Kangal – Anna Yeliz Schentke

AutorAnna Yeliz Schentke
Verlag S. FISCHER Verlag
Erscheinungsdatum 9. März 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3103970814

 „Wir mussten andere werden, um sagen zu können, war wir dachten. Lieber eine andere sein, als keine Stimme zu haben. Als Kangal wurde ich nicht als ich und nicht als Frau erkannt.“ (Zitat Pos. 106)

Inhalt

Dilek hat mit Freundin Sinai Geografie studiert. Als Sinais Freund Baran verhaftet wird, fürchtet Dilek, dass ihre Identität aufgedeckt wird, unter der sie kritische Artikel im Netz veröffentlicht. Heimlich fliegt sie nach Frankfurt, nicht einmal ihren Freund Tekin hat sie eingeweiht. Dileks Cousine Ayla lebt mit ihrer Familie in Frankfurt, doch nach einem Streit der beiden Mütter vor vielen Jahren wurde der Kontakt bewusst abgebrochen. Dilek meldet sich bei Ayla, doch sie ist misstrauisch geworden und weiß nicht, ob sie ihr trauen kann. In Istanbul ist Tekin immer noch überzeugt, dass sie vorsichtig genug waren, um nicht entdeckt zu werden, und dass Dilek es bereuen wird, nach Deutschland gegangen zu sein.

Thema und Genre

Ein Thema ist die politische Situation in der Türkei, denn die Politik der letzten Jahre wird auch in Deutschland beobachtet, und die Meinung dazu entzweit die Menschen dort wie hier bis in die Familien. Doch es geht vor allem um eine junge Generation, die nach ihrer Identität und Zukunft sucht, um mutige junge Frauen, die ihren eigenen Weg gehen wollen, notfalls über Umwege. Auch die Bedeutung der Familie und der Familienstrukturen zwischen traditionell und modern sind ein Thema.

Charaktere

Es sind drei Hauptfiguren, Dilek, Ayla und Tekin, die abwechselnd ihre Sicht der Dinge schildern. Ayla will einerseits die Erwartungen ihrer Eltern erfüllen, doch ihre eigenen Pläne für ihre Zukunft gibt sie nicht auf. Tekin ist im Netz gegen die Einschränkungen der persönlichen und der Meinungsfreiheit aktiv, er ist wachsam und vorsichtig, aber er unterscheidet zwischen Furcht und Angst und trifft keine voreiligen Entscheidungen. Dilek flieht nach Deutschland, weil sie Angst hat, verhaftet zu werden, doch sie fühlt sich auch in Deutschland nicht sicher und fragt sich, ob es richtig war, nach Frankfurt zu kommen. „Heute denke ich, ich hatte keine Wahl, morgen frage ich mich, ob ich nicht ein Feigling bin und es mir einfach mache, jetzt und hier.“ (Zitat Pos. 283)

Handlung und Schreibstil

„Seien sie sich bewusst, dass regierungskritische Äußerungen in sozialen Medien, auch wenn sie länger zurückliegen, aber auch das Teilen oder Liken eines fremden Beitrages Anlass für strafrechtliche Maßnahmen der türkischen Sicherheitsbehörden sein können.“ (Zitat Pos. 44) Diese Aussage bringt uns mitten in die Ereignisse. Die Handlung spielt in einem kurzen Zeitraum in der Gegenwart. Ergänzt wird sie durch Rückblicke, jede der Hauptfiguren erinnert sich an prägende persönliche Erfahrungen. Die Autorin erzählt die Geschichte in kurzen Kapiteln, im raschen Wechsel zwischen den drei Hauptfiguren. Die in der Überschrift des Kapitels genannte Figur wird im jeweiligen Kapitel zur Ich-Erzählerin, zum Ich-Erzähler. Ähnlich schnörkellos wie dieser straffe Aufbau ist auch die Sprache, während die Themen und Problematiken breit gefächert sind. Spannung entsteht durch die Entscheidungen und die vielen damit verbundenen Konflikte und Fragen.

Fazit

Kangal ist einerseits ein politischer Roman, es ist jedoch auch ein präziser Blick auf die aktuellen Themen unserer Gesellschaft, besonders die Situation der jungen Menschen zwischen Familientradition und Aufbruch, zwischen Türkei und Deutschland. In dieser Geschichte sind es vor allem die jungen Frauen, die selbstbewusst ihren eigenen Weg gehen wollen.

Spitzweg – Eckhart Nickel

AutorEckhart Nickel
Verlag Piper Verlag
Erscheinungsdatum 28. April 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3492071437

„Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich gerne über einen Speicher in meinem Gehirn verfügen, der alle Momente versammelt, in denen ich Menschen, Orte und Dinge zum ersten Mal gesehen habe, die später im Leben für mich wichtig werden.“ (Zitat Pos. 473)

Inhalt

Bevor der jugendliche Ich-Erzähler Carl kennenlernt, den Neuen in der Klasse, der mit niemandem spricht, etwas abgehoben in seiner eigenen Welt zu leben scheint, konnte er mit Malerei nichts anfangen. Dann kommt der Tag, an dem die Kunstlehrerin in ihrer Unterrichtsstunde das Selbstporträt der sehr talentierten Schülerin Kristen mit einer rüden Bemerkung kritisiert. Carl überredet den zunächst zögernden Ich-Erzähler, der Zeichenlehrerin eine Lektion zu erteilen. Kirsten verschwindet, nur ein von ihr gezeichnetes Bild in Anlehnung an Millais Ophelia bleibt zurück. Doch anders als besprochen, verschwindet das Mädchen tatsächlich und die beiden Freude begeben sich auf die Suche.

Thema und Genre

In diesem Coming-of-Age Roman geht es um die Kunst, vor allem um die Ausdrucksformen der Malerei als Spiegel und Interpretation der Wirklichkeit, um Literatur, Psychologie, Freundschaft und die erste Liebe in dieser besonderen Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenenleben, wo die Suche danach, wer man ist und wer man sein will, gerade erst beginnt.

Charaktere

Carl ist ein selbstbewusster junger Mann, er zelebriert sein Auftreten gleich einem modernen Romantiker unserer Zeit, beschäftigt sich intensiv mit der Malerei, besonders mit den Bildern des Malers Carl Spitzweg. Der junge Ich-Erzähler ist das genaue Gegenteil, er zieht sich zu Hause meistens sofort in sein Zimmer zurück, blickt aus dem Fenster und versinkt träumend in den Beobachtungen der Natur. Dies ändert sich durch seine Freundschaft mit Carl. „Ich litt unter der schmerzlichen Abwesenheit des Besonderen. Nur in der Kunst schien alles besonders, Carl konnte es sehen und erklären.“ (Zitat Pos. 2746)

Handlung und Schreibstil

Der junge Ich-Erzähler schildert die Ereignisse, die dieser besonderen Zeichenstunde folgen, im Kern chronologisch, doch mit vielen Unterbrechungen, psychologischen Betrachtungen, genauen Beobachtungen einer möglichen Realität. So ist der Ich-Erzähler ist ein unverlässlicher Erzähler, in den manchmal beinahe verzweifelten Versuchen, aus der empfundenen Langeweile seines Lebens auszubrechen, mit allen Unsicherheiten seiner jungen Jahre, führt er uns durch surreale, skurrile Schein- und Traumwelten. Die intensiven Gespräche mit seinem kunstbegeisterten Freund Carl, dessen an Monologe grenzenden  Erklärungen über die Fähigkeit der Kunst, eine ästhetische, oft auch bei genauem Hinsehen kritische Variante der Realität anzubieten, umgeben und ergänzen facettenreich die Kernhandlung. Die Sprache bringt die poetischen bis ausufernden Satzgebilde der Romantik in die Gegenwart unserer Zeit.

Fazit

Ein trotz der surrealen Vielfältigkeit leiser, poetischer Roman über das Erwachsenwerden, die damit verbundenen verwirrenden Fragen mit der Suche nach philosophischen Antworten,  und gleichzeitig ein intensiver Ausflug in die Malerei zwischen Biedermeier und Romantik.

Der Diamanten-Coup – Patrick Burow

AutorPatrick Burow
Verlag Benevento Publishing
Erscheinungsdatum 25. August 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten296
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3710901447

„Der Plan war riskant – und die Spannung in dem Audi mit Händen zu greifen. Die vier Männer würden an diesem 25. November 2019 den größten Kunstraub der Nachkriegsgeschichte begehen.“ (Zitat Seite 7)

Inhalt

Sie sind ein bewährtes Team und ihre Coups sind Auftragsarbeiten, genau wie in den frühen Morgenstunden an diesem 25. November 2019 in Dresden. Ihr Ziel ist das Grüne Gewölbe im Residenzschloss Dresden, das den größten barocken Juwelenschatz Europas beherbergt. Sie wissen, sie haben nur fünf Minuten Zeit, doch das genügt, um die wertvollsten Schmuckstücke einzupacken, darunter den berühmten Sächsischen Weißen Diamanten. Als die Polizei eintrifft, sind die Diebe längst spurlos verschwunden. Verschwinden muss auch der angesehene Professor für Kunstgeschichte und Kunstdetektiv Adrian Falke, denn für die Polizei ist der der Hauptverdächtige. Ausgerechnet die Direktorin des Museums, Julia Graf, rettet ihn davor, verhaftet zu werden. Einerseits ist ihr klar, wie absurd dieser Verdacht der Ermittler ist, vor allem jedoch braucht sie ihn in Freiheit, denn sie hofft, mit seiner Hilfe die geraubten Diamanten zu finden. Gemeinsam beginnt eine rasante Suche, doch immer sind die Diebe ihnen einen Schritt voraus.

