sich entdeckt und und will in Brüssel ihr Leben selbstbestimmt geordnet beenden. Doch zuvor will sie diese Reise richtig genießen, Spaß haben und plötzlich können beide wieder lachen.

Thema und Genre

Dieser Roman ist ein charmantes Roadmovie. Es geht um Verständnis zwischen den Generationen, Lebenserfahrung, Mut und vor allem um die Freude am Leben mit allen Höhen und Tiefen.

Charaktere

Das denkt Maxine über Alex: „Was diesem jungen Mann fehlte, war Vertrauen. Zunächst einmal Selbstvertrauen, aber darüber hinaus auch Vertrauen zu anderen, Vertrauen in das Leben, Vertrauen in die Zukunft.“ (Zitat Seite 38)

Das denkt Alex über Maxine: „Einerseits sah sie aus wie eine freundliche und harmlose alte Dame, andererseits bekam sie offenbar alles was sie wollte, und brachte ihr Gegenüber mühelos dazu, das Gegenteil von dem zu tun, was er eigentlich vorgehabt hätte.“ (Zitat Seite 39)

Handlung und Schreibstil

Die Handlung umfasst nur wenige Tage. Sie beginnt mit den beiden Einträgen in das Formular der Mitfahrzentrale und schildert chronologisch den Verlauf der Reise von Alex und Maxine. Details aus dem Leben der beiden erfahren wir durch die Episoden, die sie einander erzählen. In den einzelnen Kapiteln steht jeweils Alex oder Maxine im Mittelpunkt der personalen Erzählform, was Abwechslung und Vielfalt in den Text bringt. Es sind witzige und skurrile Situationen, die sie auf dieser Reise erleben, manche abenteuerlich und oft überraschend. Spannung erhält die Geschichte durch die Frage, ob und wie diese gemeinsame Reise die beiden Hauptfiguren verändern wird. Für mich wäre die Handlung damit perfekt gewesen, doch die Autorin bringt ein weiteres Detail als Spannungsmoment in die Handlung, die dadurch etwas ins Unglaubhafte, Konstruierte abgleitet.

Fazit

Liebenswerte Charaktere, Humor und Lebensfreude ergeben einen unterhaltsamen Roadmovie-Roman.

Drei Sommer – Margarita Liberaki

AutorMargarita Liberaki
Verlag Arche Literatur Verlag AG
Erscheinungsdatum 18.März 2021
Format Gebundene Ausgabe
Seiten388
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMichaela Prinzinger
ISBN-13978-3716027981

„Abends vorm Einschlafen denke ich über dich und Infanta, über Mutter und Vater und sogar über Tante Tereza nach. Ich frage mich, wie unser Leben später mal aussehen wird, was wir erreichen werden. Wir müssen doch etwas erreichen, Maria, oder?“ (Zitat Seite 80)

Inhalt

Maria, Infanta und Katerina gehören zu einer angesehenen, begüterten Familie und leben mit ihrer geschiedenen Mutter Anna und Tante Tereza auf dem großen Landgut des Großvaters, in Kilissi, der noblen Wohngegend außerhalb Athens. Dieser erste von drei aufeinander folgenden Sommern in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg ist für Katerina etwas Besonderes. Denn in diesem Sommer lassen ihre beiden älteren Schwestern, Maria ist zwanzig Jahre alt, Infanta achtzehn, die sechzehnjährige Katerina erstmals an ihren Gesprächen teilhaben, teilen ihre Geheimnisse mit ihr, während sie versuchen, die Welt um sich herum und sich selbst zu verstehen. Aus den früheren Freunden der Kindheit sind junge Männer geworden und mit diesen Veränderungen kommt auch die erste Liebe. Im zweiten Sommer verliebt sich Katerina, doch gleichzeitig träumt sie von einem Leben als Schriftstellerin, ungebunden und frei.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine Frauen-, Familien- und Coming-of-Age-Geschichte. Es geht um das enge, traditionelle Frauenbild im Griechenland der 1930er Jahre. In Griechenland zählt dieser 1946 erschienene Roman heute zu den modernen Klassikern.

