Rendezvous im Café de Flore – Caroline Bernard

AutorCaroline Bernard
Verlag atb Aufbau
Taschenbuch
Erscheinungsdatum 11. November 2016
FormatTaschenbuch
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3746632711

„Sie sind stark. Sie haben ein schönes Lächeln. Sie bringen mein Leben durcheinander.“ (Zitat Seite 336)

Inhalt

Marlène Roussel, eigentlich Lili Marlène, 39 Jahre alt, liebt die Stadt Paris und ihr Ehemann Jean-Louis überrascht sie zum 15. Hochzeitstag mit einer Reise in diese Stadt. Doch ausgerechnet am Hochzeitstag kommt es zu einem Streit und Marlène geht allein ins Museum. Plötzlich steht sie vor dem Gemälde „Nach dem Ball“ und die Frau auf dem Bild könnte sie selbst sein. Dieses geheimnisvolle Rätsel lässt sie nicht mehr los und sie beginnt mit Nachforschungen, wer diese Frau ist. Der Auktionator Etienne Viardot unterstützt sie dabei. Im Geburtenregister entdecken sie den Namen der Frau, Vianne Renard. Wer ist diese Frau und gibt es eine Verbindung zu Marlène?

Thema und Genre

Es handelt sich hier um einen Roman mit zwei starken Frauen als Hauptprotagonistinnen. Die Geschichte spielt in Paris, einerseits in der Zeit von 1926 bis 1945, andererseits in der Jetzt-Zeit. Die Vergangenheit gibt einen sehr gut recherchierten Einblick in das Paris der Künstler und auch der Frauen, die ihren Platz im männerbetonten Bereich der Forschung, im Fall von Vianne ist es die Botanik, suchen. Das Leben im von den Nationalsozialisten besetzten Frankreich und die Resistance ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Es geht aber auch um Beziehungen und die damit verbundenen Überlegungen eines Neubeginns.

Charaktere

Sowohl die mutige Vianne, als auch Marlène schließt man als Leser rasch ins Herz. Die Handlungen und Entscheidungen aller Protagonisten sind nachvollziehbar und stimmig, wobei Vianne und ihr Leben den Schwerpunkt der Geschichte bilden. Marlène entwickelt im Lauf der Handlung eine neue Zielstrebigkeit und ihre Einstellung zu ihrem eigenen Leben verändert sich, je weiter sie in die Vergangenheit von Vianne eindringt.

Handlung und Schreibstil

Der Roman spielt hauptsächlich in Paris, erzählt wird in zwei Handlungssträngen, wovon einer in der Gegenwart verläuft, der andere in der Zeit vor und im 2. Weltkrieg. Dadurch wird die Geschichte doppelt spannend, einerseits durch packende Ereignisse in der Zeit der Resistance, andererseits ist man als Leser auch gespannt, wie Marlène auf das sich langsam vor ihr öffnende Leben von Vianne, der zunächst großen Unbekannten auf einem Gemälde, reagieren wird. Gekonnt verknüpft die Autorin im Verlauf der Handlung die beiden Erzählstränge, indem sie zwischen diesen wechselt.

Die Handlung der Jetztzeit ist in der Ich-Form aus Sicht von Marlène geschrieben, für die Vergangenheit wählt die Autorin die neutrale Erzählform.

Der Roman liest sich flüssig, sprachlich angenehm und überzeugend, Beschreibungen und aktive Handlung sind sehr gut ausgewogen.

Fazit

Ein überzeugender Roman mit zeitgeschichtlichem Hintergrund, sehr gut recherchiert. Ergänzt wird die Handlung durch Beschreibungen und Schilderungen von Paris, der Kultur und der französischen Resistance. Besonders empfehlenswert für Leser, die sich für Romane mit mehreren Handlungssträngen interessieren. Perfekt für spannende, aber auch genussvolle Lesestunden.

Hausboot Lotte, Kater Emma und ich – Nicola Eisenschink

AutorNicola Eisenschink
Verlag Eden Books
Erscheinungsdatum 9. April 2018
FormatTaschenbuch
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3959101561

„Ein eigenes Haus zu besitzen, das nur mir gehörte, eines das schwankte, das stellte ich mir unfassbar schön vor,“ (Zitat Seite 33)

Inhalt

Dieser Roman ist eine wahre Geschichte, erzählt von der Hauptprotagonistin selbst. Mit viel Humor,  aber auch ehrlich und realistisch schreibt Nicola Eisenschink über diesen ganz besonderen Zeitraum in ihrem Leben, als sie dabei ist, sich den Traum vom Wohnen auf einem Hausboot zu erfüllen. Die Autorin berichtet von den schönen Seiten, aber auch von Rückschlägen und Problemen, vor allem in den Wintermonaten. Unvorhersehbare Ereignisse geben der Handlung die Spannung.

Thema und Genre

Vierlanden gehört zwar zu Hamburg, ist aber vom Charakter her Landschaft und Natur und so erleben wir als Leser mit, wie sich das Leben der Autorin verändert, mit dem Jahreslauf der Natur erdet. Man lernt einen Teil Hamburgs kennen, den man bisher vielleicht noch nicht kannte.