Thema und Genre

Vom Verlag wird diese Geschichte dem Genre Thriller zugeordnet, für mich finden sich hier die typischen Charakteristika eines Kriminalromans. Themen sind berühmte Kunstdiebstähle, internationaler Diamantenhandel und weltweit agierende Verbrecherorganisationen.

Charaktere

Adrian und Julia sind sympathische Hauptfiguren, private Ermittler ohne die in diesem Genre aktuell sehr oft eingesetzten Traumata aus Scheidungen, verstorbenen Ehepartnern, Alkoholexzessen, für mich sehr positiv. Alle Personen dieser Geschichte sind fiktiv, aber nahe an echten Vorbildern, was sie realistisch und ihr Handeln nachvollziehbar macht.

Handlung und Schreibstil

Obwohl der Coup am Beginn der Geschichte auf tatsächlichen Fakten basiert, ist die nachfolgende Handlung, ebenso wie die Figuren, frei erfunden. Die rasante Handlung wird in kurzen Kapiteln erzählt, in deren Mittelpunkt abwechselnd die unterschiedlichen Gruppen der Hauptpersonen stehen. Als Überschrift trägt jedes Kapitel Ort, Datum, Uhrzeit, letzteres deshalb, weil es sich oft um Ereignisse handelt, die gleichzeitig an verschiedenen Orten stattfinden, und oft innerhalb von knappen Zeitspannen. Der knappe Zeitrahmen beträgt nur einen Monat und die Suche führt Adrian und Julia von Dresden über Hamburg, Paris, London, Antwerpen bis nach Dubai und zurück. Interessante Informationen über Diamanten und den Handel mit diesen wertvollen Steinen ergänzen die Handlung, ohne jedoch die Spannung zu nehmen.

Fazit

Ein True-Crime-Actionroman in Anlehnung an den Dresdner Jahrhunderdiebstahl am 25. November 2019, bei dem berühmte Diamanten von unermesslichem Wert erbeutet wurden, die bis heute verschwunden sind. Eine sehr gut recherchierte, spannende Geschichte, unterhaltsam zu lesen.

Österreichischer Buchpreis 2022 – Herausgeber: Österreichischer Buchpreis

Verlag Österreichischer Buchpreis
Erscheinungsdatum 6. September 2022
FormatTaschenbuch
Seiten
SpracheDeutsch
ISBN2773519332657

„Er verfolgt das Ziel, die Qualität und die Eigenständigkeit der österreichischen Literatur zu würdigen du ihr im deutschsprachigen Raum erhöhte Aufmerksamkeit zu verschaffen.“ (Zitat Pos. 1124)

Inhalt

Dieser wichtige Preis wurde in Österreich 2016 zum ersten Mal vergeben. 2022 haben 58 Verlage insgesamt 110 Titel eingereicht, für den Debütpreis haben 18 Verlage 23 Erstlingswerke eingereich. Insgesamt bewarben sich somit 133 Werke aus den Bereichen Belletristik, Lyrik, Drama und Essay. Der vorgeschriebene Erscheinungstermin liegt zwischen dem 8. Oktober 2021 und dem 11. Oktober 2022. Nicht nur 35 Verlage aus Österreich haben Titel eingereicht, sondern auch 26 aus Deutschland und ein Verlag aus der Schweiz.

Gestaltung

Die zehn nominierten Titel der Longlist werden in alphabetischer Reihenfolge der Namen der Autoren und Autorinnen mit einer Leseprobe vorgestellt. Die jeweilige Überschrift trägt den Autorennamen, den Titel und die Kategorie. Am Ende der Leseprobe werden diese Angaben wiederholt und mit dem Namen des Verlages, sowie dem Erscheinungsjahr ergänzt. Es folgen die Leseproben der drei Titel der Shortlist Debütpreis. Anschließend an die Leseproben finden sich ausführliche Porträts der Autoren und Autorinnen mit Foto und Lebenslauf, ebenfalls in alphabetischer Reihenfolge, gefolgt von den Porträts der Jurymitglieder. Den Abschluss der Broschüre bilden die Informationen über die Bücher selbst, Coverfoto, Verlag, Anzahl der Seiten und Preis. Auch hier wird die alphabetische Reihenfolge nach Autoren- und Autorinnenname beibehalten, allerdings sind die Werke wieder nach Longlist 2022 und Shortlist Debüt 2022 getrennt.

Fazit

In österreichischen Buchhandlungen liegt die Broschüre in gedruckter Form auf. Ich lebe in Deutschland und bin daher dankbar, dass sie auch auf NetGalley Deutschland in elektronische Form kostenlos zur Verfügung gestellt wird, in dieser Form habe ich sie gelesen. Es ist ein sehr interessanter, informativer Überblick über die nominierten Werke. Die ausführlichen Leseproben sind eine perfekte Entscheidungshilfe für die eigene Wunschliste. Manche der Bücher sind bekannt, finden sich schon auf der deutschen Longlist, wir finden auch 2022 Neuerscheinungen von sehr bekannten Schriftstellern und Schriftstellerinnen, Namen, deren frühere Werke in vergangenen Jahren nominiert waren. Nicht nur auf der Debütliste fand ich aber auch mir unbekannte Titel, die schon bei der Leseprobe auf Grund der Themen und der Art zu schreiben meine Neugierde und entsprechende Wünsche weckten. Ich kann mich nicht erinnern, in einem der früheren Jahre bei einer Longlist-Leseprobe schallend gelacht zu haben. Ich finde die Vielfalt der österreichischen Buchpreis-Liste 2022, es ist auch ein Lyrikband dabei, wieder sehr gelungen.

Tage ohne Cecilia – Antonio Muñoz Molina

AutorAntonio Muñoz Molina
Verlag Penguin Verlag
Erscheinungsdatum 24. August 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ÜbersetzerWilli Zurbrüggen
ISBN-13978-3328602002

„Im Traum bin ich in New York, doch diese Gewissheit entspricht überhaupt nicht dem, was ich sehe. Ich bin irgendwo in Lissabon und weiß nicht, wie ich dorthin gelangt bin.“ (Zitat Seite 230)

Inhalt

Ein Mann ist gerade von New York nach Lissabon gezogen. Während seine Frau Cecilia, eine Forscherin, zwischen dem Abschluss ihrer wissenschaftlichen Arbeit in New York und Kongressen pendelt, hat er Zeit, die Umzugskartons auszupacken und die Wohnung einzurichten, denn er ist schon im Vor-Ruhestand. Begeistert erzählt er, dass man aus den Fenstern der Wohnung wieder auf einen Fluss blickt, früher war es der Hudson, jetzt ist es der Tejo. So entsteht in einem ruhigen Viertel von Lissabon ein schönes neues Zuhause. Während er wartet, leistet die Hündin Luria dem Mann Gesellschaft und beide warten voll Vorfreude auf die Ankunft von Cecilia. Die Tage vergehen …

Thema und Genre

Der Schwerpunkt in diesem Roman sind psychologische Fragen zu Kernthemen wie die eigene Erinnerung an in der Vergangenheit erlebte Situationen und die Unberechenbarkeit dieser Erinnerungen, Ängste, der schmale Grat zwischen Realität und Scheinwelt.

Charaktere

Der Ich-Erzähler fühlt sich in Lissabon wohl und ist froh, New York verlassen zu haben, freut sich auf die Ankunft seiner Frau. Doch je länger der Mann wartet, desto mehr verliert er das Gefühl für Raum und Zeit, seine Gedanken pendeln zwischen den vielen Erinnerungen an die Zeit in New York und seiner neuen täglichen Routine in Lissabon. „Das jetzt ist in die Ferne gerückt. Die damalige Vergangenheit ist von mächtigerer Beschaffenheit als die Gegenwart.“ (Zitat Seite 212)

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte kommt mit wenigen Personen aus. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Mann, der nach einer Übersiedlung darauf wartet, dass seine Frau, eine erfolgreiche und vielbeschäftigte Wissenschaftlerin, in die neue gemeinsame Wohnung nachkommt. Er teilt mit uns seine Erinnerungen an die Zeit und Ereignisse in New York, aber auch die Bücher, die er gerade liest und denkt auch über aktuelle Themen nach. So breitet der Autor die an sich einfache Situation, ein Mann und seine Hündin warten auf seine Frau, weit aus, wie einen bunten Fächer, facettenreich, eindrücklich, beklemmend. Mit dem Mann warten wir auf Cecilia und mit jedem Detail fragen wir uns, ob die Geschichte, die er uns da erzählt, tatsächlich so ist, wie von ihm geschildert. Es sind die Gedanken und Zweifel, die diesem Roman die Spannung geben. Gleichzeitig nimmt sich der Autor Zeit für eindrückliche Schilderungen von Lissabon, des ruhigen Stadtteils, in dem die neue Wohnung liegt, aber auch für prägende Szenen in der turbulenten Stadt New York. Es ist mit die Sprache, die uns beim Lesen sofort in den Bann dieser Geschichte zieht.