Charaktere

Katerina ist ein eigenwilliges Mädchen, neugierig, aber auch verträumt. Sie überlegt, ob sie wirklich ein Leben als Ehefrau und Mutter führen will, träumt von fernen Ländern und Freiheit. Sie beobachtet und beschreibt die unterschiedlichen Menschen aus mehreren Generationen in ihrem Umfeld, Frauen, Männer, Familie, Freunde, versucht, ihre Geheimnisse zu ergründen, ihr Leben und ihr Verhalten zu verstehen.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung umfasst hauptsächlich die Sommermonate in drei aufeinanderfolgenden Jahren, wird ergänzt durch dazwischenliegende Ereignisse, Kindheitserinnerungen von Katerina und Episoden aus dem Leben der Großeltern- und Elterngeneration. Die gesamte Geschichte wird nachträglich aus der Erinnerung erzählt, mit Katerina als Ich-Erzählerin, jedoch unterbrochen und ergänzt durch weitere Erzählstimmen, zwischen denen die Autorin wechselt. So erfahren wir beim Lesen auch Geschichten, die Katerina nicht wissen kann. Inhalt der Handlung sind die alltäglichen kleinen Erlebnisse und Erfahrungen dieser Zeit, der häusliche, weibliche Tagesablauf in vielen kleinen Momenten, die einzigartige Üppigkeit der griechischen Frühlings- und Sommermonate, eine Zeit voll von Wärme, Düften und Gefühlen. Die Sprache der Übersetzung liest sich angenehm und fließend.

Fazit

Ein Klassiker der modernen griechischen Literatur, es sind die Schilderungen der kleinen alltäglichen Momente im Leben der Frauen in den 1930er Jahren in Griechenland, die den Roman interessant und lesenswert machen.

Über Menschen – Juli Zeh

AutorJuli Zeh
Verlag Luchterhand Literaturverlag
Erscheinungsdatum 22. März 021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten416
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3630876672

„Meistens besteht das Leben aus Trial and Error, und der Mensch kann viel weniger begreifen und kontrollieren, als er glaubt. Auf dieses Dilemma kann weder Nichtstun noch Aktionismus die richtige Antwort sein.“ (Zitat Seite 28)

Inhalt

Dora, sechsunddreißig Jahre alt, ist eine erfolgreiche Werbetexterin, als ihr im Home-Office des Corona-Lockdown nicht nur die gemeinsame Wohnung in Berlin, sondern auch das Leben mit Robert endgültig zu eng wird. Bereits im Dezember hatte sie heimlich das renovierungsbedürftige, alte Gutsverwalterhaus auf dem verwilderten Grundstück mit den großen Bäumen gekauft, in Bracken, einem kleinen Straßendorf irgendwo in Brandenburg. Jetzt, drei Monate später, ist sie emdgültig hierher übersiedelt. Mit ihrer Hündin Jochen, ohne Möbel, aber mit einem Nachbarn, der sich ihr als Gote, wie Gottfried, ich bin der Dorf-Nazi vorstellt, was zu seiner sauber geschorenen Glatze passt. Doch plötzlich liegt ihre Matratze auf einem eigens für sie angefertigten Bett und auf ihrem Lieblingsplatz auf dem Treppenabsatz vor dem Haus stehen eines Tages Küchenstühle. Hier, in diesem Dorf mit seinen Menschen verändert sich etwas in Dora, vom Nachdenken zum Umdenken.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Menschen, ihre Ängste, Sorgen, aber auch den Zusammenhalt in diesen herausfordernden Tagen einer modernen, aber unsicher und brüchig gewordenen Gegenwart.