Charaktere

In diesem Buch lernen wir nicht nur die sympathische Hauptprotagonistin und Autorin kennen, sondern auch ihren Freundeskreis, Menschen, die sie immer wieder bestärken und unterstützen. Eine besonderen Platz nehmen ihre langjährigen Freundinnen Angela und die Wienerin Maria ein. Dazu erfährt der Leser auch die Eigenheiten der vierbeinigen Gefährten von Nicola, das sind Herr Emma, Peikko und Lotte. 

Handlung und Schreibstil

Die Sprache ist erzählend und die genauen Beschreibungen zaubern dem Leser gekonnt Bilder der Landschaft und des Hausboots selbst in die Gedanken. Hier zeigt sich die Erfahrung aus der Zeit der journalistischen Tätigkeit der Autorin. Auf den Seiten 91 und 92 beschreibt sie zum Beispiel nur die unterschiedlichen nächtlichen Geräusche des Wassers, der Natur und auch von anderen Booten, zu Beginn noch neu und schwer zuordenbar. Ein anderes Mal spricht sie vom „türkisfarbenen Himmel mit Goldrand“.

Wenn ich entspannte, „cosy“ Lektüre zum Abschalten und in die Ferne Träumen lesen will, greife ich meistens zu englischen Autorinnen. Die entsprechenden deutschsprachigen Bücher, auch wenn sie in Cornwall spielen und unter englischen Pseudonymen geschrieben werden, haben mich bisher immer enttäuscht. Doch diese Erzählung hat wirklich alles, das man sich als Leserin wünscht. Dass es sich um wahre Erlebnisse handelt, macht das Leseerlebnis noch interessanter.

Fazit

Ein Buch für genussvolle Lesestunden, zum Träumen, Mitfühlen und zugleich ein unterhaltsam zu lesender, interessanter Ratgeber für Menschen, die vielleicht auch über alternative Wohnideen nachdenken, wie zum Beispiel das Wohnen auf dem Wasser in einem Hausboot

Nach dem Winter – Guadalupe Nettel

AutorGuadalupe Nettel
Verlag Karl Blessing Verlag
Erscheinungsdatum 5. März 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-133896676139

„Jede neue Freundschaft, vor allem wenn eine gewissen Anziehungskraft besteht, bedeutet eine Reise in eine unbekannte Dimension oder zumindest in Parzellen der Wirklichkeit, mit denen wir nicht vertraut sind.“ (Zitat Seite 139)

Inhalt

Aufgewachsen in Kuba, lebt Claudio nun in New York. Er arbeitet als Lektor und Übersetzer in einem Verlag und auch als Lektor. Er ist mit der Designerin Ruth befreundet, lebt jedoch allein. Sein Tagesablauf folgt einem festen Ritual, was ihm Sicherheit gibt.

Cecilia hat Mexiko verlassen, um in Paris Literaturwissenschaften zu studieren und schreibt an ihrer Magisterarbeit. Sie lebt sehr zurückgezogen in einer Wohnung mit Blick auf einen Friedhof. Nur zwei Menschen können sie immer wieder aus ihrer Isolation holen, ihre Freundin Haydée und ihr Wohnungsnachbar Tom.

Claudio kennt Haydée schon seit der gemeinsamen Jugend in Kuba und als er für einige Tage nach Paris kommt, trifft er sie. Haydée bringt Cecilia zu diesem Treffen mit und Claudio und Cecilia verlieben sich auf den ersten Blick. Weihnachten verbringen die beiden in Paris, dann fliegt Cecilia zu Claudio nach New York. Doch es gibt immer noch Ruth und Tom …

Thema und Genre

Dieser Roman handelt von Problemen, die nicht aufgearbeitet wurden und daher das Verhalten der Protagonisten auch Jahre später noch beeinflussen. Ein weiteres Thema sind Depressionen und die Art der Menschen, damit umzugehen. Es geht aber auch um Migration und die damit verbundene Einsamkeit in einer Großstadt, was sowohl bei Claudio in New York, als auch bei Cecilia in Paris zu einer Isolation führt, die jedoch in beiden Fällen gewollt ist. Gerade dieses bewusste Leben als zurückgezogene Einzelgänger stellt beide vor völlig neue emotionelle Herausforderungen, als sie im anderen eine verwandte Seele finden und sich verlieben.

Charaktere

Claudio verlässt Kuba nach einem traumatischen Erlebnis, das er mit den Jahren verdrängen kann, das aber dennoch seine Persönlichkeit prägt. Daher verlaufen seine Beziehungen zu Frauen, bevor er Cecilia trifft, auf Distanz. Mit Ruth, die fünfzehn Jahre älter ist, trifft er sich daher niemals in seiner eigenen Wohnung, schafft es aber auch nicht, sich definitiv von ihr zu trennen. Er ist kein Protagonist, den man als Leser ins Herz schließen möchte, obwohl man sein Verhalten im Kontext nachvollziehen kann.

Cecilias Mutter verlässt die Familie, als Cecilia ein kleines Kind ist. Dieses Erlebnis prägt sie und sie beginnt früh, sich für Friedhöfe zu begeistern. Mit fünfzehn gehört sie zur Literatur- und Gothic-Szene und auch als erwachsene Frau in Paris hält sie sich gerne auf Friedhöfen auf. Sie hat Phasen in ihrem Leben, in denen sie sich völlig von der Außenwelt abschottet. Sie braucht eine wichtige Aufgabe, um aus ihrer Isolation aufzutauchen.