Fazit

Eine intensive Geschichte mit vielen Facetten zwischen dem Lebensgefühl in der bunten Stadt Lissabon, aber auch den drängenden Themen und Problemen unserer Zeit, zwischen Liebe, Erinnerungen, Traum und Wirklichkeit.

Blauregen: Ein Zeitreiseroman – Marie von Stein

AutorMarie von Stein
Verlag tredition
Erscheinungsdatum 1. September 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten280
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3347687325

„Doch würde es gelingen, gegen den Willen des Grafen zu bestehen? Dies konnte allein der kommende Tag entscheiden.“ (Zitat Seite 152)

Inhalt

Im März 1671 läuft die alte Witwe aufgeregt zum Pastor. Gerade hat sie das Böse, das die Menschen hier bedroht, mit eigenen Augen gesehen: Isabein Luhmann hat mit einem Wolf Unzucht getrieben, sie ist eine Hexe, welche die Wölfe anführt. Zu viele Rudel teilen sich den enger werdenden Lebensraum im Kalletal mit den Menschen, die Bauern fürchten sich und rüsten zur Jagd auf die Wölfe. Anna Callendorp versucht verzweifelt, dies zu verhindern. Burkhard vom Fels, der neue Oberjagdmeister des Grafen zur Lippe, ist ihrer Meinung, doch wie kann er sich gegen die Befehle des Grafen stellen, der schon eine große Wolfshatz plant. Susanna Kallen ist in diesem Februar 2022 mitten in den Vorbereitungen für ihre Hochzeit mit Thomas. Zur Entspannung dreht sie eine kurze Joggingrunde, als sie den Ruf aus der Vergangenheit hört. Sofort biegt sie vom Weg ab und läuft zum Elfenborn.

Thema und Genre

Blauregen ist der dritte Teil der Serie RegenbogenReigen. Es ist ein historischer Zeitreiseroman mit Regionalbezug zum Kalletal und dem Lipperland. Es geht um die Natur, das Leben im späten 17. Jahrhundert, aber auch zeitlos brisante soziale Themen, die Situation der Frauen, damals wie heute. Ein wichtiges Thema ist die Wolfspopulation und ein mögliches Zusammenleben zwischen Wolf und Mensch, das damals wie heute am Fehlen von einfachen Dingen wie dem Schutz der Weidetiere durch Zäune scheitert. Natürlich fehlt auch diesmal eine gute Prise Magie nicht.

Charaktere

Susanne Kallen in der Gegenwart und Anna Callendorp verbindet ein magisches Band. Beide sind selbstbewusst und kämpfen für die Dinge, die ihnen wichtig sind. Damit begeben sie sich in große Gefahr.

Handlung und Schreibstil

Diese Geschichte einer Zeitreise spielt im Kalletal, die Umgebung und Örtlichkeiten sind dieselben, im Frühjahr 1671 und auch im Frühjahr 2022. Die Autorin kennt ihre Heimat sehr genau und schildert die Landschaft mit den Wäldern, Felsen, Feldern in eindrücklichen Bildern, man wird sofort in die jeweilige Situation, das Umfeld und die Zeit versetzt. Es ist ein Roman mit einer fiktiven Handlung und fiktiven Figuren, doch die Autorin hat das Leben in den Grafschaften im Kalletal in der Vergangenheit sehr gut recherchiert und so wirken beide Zeitebenen authentisch und glaubhaft. Auch diesmal gelingt es der Autorin, die sich langsam anbahnenden kleinen Veränderungen nachvollziehbar einfließen zu lassen, den magischen Regenbogen, der die Vergangenheit mit der Zukunft, unserer Gegenwart, verbindet. Ein ausführliches Glossar mit Erklärungen typischer Ausdrücke des Lippischen, aber auch älterer Redewendungen, Erklärungen der Ortsnamen und Eigennamen und Links zu vertiefenden Artikeln im Internet finden sich im Anhang.

Fazit

Es ist die Stärke dieser RegenbogenReigen-Serie, dass es nicht nur eine wunderbar magische Zeitreise ist, sondern auch zum Nachdenken anregt. Auch dieser dritte Roman verzaubert und garantiert Lesevergnügen.

Ein Haus und geteilte Leben: Teil zwei der Familiengeschichte von Rügen – Christiane Töllner

AutorChristiane Töllner
Verlag EDITION POMMERN
Erscheinungsdatum 10. August 2022
FormatTaschenbuch
Seiten230
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3939680710

„Aber als ein Haus ohne Gäste erreicht mich das Geschehen im Ort längst nicht mehr so wie früher. So geht diese Saison ziemlich an mir vorbei. Es fühlt sich an, als hätte es sich ausgesommert.“ (Zitat Seite 35)

Inhalt

Nach der „Aktion Rose“ am Beginn des Jahres 1953 sind Otto und Alma auf ihrer Flucht in Berlin angekommen und leben dort unter sehr bescheidenen Umständen. Das Haus vermisst sie sehr und sie vermissen ihre Heimat Rügen. Auch ihr Sohn Horst musste mit seiner Frau Rosi Greifswald verlassen, in den Westen fliehen. Er bewirbt sich um eine Stelle als Dozent auf Schloss Bieberstein in der Rhön, die er auch erhält. Immer mehr Freunde und Bekannte verlassen die DDR, das Haus beobachtet mit Sorge, wie es in Sellin leiser wird. Doch dann nimmt auch hier das Leben wieder Fahrt auf, wenn auch völlig anders als bisher. Das Haus wurde in kleine Wohneinheiten unterteilt und diese einzeln vermietet. Die Jahre vergehen, nun gibt es Radio und Fernsehen, und so ist auch das Haus über die aktuellen Ereignisse informiert, denkt darüber nach, es sind viele Themen: von der Politik, über das Tagesgeschehen, Kultur, bis zu den wichtigen Sportereignissen. Nach der Wende wartet das Haus sehnsüchtig auf Horst und Rosi, bis es im Jahr 1993 endlich so weit ist. Genau einhundert Jahre nach dem Bau des Hauses stehen sie nach mehr als vierzig Jahren zum ersten Mal wieder vor dem Haus und überlegen. Wird es ein neues Kapitel für das Haus „Helene“ geben?

Thema und Genre

Dieses Buch ist der zweite Teil der Geschichte des Hauses „Helene“ in Sellin auf Rügen und die damit verbundene Geschichte der Familie Töllner.

Charaktere

Der Erzähler ist das Haus 1903 erbaute Haus. Vor allem jedoch ist es die Geschichte der Menschen aus mehreren Generationen. Es sind Familienmitglieder, Freunde und Bekannte der Familie der Autorin.

Handlung und Schreibstil

Wie bereits im ersten Teil der Familiengeschichte ist es das Haus, das beobachtet, über die Beobachtungen und Informationen nachdenkt und diese erzählt. Es ist eine lebhafte, facettenreiche Mischung. Schilderungen des Alltags in der DDR, gleichzeitig auch in der Bundesrepublik, das Leben auf beiden Seiten der Mauer, werden mit der jeweils relevanten politischen und wirtschaftlichen Situation verknüpft. Auch über kulturelle Ereignisse berichtet das Haus und besondere Ereignise wie den Katastrophenwinter 1979 und so wird auch die Geschichte des Ostseebades Sellin und der Insel Rügen Teil der Handlung.

In der zweiten Hälfte des Buches geht es um das wiedervereinigte Deutschland, die Unsicherheiten in den Jahren danach und die  Veränderungen. Ein architektonisch interessantes Kapitel zeigt Bilder des baulichen Zustandes der  einzelnen bekannten Häuser nach der Wende und heute, nach umfassenden Erhaltungsarbeiten. Anekdoten, Briefausschnitte und viele Fotografien ergänzen den Text. Im Anhang am Buchende finden sich der Stammbaum, das Abbildungsverzeichnis und eine ausführliche Quellenangabe.

Fazit

Eine facettenreiche, packende Reise durch die letzten siebzig Jahre Zeitgeschichte Sellins, der Insel Rügen und Deutschlands, und gleichzeitig ein Streifzug durch die zeitlose, beeindruckende Schönheit der Natur dieser Insel. Wer diese wechselvollen Jahre erlebt hat, wird durch dieses Buch sicher auch in eigene Erinnerungen zurückgeführt. Für die jüngere Generation, die Urlaubsgäste aus allen Teilen Deutschlands und Europas, oder eine Wienerin auf Rügen wie mich, bietet dieses Buch eine Fülle von neuem Wissen, eindrücklich und persönlich berichtet, aus einer originellen Erzählperspektive geschildert, und mit unterhaltsamer Leichtigkeit zu lesen.  