Charaktere

Dora muss in Bewegung sein, um sich ruhig zu fühlen. Sie hat eine eigene Meinung zu vielen Themen unserer Zeit, doch hier in Bracken erkennt sie rasch, wie sehr sie sich irrte, als sie überzeugt davon war, man könne doch Gut und Böse ganz einfach auseinanderhalten. Denn hier lernt sie alle möglichen Zwischenschattierungen in unterschiedlichster Form kennen.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman spielt in der Gegenwart in einem kleinen Dorf in Brandenburg. Dora zieht sich aus ihrem Leben in Berlin zurück, um mit ihrer Hündin Jochen eine völlig andere Art Leben zu probieren, denn Home-Office geht überall. Einkaufen ohne Auto, mit einer Busverbindung mit hohem Seltenheitswert, Gärtnern mit theoretischen Anleitungen über YouTube. Dazwischen freie Zeit, auch das muss sie lernen, mit dieser freien Zeit umzugehen, die Natur in ihrer wunderbaren Vielfalt hilft ihr dabei. Doch jeder Tag bringt neue Herausforderungen und manchmal wünscht sich Dora weit weg von allem, am besten auf die Raumstation ISS, um Abstand zu gewinnen und Ruhe. Die Autorin erzählt einfühlsam, intensiv, bindet die drängenden Themen der Gegenwart mit ein, schafft unterschiedliche Figuren mit völlig unterschiedlichen Sichtweisen, beleuchtet die Standpunkte, lässt sie ruhen, nimmt sie in einem neuen Zusammenhang wieder auf. Sie lässt ihre Figuren nachdenken, umdenken und uns beim Lesen mit.

Fazit

Dies ist tatsächlich ein Roman über Menschen, ihre Ängste, Probleme, das tägliche Leben mit skurrilen, witzigen Szenen und nachdenklichen, sehr traurigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man miteinander umgeht, wenn die Meinungen stark auseinanderdriften. Es sind Figuren auf der Suche und man schließt jede einzelne der Figuren ins Herz, obwohl oder gerade weil jede so ihre Eigenheiten hat, authentisch, Menschen eben, und oft  anders, als die anderen denken.  

Die Buchhändlerin – Ines Thorn

AutorInes Thorn
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 23. März 2021
FormatBroschiert,
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499005152

„Wahre Literatur geht über den Zeitgeist, über die Moden hinaus. Noch hundert Jahre nachdem die Autor das Buch geschrieben hat, ist es aktuell.“ (Zitat Pos. 86)

Inhalt

Christa Schwertfeger wächst umgeben von Büchern auf, in der Buchhandlung der Familie, die ihr Onkel Martin leitet. Dieser wird von den Nationalsozialisten verhaftet, doch er überlebt und sofort nach dem Krieg öffnet er die Buchhandlung wieder. Denn trotz Hunger und Armut ist der Wunsch der Menschen nach Büchern ungebrochen. Christa kann es kaum erwarten, bis auch die Universitäten 1946 wieder geöffnet werden, sie will Literaturwissenschaften studieren. Doch familiäre Probleme zwingen Christa, das Studium abzubrechen und die Leitung der Buchhandlung zu übernehmen. Sie gründet einen Literaturzirkel und wird zu einer engagierten Buchhändlerin, ohne jedoch ihre Träume aus den Augen zu verlieren. Doch die Umstände fordern ein weiteres Opfer von ihr.

Thema und Genre

Dieser Frauenroman spielt in Frankfurt, beginnt 1941 und schildert vor allem die schwierige Zeit nach dem Krieg, die langsam beginnende Hoffnung und Aufbruchsstimmung, die erste Frankfurter Buchmesse 1949. Themen sind Bücher, Literatur, vor allem jedoch Familie, Verantwortung, Freundschaft und Liebe in vielen Facetten.

