Der Hund, der nur Englisch sprach – Linus Reichlin

AutorLinus Reichlin
VerlagGaliani Berlin
Datum17. August 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten320
SpracheDeutsch
ISBN-13‏978-3869712857

„Klar, der Hund war dabei, aber jetzt ist er erstens weg. Und selbst wenn er hier wäre, würde er eisern schweigen. Ja, wenn Hunde sich etwas in den Kopf setzen, die können stur sein, denkt Felix.“ (Zitat Pos. 74)

Inhalt

Es ist eine von diesen heißen Tropennächten in Deutschland, genau genommen die erste im Jahr 2022, als alles damit beginnt, dass der vierundsechzig Jahre alte Felix Sell aus Nostalgiegründen zwei vierundvierzig Jahre alte LSD-Pillen ausprobiert. Damit startet ein Abenteuer, das rasch zu einer Reihe von unvorhersehbaren Ereignissen führt, die Felix völlig überfordern und zu überrollen drohen, wäre da nicht der Hund, der ihm mit Rat und Tat, vor allem mit den Ideen dazu, zur Seite steht. Hobo, ein kleiner Jack-Russell Rüde, der nur eines will, dass Felix ihn vor seinen Entführern in Sicherheit und so rasch als möglich zurück in seine Heimat, nach Naples, Florida, bringt.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine moderne Abenteuergeschichte, philosophisch, menschlich, sehr komisch und manchmal sehr surreal, oder doch real?

Charactere

Felix Sell ist ein geschiedener Landschaftsarchitekt in Pension, und lebt allein ein pragmatisches, ruhiges Leben. Anschaffungen berechnet er auf Grund seines Alters mit einem Preis-Leistung-Lebenserwartungsverhältnis. Er mag Katzen, doch diesen Hundeaugen kann er sich auf die Dauer nicht entziehen. Hobo liebt Leckerli und jagt begeistert Stöckchen nach, er ist ein ganz normaler Hund, mit einer Ausnahme: er spricht Englisch, genau genommen amerikanisches Englisch, und dies wesentlich besser als Felix.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, an den ein Handlungsablauf anschließt, der innerhalb eines knappen Zeitrahmens von wenigen Wochen stattfindet und zu der Situation im Prolog führt. Im personalen Mittelpunkt der Geschichte, deren Erzähler manchmal ins Auktoriale wechselt, steht Felix, da neben den Action-Elementen der Handlung auch seine Gedanken und inneren Monologe eine wichtige Rolle spielen. Denn natürlich beschäftigen Felix die Zweifel, ist der Hund nun real, ist eine andere logische Erklärung möglich, als die, dass es sich um eine Halluzination als Folge der beiden Pillen handelt, im letzteren Fall ein Zustand, der bald vorbeigehen sollte. Doch bis er Klarheit hat, versteckt er sich mit Hobo vor dessen Entführern, nur um sicherzugehen. Die Sprache erhöht das Lesevergnügen, unterhält zusätzlich mit den kleinen Missverständnissen durch den amerikanischen Slang des frechen, temperamentvollen Jack Russell Terriers, der wohl nicht nur für mich die eigentliche Hauptfigur in dieser Geschichte ist.  

Fazit

Der knappe Zeitrahmen, Flucht vor Verfolgern, Konflikte mit der Polizei, sorgen für Spannung, die Geschichte selbst mit vielen skurrilen Szenen für lautes Lachen, der kleine, freche Hund für den Wohlfühlfaktor. Es ist ein schmaler Grad zwischen möglicher, logisch argumentierbarer Realität und phantasievoller Einbildung und dem Autor ist genau dieser geniale Mittelweg gelungen.

Mama Odessa- Maxim Biller

AutorMaxim Biller
VerlagKiepenheuer&Witsch
Datum17. August 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462004861

„Im Mai 1987 – ich war erst sechsundzwanzig Jahre alt – schrieb mir meine Mutter auf einer alten russischen Schreibmaschine einen Brief, den sie nie abschickte.“ (Zitat Pos. 55)

Inhalt

1971 durfte die jüdische Familie Grinbaum aus der Sowjetunion ausreisen, doch statt in Tel Aviv, wie sein Vater Gena es sich gewünscht und geplant hatte, landen sie in der Bieberstraße 7 im Hamburger Grindelviertel. Hätte Aljona Grinbaum Jahre später ihren Mann auf einer seiner Reisen nach Israel begleitet, hätte dieser vielleicht die junge Deutsche nicht kennengelernt, wegen der er nun seine Frau verlässt. Mischa Grinbaum, der Sohn, ist noch ein Kind, als sie Odessa verlassen, inzwischen ist er längst erwachsen und Schriftsteller. Die großen Lücken in der Geschichte seiner Familie füllen sich erst langsam, verbinden sich mit seinen plötzlich wieder auftauchenden Kindheitserinnerungen, als er nach dem Tod seiner Mutter neben den alten Unterlagen und Fotoalben auch das Manuskript für ihr zweites, nicht mehr veröffentlichtes, Buch findet, und ein Bündel Briefe, die sie im Laufe vieler Jahre an ihn geschrieben, aber nicht abgeschickt hatte.

Thema und Genre

Im Mittelpunkt dieses Generationen- und Familienromans einer russisch-jüdischen Familie steht der Schriftsteller Mischa Grinbaum und natürlich sind Literatur und das Schreiben Themen, doch vor allem geht es um die Konflikte in Eltern-Kind-Beziehungen, um Familiengeheimnisse und der Geschichte der Juden in Russland.

Charactere

Im gedanklichen Hintergrund der Familie immer präsent ist Jaakow Gaikowitsch Katschmorian, Aljonas Vater, Mischas Großvater, der in Odessa geblieben ist. Mischa beginnt seine Laufbahn als Schriftsteller schon in jungen Jahren, während seine Mutter zwar ihr ganzes Leben lang ihre eigenen Erfahrungen als Erzählungen niederschreibt, doch als ihr erstes Buch herauskommt, ist sie weit über sechzig Jahre alt. Sie lieben einander, aber besonders Mischa braucht viel Abstand. Den Zugang zu seiner Mutter findet er, indem er über sie schreibt.

Erzählform und Sprache

Mischa schreibt die Geschichte seiner Familie in der ersten Person, in Kapiteln, doch es gibt keine chronologische, fortlaufende Handlung. Es sind, wie in der persönlichen Erinnerung, Episoden, die je nach Situation und Ereignis auftauchen, und daher auch lebhaft wiederholt zwischen den Zeiten wechseln, von der Gegenwart in unterschiedliche Jahre in der Vergangenheit, und wieder zurück. Erzählungen aus dem Buch der Mutter, jeweils ein eigenes Kapitel, vertiefen mit weiteren Details, die der Ich-Erzähler nicht wissen kann. Dennoch, und hier zeigt sich auch in diesem Roman das besondere Können des Autors, entsteht nie eine Unruhe in den Abläufen, es bleiben am Ende keine offenen Erzählstränge, sondern die Einzelteile füllen die Lücken eines im Hintergrund immer präsenten Gesamtbildes einer Familiengeschichte mit allen Höhen, Tiefen, Konflikten und Geheimnissen. Die Sprache ist einfühlsam, in den Beschreibungen präzise, bunt und lebhaft und man liest dieses Buch mit Vergnügen.

Fazit

Eine beeindruckende, vielseitige Familiengeschichte über den Verlust der Heimat, und die Suche nach dem Platz und Sinn im eigenen Leben, in deren Mittelpunkt eine von Konflikten und dennoch tiefer Zärtlichkeit füreinander geprägte Mutter-Sohn-Beziehung steht.

Die Bücherjägerin – Elisabeth Beer

AutorElisabeth Beer
VerlagDUMONT Buchverlag
Datum1. August 2023
AusgabeKindle Ausgabe
Seiten432 (Print)
SpracheDeutsch
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„Die Sache mit alten Landkarten ist, dass sie einen in die Irre führen. Die Sache mit der Kartografie insgesamt ist, dass sie die Dinge in einem Maßstab darstellt, der natürlich nicht der Realität entspricht.“ (Zitat Pos. 29)

Inhalt

Sarah ist beinahe zehn Jahre alt, ihre Schwester Milena sieben, als ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen. Sie wachsen bei Amalia von Richtershofen, der Schwester ihrer Mutter, in einer Villa bei Köln auf, mit einem Garten, groß wie ein Park.  Tante Amalia ist eine Bücherjägerin und Kartensammlerin und Sarah teilt ihre Liebe zu Büchern. Heute ist Sarah ebenfalls eine Bücherjägerin, Kartensammlerin und Restauratorin von alten Büchern und Dokumenten. Seit dem Tod von Tante Amalia vor sechs Monaten lebt sie zurückgezogen allein in der Villa, umgeben von Büchern. Bis eines Tages nicht der Postbote an der Tür klingelt, sondern Benjamin Ballantyne, Wissenschaftler und Bibliothekar der British Library in London. Kurz vor ihrem Tod hatte Amalia die Britische Bibliothek kontaktiert, es ging um das seit Jahrhunderten verlorene erste Segment der Tabula Peutingeriana. Ben kann Sarah überreden, ihm bei der Suche zu helfen. Der Weg führt sie zu einem Weingut in der Champagne, nach London, und zu einem Landsitz in Essex.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um alte Bücher und besonders um die Suche nach dem ersten Segment der insgesamt zwölf Segmente umfassenden mittelalterlichen Kopie einer ursprünglich spätrömischen Straßenkarte, um Verlust, Trauer, aber auch um die vielen Facetten und Probleme zwischenmenschlicher Beziehungen.