Goyas Ungeheuer: Comisaria Ruiz ermittelt in Madrid – Berna González Harbour

AutorBerna González Harbour
Verlag Pendragon
Erscheinungsdatum 17. August 2022
FormatTaschenbuch broschiert
Seiten472
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinMaike Hopp
ISBN-13978-3865327307

„Eigentlich glaubte sie auch nicht an solche Verbrechen. Sie kamen in den Filmen von John Malkovich und Quentin Tarantino vor, aber passten überhaupt nicht nach Madrid, das mit einem Fuß in der Gegenwart und mit dem anderen in der Vergangenheit stand.“ (Zitat Seite 82)

Inhalt

Comisaria María Ruiz ist auf Grund von angeblichen Eigenmächtigkeiten bei der Aufklärung des letzten Falles suspendiert, ein Disziplinarverfahren läuft. Der neue Chef der Madrider Polizei wartet nur darauf, dass sie trotz der Suspendierung zu ermitteln beginnt, das wäre dann auch Gehorsamsverweigerung. Doch seine Drohungen können Comisaria Ruiz nicht daran hindern, genau dies zu tun, zu ermitteln. Denn in Madrid folgt auf grausame und nicht erklärbare Tiermorde nun der Mord an der Kunststudentin Sara, deren Spezialthema die persönlichen, nicht beauftragten Zeichnungen des berühmten Malers Francisco de Goya sind. Während dieser Mord trotz der eigenartigen Szene am Tatort vom neuen Chef der Comisaria und seinem Team sofort als Eifersuchtstat eingestuft wird, mit einem passenden Verdächtigen, erkennt die Comisaria den Bezug zu Goyas Werken, denn hier stellt jemand einzelne Bilder genau nach und es gibt noch viele ähnlich brisante Werke. Wird es der Comisaria mit ihrem kleinen, sehr speziellen Team von Menschen, die sie bei ihren Recherchen unterstützen, gelingen, diesen sehr verworrenen Fall aufzuklären und weitere Morde zu verhindern?

Thema und Genre

Dieser Kriminalroman spielt in Madrid und ist Teil einer Serie um die Comisaria María Ruiz. Es ist der erste Band, der in deutscher Sprache herausgegeben wird. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die zeitkritischen, persönlichen Zeichnungen des Malers Francesco de Goya und die Pinturas Negras, die schwarzen Gemälde seiner letzten Jahre.

Charaktere

Es ist eine aus sehr unterschiedlichen Charakteren zusammengesetzte Gruppe rund um die Comisaria, die an sich schon eine sehr vielschichtige Figur ist. María Ruiz hat Psychologie studiert, ist eine erfolgreiche, kompetente Ermittlerin, aktiv und taff im Beruf, aber durch ihre berufliche und persönliche Situation und Bindungen trägt sie einige Konflikte und ungelöste Probleme in sich. Luna, der ältere Journalist im Vorruhestand, lebt den klassischen Journalismus, er recherchiert, sucht Zusammenhänge und berichtet darüber. Im Gegensatz zu ihm nützt die die junge Journalistin Nora die modernen Medien und Kommunikationsmöglichkeiten. Wichtige Hinweise erhält die Comisaria auch vom Straßenjungen Eloy.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in der aktuellen Zeit, innerhalb eines knappen Zeitrahmens. Da dies bereits der vierte Teil der Serie ist, fehlt das Hintergrundwissen zur aktuellen Situation und zu den Problemen der Comisaria. Viele Details ergeben sich jedoch aus Erinnerungen und Gesprächen. Neue Hinweise und Informationen erfahren wir beim Lesen gleichzeitig mit der Comisaria und den mit ihr befreundeten Journalisten Luna und Nora und können so eigene Überlegungen über Täter und Motive anstellen. Schilderungen der lebhaften Stadt Madrid mit ihren Sonnen- und Schattenseiten und das Leben zwischen Tradition und Moderne ergänzen die Handlung, ohne sie jedoch zu unterbrechen. Es ist eine sehr komplexe Geschichte, die mit vielen interessanten Fakten um das Werk von Francesco de Goya und dreizehn entsprechenden Abbildungen ergänzt wird.

Fazit

Eine packende, durch das Thema Goya sehr interessante Geschichte, ein sehr gelungener Streifzug durch Madrid. Es ist wesentlich mehr als „nur“ ein Kriminalroman, denn neben dem Leben und Werk von Francesco de Goya nimmt die Autorin auch immer wieder Bezug auf das reale Leben in Spanien und die aktuellen sozialen und gesellschaftspolitischen Themen. Ein spannendes, facettenreiches Lesevergnügen und eine interessante Serie, von der ich gerne mehr lesen würde, vergangene und zukünftige Fälle der sympathischen Comisaria Ruiz und ihrer Gruppe.

Bullet Train – Kotaro Isaka

AutorKotaro Isaka
Verlag HOFFMANN UND CAMPE VERLAG
Erscheinungsdatum 2. April 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten384
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinKatja Busson
ISBN-13978-3455013221

„Am Ausstieg wartete ein kleiner Mann mit Schiebermütze. Er sah aus wie ein Privatdetektiv aus dem Krimi. Der Zug stand, aber die Türen blieben zu.“ (Zitat Pos. 345)

Inhalt

Der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen ist auf dem Weg von Tokio nach Morioka, an Bord befinden sich einige sehr spezielle Fahrgäste. Die Zitrusfrüchte Tangerine und Lemon haben gerade Minegishi, den einzigen Sohn des mächtigen, skrupellosen Yoshio Minegishi, aus der Gewalt seiner Entführer befreit und sollen ihn zu seinem Vater zurückbringen, zusammen mit dem Koffer mit dem Lösegeld, den sie auftragsgemäß auch wieder mitgenommen haben. Denn der Auftrag lautete klar: „Sohn, Lösegeld, Täter“. Doch an Bord dieses Shinkansen sind auch noch ein Marienkäfer, ein Wolf und eine Wespe mit unterschiedlichen Aufträgen. Mittendrin ein Prinz, der sein eigenes Spiel spielt und jemand, dem genau dieses Spiel überhaupt nicht gefällt.

Thema und Genre

Ein moderner japanischer Thriller.

Charaktere

Diese Geschichte wird vor allem von den unterschiedlichen Figuren getragen, wobei es keine klassischen Guten und Bösen gibt, sondern interessante, skurrile Figuren in allen Grauschattierungen. Kaltblütige Killer, wenn es darauf ankommt, gleichzeitig aber mit liebenswerten Eigenheiten, teilweise tollpatschig, aber auch das perfide Böse, perfekt unter überzeugender Harmlosigkeit getarnt – hier finden wir sie alle.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in den wenigen Stunden einer Fahrt in einem Hochgeschwindigkeitszug. Die aktuelle Handlung wird durch Details aus vergangenen Ereignissen ergänzt. Die Hauptfiguren stehen abwechselnd im Mittelpunkt einer Episode, das entsprechende Kapitel trägt den jeweiligen Namen als Überschrift. Es ist eine sehr ungewöhnliche Idee, die in dieser Geschichte umgesetzt wird, und man fragt sich in manchen sehr verwickelten, verworrenen Situationen und überraschenden Wendungen, wie der Autor diese vielen Knoten wieder entwirren und auflösen wird. Bleibt die Handlung innerhalb dieser von Grund auf schon skurrilen, originellen Geschichte dann noch klar und nachvollziehbar? Ja, dies ist dem Autor meiner Meinung nach gelungen. Wenn Killer mit unterschiedlichen Aufträgen und Interessen plötzlich aufeinandertreffen, dann geht es nicht ohne Verluste ab. Doch der Autor verliert sich nicht, wie oft in Actionthrillern, seitenlang in blutigen Details, sondern hier finden die Todesfälle leise und schnell statt. Für mich eine weitere Stärke dieses Autors.

Fazit

Ein moderner, sehr origineller japanischer Thriller. Der knappe Zeitrahmen sorgt für eine rasante Geschichte, deren Spannungsbogen manchmal durch sich im Kreis drehende Dialoge und psychologische Betrachtungen etwas abgeflacht wird. Gleichzeitig jedoch steigert dies die Neugierde auf das Ende dieser krassen Bahnreise. Ein schräges, unterhaltsames Lesevergnügen.