Handlung und Schreibstil

Die Autorin erzählt die Geschichte in der Ich-Form, wobei es zwei Ich-Erzähler gibt, Claudio und Cecilia. Als zusätzliches Stilmittel lässt sie jene Passagen des Romans, welche die Beziehung zwischen Claudio und Cecilia betreffen, doppelt erzählen, dieselbe Situation jeweils aus der Sicht von Claudio, dann, wie Cecilia es sieht. Durch dieses betonte Schildern erhält der Leser einen tieferen Einblick in die unterschiedlichen Denkweisen der beiden, wodurch sich das jeweilige Verhalten nachvollziehen lässt.

Rückblenden in Form von Kindheits- und Jugenderinnerungen erklären Probleme, die in der Vergangenheit liegen, aber auch in der Gegenwart Auswirklungen auf die Persönlichkeit der Charaktere haben.

Die Spannung ergibt sich nicht so sehr aus den Geschehnissen, sondern aus den unterschiedlichen, möglichen Entscheidungen der Hauptprotagonisten, als Leser überlegt man zuvor, wie es weitergehen wird und danach, wie man selbst vielleicht entschieden hätte. In erster Linie ist es jedoch eine Erzählung, die uns über eine bestimmte Zeitspanne am Leben von Claudio und Cecilia teilhaben lässt.

Die anspruchsvolle Sprache liest sich flüssig, sie beschreibt, verdichtet dort, wo es um die jeweiligen Gedankengänge geht, verzichtet jedoch auf Metapher.

Fazit

Trotz des Textes auf der Buchrückseite „ … ein berührender Roman über die heilende Kraft der Liebe“ sollt man bei dem vorliegenden Buch keinen romantischen Wohlfühlroman erwarten, denn dann wird man enttäuscht. Es ist eine sehr realistische Schilderung von Menschen, die in der Anonymität der Großstadt untertauchen, geprägt von Kindheits- und Jugenderlebnissen und wie sie mit den Herausforderungen einer Beziehung umgehen. Interessant ist dabei, dass die wichtigsten Entscheidungen nicht von ihnen selbst getroffen werden, sondern sie durch nahestehende Dritte gleichsam in die Entscheidung gedrängt werden. Die Autorin überlässt es dem Leser, über andere Varianten, das bekannte „was wäre, wenn“ nachzudenken.

Ein Roman, auf den man sich einlassen muss, doch wenn man dies tut, legt man ihn erst aus der Hand, wenn die letzte Seite umgeblättert ist. 

So enden wir – Daniel Galera

AutorDaniel Galera
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 11. März 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten231
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518428016

„Ich glaubte an die Zukunft, an die Kreativwirtschaft und an die Kraft des Kapitalismus, mit den eigenen Widersprüchen klarzukommen, einschließlich der Apokalypsen.“ (Zitat Seite 106)

Inhalt

Ende der 90er Jahre in Brasilien eroberten sie die digitale Welt mit ihrem kontroversiellen Online-Magazin „Orangotango“. Vier Freunde – Aurora, Emiliano, Antero und Andrei Dukelsky, genannt „Duke“. Ihr Leben war wild, immer bereit, die bekannten Strukturen aufzubrechen, kulturelles Neuland zu betreten. Ihre Wege trennten sich. Emiliano war weiterhin als Journalist tätig, während Antero eine sehr erfolgreiche Werbefirma aufgebaut hat. Aurora hat sich für ein Biologiestudium entschieden und arbeitet an ihrer Dissertation über den Biorhythmus von Zuckerrohr. Duke wurde ein erfolgreicher Schriftsteller mit einer großen Fangemeinde – doch 2014 wird er bei einem Raubüberfall ermordet. Bei seinem Begräbnis beginnen sich die drei Freunde zu fragen, was aus ihnen und ihren Träumen geworden ist und vor allem, wer war Duke wirklich und was bedeutet sein Vermächtnis?

Thema und Genre

Der Autor legt uns hier einen Generationenroman vor, das Dilemma einer mit allen Möglichkeiten der neuen digitalen Welt aufgewachsenen, intellektuellen Jugend, die sich selbst jedoch mit den Jahren irgendwie verloren hat, in der Realität verunsichert, vereinsamt, aber sich gleichzeitig den intensiven Lebenshunger erhalten hat. Er siedelt seine Geschichte mitten in den chaotischen Zuständen der Proteste und Streiks 2014 an, in den Städten Porto Alegre und Sao Paulo. Thema dieses Romans ist natürlich auch die wirtschaftliche Situation in Brasilien, die Demonstrationen der unzufriedenen Bevölkerung, doch das Kernthema sind die vernetzte Konsumwelt und die schillernde Welt der sozialen Medien, der sich niemand entziehen kann. Selbst die sexuellen schnellen Bedürfnisse lassen sich einfacher in der virtuellen Welt ausleben, als in persönlichen Begegnungen.