Charactere

In der Familie galt Amalia als schwierig und exzentrisch, doch nun ist sie Mutter und Familie für ihre beiden Nichten. Ihr Satz „Das kriegen wir schon hin“ bleibt in all den Jahren eine sichere Konstante zwischen Amalia, Sarah und Milena. Nicht erst seit dem Verlust ihrer Tante Amalia zieht sich Sarah in die magische Welt der Bücher zurück, das tat sie schon immer, wenn ihr das reale Leben, die Menschen und die Umgebung zu laut wurden. Als sie auf den Engländer Ben trifft, der Deutsch spricht, als hätte er die Sprache mit Goethe und Schiller gelernt, merkt sie rasch, dass er sie so respektiert, wie sie ist.

Erzählform und Sprache

Sarah erzählt die Geschichte dieser Schatzsuche und gleichzeitig auch die Geschichte ihres bisherigen Lebens, daher ist der Roman in der Ich-Form geschrieben. Die Recherchen und die Reise auf den Spuren von diesem besonderen historischen Artefakt werden chronologisch geschildert. „Eine Karte also voller Abenteuer und Geschichten, deren verlorener erster Teil definitiv einige Umstände und eine plötzliche Reise wert ist.“ (Zitat Pos. 710). Ergänzt werden die aktuellen Ereignisse durch viele Rückblicke in Form von Sarahs Erinnerungen an prägende Erlebnisse ihrer Jugend, und vor allem an ihre Tante Amalia. Als sie den wenigen, kryptischen Notizen von Amalia folgen, tauchen sie auch in deren Vergangenheit ein. Die Sprache ist einfühlsam, humorvoll und angenehm zu lesen.

Fazit

Eine interessante, spannende Suche nach einem wertvollen alten Dokument, dazu sympathische Charaktere, dies ergibt in Summe eine rundum gelungene Geschichte, Lesevergnügen garantiert.

Bin das noch ich – Stefan Moster

AutorStefan Moster
VerlagMareverlag
Datum8. August 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3866487123

„Wenn die Noten verstummen und nicht einmal mehr Bachs notierte Freiheit der Artikulation hilft, den Ton zu treffen, weil es keinen Ton mehr gibt. Was, wenn man keinen Bach mehr spielen kann? Und auch nichts sonst.“ (Zitat Seite 31)

Inhalt

Simon Abrameit ist Geiger, Musik ist sein Leben. Er vermutet schon länger, dass etwas mit zwei Fingern seiner linken Hand nicht stimmt. Im Rahmen eines Sommerfestivals spielt er ein Solokonzert, Bach und Bartók, und genau hier passiert es endgültig, er muss den Auftritt abbrechen. Er braucht Zeit zum Nachdenken, wie es weitergehen soll. Das einfache Ferienhaus seiner Musikerkollegin Mai auf einer kleinen, abgelegenen Insel wird sein Rückzugsort. Nur er, die Natur der endlos hellen Mittsommertage, die Seevögel und hier besonders ein brütendes Möwenpaar in Hausnähe, und dazu die notwendigen Tätigkeiten des Alltags. Zwischen Hoffnungslosigkeit und Aufbruch schwebend, macht er sich Gedanken über die vielen Facetten der Musik, über sein Leben als Musiker, beobachtet täglich gespannt den Ablauf der Natur und versucht dabei, sich selbst nicht zu verlieren.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Musik und die damit eng verbundenen Themen, um die Vielseitigkeit der Natur auf einer einsamen Insel im finnischen Mittsommer und um die Suche nach einem Neubeginn, wenn plötzlich nichts mehr so ist, wie es war.

Charactere

Simons Leben ist die Musik und seine Geige, die ihn viele Jahre lang durch sein Musikerleben geführt hat, obwohl er nie der herausragende, international berühmte Konzertsolist war. Er ignoriert die Probleme mit seinen Fingern, bis es nicht mehr möglich ist und er gezwungen ist, sich mit der Situation auseinanderzusetzen.

Erzählform und Sprache

Im Mittelpunkt dieses Romans steht Simon, der sich ein Leben ohne Musik nicht vorstellen kann und durch äußere Umstände gezwungen ist, genau darüber nachzudenken. Er steht im Mittelpunkt einer personalen Erzählform, die ihm in die Einsamkeit der kleinen Schäreninsel folgt, auf der es nur das Ferienhäuschen gibt und die Natur – das Meer, die Bäume, die vielen Vogelarten, das Rauschen der Wellen an sonnigen Tagen und bei stürmischem, wildem Seegang, die ungewohnte Helligkeit der Mittsommernächte. Es sind diese Schilderungen, poetisch, leise und doch bildintensiv, die zusammen mit der Hauptfigur und ihren Konflikten den beeindruckenden Sog dieses Romans ausmachen. Die Spannung der Sprache entsteht aus dem Wechsel in der Erzählformen, personal, doch unterbrochen durch Simon im gedanklichen Gespräch mit Darja, einer berühmten Geigerin, deren Karriere er von Jugend an mitverfolgen konnte, und Simon als Ich-Erzähler, der seine Sicht einer entscheidenden Situation der personalen Schilderung des Erzählers gegenüberstellt. Spannung erhält die Handlung selbst besonders durch die Frage, wie Simon mit seiner Situation umgehen wird.

Fazit

Es gibt Bücher, in denen man sich von der ersten Seite an „zu Hause“ fühlt, so ging es mir mit diesem Roman. Mein Interesse an Simon mit seinen einfühlsam und präzise dargestellten Problemen und Fragen war sofort geweckt, die Naturschilderungen in ihrer Vielfalt sind beeindruckend und packend, dazu noch interessantes, für mich neues, Musikwissen, besonders über Bela Bartók, auch Bach hatte ich bisher nicht mit Violinkonzerten verbunden. Ein leiser und gleichzeitig starker Roman, ein in allen Bereichen positives, überzeugendes Leseerlebnis.

Wasserläufer – Michael Kröchert

AutorMichael Kröchert
VerlagTropen
Datum15. Juli 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3608500165

„An diesem allerersten Abend meiner Reise in den Floß-Sommer spürte ich die unermessliche Tiefe dieses Raumes. Aber noch deutlicher als das fühlte ich mich.“ (Zitat Pos. 126)

Inhalt

Als Alissa, mit der er seit vier Jahren in Berlin in einer festen Beziehung lebt, für ein Semester nach Frankfurt geht, um dort ihre Dissertation in Kunstgeschichte fertig zu schreiben,  nimmt Rio, vierzig Jahre alt, Fotograf und Dokumentarfilmer, eine fünfwöchige Auszeit von seinem aktuellen Job in einer Redaktion. Er hat ein Floß gebaut und will diese Wochen auf dem Soliner See nahe Berlin verbringen, alleine in der Natur, um über sein Leben und seine weiteren Pläne nachzudenken. Doch während er in den Telefonaten mit Alissa weiterhin betont, die Einsamkeit zu suchen, lernt er immer mehr Menschen kennen, Birk und die Ökologiestudentin Johanna, deren Vater eine ökologische Landwirtschaft mit Hofladen betreibt, sowie Jost und seine Frau, die Künstlerin Magda, die auf einer mit allem Komfort und Luxus umgebauten großen holländische Tjalk ebenfalls den Sommer auf dem See verbringen wollen. Als ihm der Trubel auf dem See zu groß wird, flüchtet er in eine versteckte Bucht auf dem kleineren Fernower See. Dort denkt er weiter über seine Pläne nach, denn sein Erfolg als Dokumentarfilmer ist acht Jahre her, er will mit Alissa zusammen sein, wünscht sich ein Kind von ihr, doch die Realität erzählt eine völlig andere Geschichte, er weiß nur noch nicht, welche.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine Art Road-Trip, doch statt auf Highways in der Ferne spielt er auf dem Wasser, im Seengebiet rund um Berlin. Im Zentrum steht ein Mann in der Mitte seines Lebens, der in der Einsamkeit der Natur herausfinden will, wer er ist und was er noch von seinem Leben erwartet. Es geht um Pläne, die ohne Entscheidungen Pläne und Träume bleiben, und es geht um Beziehungen. Auch sozialkritische Themen kurz nach Corona spielen eine Rolle, sowie Politik und Umwelt.

Charactere

Rio ist mit seinem aktuellen Bildschirmjob nicht glücklich, seine Erfolge liegen lange Zeit zurück. Er sucht die Einsamkeit, doch bald braucht er den Alkohol, um diese Einsamkeit zu ertragen, in der ihm die Realität immer öfter zu entgleiten droht. Es sind die männlichen Protagonisten, die diese Handlung dominieren, in der Frauen zwar für manche Ereignisse wichtige, aber doch nur Nebenrollen einnehmen.

Erzählform und Sprache

Rio selbst schildert als personaler Ich-Erzähler seine Geschichte, meistens chronologisch, ergänzt durch Erinnerungen, manchmal aber wechselt er spontan die Zeitabläufe zwischen Ereignissen und Situationen. Seine Gedanken schreibt er als Haikus nieder. „Haikus waren ein wenig wie Wasserläufer – sie waren unwahrscheinlich und autonom.“ (Zitat Pos. 1971) Dominiert wird die Handlung von seinen inneren Monologen, welche die Realität teilweise ins Surreale kippen lassen. Sprachlich beeindruckend sind die Schilderungen der Natur, die jedoch in einem gekonnt gewählten Verhältnis zum Text eingesetzt werden: „Ein Rest grelles, sattes Gold-Orange wurde von einem leuchtenden Blau zugleich sanft und unerbittlich hinter den Horizont gedrückt, bevor das Schwarz kam, um alles zu dominieren. Mit diesem Verlust der Farben kam eine geradezu unbegreifliche Stille.“ (Zitat Pos. 646).