Simón – Miqui Otero

AutorMiqui Otero
Verlag Verlag Klett-Cotta
Erscheinungsdatum 20. August 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten448
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMatthias Strobel
ISBN-13978-3608980745

„Du kannst sein, wer immer du sein willst, aber vergiss nie, wer du bist.“ (Zitat Position 4524)

Inhalt

Rico, Simóns Cousin, ist zehn Jahre älter und wie ein Bruder für Simón, sein Beschützer und großes Vorbild, so lange er denken kann. Der beste Tag für den jungen Simón ist immer der Sonntag, denn an diesem Tag bringt ihm Rico ein Buch mit, das Simón suchen muss, bevor er sich in die spannenden Abenteuer von neuen Helden vertiefen kann. Bis Rico eines Tages im Sommer 1992 spurlos verschwindet und Simón nach Jahren des Suchens lernen muss, seinen eigenen Weg zu finden und dass die Abenteuer seiner edlen Romanhelden nicht immer den Weg in das wirkliche Leben finden. „Manchmal muss man fortgehen, um nach Hause zurückkehren zu können. Manchmal kann man vielleicht nicht an einen Ort zurückkehren, aber sehr wohl zu einem Menschen.“ (Zitat Pos. 4808)

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um das Leben und Schicksal einer großen Familie in Barcelona, um das Aufwachsen am Stadtrand in bescheidenen Verhältnissen. Vor allem jedoch geht es um Träume, Hoffnungen, Freundschaft, Liebe und um die Kraft der Literatur. Ein wichtiges Thema sind auch die politisch wechselvollen Jahre der lebhaften Stadt Barcelona, die sich 1992 euphorisch als Austragungsort der olympischen Sommerspiele präsentiert, und mehr als zwanzig Jahre später heftige Krisenjahre durchlebt.

Charaktere

Die Hauptfigur in dieser Geschichte ist Simón, dessen Leben wir von seiner Kindheit bis in seine Erwachsenenjahre Mitte dreißig folgen. Er ist ein Träumer, der sich mit den Helden seiner Abenteuerromane identifiziert, sie ins eigene Leben holt. „Der Zufall bringt das Leben durcheinander, die Fiktion hingegen ordnet es“ (Zitat Pos. 5461) Genau solche Zufälle bringen auch Simóns Pläne und Leben öfter als nur ein Mal durcheinander, und es sind die Frauen, besonders seine Lebensfreundin Estela, die ihn erden. Es ist eine Geschichte von Helden, die auch manchmal scheitern dürfen, und von den starken Frauen an ihrer Seite.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte umfasst, ergänzt durch Rückblenden und Erinnerungen, die Jahre zwischen 1992 und 2018 und wird chronologisch erzählt. Die Handlung ist facettenreich und von der ersten Seite an packend. Der Autor wählt, was in modernen Romanen inzwischen eher selten geworden ist, die Erzählstimme eines allwissenden Erzählers, was mit die sprachliche Faszination dieses Buches ausmacht. Diese Erzählform unterstützt die poetische, bildintensive Sprache, erlaubt dem Autor, auch tief in die Gedanken und Gefühle seiner Figuren einzudringen und künftige Entwicklungen anzudeuten, was die Handlung manchmal in Magie hüllt, die dennoch in der Realität besteht.

Fazit

Ein wunderbar dichter, intensiver und auch magischer Roman, eine Mischung aus Coming-of-Age-Geschichte, Familienroman und Roman der Stadt Barcelona, in dem auch die Kraft der Literatur eine wichtige Rolle spielt.

Das letzte Grab: Ein Fall für Carla Winter – Lukas Erler

AutorLukas Erler
Verlag Tropen
Erscheinungsdatum 20. August 2022
FormatBroschiert
Seiten288
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3608501698

„Eine sanftmütige Schwester, ein verrückter Archäologe, eine rotzfreche Sekretärin und ein kurdischer Kriminelle. Dream Team!“ (Zitat Pos. 1293)

Inhalt

Im April 2003 wird in Bagdad von Aufständischen ein Museum geplündert. Im März 2019 erhält die Anwältin Carla Winter einen Anruf vom türkischen Generalkonsulat. Diesmal geht es jedoch um keine Strafverteidigung, sondern um Felix Winter, mit dem sie bis vor sieben Jahren verheiratet gewesen war. Er hatte in der Türkei einen tödlichen Autounfall. Als sie an diesem Tag nach Hause kommt, ist ihr Haus verwüstet und der Mann, mit dem sie die vorhergehende Nacht verbracht hatte, liegt ermordet im Schrank. Beim Begräbnis von Felix spricht sie ein angeblicher Freund ihres Ex-Mannes an und fragt nach einem Paket, das per Kurierdienst zu ihr gekommen sein müsste und dann wird auch Carla bedroht. Es geht um eine wertvolle antike Statue. Sie braucht dringend Antworten und die wird sie nur vor Ort in der Türkei finden.

Thema und Genre

In diesem Kriminalroman geht es um eine toughe Strafverteidigerin und das internationale, lukrative Geschäft mit geraubten antiken Kunstwerken.

Charaktere

Carla Winter ist eine erfahrene Strafverteidigerin und spezialisiert auf „how to get away with everything“-Fälle. Doch diesmal betreffen die Ereignisse sie auch persönlich und es wird sehr gefährlich. Dennoch gibt sie nicht auf, bis sie die Zusammenhänge herausgefunden hat.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Prolog im Jahr 2003. Die aktuelle Handlung beginnt im März 2019 in Frankfurt und führt uns chronologisch rasant weiter bis in den Oktober 2019. Handlungsorte sind Deutschland und die Türkei. Bald folgt ihr nicht nur ein Killer, sondern sie gerät zwischen die Fronten von internationalen Verbrecherorganisationen, doch auch die Polizei und Interpol verfolgen interessiert jeden ihrer Schritte. Als sie Hilfe sucht und auch findet, beginnen erst die Überraschungen und unvorhersehbaren Wendungen. Der Autor nimmt sich Zeit für die Entwicklung seiner Figuren, die dadurch authentisch handeln und auch interessante, lebhafte Schilderungen der Handlungsorte fehlen nicht. In Verbindung mit weiteren Details in Form von Rückblicken und Erinnerungen ergibt dies eine sehr spannende Geschichte, die überzeugt.

Fazit

Ein facettenreicher, packender Page-Turner mit einer sympathischen Hauptfigur und weiteren, interessanten Figuren. In Verbindung mit überraschenden Wendungen bis zur letzten Seite ergibt dies in der Summe ein sehr spannendes Lesevergnügen. 

Die Überlebensbibliothek: Bücher für alle Lebenslagen – Rainer Moritz

AutorRainer Moritz
Verlag Atlantik
Erscheinungsdatum 27. Februar 2016
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3455370300

„Die Auswahl ist durch und durch subjektiv, doch jeder, der eine Wahl trifft, hofft insgeheim darauf, dass er Gesinnungsfreunde findet, sei es in Oberschwaben oder Griechenland. (Zitat Seite 11)

Thema und Inhalt

In der Einleitung dieser interessant zu lesenden, aber auch eigenwilligen, mit Humor erstellten Aufzählung von unterschiedlichen Lebenssituationen, überlegt der Autor, ob es Sinn macht, in Romanen und Erzählungen eine Art hilfreiche Anleitung für das eigene Leben zu suchen. Es sind insgesamt acht übergeordnete Situationen und Befindlichkeiten, welche der Autor dann in speziellere Themen unterteilt und zu jedem dieser Themen schlägt er ein passendes Buch vor.

Gestaltung

Unter den Buchvorschlägen finden sich ein Märchen von Hans Christian Andersen, Klassiker wie Gustave Flaubert, Theodor Fontane und natürlich Marcel Proust, aber auch moderne Autorinnen und Autoren wie Sibylle Berg, Karen Duve und Wolf Haas. Es ist eine breit gefächerte Auswahl und selbst wenn man einen Teil der Bücher bereits gelesen hat oder zumindest kennt, wird man auch auf bisher unbekannte Romane stoßen, die auf Grund der Beschreibung von Rainer Moritz sofort auf die persönliche Wunschliste kommen. Denn es ist genau die Vorstellung der empfohlenen Bücher, die dieses Buch selbst zu einer ansprechenden, interessanten Lektüre machen. Es wird nicht nur der Inhalt beschrieben, sondern auch die einzelnen Figuren und ihre Themen, Gefühle und Handlungsweisen. Er geht auf die Autoren und Autorinnen ein und verknüpft alle diese Informationen mit seinen eigenen Gedanken zum jeweiligen Buch und so wird jede einzelne Besprechung selbst zu einem lesenswerten, unterhaltsamen Text. Am Ende jeder Buchvorstellung finden sich genaue Angaben über Autor, Titel, Verlag, Erscheinungsjahr. Am Ende des Buches sind nochmals alle Autoren und Autorinnen in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet, mit dem hier vorgestellten Buch.

Fazit

Eine informative, unterhaltsame Reise durch die literarische Vielfalt der Romane und Erzählungen, und eine Aufzählung von möglichen Situationen im eigenen Leben, zu denen sie thematisch besonders passen.

Kazimira – Svenja Leiber

AutorSvenja Leiber
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 16. August 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518430064

„Kazimira hat das Gefühl, als verknote sie sich selbst zunehmend. Ein Knäuel, in dem irgendwo ein viel zu wildes verfangenes Herz rast.“ (Zitat Seite 72)

Inhalt

Auch an diesem Samstag im Herbst 2012 geht Nadja Semjonowa auf dem Weg oberhalb des Tagebaus zur Arbeit, an der Hand ihre kleine Tochter Ika. Dort steht noch der Seilbagger, an dem Nadja vor Jahren gearbeitet hat, sie wäre gerne bei dieser Arbeit geblieben, doch das Bernsteinkombinat von Jantarny ist insolvent und Nadja muss nun im Geschäft Schmuck verkaufen. Manchmal, wenn sie an der Annagrube vorbeigeht, hört sie eine Art Raunen, ein Raunen aus der Vergangenheit, über das sie nie etwas wissen wollte.