Charaktere

Christa Schwertfeger will studieren und Literaturwissenschaftlerin werden. Sie ist ehrgeizig und engagiert und weigert sich, ein Leben als Ehefrau, Hausfrau und Mutter zu führen, wie es ihre Mutter von ihr erwartet. Doch als die familiäre Situation persönliche Opfer von ihr fordert, gibt sie nach und bricht das Studium ab.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman spielt in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Zweites Weltkriegs. Die Geschichte der Buchhandlung Schwertfeger wird auch zur Geschichte der jungen Christa, die von einem selbstbestimmten Leben im Literaturbereich träumt, mit einem Studium und anschließender Berufstätigkeit. Der Erzählstrang schildert die Ereignisse chronologisch und beschreibt auch anschaulich das Leben in diesen schwierigen Jahren, die erfolgreiche Wiedereröffnung einer Buchhandlung, deren Regale sich langsam wieder mit Büchern füllen. Obwohl in der Handlung die verbotenen Bücher und Autor*innen, klassische Literatur, dann die jungen amerikanischen und deutschen Romane vorkommen, ebenso wie Lyrik, ist es vor allem eine Frauen- und Familiengeschichte. Die angenehm und leicht zu lesende Sprache entspricht dem Genre.

Fazit

Ein unterhaltsamer Frauenroman, der während der Nachkriegsjahre in einer Buchhandlung in Frankfurt spielt.

Der große Sommer – Ewald Arenz

AutorEwald Arenz
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 26. März 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten320
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3832181536

„Es war dieser eine Sommer, wie es ihn wahrscheinlich nur ein Mal im Leben gibt. Dieser eine Sommer, den hoffentlich jeder hatte; dieser eine Sommer, in dem sich alles ändert.“ (Zitat Pos. 85)

Inhalt

Es ist der Sommer, in dem er sich auf seine Nachprüfungen vorbereitet, den Wert einer tiefen, echten Freundschaft auch in Krisensituationen erkennt, und Beate trifft, das freche Mädchen mit den grünen Augen und mit ihr die erste große Liebe. Friedrich ist sechzehn Jahre alt und noch auf der Suche nach dem Menschen, der er werden will, doch diese Wochen in diesem für immer besonderen Sommer sind der erste Schritt.

Thema und Genre

In diesem Coming-of-Age-Roman geht es um unbeschwerte Sommertage, aber auch um Trauer und Verlust, Lebenserfahrung und prägende Ereignisse, vor allem jedoch geht es um Jugend und Alter, Familie, Freundschaft und Liebe.

Charaktere

Wie schon in „Alte Sorten“ stellt der Autor auch diesmal Figuren unterschiedlichen Alters in den Mittelpunkt der Geschichte, einerseits Friedrich auf der Schwelle zum Erwachsenensein, andererseits die Nana und Großvater, die ihr Leben gelebt haben. Sehr behutsam entwickelt der Autor die einzelnen Charaktere dieses Romans, die jungen Menschen mit ihren Eigenheiten, ihrer Unbekümmertheit, aber auch ihren Unsicherheiten und Ängsten. Der Großvater, vor dem Friedrich großen Respekt hat, der seine eigenen Regeln aufstellt und erwartet, dass diese befolgt werden und dennoch bei Problemen sofort da ist, sich nicht nur mit Latein-Zitaten, sondern aktiv um Friedrich kümmert.

Handlung und Schreibstil

Friedrich, der Ich-Erzähler, ist längst erwachsen, als er wieder einmal auf dem Friedhof ein spezielles Grab sucht, eigentlich nur ein Stück Rasen, das damals, in jenem Sommer, ein Blick in eine fernen Zukunft und das Symbol der ganz besonderen Freundschaft dieser jungen Menschen werden sollte: Friedrich, seine ein Jahr jüngere Schwester und Vertraute Alma, Johannes, sein bester Freund, cool, aber sehr komplex, und die unangepasste Beate, die für Friedrich vom ersten Moment an etwas Besonderes ist. Auf dem Spaziergang über den Friedhof erinnert sich Friedrich zurück an die Ereignisse jenes Sommers, als er sechzehn Jahre alt war und statt einer Urlaubsreise bei Großvater und Nana für zwei Nachprüfungen lernen muss. Die Geschichte dieses Sommers ist das Kernstück des Romans. So eindringlich wie die einzelnen Figuren und ihre Thematik, beschreibt die poetische Sprache auch die Natur, die Wärme, den Duft und die Gefühle jener Sommertage, man taucht beim Lesen sofort in diese besonderen Tage ein.