Fazit

In einer Genre-Zuordnung ist von Urlaubs- und Wohlfühlroman die Rede, doch beides ist diese Geschichte meiner Meinung nach nicht, denn was als interessante,  positive Sinnsuche in der Natur beginnt, wird rasch zu einem negativen Sog für die Hauptfigur Rio, auf Grund seiner Unentschlossenheit und seiner inneren Weigerung, endlich Entscheidungen zu treffen. Die zusätzliche Spannung im Handlungsbogen, die durch einen Anschlag in der Nähe aufgebaut werden soll, wirkt auf mich wie ein Fremdkörper in der Handlung, zu konstruiert und somit entbehrlich. Die vielseitigen menschlichen Themen und Aspekte dieser Geschichte waren für mich das wirklich Spannende.

Maskerade – Hans Flesch-Brunningen

AutorHans Flesch-Brunningen
VerlagEdition Atelier
Herausgegeben vonWolfgang Straub
Datum15. März 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten288
SpracheDeutsch
ÜbersetzerAlexander Pechmann
ISBN-13978-3990650929

„Auf dem Heimweg war ich immer noch in nachdenklicher Stimmung. Ich wusste überhaupt nicht, wo ich stand. Meine Zeit als aktiver Kämpfer war gewiss abgelaufen.“ (Zitat Seite 79)

Inhalt

Seit etwa zwei Jahren leben sie schon als Ausländer in Rom, der Wiener Schriftsteller und Journalist Martin Boldt und seine lebenslustige Frau Rosika aus Ungarn, die Archäologie studiert. Bei einem Vortrag am deutschen archäologischen Institut in Rom lernen sie den deutschen Archäologen Gerhard Hesmert kennen. Dieser plant eine Griechenlandreise, während das Ehepaar Boldt mit der Bahn durch Umbrien bis nach Siena zum Palio reisen möchte. Überraschend taucht auch Hesmert kurz vor Abfahrt des Zuges auf, er will Freunde in Siena besuchen. „Ich habe meine Meinung geändert. Ich fahre mit Ihnen. Ich habe eine Einladung von Gatti für uns alle.“ (Zitat Seite 102)

Thema und Genre

Dieser Exilroman ist ursprünglich in englischer Sprache erschienen, 1937 unter dem Titel „The Blond Spider“ und 1939 in den USA unter dem Titel „Masquerade“. Themen sind Politik, Widerstand, Spionage, Liebe und alle damit verbundenen Gefühle, sowie Die Vergnügungen des italienischen Sommers.

Charactere

Martin ist Schriftsteller und schreibt an einem Buch, während Rosika vor allem das Leben genießen will, trotz der geringen finanziellen Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Martin Boldt und Gerhard Hesmert trennen politisch Welten, denn Hesmert ist ein überzeugter Nationalsozialist, während der Kommunist Martin Boldt in Italien seine politisch aktive Zeit als „Kilian“ geheim halten will.

Erzählform und Sprache

Der Schriftsteller und Journalist Martin Boldt schildert die Ereignisse selbst. Wir erhalten Einblick in die Gedanken, Gefühle und Ängste des Ich-Erzählers, erfahren seine Geheimnisse, seine Eindrücke, die er während dieser Zeit in Italien sammelt und kennen seine Eifersucht, da er nicht weiß, wie weit der Flirt zwischen seiner Frau und Hesmert tatsächlich geht. Seine Sichtweise ist durch diese personale Erzählform subjektiv und eingeschränkt, doch durch die vielen Dialoge und Gespräche aller Figuren ergibt sich eine Fülle von zusätzlichen Informationen. Die Geschichte wird chronologisch erzählt, ergänzt durch Boldts Eindrücke der italienischen Landschaft und Städte, der Menschen und der vielen vergnügten Stunden. Man geht aus und es fließen reichlich Wein und Wermut. Er scheint jedoch teilweise ein unzuverlässiger Erzähler zu sein, denn manche Begegnungen und Ereignisse gleiten ins Surreale ab, was ist real, was Einbildung?

Fazit

Dieser erstmals 1937 erschienene Roman mit autobiografischen Elementen ist ein interessantes, vielseitiges und authentisches Bild dieser politisch brisanten Zeit und gleichzeitig eine eindrückliche Studie menschlicher Verhaltensweisen.

Zwei Wochen am Meer – R. C. Sherriff

AutorR. C. Sherriff
VerlagUnionsverlag
Datum13. Juni 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
Übersetzung, NachwortKarl-Heinz Ott
ISBN-13978-3293006041

„Sie hätten nicht weiterhin Jahr für Jahr mühsam versuchen können, die verglimmenden Funken der Kindheit neu zu entfachen. Was ihnen aber bleiben würde, waren die Erinnerungen – auch daran, wie wundervoll alles zu Ende ging.“ (Zitat 288)

Inhalt

Mr und Mrs Stevens sind seit zwanzig Jahren verheiratet und ebenso lange, seit ihren Flitterwochen, verbringen sie ihre Ferien am Meer, in dem Ferienort Bognor, in der Pension Seaview. Wie jedes Jahr erstellt Mr Stevens schon lange im Voraus die Marschordnung und am Abend vor der Abreise erfährt jedes Familienmitglied die eigenen Aufgaben, die noch zu erledigen sind. Doch nicht nur die Reise selbst plant Mr Stevens genau, sondern auch die Aktivitäten während dieser zwei Wochen und er denkt schon jetzt daran, sie sehr die Familie, das sind Mr und Mrs Stevens und die Kinder Mary, zwanzig Jahre alt, der siebzehnjährige Dick und Ernie, zehn Jahre alt, diese unbeschwerten Ferien genießen wird, vom ersten Blick auf das Meer bis zum letzten Abend. Egal, was hinter einem lag, was vor einem, während dieser vierzehn Tage am Meer kümmert das niemanden. Es werden gemeinsame Familienerinnerungen gesammelt.

Thema und Genre

Dieser Roman schildert vierzehn besondere Tage im Leben einer englischen Durchschnittsfamilie in bescheidenen finanziellen Verhältnissen, der Vater ist Büroangestellter. Es geht um vierzehn Ferientage am Meer in den späten 1920er Jahren.

Charactere

Im Zentrum der Geschichte stehen fünf Figuren, Mr Stevens, seine Frau und seine drei Kinder. Eine Familie, die am liebsten unter sich bleibt, zu Hause im kleinen Haus mit Garten, und auch während der Ferien in dem Strandabschnitt vor der Badehütte, die sie gemietet haben. Jede der Figuren hat ihre Eigenheiten, Hoffnungen und Träume. Auch Objekte werden zu Protagonisten, der Zug, die Lokomotive, der kleine Koffer mit den immer gleichen Aufklebern der Pension Seaview, das Meer, der Badeort Bognor, der wie ein Mensch erwacht.

Erzählform und Sprache

Der auktoriale Erzähler lässt uns an den Gedanken und Gefühlen seiner Figuren teilhaben, er schildert uns das beschauliche, beinahe biedermeierliche Leben dieser Familie, der besonders durch den alles entscheidenden und genau vorausplanenden Vater und Ehemann gewisse Grenzen gesetzt werden. Dennoch nützen sie alle diese vierzehn unbeschwerten Ferientage auch, um in Ruhe und alleine über sich, ihre Erinnerungen und eine mögliche Zukunft nachzudenken. Es sind keine Geschichte von großen, aufregenden Ereignissen, sondern von den einfachen Ferienfreuden wie Baden im Meer, Spiele am Strand, gemeinsame Mahlzeiten und Abendspaziergänge auf der Promenade. Die Erzählsprache des Schriftstellers, der Theaterstücke und dann in Hollywood Drehbücher verfasst hat, lässt viele der geschilderten Szenen und Gedankenwelten seiner Figuren wie die Bilder eines Films ablaufen, was uns sofort an die englische See versetzt.

Fazit

Es ist ein Sommerroman über unbeschwerte Ferientage, Sonne, Sand und Meer, über die Glücksmomente abseits des Alltags und gleichzeitig ein authentisches Bild der englischen Seebäderkultur der damaligen Zeit.