Auch Kazimira „Kaz“ Morautene wollte lieber wie die Männer in der Grube arbeiten, statt mit ihrem Sohn Ake zu Hause zu bleiben und den Haushalt zu führen. Doch Ende des 19. Jahrhunderts war daran nicht zu denken. Dennoch, es sind der Bernstein und die Annagrube, die das Schicksal der Menschen dort an der Nehrung und in Königsberg bestimmen.

Thema und Genre

Den historischen Hintergrund dieses Generationenromans bildet die wechselvolle Geschichte dieses Landstriches an der Ostseeküste im ehemaligen Ostpreußen, zwischen Memel und Königsberg, heute Klaipėda, Litauen und Kaliningrad, Russland. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der Bernsteinabbau und die politischen Umbrüche zweier Weltkriege, deren Gewalt und Grausamkeit die auch vor den Menschen in diesen entlegenen Orten nicht Halt machen und besonders die Mädchen und Frauen treffen.

Charaktere

Kazimira, eigenständig, unangepasst und auf Grund ihrer Neigungen eine Außenseiterin, ist die erste von insgesamt fünf Generationen von Frauen und Mädchen, alle auf der Suche nach ihrem eigenen Weg. Jede ist auf ihre Art unbeugsam und besonders, passt nicht in die engen Normen ihrer Zeit, oder will sich diesen Normen nicht widerspruchslos unterordnen.

Handlung und Schreibstil

Der Zeitrahmen der Handlung ist in zwei Hauptteile gegliedert, der erste Teil endet mit dem Ende des ersten Weltkrieges, der zweite Teil beginnt 1930 und berichtet über die Jahre bis bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Ein zweiter Handlungsstrang spielt in der aktuellen Zeit im Jahr 2012 und daraus bildet sich ein Bogen, der aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart führt. Die Erzählstränge wechseln einander ab, wobei die einzelnen Kapitel sehr übersichtlich als Überschrift jeweils den betreffenden Ort und die Jahreszahl tragen. Es ist auch die wunderbare Erzählsprache der Autorin, die leise, aber tief, in das Leben und in die Gefühlswelt ihrer Figuren eindringt, die mich schon in den ersten Seiten in den Bann dieser Geschichte gezogen hat.

Fazit

Es ist ein eindrücklicher, atmosphärisch dichter Roman, erzählt in einer einprägsamen Sprache, die sich mit ihren Bildern und einfühlsamen Schilderungen beim Lesen sofort in die Gedanken gräbt und unsere Gedanken noch lange beschäftigt.

Das neunte Gemälde – Andreas Storm

AutorAndreas Storm
Verlag KiWi-Paperback
Erscheinungsdatum 18. August 2022
FormatBroschiert
Seiten416
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462003888

„Drei Jahrzehnte war Julies Vater im Dunkel der Familiengeschichte umhergetappt, bevor ihm schließlich ein Mann namens Gilles Dupret den Weg zum Lichtschalter gewiesen hatte.“ (Zitat Pos. 4390)

Inhalt

Dr. Lennard Lomberg, ist Experte für Europäische Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts und ein international tätiger Gutachter. Am 22. April 2016 ist er auf dem Weg nach London, um ein Wertgutachten zu erstellen, als er einen Anruf erhält, in dem es um ein Gemälde geht, das ursprünglich einer jüdischen Familie in Frankreich gehörte, welche 1942 von den Nationalsozialisten enteignet wurde. Am 25. April ist Lomberg wieder zurück in Bonn, doch er hat keine Lust, Duprets Auftrag anzunehmen. Dupret bleibt hartnäckig, deutet einen Zusammenhang mit Lombergs Familie an, kommt aber nicht zum vereinbarten Treffen. Er wird tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden, das Gemälde ist verschwunden. Doch nicht nur Kriminalrätin Sina Röhm, Spezialgebiet Kunstkriminalität, ermittelt, auch Lennard Lomberg beginnt mit intensiven Recherchen, unterstützt von seiner Tochter Julie, welche die umfangreichen Unterlagen  ihres 1995 verstorbenen Großvaters Ernst Lomberg sichtet. Dieser war ab 1942 als Mitglied der deutschen Wehrmacht in Paris für den Kunstsektor eingeteilt. Lomberg sucht nach dem Gemälde, vor allem aber will er aufdecken, was damals wirklich passiert ist, doch sehr einflussreiche Kreise wollen mit allen Mitteln genau dies verhindern.

Thema und Genre

Dieser Kriminalroman ist reine Fiktion, der Autor baut jedoch zeitgeschichtlich dokumentierte Fakten in seine Geschichte ein. Es geht um den internationalen Kunstmarkt,  NS-Raubkunst, die sich heute noch versteckt in Privatbesitz befindet, um den Einfluss  von ehemaligen NS-Mitgliedern bei der Besetzung von einflussreichen Positionen. Wichtige Themen sind Freundschaft und Familie.

Charaktere

Die einzelnen Charaktere sind sehr gut beschrieben, stimmig, und ihre Handlungen sind nachvollziehbar. Auch dort, wo es Überraschungen gibt, bleiben sie glaubhaft und realistisch.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte führt uns, von Deutschland ausgehend, quer durch Europa nach Frankreich, Spanien und in die Schweiz. Sie nimmt ihren Anfang im Sommer 1914, den die befreundeten Künstler Picasso, Braque und Derain im gemeinsamen künstlerischen Austausch verbringen wollten. Ein weiterer Erzählstrang beginnt im besetzten Frankreich 1942/43 und führt weiter bis in das Jahr 1966. Die aktuelle Handlung spielt in einem straffen Zeitrahmen in den Monaten April bis Juni 2016. Die Handlungen werden abwechselnd, jedoch in längeren Abschnitten, erzählt. Gerade dieses von Kapitel zu Kapitel dichter werdende, mit großer Kreativität intelligent gewobene Netz aus Verbindungen, Überraschungen und logischen Konsequenzen ist sehr spannend, interessant und absolut stimmig. Es ist Fiktion, könnte jedoch durchaus tatsächlich so stattgefunden haben.

Fazit

Dieser erste Band einer neuen Serie von Kriminalromanen mit dem Kunstexperten Lennard Lomberg ist ein packendes Lesevergnügen, das begeistert, überzeugt und schon jetzt Vorfreude auf Band 2 macht.

Die Taube – Patrick Süskind

AutorPatrick Süskind
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 24. April 1990
FormatTaschenbuch
Seiten112
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257218466

„Er sei zu Tode erschrocken gewesen – so hätte er den Moment wohl im nachhinein beschrieben, aber es wäre nicht richtig gewesen, denn der Schreck kam erst später. Er war viel eher zu Tode erstaunt.“ (Zitat Seite 15)

Inhalt

Jonathan Noel ist über fünfzig Jahre alt. Er arbeitet als Wachmann in einer Bank in Paris. Seit vielen Jahren wohnt er zufrieden und zurückgezogen in einem kleinen Einzimmerappartement im sechsten Stock eines Hauses in der Nähe seines Arbeitsplatzes. Doch an diesem Freitag im August des Jahres 1984 wird die ruhige Routine seines Tagesablaufs empfindlich gestört. Eine Taube sitzt im Flur, nicht weit von seiner Türschwelle entfernt, und scheint ihn anzustarren. Dies versetzt ihn in Panik und seine geordnete Welt gerät völlig aus den Fugen.

Thema und Genre

In dieser Novelle geht es um einen Mann, dessen genau festgelegter Tagesablauf durch das zufällige Auftauchen einer Taube gestört wird.

Charaktere

Jonathan Noel verabscheut Überraschungen, denn es gab gravierende Ereignisse in seinem Leben, die er am liebsten vergessen möchte, die sich dennoch immer wieder in seine Erinnerung drängen. Pflichtbewusst, genügsam, manchmal in den Gedanken leicht überheblich gegenüber seinen Mitmenschen, ist Jonathan keine besonders sympathische Hauptfigur, dennoch empfindet man Mitleid mit ihm.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt an einem einzigen Tag. Es ist ein heißer Freitag im August, der mit einem unvorhergesehenen Ereignis beginnt. Diese Taube im Hausflur versetzt Jonathan Noel in einen Schockzustand, mit spontanen Entscheidungen, die ihn im Laufe des Tages ins Chaos stürzen. Es sind nicht nur seine Erlebnisse, sondern vor allem seine Gedanken und Gefühle zwischen Panik und Pflichtbewusstsein, seine verzweifelten Versuche, an seinem korrekten, in seinen Augen untadeligen Verhalten festzuhalten, während seine Gedankenphantasien sich von genau diesen Zwängen zu lösen scheinen.

Fazit

Eine moderne Novelle, beklemmend und psychologisch vielseitig interpretierbar.