Handlung, Charaktere und Schreibstil

Der sprachgewaltige Roman ist in der Ich-Form geschrieben, jedoch mehrmals zwischen den Personen Aurora, Emiliano, Antero wechselnd. Duke als Hauptprotagonist tritt, da der Roman mit der Nachricht von seinem Tod beginnt, nur in den Rückblicken und Erinnerungen seiner Freunde und Partnerin gleichsam aus dem Schatten in den Vordergrund. Ein nach wie vor kreativer, erfolgreicher Schriftsteller, gibt er in seinen Büchern und in den sozialen Medien immer ein perfektes Bild ab, wer er wirklich ist, weiß niemand. Er bringt das Dilemma der Generation Internet am besten auf den Punkt, indem er sich selbst plötzlich vollkommen zurückzieht und schon in jungen Jahren Vorkehrungen für sein virtuelles Erbe trifft.

Antero dagegen, das erwachsen gewordene Enfant terrible, nützt sein Können und Wissen von der Wirkung der global vernetzten Marketingstrategien gekonnt aus, obwohl er genau diese Mechanismen im Grunde verachtet.

Aurora dagegen hat sich für die Wissenschaft entschieden, sich macht sich Sorgen um die ökologische Zukunft der Menschen und der Erde, forscht akribisch, um sich in einer Männer dominierten Welt der Wissenschaft durchzusetzen. Natürlich will sie in ihrem Fachgebiet auch erfolgreich sein.

Nur Emiliano ist Journalist geblieben, er schreibt unabhängig und kritisch und als er mit der Biografie von Duke beauftragt wird, weigert er sich zunächst, sagt aber dann doch zu und beginnt zu recherchieren. Er will vor allem den Menschen Duke zeigen.

In diesem modernen Roman zeigt Daniel Galera Probleme auf, die im Grunde zeitlos sind. Wie viele ehemals stürmische, unangepasste 68er sehen sich irgendwann um und müssen feststellen, dass sie bequem und zutiefst bürgerlich geworden sind, in genau jenem Establishment, gegen das sie in ihrer Jugend demonstriert haben. So ähnlich geht es nun der ebenfalls rebellierenden Jugend der späten 90er, die sich der vielfältigen Möglichkeiten moderner Informationstechnologien für eine völlig neue Art der Kultur einer globalen Vernetzung ihrer gesellschaftskritischen Anliegen bediente und nun, erwachsen im Alltag einer Karriere-orientierten Gesellschaft angekommen, resignierend fragt, ob es das ist, wofür man mit jugendlichem Idealismus gekämpft hat. Es sind Themen, über die wohl jeder Leser schon nachgedacht hat, die durch diesen Roman vielleicht neue Sichtweisen bekommen und die sich sicher nicht mit der letzten Seite dieses Buches abschließen lassen.

Fazit

Wer sich auf diesen Autor, seine Themen und seine Sprache einlässt, muss sich Zeit nehmen. Ein erster Test ist der allererste Satz dieses Romans, der über dreizehn gedruckte Zeilen geht und den man in einer Buchhandlung oder in einer Leseprobe lesen sollte. Man sollte auch bereit sein für eine manchmal harte, beinahe brutale Ausdruckweise und entsprechende Gedankenbilder. Dennoch ist der Autor nie wirklich destruktiv und er entlässt seine Protagonisten und Leser mit einem Ausblick in eine positive Zukunft, ein leises Bild, neue Erkenntnisse, neue Energien.

Die Frau im hellblauen Kleid – Beate Maxian

AutorBeate Maxian
Verlag Heyne Verlag
Erscheinungsdatum 13. November 2017
FormatTaschenbuch
Seiten448
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3453422124

„Egal, was passiert und wie schwierig eine Situation auch erscheint oder wie lange ein Streit andauert – am Ende halten die Altmanns zusammen.“ (Zitat Seite 340)

Inhalt

Marianne Altmann, ihre Tochter Vera und auch die Enkelin Sophie sind Schauspielerinnen. Die erste in dieser Dynastie der berühmten Frauen war Käthe Schlögel, Mariannes Mutter. 1927 sprach sie an einem Theater vor, erhielt ihre erste Rolle und seitdem spielen alle Altmann-Frauen auf Theaterbühnen und in Filmen. Vera jedoch reizt das Regiefach mehr als die Schauspielerei und sie plant eine Dokumentation über ihre Familie. Doch dafür braucht sie endlich Antworten auf ihre Fragen betreffend eine Vergangenheit, über die bisher geschwiegen wurde und langsam enthüllen sich streng gehütete Geheimnisse, mit weitreichenden Folgen …

Thema und Genre

Dieser Roman ist Genre-übergreifend sowohl ein Familien-, als auch Generationen- und Frauenroman, mit zeitgeschichtlichem Hintergrund. Die Ereignisse spielen zwischen 1927 und 2016, in den Städten Prag, Wien und Berlin. Eine Problematik ist die Aufarbeitung der Vergangenheit, wie haben sich die Menschen während der Jahre des Nationalsozialismus verhalten, angepasst oder im Widerstand und andererseits, wie gehen wir heute mit der Vergangenheit unserer Vorfahren um. Gerade für Künstler, die weiterhin auf der Bühne stehen wollten, wurde dies zur Gewissensfrage. Ein weiteres Thema ist die Entwicklung der UFA, somit ein Stück deutsche Filmgeschichte.