Der Anfang vom Ende – Mark Aldanow

AutorMark Aldanow
VerlagRowohlt Verlag
Datum13. Juni 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten688
SpracheDeutsch
VorwortSergej Lebedew
NachwortAndreas Weihe
ÜbersetzungAndreas Weihe
ISBN-13978-3498003357

„Zu allen Zeiten haben die moralischen und politischen Bankrotteure verkündet, dass es nicht ihre Schuld war, wenn ihr Experiment schiefging, dass ihnen die Zukunft gehört, dass die Nachwelt ihnen recht geben, das die Geschichte ihr Urteil noch sprechen wird.“ (Zitat Seite 313)

Inhalt

Drei Herren im fortgeschrittenen Alter reisen gemeinsam in einem internationalen Botschaftswaggon mit der Bahn von Moskau nach Paris. Allerdings liegen unterschiedliche Aufgaben vor ihnen. Der Ökonom und Diplomat Kangarow-Moskowski blickt auf eine Parteikarriere in diversen politischen Konstellationen zurück. Nun wurde er endlich in den  diplomatischen Dienst berufen und tritt in einer kleinen Monarchie den Posten als bevollmächtigter Gesandter an. Der ebenfalls mit einem Diplomatenpass mitreisende Agent, Spion, Revolutionär Wislicenus kann den Botschafter nicht ausstehen, doch in den kommenden Jahren treffen sie bei gesellschaftlichen Gelegenheiten immer wieder aufeinander. Was die beiden Herren mit dem dritten Mitreisenden gemeinsam haben, dem erfahrenen Militärexperten Konstantin Alexandrowitsch Tamarin, der dienstlich nach Paris reist, ist das Wissen, dass ein neuer Krieg knapp bevorsteht, dazu die innere Sorge, dass die stalinistischen Säuberungen in der Heimat auch sie treffen könnten und eine heimliche oder weniger heimliche Schwärmerei für die junge Botschaftssekretärin Nadeschda Iwanowna. Der bekannte, früher sehr erfolgreiche französische Schriftsteller Louis Etienne Vermandois steht ideologisch dem Kommunismus nahe, brilliert bei den Abendgesellschaften als literarisch gebildeter, sprachgewandter Redner und hält seine Zuhörer generell für dumm und ungebildet. Er schreibt gerade an einem geplanten Roman über das antike Griechenland, während sein Sekretär Alvera heimlich eine Waffe kauft und den perfekt nach Dostojewski inszenierten Mord plant. Sie alle drehen sich in diesen prägenden Jahren wie ein Karussell im Kreis. Sich ihren persönlichen Zweifeln an früheren Überzeugungen und ihrem Platz in der aktuellen politischen Lage stellend, klammern sie sich fest, hoffend, nicht zu stürzen.

Thema und Genre

Dieser Roman ist ein eindrückliches, vielschichtiges Zeitbild der späten 1930er Jahre, ein sozialkritischer, politischer Gesellschaftsroman mit überlegt und gekonnt gewählten Figuren, die nachvollziehbar für die jeweilige Meinung und das entsprechende Verhalten stehen und die Darstellung einer Vielfalt von essentiellen Themen ermöglichen. Es geht besonders um die Darstellung der unsicheren politischen Situation dieser Jahre, Russland unter Stalins Diktatur, Deutschland unter dem Führer Adolf Hitler und seinen Nationalsozialisten, Spanien im Bürgerkrieg. Auch die Literatur ist ein wichtiges Thema.

Charactere

Es sind Figuren zwischen Hoffnung und Resignation, in ihren Ansichten und Bewertung des eigenen Verhaltens im großen weltpolitischen Zusammenhang rückblickend zerrissen und zweifelnd. „Wieder überkamen ihn die alten, inzwischen fast schon vertrauten schwermütigen Gedanken, dass alles umsonst gewesen war, dass das ganze Leben ein Irrtum war, dass von den früheren Überzeugungen fast nichts mehr übrig war, bei niemandem.“ (Zitat Seite 312)

Erzählform und Sprache

Ort der Handlung ist überwiegend die Stadt Paris in den späten 1930er Jahren. Die Handlung als Ganzes wird fortlaufend geschildert, wobei auch Zeiträume ereignislos übersprungen werden, dies aber für den gesamten Figurenkreis. Doch obwohl die Ereignisse im Leben der einzelnen Protagonisten chronologisch erzählt werden, besteht dieser Roman aus aneinander gereihten Episoden, Teilchen, die sich nicht unbedingt zusammenzufügen, sondern die Zerrissenheit dieser Jahre zeigen. Sie bleiben es Bruchstücke, die dennoch einem gemeinsamen Spannungsbogen folgen. Die Geschichte um Alvera, dem jungen Sekretär des Schriftstellers Vermandois, und den von ihm geplanten, perfekten, skrupellosen Mord nach literarischem Vorbild, wechselt zeitlich mit den andren Handlungssträngen ab, ist jedoch eine eigenständige, in sich abgeschlossene Erzählung.

Fazit

Es sind die langen inneren Monologe der einzelnen Figuren, ihre unterschiedlichen Bewertungen der politischen Situation, aber auch die intensive Hinterfragung des eigenen Lebens, sowie die literarischen und philosophischen Aussagen, die diesen Roman so interessant, spannend und lesenswert machen. Denn hier handelt es sich um ein Zeit- und Gesellschaftsbild direkt aus den 1930er Jahren, mit authentischen Beobachtungen und Aussagen, und nicht um den Bericht von heutigen Historikern oder Politwissenschaftlern. Was Mark Aldanow damals nicht ahnen konnte ist, wie sehr sich alles gerade jetzt, etwa neunzig Jahre später, wiederholt.

Das Haus bei den fünf Weiden – Liz Balfour

AutorLiz Balfour
VerlagHeyne Verlag
Datum11. Januar 2016
AusgabeKindle
Seiten304 (Taschenbuch)
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3453471269

„Er sagte mal: ‚Diese ganzen alten Geschichten, ich weiß nicht, ob sie erzählt oder vergessen gehören. Sollen das die Menschen entscheiden, die nach mir kommen.‘“ (Zitat Seite 12)

Inhalt

Hanna, fünfunddreißig Jahre alt, ist eine erfolgreiche Wirtschaftsanwältin in London, doch im Moment beurlaubt. Auch ihre Beziehung ist gerade gescheitert, also sagt sie zu, für ihre Mutter den Nachlass des kürzlich verstorbenen Dr. Thomas Oliver zu sichten und zu bewerten. Im Gegensatz zum gepflegt-verwilderten Garten sind die Zimmer in dem alten Landsitz im County Cork in einem extrem ordentlichen Zustand, allerdings reihen sich an allen Wänden Regale mit Büchern, alten Zeitungen, Magazinen, Notizheften, alles genau archiviert. Als Hanna die persönlichen Aufzeichnungen des Verstorbenen entdeckt, taucht sie tief in die wechselvolle Geschichte Irlands ein und erkennt Zusammenhänge, die bis in die Gegenwart reichen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht um die Geschichte Irlands von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an bis heute, um Familie, Politik, Gesellschaft und natürlich auch um die Liebe.

Charactere

Die Charaktere handeln nachvollziehbar, sind gut beschrieben, auch wenn Hanna im persönlichen Bereich teilweise etwas naiv agiert, gemessen an ihren Alter und ihren Erfahrungen.

Erzählform und Sprache

Die Handlung findet auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen statt und wird in zwei Erzählsträngen geschildert.  Beide Handlungsstränge verlaufen in sich chronologisch und wechseln einander ab. Die aktuelle Handlung stellt Hanna in den Mittelpunkt der personalen Erzählform, die Geschichte in der Vergangenheit ist in der Ich-Form geschrieben, da es sich um die Aufzeichnungen von Dr. Thomas Oliver handelt. Dies macht das Lesen abwechslungsreich und interessant. Die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsliteratur.

Fazit

Angenehm und unterhaltsam zu lesen, die perfekte Wochenend- und Ferienlektüre zum Entspannen und Abschalten.

A Thousand Days in Venice: An Unexpected Romance – Marlena De Blasi

AutorMarlena De Blasi
VerlagAlgonquin Books
Datum11. Juni 2013
AusgabeTaschenbuch
Seiten256
SpracheEnglisch
ISBN-13978-1616202811

„It was as though Venice was more than a place. It was as though Venice was a person, someone familiar but not familiar at all, someone who caught me off guard.” (Zitat Seite 79)

Inhalt

Auch wenn Venedig sofort eine besondere Faszination auf Marlena ausübt, ist die amerikanische Chefköchin und Food-Journalistin nur eine von vielen Touristinnen. Das denkt sie zumindest an diesem 6. November 1993. Doch weniger als ein Jahr später hat die geschiedene Mutter von zwei erwachsenen Kindern ihr Haus in den USA verkauft, ihre gesicherte Existenz aufgegeben, und ist mit dem Venezianer Fernando verheiratet, lebt mit ihm in seiner Wohnung auf dem Lido di Venezia. Gleichzeitig mit dem Erkunden einer ihr, abgesehen von Lebensmittel-affinen Ausdrücken, fremden Sprache, macht sie sich daran, ihren Ehemann Fernando, den Lido, und dann auch Venedig zu erkunden, immer begleitet von ihrer Begeisterung für frische Lebensmittel vom Markt und genussvolles Kochen in einer Küche fernab von den Standards, die ihr in Amerika zur Verfügung standen.

Thema und Genre

Dieser biografische Roman erzählt von einer romantischen Liebe am Beginn der zweiten Lebenshälfte und einem spontanen, sehr mutigen Neubeginn. Natürlich geht es auch um den besonderen Zauber und Charme der Stadt Venedig, um die Menschen, die dort seit Generationen leben, und immer wieder um genussvolles Essen.

Charactere

Marlena ist eine selbstständige Frau, als alleinerziehende Mutter daran gewöhnt, ihre Probleme selbst zu regeln. Fernando lebte bisher ein wenig aufregendes Single-Leben als Bankangestellter, doch als typischer Italiener sieht er es als seine Aufgabe, nun alles für seine Frau zu regeln, manchmal auch gegen ihre Wünsche. “The stranger“, so nennt Marlena ihren Fernando, denn sie wissen kaum mehr voneinander, als dass sie die Liebe ihres Lebens gefunden haben.