Die Nackten fürchten kein Wasser: Eine Reise mit afghanischen Flüchtlingen – Matthieu Aikins

AutorMatthieu Aikins
Verlag HOFFMANN UND CAMPE VERLAG
Erscheinungsdatum 2. August 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten400
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinBarbara Schaden
ISBN-13‎978-3455015133

 „Ich war zuversichtlich, dass wir Afghanistan in jedem Fall gemeinsam verlassen würden. Und mit unserer Flucht würde sich ein Kreis schließen, denn seitdem wir uns kannten, meinte ich, eine Parallelwelt im Verlauf unseres jeweiligen Lebens zu erkennen.“ (Zitat Pos. 183)

Thema und Inhalt

Dieses Buch ist der Tatsachenbericht einer Flucht, teilweise geführt von Schleusern, mehrmals gefasst und zurückgeschickt. Millionen von Flüchtlingen nehmen diesen gefährlichen Weg durch die Wüste, über Gebirgspfade in die Türkei und dann über das Meer bis nach Griechenland auf sich.

Omar, ein afghanischer Journalist und Übersetzer, hatte in Afghanistan einige Jahre lang als Dolmetscher für die USA gearbeitet und als er den Entschluss fasst, sein Land zu verlassen, sucht er daher um ein Special Immigrant Visa für Amerika an. Sein Ansuchen wird abgelehnt und so bleibt nur die Schleuserroute nach Europa. Seit 2009 ist er mit dem Journalisten und Kriegsberichterstatter Matthieu Aikins befreundet und dieser beschließt spontan, seinen Freund zu begleiten, ebenfalls als afghanischer Flüchtling und mit einer passenden, genau einstudierten Identität. Dies war im August 2015, im Juli 2016 fällt die endgültige Entscheidung zum Aufbruch. Der ursprünglich geplante Flug nach Istanbul mit einem gekauften Visum im Pass ist jedoch nicht mehr möglich. Dies bedeutet Plan B. Ende August 2016 treten sie den ersten Abschnitt ihrer Reise an: viereinhalbtausend Kilometer über Land, von Kabul aus durch den Iran nach Istanbul.

Umsetzung

Die Geschichte ist in vier große Teile gegliedert: Der Krieg – Der Weg – Das Lager – Die Stadt. Beginnend mit einem kurzen Abschnitt über Geschichte der Familien von Omar und Matthieu und prägende Kindheitserlebnisse, berichtet der Journalist chronologisch über den Verlauf der Reise. Täglich spricht er seine Notizen über den Ablauf und die Ereignisse des Tages auf sein Smartphone und ergänzt diese mit Fotos und Videos. Wo sich ihre Wege zwischendurch trennen, schildert er seine eigenen Erlebnisse und ergänzt diese später mit Omars Erzählungen. Dieser Bericht zeigt auch die Hilfsbereitschaft und den Zusammenhalt, die ihnen begegnen, unter den Flüchtlingen, aber auch von unerwarteter Seite. Auch die Tätigkeit der Schleuser sieht man nach diesem Buch wohl etwas differenzierter. Ergänzt wird die Geschichte ihrer gefährlichen Reise durch Fakten und Daten aus aktuellen Forschungsberichten und Expertenarbeiten, aus Berichten über die politischen Hintergründe, Entscheidungen und Gesetze dieser Jahre und ihre Auswirkungen. Im Anhang folgt ein Namens- und Literaturverzeichnis mit ausführlichen Quellenangaben aller Zitate.

Fazit

Gerade die sachliche, empathische Sprache dieses packenden Tatsachenberichtes prägt sich ein und führt zu einem besseren Verständnis dafür, welche Strapazen und Lebensgefahren jeder Flüchtling voller Zukunftsträume und Hoffnungen auf sich nimmt, wenn das Leben in der Heimat unmöglich geworden ist.

Die Chronik der Dämonenfürsten: Der siebte Thron – Monika Grasl

AutorMonika Grasl
Verlag Shadodex-Verlag der Schatten
Erscheinungsdatum 28. März 2022
FormatBroschiert
Seiten416
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3985280063

„Auch wenn etwas in seinem Inneren lautstark protestierte, er musste gehen. Obwohl ihm unklar war, wie er die benötigte Hilfe je zurückzahlen sollte.“ (Zitat Seite 11)

Inhalt

Luzifer hatte in den vergangenen Jahren ausgleichend auf die unterschiedlichen Mächte gewirkt, doch nun ist er schwer erkrankt, irgend etwas scheint ihn zu lähmen. Was sich vor Jahren angekündigt hat, scheint nun einzutreten. Jemand versucht, den Platz auf dem siebten Thron einzunehmen, jenem Thron, von dem einst beschlossen worden war, ihn weiterhin unbesetzt zu lassen. Doch die Macht, diesen Thron zu schützen, haben nur Gabriel und Luzifer, und zwar gemeinsam. Was geschieht jetzt, wo Luzifer handlungsunfähig ist? Prinz Seere trägt als Luzifers Stellvertreter die Verantwortung und er muss handeln. Doch dazu braucht er Hilfe.

Thema und Genre

Die Chronik der Dämonenfürsten spielt in bekannten Städten Europas, jedoch in einer für die Menschen dystopischen Zukunft und gehört zum Genre Urban Dark Fantasy. Es geht um ein möglichst ausgeglichenes Machtverhältnis zwischen den himmlischen Mächten und den Dämonenfürsten.

Charaktere

Die Autorin schuf in diesen langen Jahren der Chronik unterschiedliche Figuren, die eines gemeinsam haben: sie sind facettenreich, ambivalent und irgendwo in den vielen Grautönen zwischen Gut und Böse anzusiedeln. Sie können ihre Meinung, Einstellung und Verhalten im Laufe der Jahre durchaus ändern und zwar in beide Richtungen. Dies trifft auch auf die himmlischen Mächte zu, mit ihren Eifersüchteleien und Intrigen kommen sie für mich den Göttern der griechischen Mythologie gleich, haben wenig mit Engeln im traditionellen Sinn zu tun. Figuren, die altern können, lässt die Autorin im Laufe der Jahre erwachsen werden und altern, auch dies macht sie nachvollziehbar und sehr spannend. Wer die Serie ab Band eins kennt, hat wohl  die eigenen Lieblingsfiguren längst gefunden, mit neu hinzugekommenen ergänzt. Diesmal ist es Maja, eine völlig unangepasste, eigenwillige junge Priesterin, die, vernünftig oder nicht, immer ihre Meinung sagt und mich sofort begeistert hat.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung verläuft chronologisch an den unterschiedlichen Handlungsorten wie Wien, London, Paris, Kopenhagen, Neapel, Rom, Himmel und höllischer Unterwelt. Mehrere gleichzeitige Handlungsstränge wechseln einander in einzelnen Kapiteln ab. Getragen wird die Geschichte von den einzelnen Hauptprotagonisten und Protagonistinnen. Daher trägt jedes Kapitel den Namen der jeweiligen Hauptfigur, dies erleichtert die Übersicht, hält gleichzeitig den Spannungsbogen sehr hoch. Große Kämpfe und Schlachten kündigen sich an und es wird intensive Dark Fantasy, denn die Kampfszenen sparen nicht mit heftigen Details, im Gegensatz zu der modernen, saloppen Spache der Dialoge. Die Autorin fordert uns Lesende und auch von ihren Figuren verlangt sie vollen Einsatz. Fantasy ist absolut nicht mein bevorzugtes Genre, doch diese Serie hat mich schon mit Band eins überzeugt und ich warte schon jetzt auf Teil sechs.

Fazit

Diese Reise durch mehrere Jahrhunderte und die damit verbundene Entwicklung der Strukturen und der einzelnen Hauptfiguren sind packend, abwechslungsreich und interessant, es macht Vergnügen, die Chronik zu lesen.