Charaktere

Die Hauptcharaktere sind die vier Frauen der „Altmann-Dynastie“: Käthe, Marianne, Vera und Sophie. Sie alle sind trotz aller persönlichen Zweifel selbstbewusst, ehrgeizig, talentiert und eigensinnig. Sie stehen im Mittelpunkt der gesamten Handlung. Auch wenn es wichtige Männer im Leben der Frauen gibt, bleiben diese meistens im Schatten, aus dem die Autorin sie nur heraustreten lässt, wenn es um einschneidende Erlebnisse und Entscheidungen geht. Marianne Altmann hat in der Familie das Sagen, ihr ordnen sich Vera und Sophie lange Zeit unter. Insgesamt haben diese Protagonistinnen für mich zu wenig persönliche Tiefe, um mich mit einer von ihnen identifizieren zu können, sie blieben auf Distanz, dieser Roman las sich für mich eher wie eine Biografie. Immer wieder drängte sich mir als Wienerin die Ähnlichkeit zwischen den frei erfundenen Figuren dieses Romans und der berühmten Schauspielerfamilie Hörbiger-Wessely auf, auch die Fragen nach der Vergangenheit und den Umgang mit dem NS-Regime betreffend. Vielleicht aber liegt es auch daran, dass die Autorin ihren Charakteren zu deutlich das Prädikat „gut“ und „böse“ zuordnet, mir fehlten die Nuancen dazwischen, diese Zwischentöne im Graubereich, welche Romanfiguren erst interessant machen. So schillernd und dramatisch, wie der Klappentext es beschreibt, habe ich diese Figuren und Geschichte nicht empfunden. Insgesamt hatte ich etwas mehr Tiefgang erwartet.

Handlung und Schreibstil

Der Roman ist in einzelne Kapitel eingeteilt. Es gibt zwei Zeitstränge, Vergangenheit und Gegenwart, wobei in jeder Kapitelüberschrift Jahr, Monat und auch Ort der Handlung genannt sind. Die Vergangenheit ist nicht willkürlich, als jeweils eigener Handlungsstrang, eingefügt, sondern es wird in der Gegenwart zuvor im Gespräch auf die nun folgende Situation hingewiesen. Der zeitliche Ablauf wird ebenfalls auf beiden Ebenen eingehalten. Diese Erzählweise, zusammen mit den überraschenden Wendungen und Andeutungen, hält den Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht. Die Sprache ist erzählend, einfach und daher flüssig zu lesen. Die Geschehnisse erklären sich oft durch Dialogfolgen, die jedoch umgangssprachlich, in meist kurzen Sätzen gehalten sind.

Fazit

Ein Roman für Leserinnen, die gerne Gesellschafts- und Familienromane mit zeitgeschichtlichem Hintergrund lesen, in denen auch die Romantik nicht fehlen darf. Die Sprache liest sich leicht und flüssig. Ein Buch für ein angenehmes, unbeschwertes Lesewochenende.

Die kleine Inselbuchhandlung – Janne Mommsen

AutorJanne Mommsen
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 27. März 2018
FormatTaschenbuch
Seiten228
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499291548

„Ich sehne mich danach, einfach hier zu sein und mitzuerleben, wie das Wasser kommt und wieder geht, jeden Tag aufs Neue.“ (Zitat Seite 148)

Inhalt

Greta Wohlert ist seit über zwanzig Jahren Flugbegleiterin, als sie nach einer plötzlichen Panikattacke spontan einige Tage bei ihrer Tante Hille auf einer kleinen Nordseeinsel verbringt. Tante Hille will sich von der umfangreichen Büchersammlung von Gretas Opa trennen, die in ihrem ehemaligen Ladenlokal gelagert ist. Spontan veranstaltet Greta einen Bücherflohmarkt. Aus den zwei Tagen auf der Insel werden vierzehn Tage und Greta denkt darüber nach, hier zu bleiben und eine Buchhandlung zu eröffnen. Sie trifft Claas wieder, den Freund ihrer Kindheitstage und da ist auch noch Florian, der Flugkapitän. Als sie in alten Geheimnissen forscht, sind nicht alle Inselbewohner begeistert …

Thema und Genre

Der Autor hat eine enge Beziehung zu Nordfriesland, insbesondere zur Insel Föhr, und dort siedelt er auch seine Geschichte von der Buchhandlung am Meer an. Durch seine lebhaften Schilderungen der Landschaft und der Menschen fühlt man sich sofort auf dieser Insel heimisch. Man schmunzelt über die Eigenheiten der wortkargen Friesen und hofft, dass sich die Pläne der Hauptprotagonistin Greta erfüllen.

Handlung und Schreibstil

Der Roman ist in der personalen Erzählform geschrieben, Bezugsperson ist Greta. Der Schreibstil ist unterhaltsam und vergnüglich wie ein Urlaubstag am Meer. Die Entwicklung der Buchhandlung von der ersten Idee bis zur Umsetzung sorgt für Spannung, ebenso wie ein altes Familiengeheimnis, das Greta durch Zufall entdeckt und ergründen will.