Erzählform und Sprache

Marlena de Blasi ist die Ich-Erzählerin dieser Geschichte, die ihre persönlichen Erinnerungen, Erlebnisse und Eindrücke mit uns teilt. Es handelt sich um einen biografischen Unterhaltungsroman, charmant, humorvoll und locker erzählt. Dennoch ist es kein romantisch-verklärtes Liebesmärchen, offen schreibt sie über ihre Probleme, mit denen sie besonders in den ersten Monaten, aber auch danach immer wieder konfrontiert ist. Am Ende der Geschichte finden wir einige ihrer Lieblingsrezepte und Tipps für Venedig-Besuche, acht Punkte „How to Fall in Love in Venice“, und die Adressen ihrer Lieblingsrestaurants, Bars und Geschäfte.

Fazit

Hier schreibt jemand, der Venedig inzwischen wirklich kennt, über den großen Obst-, Gemüse-, Fisch-Markt bei der Rialto-Brücke, versteckte Ecken, kleine Lokale, und über Menschen, die, zunächst verschlossen gegenüber dieser etwas exzentrischen Fremden, bald zu Freunden werden. Eine unterhaltsame Romanbiografie, die ich in der englischen Originalfassung mit Vergnügen gelesen habe.

Kamnik – Felix Kucher

AutorFelix Kucher
VerlagPicus Verlag
Datum26. Februar 2018
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten304
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3711720580

„Er hat Deutsch gesprochen. Ich habe versucht, Spanisch mit ihm zu reden, aber ich habe dann gemerkt, dass er mich nicht verstanden hat.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Anton Lipic wächst Anfang des 20. Jahrhunderts als jüngerer Sohn einer armen Bauernfamilie in Podgora auf, ein Dorf im slowenischsprachigen Südkärnten. Als er am 30. Oktober 1925 die Baustelle in Tirol verlässt, wo er als Bauarbeiter gearbeitet hat, weiß er, dass er im folgenden Frühjahr nicht zurückkehren wird. Ende Februar 1926 ist es so weit, er tritt als Auswanderer seine Reise nach Buenos Aires an. Er hatte es sich einfacher vorgestellt, in Argentinien Arbeit zu finden, doch er arbeitet hart und geht seinen Weg. August Kamnik, ebenfalls aus Kärnten, allerdings aus dem deutschsprachigen Teil, kommt erst 1945 nach Argentinien. Als Techniker hat er keine Probleme, in Buenos Aires Arbeit zu finden. Zwei sehr unterschiedliche Lebensläufe, und doch gibt es eine Verbindung.

Thema und Genre

Dieser Roman beginnt mit der Situation der Kärntner Slowenen, die Volksabstimmung 1920 und weiterhin hoffnungslose Armut der einfachen Bauernfamilien in den Jahren danach, die Zeit des Nationalsozialismus. Themen sind Familie, Sprache, Heimat, Identität. Vor allem jedoch geht es um das Leben der Auswanderer, die rasch aus ihren Zukunftsträumen erwachen und sich der Realität stellen müssen.

Charactere

Sobald Anton eine Chance sieht, nach Argentinien auszuwandern, lernt er Spanisch. Nach Europa will er nie mehr zurückkehren. Erst als er Kamnik kennenlernt, muss er wieder Deutsch sprechen, denn Kamnik spricht noch kaum Spanisch. Die Sprache eint und trennt, ein wichtiges Symbol in dieser Geschichte.

Erzählform und Sprache

Die Erzählform ist personal, verfolgt und schildert so die unterschiedlichen Lebenswege der beiden Hauptprotagonisten, lässt uns an ihren Gedanken, Verhaltensweisen und Entscheidungen teilhaben.  So wissen wir von Beginn der Geschichte an mehr, als Anton und Kamnik, vermuten rasch die Zusammenhänge. Gerade dieses Wissen macht die Geschichte spannend. Die Erzählsprache ist klar, ruhig, schildert anschaulich und eindrücklich, fügt die Handlung nachvollziehbar in den realen geschichtlichen Kontext ein.

Fazit

Eine eindringliche, sehr kluge und vielschichtige Geschichte mit zeitlos aktuellen Themen.

Der letzte Granatapfel – Bachtyar Ali

AutorBachtyar Ali
VerlagUnionsverlag
Datum3. April 2017
AusgabeTaschenbuch
Seiten352
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinUte Cantera-Lang
ÜbersetzerRawezh Salim
ISBN-13978-3293207691

„In jener Nacht, als ich nun wider Erwarten zurückkehrte, wusste ich nicht, wo mein Saryasi sich befand. Ich wusste noch nicht, dass wir zwei uns in einer anderen Art von Wüste verlieren würden. In einer Wüste, die weder meine war noch seine.“ (Zitat Seite 15)

Inhalt

„Was immer bleiben wird: Ein Mann kommt aus der Wüste und verirrt sich auf einem Schiff voll mit Flüchtlingen auf dem Meer.“ (Zitat Seite 342) Dieser Mann heißt Muzafari Subdham und war ein bekanntes Mitglied der Peschmerga, als er in Gefangenschaft geriet. Einundzwanzig Jahre lang lebte er in einem einsamen Gefängnis mitten in der Wüste und mit den Jahren wurden alle seine Erinnerungen zu Sand, nur eine blieb, die Erinnerung an seinen Sohn Saryasi Subdhan, der damals erst einige Tage alt war. Als Muzafari freigelassen wird, macht er sich auf die Suche nach seinem verschollenen Sohn. Von Geheimnis zu Geheimnis, von Geschichte zu Geschichte führt ihn seine Reise durch ein Land, das sich in diesen langen Jahren völlig verändert hat und ihm fremd geworden ist.

Thema und Genre

Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen zwei Granatapfelbäume, die alle Figuren der Geschichte miteinander verbinden, und drei Granatäpfel aus Glas. Ein Thema ist die Suche in vielen Facetten, die Suche nach Liebe, Freiheit, Freundschaft, nach den eigenen Zielen und Träumen, und die Suche eines Vaters nach seinem Sohn. Es geht um das Schicksal der Menschen in einem von Bruderkriegen, Aufständen und Gewalt beherrschten Land. Es sind vor allem die Kinder und die jungen Menschen, denen Kriege die Träume und die Zukunft nehmen. „Ich war aus der Vergangenheit gekommen und nun verbunden mit allen, die keine Zukunft hatten.“ (Zitat Seite 177)

Charactere

Muzafari Subdham könnte nach seiner Gefangenschaft ein freies, zurückgezogenes Leben führen, doch die Frage, was in jener Nacht vor einundzwanzig Jahren wirklich geschehen ist, treibt ihn an, er muss seinen Sohn finden. Immer wieder trifft er auf seiner Suche Menschen, die ihm Schritt für Schritt weiterhelfen, die ihm jenen Teil der Ereignisse schildern, den sie kennen. Der Autor entwickelt seine Figuren einfühlsam, mit viel Empathie begründet er ihre Stärken und Schwächen, die Motive für ihr Verhalten.

Erzählform und Sprache

Muzafari Subdham erzählt diese Geschichte während der Tage und Nächte, die er mit Flüchtlingen in einem Boot auf dem Mittelmeer verbringt. Es sind viele verschiedene Geschichten und Einzelschicksale, die zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten stattfinden, die schließlich doch alle eine miteinander verschlungene Einheit bilden. „Ist nicht jede Geschichte ein kleiner Bach, der in einen See fließt und am Ende als Fluss mit Tausenden anderer Geschichten in den Ozean mündet.“ (Zitat Seite 277) Die Erzählsprache des Autors ist tief beeindruckend, ausdrucksstark und bildintensiv.

Fazit

Es ist eine Geschichte voll Poesie, Symbolen, Mythenmotiven und der Magie orientalischer Märchen. Doch so wie der magische Granatapfelbaum gleichzeitig auf dem Boden des Reiches der Realität und des Reiches der Träume steht, so erzählt auch hier dieselbe Geschichte von der grausamen Realität der Kriege und der Schicksale der davon betroffenen Menschen. Das macht diesen eindringlichen Roman zeitlos aktuell in einer Zeit, wo die Politik und die Medien begonnen haben, Kriege gegeneinander abzuwägen, und die Nähe zu Europa die Wichtigkeit bestimmt. Eine Geschichte gegen das Vergessen, gegen das Wegschauen, die Geschichte einer Suche, ergreifend schön und unendlich traurig zugleich.

Wiedersehen in Howards End – E.M. Forster

AutorE.M. Forster
VerlagFISCHER Taschenbuch
Datum1. Juli 2005
AusgabeTaschenbuch
Seiten410
SpracheDeutsch
ÜbersetzungEgon Pöllinger
ISBN-13978-3596158980

„Aber willst du mich denn nicht eben mal kurz zu diesem Howards-Haus lassen, damit ich dir die ganzen Unannehmlichkeiten erspare? Ich werde mich auch wirklich nicht einmischen, aber ich weiß doch nun mal so genau, worauf ihr Schlegels Wert legt, daß mir schon ein kurzer Blick genügen wird.“ (Zitat Seite 14)

Inhalt

Die Schwestern Margaret und Helen Schlegel aus London lernen während einer Deutschlandreise die Familie Wilcox kennen, die ebenfalls in England lebt. Trotz der unterschiedlichen Lebensweisen und Ansichten entwickeln sich zwischen der jungen Margaret und der älteren Ruth Wilcox Vertrauen und Freundschaft. Als sich Helen einige Monate später bei einem Besuch in Howards End, einem kleinen Landhaus der Familie Wilcox, spontan in Paul Wilcox verliebt, den jüngsten Sohn, führt dies zu einigen Missverständnissen und Unstimmigkeiten, und die Beziehung zwischen den beiden Familien scheint beendet. Doch dann kreuzen sich die Wege der Schwestern Schlegel und der Familie Wilcox wieder. Die Familie Wilcox hat in London eine Stadtwohnung gemietet, die zufällig genau gegenüber dem Wohnsitz der Schlegels liegt. Als Ruth nach kurzer Krankheit stirbt, hinterlässt sie Howards End, das ihr gehört, überraschend Margaret, und damit nehmen weitere Ereignisse und Konflikte ihren Lauf.