Fazit

Dieser Roman über einen einzigartigen Sommer ist mit seinen besonderen Figuren, der einfühlsamen, genauen Beobachtung dieser Figuren und ihrer Erlebnisse zwischen intensiven Glücksmomenten und Verzweiflung, und der poetischen, aber auch humorvollen, lebhaften Sprache ein eindrückliches, überzeugendes Leseerlebnis.

Hard Land – Benedict Wells

AutorBenedict Wells
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 24. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257071481

„Der Himmel war blau wie ein Pool, und wenn ich heute an diesen Sommer zurückdenke, dann war das Schönste eigentlich immer der Weg von unserem Haus zum Kino oder zum Larry´s. Diese zwanzig Minuten, bis ich die anderen sah und in denen ich mir ausmalen konnte, was wir machen würden und ob ich Kirstie ein bisschen näherkam.“ (Zitat Seite 166)  

Inhalt

In diesem Sommer 1985 wird Sam Turner sechzehn Jahre alt. Eigentlich soll er die Ferien bei seiner Tante und Cousins in Kansas verbringen, doch dies will er auf keinen Fall und so nimmt er einen Ferienjob im kleinen, alten Kino von Grady, seiner Heimatstadt an. Bisher ein ruhiger, unsicherer Außenseiter, ändert sich in diesem Sommer alles für ihn. Denn im Kino trifft er Cameron, der immer für eine Geschichte gut ist und Brandon „Hightower“, Star des Footballteams der Schule und Kirstie, die Tochter des Kinobesitzers. Sam ist zum ersten Mal verliebt und durch seine neuen Freunde gewinnt er rasch Sicherheit. Dann kommt sein Geburtstag, der Tag, an dem er sechzehn Jahre alt wird und ein Ereignis sein Leben auf den Kopf stellt.

Thema und Genre

In diesem Coming-of-Age-Roman geht es um jene Phase zwischen Jugend und Erwachsenenleben, in der alles möglich scheint. Themen sind Verlust, Trauer, Mut, Angst, Freundschaft, Erwachsenwerden, 80er Lebensgefühl und die Liebe.

Charaktere

Der Autor nimmt sich Zeit für jede seiner unterschiedlichen Figuren und deren persönliche Geschichte, denn es ist nicht nur Sams Geschichte, sondern auch die seiner Mutter, seines Vaters, seiner älteren Schwester Jean, und der Freunde Hightower, Cameron und Kirstie. Es sind unterschiedliche Charaktere, jede*r auch mit eigenen Themen, die in ihrer Vielschichtigkeit den Charme dieser Geschichte ausmachen.

Handlung und Schreibstil

Sam Turner erzählt die Geschichte dieses Sommers 1985 rückblickend, ein Jahr später, am Beginn des nächsten Sommers, behält aber den chronologischen Ablauf bei. Die fünf übergeordneten Abschnitte der Handlung enthalten fortlaufend insgesamt neunundvierzig Kapitel, analog zu den neunundvierzig Geheimnissen von Grady, die es hier angeblich zu entdecken gibt, obwohl im Grunde alle so rasch als möglich aus dieser verschlafenen Kleinstadt ohne Perspektiven wegziehen wollen. Zitate und Auszüge aus „Hard Land“, einem Gedichtband, geschrieben von William J. Morris, Gradys berühmtestem Dichter, ziehen sich durch die Geschichte dieses besonderen Sommers und sind eine sprachliche, philosophische Vertiefung eines Schreibstils, der in den Schilderungen und Gedanken die Ausdrucksweise der Jugendlichen so realistisch trifft, dass man sich beim Lesen sofort mitten im Geschehen fühlt und diesen besonderen Sommer in dieser Kleinstadt, umgeben von einem See und endlosen Feldern, in Gedankenbildern miterlebt.

Fazit

Einfühlsam, und in der perfekten Mischung zwischen nachdenklich, traurig, jedoch nie larmoyant, und ausgelassen, übermütig, in einer ungestümen Aufbruchsstimmung der Freiheit und Träume, lässt der Autor den jungen Sam von diesem einen Sommer erzählen. Eines Tages prägt Kirstie ein neues Wort: Euphancholie, eine Mischung aus Euphorie und Melancholie. Besser kann man diesen Roman nicht beschreiben.