Die Inselbewohner schließt der Leser rasch ins Herz, nicht nur Tante Hille, Mitte 70, mit ihrer Vorliebe für T-Shirts, sondern auch die junge Pastorin Carola mit ganz speziellen Literaturvorlieben, die junge Polizistin Ellen, die am liebten Thriller liest, in denen das Böse siegt, die eigenwillige Sandra, die Bücher nach Farben ordnet und noch einige mehr, die Greta als Freunde bei ihrem Vorhaben unterstützen. Etwas Besonderes ist Greta, die ohne langes Zögern, aber dennoch überlegt, den Neubeginn wagt, sich den Traum von einer eigenen Buchhandlung erfüllen will. Auch wenn Schwierigkeiten auftreten und sie nicht immer ganz sicher ist, das Richtige zu tun, verharrt sie nie lange in ihren Zweifeln, sondern macht energisch weiter. Selbst wenn ihre Gefühle manchmal im Tangoschritt Achterbahn fahren, erkennt sie schließlich, was für sie wichtig und richtig ist. Eine wirklich sympathische Hauptprotagonistin, die man gerne durch ihre Geschichte begleitet.

Fazit

„Die kleine Inselbuchhandlung“ ist ein unterhaltsamer Roman für Inselliebhaber und für Leser, die wie ich Bücher aller Genre sammeln, die in Buchhandlungen oder Bibliotheken spielen. Es ist aber auch eine Geschichte für graue Tage, wo wir uns wenigstens in gemütlichen Lesestunden in einen Sommertag am Strand träumen können, in eine kleine Buchhandlung auf einer Insel, wo man sich am Tag der Sonnenwende gegenseitig Bücher schenkt.

Killer City – Wolfgang Hohlbein

AutorWolfgang Hohlbein
Verlag Bastei Lübbe
Erscheinungsdatum 29. März 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten496
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3785725986

„Sie wussten es noch nicht, aber der Tod war in ihre Stadt gekommen.“ (Zitat Seite 26)

Inhalt

Als Thornhill, damals noch Boy, in der Schlacht von Gettysburg für die Konföderierten kämpfend, verwundet wird, ist er erst zwölf Jahre alt. Ein sterbenden Indianer gibt das Geschenk des Großen Geistes, das er vor langer Zeit von einem Wendigo erhalten hatte, an ihn weiter. Wenn Thornhill einen Menschen tötet, geht dessen nicht gelebte Lebenszeit auf ihn über und seine eigene Lebenszeit wird dadurch verlängert. Viele Jahre später lockt die Weltausstellung auch Thornhill nach Chicago, wo er erwartet, in der Menschenmenge nicht aufzufallen. Doch die Ereignisse zwingen ihn zum spontanen Handeln – war es ein Fehler, nach Chicago zu kommen? …

Thema und Genre

Der Roman spielt in Chicago zur Zeit der Weltausstellung 1893, doch wird die Handlung von Rückblenden unterbrochen, die den Leser Kapitel für Kapitel durch das Leben des Hauptprotagonisten führen, von der Schlacht bei Gettysburg, über Little Bighorn und durch die Goldgräberzeit. Dadurch erhält der Thriller mehrere spannende Handlungsstränge, die sich im dichten, intensiven Finale in Chicago verbinden.

Die brodelnde Stadt Chicago in jener Zeit wird sehr realistisch beschrieben, wie auch die historischen Ereignisse, um die der Autor seine Geschichte entwickelt, sehr genau recherchiert sind. Thornhill sucht nicht den Reichtum, daher führt sein Weg den Leser in das Leben der einfachen Menschen und auch in Chicago ist sein Ziel das Hotel von Dr. Holmes in Englewood, dem Stadtteil mit dem schlechtesten Ruf.  

Charaktere

Der Hauptprotagonist Thornhill ist gezeichnet durch seine kurze Kindheit in Amerikas Südstaaten und daraus erklärt sich auch seine deutliche Abneigung gegen alle Menschen anderer Hautfarbe, auch wenn er im Laufe seine Abenteuer gerade von diesen Menschen Hilfe und Mitgefühl erfährt. Er selbst ist ein Getriebener, nicht immer ist er es, der die Ereignisse bestimmt, sondern oft muss er einfach reagieren. Kurz nach Gettysburg wird er Zeuge eines Verbrechens und er schwört Rache an allen Beteiligten, die er über die Jahre hin aufspürt. Diese Rache treibt ihn an und er kann das Versprechen, das er dem sterbenden Indianer geben musste, nur Menschen zu töten, die eine Schuld auf sich geladen haben, nicht immer einhalten. Keinesfalls ist Thornhill der typische Killer mit Freude am Töten, auch wenn, sobald er sein Rasiermesser zieht, das Dunkle in ihm die Oberhand gewinnt und er völlig unbeteiligt bleibt. In Chicago kommt es zum Show-down.