Thema und Genre

Dieser 1910 erschienene Roman, heute ein moderner Klassiker, verbindet bewusst die traditionelle englische Erzählweise des 19. Jahrhunderts, mit der damals neuen, auf die Bewusstseinsströme der unterschiedlichen Figuren basierende Erzählform des frühen 20. Jahrhunderts.

Charactere

Margaret und Helen, sind moderne, eigenständige, durch ererbtes Vermögen auch finanziell unabhängige junge Frauen. Sie bewegen sich in Künstler- und Diskussionskreisen, engagieren sich für Frauenrechte und ihre Ansichten sind sehr fortschrittlich. Auch die Familie Wilcox ist sehr vermögend, doch ihr Reichtum beruht auf der erfolgreichen Geschäftstätigkeit von Henry Wilcox, Ruths Ehemann. Hier geht es um Gewinn, Ertrag und kompromissloses Handeln, Werte wie Kultur und Gefühle hält Henry für entbehrlich. Diesen beiden Familien der Oberschicht stellt der Autor den jungen Leonard Bast gegenüber, ein kleiner Angestellter mit einem Einkommen knapp über der Armutsgrenze. Bemüht, sich durch Literatur und Kunst weiterzubilden, lebt er in steter Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und damit drohender Armut.

Erzählform und Sprache

Bereits im ersten Satz „Man kann eigentlich ebensogut auch gleich mit Helens Briefen an ihre Schwester beginnen.“ (Zitat Seite 5), zeigt sich der auktoriale Erzähler, der sich mit eigenen Gedanken in die Handlung einmischt und der seine Figuren auch manchmal vor der Meinung der Lesenden in Schutz nimmt. Die Handlung verläuft chronologisch, ereignislose Zeiträume werden mit einer kurzen Bemerkung übersprungen. Spannung erhält die Geschichte zunächst durch das Verhalten und die Ansichten der sehr unterschiedlichen Figuren, wobei der Spannungsbogen stetig anwächst. Schilderungen von Natur, Landschaft und Wetter in allen Schattierungen ergänzen oft die Gefühlswelt der Figuren, begleiten mit ihrer Symbolik die Ereignisse, und zeigen andererseits ein lebhaftes Bild Englands am Beginn des 20. Jahrhunderts.

Fazit

Diese Rezension fasst meine persönliche Meinung und Eindrücke zusammen, denn zu zeitlos erfolgreichen Romanen wie diesem gibt es eine Fülle von Abhandlungen und Rezensionen von versierten, literaturwissenschaftlich ausgebildeten Menschen. Für mich war dieser moderne Klassiker ein entspanntes, angenehmes und durch die Themenvielfalt auch sehr interessantes Lesevergnügen.

Perwanas Abend – Bachtyar Ali

AutorBachtyar Ali
Verlag Unionsverlag
Erscheinungsdatum 14. Februar 2022
FormatTaschenbuch
Seiten288
SpracheDeutsch
ÜbersetzungUte Cantera-Lang
Rawezh Salim
ISBN-13978-3293209312

„Ich wollte zu einer Realität vordringen, in der Gott und die Schmetterlinge sich versöhnlich und friedfertig begegnen. In der sie sich verstehen und achten.“ (Zitat Seite 266)

Inhalt

Klein-Khandan wächst in einer Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen und der religiösen Fanatiker auf, die streng über die genaue Befolgung der Sitten und Vorschriften wachen. Immer mehr Frauen und Männer verlassen die Heimat und vor allem junge Menschen gehen fort, auf der Suche nach einem Leben in Freiheit und Liebe. Klein-Khandans Kindheit ist abrupt zu Ende, als auch ihre Schwester Perwana verschwindet. Klein-Khandan wird in eine strenge Religionsschule, das Haus der Reue, gebracht, um hinter hohen Mauern und verschlossenen Toren für das Vergehen ihrer Schwester Buße zu tun. Noch ist sie zu jung, um alle Zusammenhänge zu verstehen, aber einige Jahre später will sie die Geschichte ihrer Schwester Perwana erzählen, damit diese nicht vergessen wird. Zuerst jedoch muss sie die Wahrheit finden, um die Ereignisse niederschreiben zu können.

Thema und Genre

In diesem kurdisch-irakischen Roman geht es um religiösen Fanatismus, Politik und die Suche von jungen Menschen nach einem freien Leben nach ihren eigenen Wünschen.

Charaktere

Klein-Khandan will die Geschichte aufschreiben, weil ein Buch etwas für die Ewigkeit schafft, während ihre Freundin Fatana eine begeisterte Geschichtenerzählerin ist. „Wenn du ein Ereignis spontan erzählst, kannst du es nach deinem Geschmack gestalten, ohne Spuren zu hinterlassen.“ (Zitat Seite 265) Die Mädchen lernen einander im Haus der Reue kennen, unterstützen einander und beide geben niemals auf.

Erzählform und Sprache

Die Ich-Erzählerinnen der Geschichte sind Klein-Khandan, die jüngere Schwester von Perwana, und Midiya, die Schwester von Fatana, die viele Eindrücke und Erlebnisse in ihren Heften festhält. So entsteht aus anfangs unterschiedlichen Erzählsträngen mit unterschiedlichen Figuren, Episoden, Ereignissen, langsam eine dicht gewebte Geschichte, deren Teile sich schließlich zu einem Ganzen vereinen. Kann man menschliche Grausamkeit und tiefes Unrecht in einer poetischen und manchmal magischen Sprache erzählen? Bachtyar Ali kann das, in einer eindrücklichen Mischung zwischen der bildintensiven Farbigkeit von orientalischen Märchen und den beklemmend realistischen Schilderungen der allgegenwärtigen Unterdrückung und Verfolgung von Menschen, besonders von Mädchen und Frauen, die einfach nur ein freies Leben führen wollen. Schmetterlinge als Symbol für Liebe, Freiheit, Hoffnung, aber auch gefährdete Zartheit, wirbeln durch die gesamte Geschichte.

Fazit

Diese Geschichte von Perwana, drei Freunden, Klein-Khandan und ihre Freundinnen wird in einer poetischen Sprache geschrieben, die reich an Bildern und Symbolik ist, und gleichzeitig von brisanter, realistischer Dringlichkeit. Den Übersetzenden ist es gelungen, den Zauber dieser Erzähl- und Ausdrucksform auch in die deutsche Sprache zu übertragen.

Mrs Dalloway – Virginia Woolf

AutorVirginia Woolf
Verlag Penguin Classics
Erscheinungsdatum 7 June 2018
FormatPaperback
Seiten192
SpracheEnglish
ISBN-13978-0241341117

„She felt very young; at the same time unspeakably aged. She sliced like a knife through everything; at the same time was outside, looking on. (Zitat Seite 6)

Inhalt

Es ist ein Mittwoch Mitte Juni 1923 und Clarissa Dalloway ist mitten in den Vorbereitungen für die Party, die sie an diesem Abend geben wird. Seit mehr als zwanzig Jahren lebt sie nun schon in Westminster, sie liebt das Leben in London und ihre Spaziergänge durch die Straßen und Parks, macht Einkäufe, trifft Freunde. Zu Hause überwacht die die Vorbereitungen für den Abend. So vergeht auch dieser Tag, während Big Ben pünktlich jede Stunde schlägt, bis die ersten Gäste eintreffen und das Gerücht, auch der Prime Minister werde kommen, für weitere Aufregung sorgt.

Thema und Genre

Dieser Roman, 1925 erschienen, gilt als wichtiger Meilenstein in der Entwicklung des Romans des 20. Jahrhunderts. In diesen Jahren nach Kriegsende ist die Gesellschaft im Wandel, verunsichert über die Zukunft und während die Gedanken der glamourösen Mrs Dalloway sich um ihre Abendgesellschaft drehen, kämpft der junge Septimus Smith, mit seiner italienischen Ehefrau in bescheidenen Verhältnissen lebend, noch immer gegen sein persönliches Kriegstrauma an.

Charaktere

Mrs Dalloway hält sich selbst nicht für außergewöhnlich, doch sie besitzt eine sehr gute Menschenkenntnis. Sie selbst fühlt sich manchmal beinahe unsichtbar, nicht Clarissa, sondern Mrs Richard Dalloway, Gattin eines Parlamentsabgeordneten. Peter Walsh dagegen, ihr alter Freund, sagt über sie „She came into a room; she stood, as he had often seen her, in a doorway with lots of people round her. But it was Clarissa one remembered.” (Zitat Seite 69)

Erzählform und Sprache

„Mrs Dalloway said she would buy the flowers herself.“ (Zitat Seite 1) Mit diesem ersten Satz beginnt dieser ungewöhnliche Roman, inzwischen ein Klassiker der Moderne. Virginia Woolf gelingt es, innerhalb eines Zeitrahmens von nur einem Tag in London die Erinnerungen von Clarissa Dalloway und die Lebensgeschichten von einer Reihe von weiteren Figuren mit den alltäglichen Ereignissen dieses einen Tages zu vernetzen, zu einer unglaublich dichten, aussagekräftigen Geschichte, die bei aktuellen Autorinnen mindestens dreihundert Seiten füllen würde. Da werden Blumen gekauft, die Fehlzündung eines Automobils lässt kurz alle innehalten, die dies miterleben, ein Flugzeug malt Buchstaben in der Luft, wer kann das Wort erkennen, es werden Einkäufe gemacht, Spaziergänge unternommen, alte Freunde empfangen.