Freiflug – Christine Drews

AutorChristine Drews
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 12. März 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3832181307

„Sehr geehrte Frau Maiburg, vielen Dank für Ihr Schreiben vom 2. Mai 1974 und ihr Interesse an unserem Unternehmen. Da weibliche Flugzeugführerinnen in unserer Gesellschaft aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zum Einsatz kommen, müssen wir Ihre Bewerbung leider ablehnen.“ (Zitat Pos. 840)

Inhalt

Katharina Berner ist Anwältin aus Überzeugung, sie will Menschen helfen. In der bekannten Kanzlei in Köln, für die sie tätig ist, liegt der Schwerpunkt auf den finanziellen Erfolgen und als Frau wird sie von den männlichen Kollegen nur bedingt ernst genommen. Sie will ihre eigene Kanzlei eröffnen, andererseits will sie keinesfalls ihre vermögenden Eltern um finanzielle Hilfe bitten, denn ihre Familie hat kein Verständnis dafür, dass sie Anwältin werden wollte, statt zu heiraten und für Mann und Kinder zu sorgen. Rita Maiburg, ist mit erst zweiundzwanzig Jahren eine ausgebildete Pilotin mit hervorragenden Abschlüssen. Als das kleine Unternehmen, für das sie tätig ist, in Konkurs geht, bewirbt sie sich bei der Lufthansa als Linienpilotin. Als die Lufthansa ihre Bewerbung ablehnt, weil sie grundsätzlich keine Frauen als Piloten anstellt, wird ihr von Freunden Katharina Berner empfohlen. Als die Anwältin kurz darauf ihr eigenes Büro eröffnen kann, nimmt sie den Fall an und die beiden Frauen beschließen, gegen die Lufthansa und damit auch gegen ihre Haupteignerin, die Bundesrepublik Deutschland, auf Umsetzung des Artikel 3, Grundgesetz zu klagen. Wenn sie gewinnen, wäre dies ein neuer, sehr wichtiger Präzedenzfall.

Thema und Genre

Dieser Roman mit biografischem Hintergrund spielt in den Siebzigerjahren und Themen sind die Ungleichbehandlung der Frauen, der Wunsch nach Eigenständigkeit als Gegensatz zu den konservativen Werten, Familie und Beziehungen.

Charaktere

Rita Maiburg wurde 1976 als erste Frau zur Linienflugkapitänin befördert und dieser Roman orientiert sich an ihrer Biografie. Obwohl Rita Maiburg damals von einer Anwältin vertreten wurde, ist die Figur der Katharina Berner fiktiv. Die vermögende Unternehmerfamilie, aus der sie stammt, steht für ein damals noch geltendes traditionelles Rollenbild der Frau, während Ritas Freunde für die Freiheit der Hippiezeit stehen.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung spielt in den Jahren 1974 bis 1976. Dieser Zeitraum umfasst die Dauer des Verfahrens gegen die Lufthansa und wird durch einen Epilog und Prolog 1977 umschlossen. Die einzelnen Kapitel zeigen als Überschrift das genaue Datum und die personale Erzählform stellt jeweils Katharina oder Rita in den Mittelpunkt. Der Schwerpunkt der Geschichte liegt weniger auf diesem interessanten Klageverfahren, sondern in den persönlichen Beziehungen und Konflikten im Freundes- und Familienkreis.

Fazit

Ein Roman, der die Schwierigkeiten jener Frauen aufzeigt, die ihren Weg und Ziele in einer damals noch Männern vorbehaltenen Berufswelt sehen. Ich hatte damit gerechnet, dass der Schwerpunkt auf dieser gesellschaftspolitisch so wichtigen Klage liegt, mir mehr Informationen und Details erhofft. In dieser Geschichte stehen jedoch Familie, Freundschaft, Liebe im Mittelpunkt, es ist ein unterhaltsam zu lesender Frauenroman.

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