Handlung und Schreibstil

Durch die personale Erzählperspektive wird Thornhill als Charakter keinen Leser unbeteiligt lassen.  Natürlich ist er nicht der „Gute“, aber auch nicht wirklich der „Böse“. Hier hat der Autor einen Protagonisten mit vielen unterschiedlichen Facetten geschaffen und ich hatte als Leser von ihm keineswegs denselben negativen Eindruck oder Schauer, wie man ihn als Leser gegenüber Killern in einem Thriller empfindet. Teilweise hat man sogar Mitleid mit ihm, obwohl er unbestritten ein Mörder ist.

Fazit

Killer City ist ein dunkler, teilweise mystischer Roman. Die historischen Tatsachen sind eingebunden und nicht verfälscht, dann werden die Erlebnisse des Hauptprotagonisten eingefügt, sodass sich ein stimmiger Handlungsbogen ergibt. Allerdings blieben für mich einige Fragen unbeantwortet, es fehlte „das gewisse Etwas“ im Gesamtbild. Hier überlässt der Autor mögliche Deutungen der Phantasie der Leser.

Wo ist Norden – Barbara Handke

AutorBarbara Handke
Verlag Books on Demand
Erscheinungsdatum 12. März 2018
FormatTaschenbuch
Seiten308
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3746067582

„Mein Kopf schien voller Fragen zu sein, allesamt Tore, hinter denen sich die Erkenntnisse türmten, zu denen ich bisher nicht gelangt war.“ (Zitat Seite 254)

Inhalt

Ein altes Gutshaus im Dorf Plenskow, Ende der 80er Jahre als Ambulatorium genutzt, zieht den jungen Arzt Nikita Wander sofort in seinen Bann. Doch es ist sein jüngerer Bruder Konrad, ebenfalls Arzt, der Nikitas große Liebe geheiratet und mir ihr inzwischen drei Kinder hat, der auch das Gutshaus kauft. Gemeinsam renovieren sie das Haus und Marion eröffnet ihr Café „Granatapfel“. Das Café läuft gut, doch es muss noch viel Geld in die Erhaltung des Hauses investiert werden. Aus manchen Bewohnern Plenskows werden Freunde, andere bleiben abweisend und die Ablehnung gegenüber den neuen Besitzern des Gutshauses vergrößert sich mit den Jahren noch. Die Familie hält zusammen, doch wird das genügen?

Thema und Genre

In diesem Roman von Barbara Handke geht es um das Gefüge innerhalb einer Großfamilie, den Zusammenhalt, aber auch die Differenzen dieser Zweckgemeinschaft. Die Geschichte hat jedoch auch die Probleme zwischen Eltern und Kindern, schwierige Schwiegermütter, und Kinder, die ihren eigenen Platz im Leben suchen, zum Thema. Dazu kommt ein altes, teilweise verfallenes Gutshaus in einem Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Eines jener Objekte, die es zahlreich gibt und die bis heute noch Menschen zum Träumen bringen, die sich der Realität nicht immer bewusst sind. Diese Problematik wird hier sehr gut geschildert.

Charaktere

Nikita Wander könnte man als typische Figur des Antihelden bezeichnen. Da seine große Liebe Marion zur Familie gehört, kann er sich nicht von ihr lösen und sie nützt das aus. Nikita, der beim Hauskauf finanziell mithilft, Nikita, der auch sonst für sämtliche anfallenden Arbeiten nach Plenskow gerufen wird und dem Ruf folgt. Sein eigenes Leben stagniert und hat gar keine Zeit, sich zu entfalten. Bei einem Weihnachtsfest vergleicht die junge Selma die Mitglieder der Familie mit Blumen und anderen Pflanzen. Sie tut dies ohne Hintergedanken, mit ihrer kindlichen Begeisterung für Botanik. Nikita ist für sie eine Mispel und damit beschreibt die Autorin perfekt seinen Platz in Plenskow.

Handlung und Schreibstil

Die Autorin schreibt in der Ich-Form, aus der Sicht von Nikita Wander. Die Geschichte spannt sich über den Zeitraum 1993 – 2002, mit einem Ausklang 2003. Die erzählende Sprache liest sich leicht und flüssig. Interessant ist, wie einzelne Stimmungen zwischen den Menschen durch Metapher der sie umgebenden Natur dargestellt und betont werden.

Mich beeindruckte die Geschichte des Dorfes und seiner Bewohner, sowie die Geschichte der Familie als Gesamtbild, ich habe keinen der Charaktere als besonders liebenswert und Hauptprotagonist empfunden. Alle handelnden Personen haben ihre Eigenheiten, die positive Ausnahme sind die drei Kinder von Konrad und Marion: Selma, Laure und Jakob. Marion ist eine Frau, die es versteht, alle Menschen zu ihrer Unterstützung einzusetzen, besonders Nikita, ihren Schwager, der dadurch kaum in der Lage ist, endlich sein eigenes Leben zu leben. Heimlich träumt er noch immer von der gemeinsamen Zukunft mit Marion und erst der Ärztin Dr. Elsa Dahle gelingt es, Nikita, inzwischen Mitte 40, langsam von Plenskow zu lösen.

Fazit

Ein Roman über den Traum vom Leben auf dem Land, dem Charme eines alten Hauses und über die Befindlichkeiten einer Großfamilie. Ein Abschnitt von zehn Jahren im Leben dieser Menschen. Die Geschichte liest sich wie ein Tagebuch, mehr beschreibend als spannend.