Wer mehr als nur Theorie über die damals neue, moderne Erzähltechnik stream of consciousness (Bewusstseinsstrom)wissen will, wird in diesem Roman fündig. Er ist eines der ersten Beispiele und setzt sie so weit um, dass die Gedankengänge der vielen sehr unterschiedlichen Figuren die eigentliche Handlung der Geschichte bilden. Die Sätze sind eher kurz, aber prägnant und treffend formuliert, Lesevergnügen. Ich habe diesen Roman in der englischen Originalausgabe gelesen.

Fazit

Diese Rezension fasst meine persönliche Meinung und Eindrücke zusammen, denn zu Klassikern wie diesem gibt es eine Fülle von Abhandlungen und Rezensionen von versierten, literaturwissenschaftlich ausgebildeten Menschen. Ich will einfach nur neugierig darauf machen, neben den aktuellen Neuerscheinungen auch immer wieder einen modernen Klassiker zur Hand zu nehmen, denn es lohnt sich.

Das Sommerbuch – Tove Jansson

AutorTove Jansson
Verlag Lübbe
Erscheinungsdatum 13. Juni 2014
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3785724989

„Es war ein früher, sehr warmer Morgen im Juli, in der Nacht hatte es geregnet. Von dem nackten Fels stieg Dampf auf, das Moos und die Felsspalten waren getränkt von Nässe, und alle Farben leuchteten tiefer.“ (Zitat Seite 23)

Inhalt

Mit den oben zitierten Worten beginnt die Geschichte eines Sommers im einfachen Ferienhaus der Familie auf einer finnischen Insel. Sophia ist sechs Jahre alt und verbringt viel Zeit mit ihrer Großmutter, da ihr Vater meistens beschäftigt ist. Sie erkunden die Natur, beobachten, und erzählen einander Geschichten. Nicht alle Fragen Sophias kann oder will die Großmutter beantworten und nicht immer sind die Antworten so, wie Sophia es sich vorstellt oder wünscht. Wenn die Nächte langsam dunkler und kälter werden, ist es Zeit, das Ferienhaus auf den Winter vorzubereiten und die Insel zu verlassen, bis zum nächsten Frühjahr.

Thema und Genre

In diesem Buch geht es um die Geschichten und Erlebnisse eines Sommers. Themen sind Familie, Kindheit, Jugend und Alter, die Beziehung zwischen Großmutter und Enkelin, das einfache Leben auf einer kleinen Ferieninsel.

Charaktere

Sophia ist eine typische Sechsjährige, wissensdurstig, neugierig, voller Fragen. Gleichzeitig ist sie manchmal ängstlich und trotzig. Wir erfahren zwar, in welchem Jahr die Großmutter geboren wurde, kennen aber ihr genaues Alter nicht. Berechnet man das mögliche Alter einer Frau mit einer sechsjährigen Enkelin, so ist für mich diese Figur nicht authentisch, ihre Beschwerden schildern eine sehr alte Frau.  

Handlung und Schreibstil

Die einzelnen Kapitel sind in sich abgeschlossene Episoden eines Tages oder einer Nacht, daher spielt es keine Rolle, dass sie nicht immer chronologisch verlaufen. So atmet auch die Form der Erzählung die spontane Freiheit von Sommertagen. Die Sprache ist poetisch und schildert neben den alltäglichen Geschichten der beiden Hauptfiguren, Sophia und ihre Großmutter, auch das einfache Inselleben der damaligen Zeit. Die Beschreibung „… darüber flogen Schwalben mit schrillen Schreien, wie Messer fuhren sie durch die Luft.“ (Seite 180) bezieht sich eindeutig auf Mauersegler, doch das liegt wohl nicht an Tove Jansson, sondern sicher an der Übersetzerin.

Fazit

Auf Grund von sehr positiven Besprechungen und Empfehlungen in Literaturzeitschriften wurde ich auf dieses Buch aufmerksam. Obwohl ich die aus den Kindheitserinnerungen der Schriftstellerin entstandenen Geschichten über finnische Inselferien mit Interesse gelesen habe, blieb es für mich Lektüre, die mich nicht tiefer beeindruckt hat.

Wüste Welt – Wolfgang Popp

AutorWolfgang Popp
Verlag Edition Atelier
Erscheinungsdatum 12. Januar 2016
FormatGebundene Ausgabe
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3903005143

„Es ist mindestens zwei Jahre her, dass ich irgendwie von meinem Bruder gehört habe, und dann plötzlich vor einer Woche dieses geheimnisvolle SMS.“ (Zitat Seite 5)

Inhalt

Seit mehr als zwei Jahren hat der Ich-Erzähler nichts mehr von seinem jüngeren Bruder gehört. Dann plötzlich bekommt er ein SMS von ihm, er will, dass er zu ihm kommt. Die Zahlen im Text des SMS erweisen sich als Flugnummer und kurz darauf sitzt er im Flugzeug nach Agadir. So beginnt eine Reise, die ihn in den Süden von Marokko führt. Immer wieder findet er einen neuen Hinweis und folgt so den Spuren seines Bruders, und immer wieder verpasst er ihn nur knapp. „Wer sich auf meinen Bruder einlässt, weiß nie, woran er ist. Etwas mit ihm zu unternehmen, hat schon immer geheißen, keine Ahnung zu haben, was als nächstes passiert.“ (Zitat Seite 18)

Thema und Genre

Eine Roadnovel nennt Wolfgang Popp seine Geschichte, ein Tagebuch einer Reise durch die Wüste von Marokko. Gleichzeitig finden sich in diesem Roman alle Elemente und die Symbolik einer klassischen Suche.

Charaktere

Der Ich-Erzähler ist Sänger, Bariton in einem kleinen klassischen Ensemble. Sein Bruder ist eineinhalb Jahre jünger, doch übertrifft den älteren in der Schul- und Studienzeit in allen Wissensbereichen, bis der Ich-Erzähler den Kontakt abbricht, weil er kein Leben im Schatten seines genialen Bruders führen will.

Handlung und Schreibstil

Diese Geschichte ist eine ungewöhnliche, überraschende Mischung, ein moderner Roadtrip und eine epische Suche. Er findet Begleiter, die ihn unterstützen, trifft die unterschiedlichsten Menschen, die ihm den jeweils nächsten Hinweis geben. Manchmal fragt er sich, was Realität ist und was Einbildung, und wir fragen uns das ebenfalls. Die Sprache beschreibt bildintensiv und poetisch die typischen kleinen Dörfer und die vielfältigen Eindrücke in der Einsamkeit der Wüste. „Oben setze ich mich auf einen Felsen und sehe der Sonne beim Sinken zu. Sie sieht aus wie ein glutroter Orden, verliehen an die Erde, dafür, dass sie diesen Tag überstanden hat.“ (Zitat Seite 100)

Fazit

Eine beeindruckend dichte Erzählvielfalt auf relativ wenigen Seiten. Eine spannend zu lesende Mischung aus Reisetagebuch, Landschaftsbeschreibung, interessanten Figuren, Symbolen, mystischen Orten und Begegnungen, dazu immer wieder Überraschungen. Ein facettenreiches Lesevergnügen!

Das Café ohne Namen – Robert Seethaler

AutorRobert Seethaler
Verlag Claassen
Erscheinungsdatum 26. April 2023
FormatGebundene Ausgabe
Seiten288
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3546100328

„Die Donau hat es schließlich auch schon gegeben, bevor jemand sie Donau genannt hat. Dann bleibt dein Café eben ohne Namen und das ist richtig so.“ (Zitat Seite 25)

Inhalt

Robert Simon ist einunddreißig Jahre alt und arbeitet seit sechs Jahren als Gelegenheitsarbeiter auf dem Wiener Karmelitermarkt. Doch heute ist sein letzter Tag. Immer wieder war er an dem alten Marktcafé vorbeigegangen, das schon länger leer stand, jetzt ist er der neue Pächter. Schon am Tag der Eröffnung füllt sich das Café rasch mit Gästen. Es sind Leute aus dem Viertel, Schichtarbeiter, Angestellte in Hemdsärmeln, die Mädchen aus der Schottenauer Garnfabrik und die Händler vom Markt. Eines Tages bringt der Fleischermeister Berg die arbeitslose Hilfsnäherin Mila in das Café. Mila braucht dringend Arbeit und Simon kann Hilfe brauchen, das Café läuft gut. Es ist ein Treffpunkt der Menschen aus dem Viertel, mit ihren Sorgen, Geschichten aus einem gelebten Leben und mit ihren Träumen. „Simon musste lächeln, wenn er an all die verlorenen Seelen, dachte, die sich jeden Tag in seinem Café zusammenfanden.“ (Zitat Seite 71) So vergehen die Jahre, die Zukunft kommt mit neuen Bauten und einer U-Bahn in Wien an, und irgendwann, nach zehn Jahren, auch im Karmeliterviertel.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um das Leben der Menschen in einem typischen Wiener Grätzel. Es ist nicht die große Bühne, auf die wir in diesem Café blicken, und doch nehmen wir Lesenden durch die Gespräche, wenn die Politik und die Neuigkeiten im Café diskutiert werden, auch an der Entwicklung Wiens als aufstrebende, moderne Großstadt teil. Themen sind Einsamkeit, Alter, Verlust, aber auch Freundschaft, Liebe und die Suche nach Geborgenheit und dem kleinen Glück.