Brooklyn soll mein Name sein – Eduardo Lago

AutorEduardo Lago
Verlag Alfred Kröner Verlag
Erscheinungsdatum 1. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten500
SpracheDeutsch
ÜbersetzungGuillermo Aparicio
ISBN-13978-3520624017

„Ich weiß nicht, nach was ich suche, ich weiß nur, dass es sich hinter den Tausenden von Wörtern verbirgt, die ich nicht aufhören kann zu schreiben. Ich weiß nicht, was es ist, was es sein kann, aber ich würde es gerne herausfinden und ihm eine Form verleihen, nur für dich. Für dich werde ich dieses Buch schreiben, Brooklyn.“ (Zitat Seite 266, 267)

Inhalt

Der Journalist Néstor Chapman entdeckt eines Abends bei einem Spaziergang durch Brooklyn Heights zufällig das Lokal „Oakland Bar & Grill“. Neugierig geworden, betritt er einen erstaunlichen Ort und an einem Tisch in einer Ecke sieht er einen Mann, der völlig unbeeindruckt von dem Trubel der anderen Gäste in ein Heft schreibt. So lernt er den Schriftsteller Gal Ackerman kennen und sie treffen einander regelmäßig im Oakland. Eines Tages nimmt Gal ihn in sein Studio mit und zeigt ihm eine Fülle von voll beschriebenen Heften, darunter auch das besondere „Brooklyn-Heft“, die Notizen für den Roman, den er für seine große Liebe Nadja Orlov schreiben wollte. Doch Gal weiß bereits, dass er nicht in der Lage ist, dieses Buch zu beenden. Néstor „Ness“ soll dies für ihn tun. Kurze Zeit später ist Gal tot und Néstor weiß, er hatte im Grunde nie eine Wahl, als das ihm anvertraute Archiv zu übernehmen und Gals Bitte zu erfüllen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um das Leben, um Literatur, um Freundschaft und Liebe. Wir treffen unterschiedliche Protagonisten und ihre Geschichten, die diesen Roman tragen. Natürlich geht es auch um New York, vor allem jedoch um Brooklyn und das Oakland, eine Bar in den Docks von Brooklyn, die für viele Menschen eine Art von Heimat geworden ist. „Sieh mal, dieses Licht, Néstor. Es ist das Licht, über das Louise in ihrem Gedicht spricht. Das Licht Brooklyns.“ Zitat Seite 26)

Charaktere

Es sind viele unterschiedlichen Protagonisten, die diese Geschichten beleben, jede Person ist auf ihre Art einzigartig und besonders. Manche tauchen nur kurz auf, stehen im Mittelpunkt einer Episode, eines Ereignisses, andere bleiben und begleiten uns durch das gesamte Buch.  

Handlung und Schreibstil

Der Roman wird nicht chronologisch erzählt, die einzelnen Kapitel reisen kreuz und quer zwischen den Jahren und Personen. Im Anhang findet sich eine genaue Chronologie der Ereignisse und ein ausführliches Personenregister. Die Rahmenhandlung, die alle weiteren Geschichten immer wieder eint und sich zwischen die einzelnen Episoden setzt, trägt Néstor als Ich-Erzähler. Er verbindet die Geschichten der einzelnen Hefte, erinnert sich an die Gespräche mit Gal, an Ereignisse, die Gal ihm aus seinem Leben und seiner Vergangenheit erzählt hat. Vor allem schildert Néstor diese besondere Zeit, die er selbst mit dem Sichten der Unterlagen, weiteren Recherchen und Gesprächen, und dem Schreiben verbracht hat. Diese Art des Erzählens in Verbindung mit den eindrücklichen, bunten, lebhaften Beschreibungen der Menschen und prägenden Orte, macht den besonderen Sog und Charme dieses außergewöhnlichen Romans aus.

Fazit

Es ist schwer, dieses beeindruckende Leseerlebnis zu beschreiben, die Vielfalt der Figuren, Schicksale, Orte, die tiefe Freundschaft, welche die Personen verbindet und sich durch die Geschichten zieht. Ich hatte das Buch gerade erst erhalten, wollte nur kurz die ersten Seiten lesen und geriet sofort in den Bann dieser faszinierenden Erzählform und Sprache. Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen und es reihte sich sofort in die Liste meiner zeitlos gültigen Lieblingsbücher ein.

Landverstand – Timo Küntzle

AutorTimo Küntzle
Verlag Kremayr & Scheriau
Erscheinungsdatum 24. März 2022
FormatBroschiert
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3218012904

„Allerdings ist das Meinungsklima der vergangenen Jahre durch einige wenige Umweltgruppen viel stärker geprägt, als es deren Fachkompetenz und Wissenschaftstreue rechtfertigen würde.“ (Zitat Seite 9)

Thema und Inhalt

Dieses Sachbuch trägt den Untertitel „Was wir über unser Essen wirklich wissen sollten“, und genau darum geht es. Thema sind die vielen unterschiedlichen Aspekte der brisanten Frage, ob das globale Ernährungssystem auch nachhaltig und biologisch funktionieren kann. Damit verbunden die Überlegungen, welche Zugeständnisse in Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion und Tierhaltung  notwendig sind, um die Menschen weltweit ernähren zu können.

Umsetzung

Der Autor, Agrarwissenschaftler und Journalist, ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er beginnt mit einem Vorwort, welches das Themenfeld beschreibt, die Zielsetzung und seine Intentionen.  Es folgen neun in Abschnitte unterteilte Kapitel. Die vielfältigen Themenkreise beginnen mit dem Urprinzip der Landwirtschaft und führen weiter über die Bedeutung der Landnutzung für das Klima und entsprechende Lösungsansätze, und zu den Fragen rund um den Schutz der Artenvielfalt. In den letzten drei Kapiteln geht es um die heftig diskutierten und sehr umstrittenen Themen Kunstdünger, Pestizide und Gentechnik. Jedes Kapitel stellt Vorstellungen, Forschung und Praxis in einen größeren Kontext und endet mit einer kurzen Zusammenfassung. Kapitel zehn ist ein persönliches Resümee des Autors, gefolgt von einem Anhang mit den Quellenangaben zu den verwendeten Statistiken und Forschungsberichten. Die Sprache entspricht den wissenschaftlichen, informativen Anforderungen von Sachliteratur, ohne jedoch fachlich überladen zu sein. Dadurch ist sie sehr gut lesbar und bleibt verständlich. Auf Seite 172 fragt er uns Lesende: „Sind Sie noch da?“ und ich persönlich konnte antworten: „Klar, Sie haben mich auf keiner Seite und keine Minute lang verloren.“

Fazit

Auch wenn man, wie auch ich, in einzelnen Kapiteln und Aussagen sicher nicht die Meinung des Autors teilen wird, ist dieses Sachbuch eine wichtige, sehr interessant zu lesende und umfassend recherchierte Zusammenfassung der derzeit wichtigsten Themen und vielseitigen Aspekte im Zusammenhang mit Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ernährung. Der Autor stellt viele Fragen, zeigt mögliche Antworten aus Sicht der Landwirtschaft, untermauert diese mit Untersuchungen des Weltklimarates. Er selbst fordert in seinem Resümee auf, dieses Buch, aber auch alle Statistiken und Informationen der Umwelt-NGOs kritisch zu hinterfragen. Dieses Buch brachte mir perönlich nicht nur mehr aktuelle Fakten und dadurch mehr Wissen zu den Themenschwerpunkten der Kapitel sieben bis neun, sondern führte zum Nach- und teilweisen Umdenken in meiner bisherigen Meinung.

Der Schrank – Simon Sailer

AutorSimon Sailer
IllustratorJorghi Poll
Verlag Edition Atelier
Erscheinungsdatum 28. Februar 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten104
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3990650608

„Eine Wand gehörte dem Schrank. Er lehnte daran, als wäre er der eigentliche Bewohner des Raums, der wahre Herr des Hauses, und blickte verärgert auf das verhängte Bett.“ (Zitat Seite 30)

Inhalt

Lena Kovac ist Möbelpackerin. Eigentlich wäre der Auftrag an diesem Nachmittag kein Problem: einen Schrank in einer Villa im neunzehnten Wiener Bezirk abholen und in eine Wohnung im ersten Bezirk bringen. Doch dann hat das Team vom Vortag den Wagen nicht vollgetankt und Korni, neben Yilmaz der Dritte in ihrem Team, kommt wie immer zu spät. Die Zeit wird knapp, denn der Schrank muss unbedingt noch am selben Tag ankommen. Sie holen den wuchtigen Schrank ab, doch als sie ihn im Wagen fixieren, bricht ein Bein ab. Lena trifft die erste von mehreren Entscheidungen, und ihre Welt gerät aus den Fugen.

Thema und Genre

Eine erstaunliche, schwer zuordenbare Erzählung, die als Wiener Alltagsstudie beginnt und rasch ins Genre Phantastik wechselt.

Charaktere

Die toughe Lena ist mit ihrem Leben zufrieden, sie ist gewohnt, verlässlich und effizient zu arbeiten. Das ist nicht einfach an solchen Tagen, wo der Chef sie unter Zeitdruck setzt, die beiden Kollegen mehr Pausen verlangen und sie selbst am Abend pünktlich zu Hause sein wollte.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt am Abend, Lena kommt nach Hause, Feierabend, während ihr Freund Hakan seinen Nachdienst antritt. Am Nachmittag des nächsten Tages wartet der letzte Auftrag. Sobald sie den Schrank abgeholt haben, passieren eigenartige Dinge, die immer rätselhafter und skurriler werden. Wir wissen nicht, wer die Geschichte Lenas erzählt und der Erzähler überlässt es uns, über mögliche Erklärungen nachzudenken. Er berichtet über erstaunliche Ereignisse und Begegnungen, vielleicht als Folge von Lenas Entscheidungen, wir wissen es nicht. Vielleicht ist es ja auch nur ein schlimmer Alptraum und Lena erwacht am Morgen, der Tag mit dem Schranktransport beginnt erst.

Fazit

Eine erstaunliche Geschichte, in deren Mittelpunkt ein robuster alter Schrank und viele Tiere stehen und deren zunächst gemütliche, humorvolle Szenen rasch ins grotesk-phantastisch-Schaurige kippen und viel Raum zum Nachdenken über mögliche Hintergründe und Erklärungen lassen.   

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