Charaktere

Robert Seethaler nimmt seine Figuren direkt aus dem Leben und berichtet einfühlsam über ihre unterschiedlichen Geschichten.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird fortlaufend in einzelnen Episoden erzählt, Kapitel, in denen wechselweise eine oder mehrere der Figuren im Mittelpunkt stehen. Wir nehmen Teil an den Veränderungen in ihrem Leben, denn sie alle verändern sich in diesen zehn Jahren, bemerkt, oder beinahe unbemerkt. Der Schriftsteller ist ein leiser, poetischer Erzähler, sein Blick auf die Dinge des Lebens ist genau beobachtend, er achtet auf die Nuancen des menschlichen Verhaltens und der Gefühle. Mit derselben Genauigkeit schildert er auch eindrücklich das Viertel um den Karmelitermarkt, die Tagesabläufe im Café im Wechsel der Jahreszeiten.

Fazit

Eine wunderbar leise und eindrückliche Geschichte, in deren Mittelpunkt ein Café in einem typischen Wiener Viertel in der Leopoldstadt steht, und die Menschen, für die es Zuflucht und Heimat ist.

Die Glasschwestern – Franziska Hauser

AutorFranziska Hauser
Verlag Eichborn Verlag
Erscheinungsdatum 28. Februar 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3847900450

„Das Schicksal hat ihnen gleichzeitig denselben Schlag erteilt und gesagt: Seht zu, wie ihr klarkommt, wenn ihr einander nicht helfen könnt.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Dunja und Saphie, neununddreißig Jahre alt, sind Zwillingsschwestern, doch ihr Leben verläuft in unterschiedlichen Bahnen. Dunja war früh Mutter geworden und lebt in der Großstadt, der Sohn studiert bereits, die Tochter bereitet sich auf das Abitur vor, vom Vater ihrer Kinder hat sie sich vor kurzer Zeit endgültig getrennt. Ursprünglich war es Saphie, die möglichst schnell aus dem kleinen Dorf, ehemals DDR, in die Stadt ziehen wollte, doch sie bleibt und leitet gemeinsam mit ihrem Mann ein Hotel. Dann kommt dieser Wintermorgen, Dunjas Ex-Mann stürzt vom Dach und ist tot. Am selben Morgen kippt Saphies Mann tot vom Hometrainer. Nach der Beerdigung bleibt Dunja in Saphies Hotel, entdeckt das Dorf ihrer Kindheit neu. Die Schwestern kommen einander wieder näher, beide sind auf der Suche nach Antworten, wie es nun weitergehen soll. Durch Reporter stoßen sie auf ein Familiengeheimnis, das alle im Dorf schon längst zu kennen schienen, nur Dunja und Saphie nicht. Kann diese Aufarbeitung der Vergangenheit den beiden Frauen helfen, die jeweils für sie selbst passende Zukunft zu finden?

Thema und Genre

In diesem Generationen- und Familienroman geht es um Familienstrukturen und Familienbeziehungen, um ein Familiengeheimnis, Dorfleben, Verlust, Trauer und Neubeginn.

Charaktere

Nach zwanzig Jahren steht Dunja wieder am Beginn eines Lebens, in dem sie im Mittelpunkt steht, das ihr allein gehören wird, denn ihre Kinder wollen eigene Wege gehen, ihr eigenes Leben führen. Sie will nicht mehr Deutsch als Fremdsprache unterrichten, doch was will sie stattdessen? Bisher war es Saphie, die immer die Kontrolle hatte, nach vorne geschaut hat, den Blick auf die Zukunft gerichtet. Doch plötzlich fühlt sie sich in ihrem Dorf fremd.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird chronologisch erzählt, wie auch der Übergang der Natur vom Winter in den Frühling und weiter im Jahreslauf. Die kurzen Kapitel tragen jeweils einen Kalenderspruch als Überschrift und berichten abwechselnd, oder auch gleichzeitig, über die das Leben der Hauptfiguren. Handlungsbogen und Spannung ergeben sich nicht aus den Ereignissen, sondern vor allem aus den persönlichen Konflikten und Problemen der einzelnen Figuren, ihren Gedanken, ihrem Verhalten und ihren Entscheidungen. Wiederkehrende Symbole oder auch Metapher, deren Deutung uns Lesenden überlassen bleibt, verdichten die Schilderung der Gefühlswelten, in denen sich die Figuren bewegen. Die Erzählsprache ist angenehm und einfach zu lesen.

Fazit

Dieser Roman lässt mich etwas ratlos zurück. Bis etwa zur Hälfte war es für mich eine überraschende, witzige, ungewöhnliche Geschichte mit vielen aus dem Leben gegriffenen Themen wie Alltagsprobleme von Ehefrauen, Müttern mit Kindern auf dem Weg in die Selbstständigkeit, Spannungen und Geheimnisse innerhalb von Familiengefügen, alle diese Komponenten gekonnt verknüpft. Doch dann flacht die Handlung ab, die Befindlichkeiten der beiden so unterschiedlichen Frauen stehen im Mittelpunkt und damit Selbstzweifel und sich wiederholende Fragen, wobei die Sichtweisen zwischen Dunja und Saphie auch öfter die Seiten wechseln, einander widerspiegeln. Eine komplexe, spannende Grundidee, mit Längen in der Umsetzung.

Die Abtrünnigen – Abdulrazak Gurnah

AutorAbdulrazak Gurnah
Verlag Pengiun Verlag
Erscheinungsdatum 26. April 2023
FormatGebundene Ausgabe
Seiten400
SpracheDeutsch
ÜbersetzungStefanie Schaffer-de Vries
ISBN-13978-3328602613

„Es ist eine Geschichte darüber, dass eine Geschichte viele Geschichten enthält und dass sie nicht nur uns gehören, sondern Teil der zufälligen Strömungen unserer Zeit sind. Und es ist eine Geschichte darüber, wie wir uns in Geschichten hineinverstricken und für alle Zeit darin gefangen bleiben.“ (Zitat Seite 182)

Inhalt

Ende des 19. Jahrhunderts findet in einer kleinen ostafrikanischen Stadt der Krämer Hassanali eines Tages im Morgengrauen einen stark geschwächten Mann. Martin Pearce ist Engländer und als er später zurückkommt, um sich für seine Rettung zu bedanken, verliebt er sich in Rehana, Hassanalis Schwester. Eine Liebe, die nicht nur ein Skandal, sondern auch streng verboten ist. Mitte des 20. Jahrhunderts verliebt sich der junge Amin in Jamila, einige Jahre älter als er, eine geschiedene Frau, die auf Grund ihrer Unabhängigkeit und ihrer angeblich zweifelhaften Herkunft im Mittelpunkt von Gerüchten steht.  Auch diese Liebe wäre ein Skandal, käme sie an die Öffentlichkeit. Amins Eltern bedrängen ihn wegen der drohenden Schande und der gesellschaftliche Ächtung, die er über die Familie bringen würde. Rashid, Amins jüngerer Bruder, will der Enge der Heimat entfliehen und plant zu dieser Zeit bereits seine Reise nach London, wo er bereits an einer Universität aufgenommen wurde. Trotz der Ablehung und Ausgrenzung, mit der man ihm begegnet, bleibt er nach dem Abschluss seines Studiums in England. Doch die Geschichte von Amin und Jamila beschäftigt ihn auch noch viele Jahre später, und er beginnt mit Nachforschungen.

Thema und Genre

Dieser außergewöhnlich facettenreiche Roman spielt in Ostafrika und England, und ist sowohl ein Familienroman, als auch ein Generationenroman. Themen sind Kolonialismus, Unterdrückung, Ausgrenzung, gesellschaftliche Traditionen, Politik, Heimat und Fremde, Liebe und Trennung.

Charaktere

Es sind unterschiedliche Charaktere und ebenso unterschiedlich ist ihre Art, mit äußeren Zwängen und dem Druck gesellschaftlicher Regeln und Wertvorstellungen umzugehen, und trotz aller Widerstände ihren Platz im Leben zu suchen.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung wird in neun Abschnitten erzählt, wobei jeweils eine Person im Mittelpunkt steht, die dem jeweiligen Abschnitt den Titel gibt und wo es vor allem um die jeweilige persönliche Lebenssituation, die Vergangenheit, Erfahrungen und Konflikte geht. Der Autor nimmt sich Zeit und schildert nicht nur die Ereignisse und das Leben der einzelnen Protagonisten, sondern auch das Umfeld, das Alltagsleben der Menschen, die politische Situation dieses Teiles von Ostafrika unter den Engländern, und später während der Umstürze, nachdem Sansabar Ende 1963 unabhängig geworden war. Es ist Rashid, der die Geschichte erzählt, doch er präzisiert: „Es gibt, wie Sie sehen, ein Ich in dieser Geschichte, aber es ist keine Geschichte über mich. Es ist eine Geschichte über uns alle, über Farida und Amin, über unsere Eltern und über Jamila.“ (Zitat Seite 182). So folgen wir fasziniert und gespannt einem Zeitrahmen  etwa einhundert Jahren, pendeln zwischen Afrika und England und sind keine einzige Minute gelangweilt.

Fazit

Abdulrazak Gurnah ist ein leiser, aber eindrücklicher Erzähler, er klagt nicht an, sondern beleuchtet alle Graubereiche der Geschichte und der Menschen, und dies alles in einer wunderbar zu lesenden Erzählsprache.

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