Leinsee – Anne Reinecke

AutorAnne Reinecke
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 28. Februar 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257070149

„Vielleicht bin ich ja nur der erfundene Freund eines verrückten Kindes, dachte er.“ (Zitat Seite 74)

Inhalt

Der junge, aufstrebende Vakuumkünstler Karl Sund, eigentlich Stiegenhauer, ist der Sohn des berühmten Künstlerpaares August und Ada Stiegenhauer. Zusammen mit seiner Freundin Mara lebt er in Berlin. Als bei Karls Mutter ein Gehirntumor festgestellt wird, nimmt sich sein Vater das Leben. Nach sieben Jahren Abwesenheit muss Karl daher nach Leinsee fahren, in die Villa seiner Kindheit. Die Situation, zusammen mit seinen Erinnerungen an Eltern, in deren Leben er nie wirklich gepasst hat, überfordert ihn. Eines Tages sitzt ein Mädchen auf dem Kirschbaum in seinem Garten und dieses Kind, Tanja, lehrt ihn die Freude und Spaß an den kleinen Dingen des Alltags. In Berlin findet seine bisher größte Ausstellung ohne ihn statt und Mara stellt ihm ein Ultimatum. Doch ist Karl bereit, wieder in sein altes Leben zurück zu kehren? …

Thema und Genre

Leinsee ist ein überaus vielschichtiger Roman, der eine Reihe von Themen und Problematiken verknüpft. Es ist einerseits eine Familiengeschichte, Eltern, in deren Zweisamkeit und Künstlerleben ein Kind wenig Platz hat, die Karl viel zu früh in die Selbstständigkeit entlassen. Daraus ergibt sich Karls im Grunde nie erfüllte Sehnsucht nach Mutterliebe. Andererseits ist diese Geschichte auch ein Ausflug in die Kunstszene zwischen Kreativität und Kommerz. Es fnden sich aber durchaus auch Anklänge an den traditionellen Entwicklungsroman, da Karl erst durch seine Beziehung zu der phantasievollen, direkten und ehrlichen Tanja langsam zu sich selbst und in sein eigenen Leben findet.

Charaktere

Der Hauptprotagonist Karl hat sich schon mit 26 Jahren einen Namen als Künstler gemacht, doch in seinem Leben fehlt noch immer etwas, er ist ein Suchender mit einigen Rückschlägen. Als in der Kunstszene durch die Ereignisse seine wahre Identität bekannt wird, macht ihn dies zwar noch erfolgreicher, aber er steht plötzlich wieder im Schatten seiner berühmten Eltern, genau das wollte er nicht. Er muss lernen, sich selbst und seinen eigenen Weg zu definieren. Mara ist eine erfolgreiche Regisseurin, die gewohnt ist, zielorientiert zu denken und zu agieren und erwartet von Karl, dass er ebenso handelt. Zwei weitere Protagonisten kommen aus der Kunstszene. Torben Behning, ebenfalls 26 Jahre alt, war zuletzt der Sekretär seiner Eltern und möchte unbedingt die Kunstsammlung auch weiterhin verwalten. Max Raiken, Galeriebesitzer ist Karls Manager und ehrlicher Freund. Mit diesen beiden Charakteren skizziert die Autorin völlig unterschiedliche Akteure in der Kunstszene, denen wir im realen Leben immer wieder begegnen. Die zweite Hauptprotagonistin Tanja – ist einfach Tanja und zieht den Leser sofort in ihren Bann.

Handlung und Schreibstil

Der Roman ist in einzelne Kapitel gegliedert, deren Überschrift jeweils eine genau definierte Farbe ist, nicht Blau, sondern Kornblumenblau, nicht Violett, sondern Kirschviolett, wobei jede Farbe auf den Inhalt des Kapitels Bezug nimmt. Die Erzählform stellt Karl in den Mittelpunkt, mit Ausnahme von einigen Rückblenden, seine Eltern betreffend.

Die Sprache spielt mit Beschreibungen, Metaphern und kommt dann wieder mit ein-Wort-Sätzen aus.  Sie führt den Leser mit Leichtigkeit und Zartheit durch die Geschichte, trotz der durchaus ernsten Themen und Ereignisse. Trauer ist tief und ehrlich, aber nie larmoyant. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, manche Szenen sind so skurril und genial geschildert, dass man als Leser laut auflacht. Die Liebesgeschichte entwickelt sich sanft und leise, kommt manchmal mit nur wenigen Worten aus.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass uns Anne Reinecke und der Diogenes Verlag hier ein Romandebüt vorlegen, welches wir in absehbarer Zeit auf den Shortlists für diverse Literaturpreise finden werden. Ein auch sprachlich beeindruckendes Buch, das man lesen und genießen sollte.

Der Schlüssel des Salomon – J.R. Dos Santos

AutorJ.R. Dos Santos
Verlag luzar publishing
Erscheinungsdatum 15. März 2018
FormatTaschenbuch
Seiten
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3946621027

„Wenn es niemanden gäbe, der den Mond anschaut, würde er schlicht und einfach nicht existieren.“ (Zitat Seite 167)

Inhalt

Ein bahnbrechendes, wissenschaftliches Experiment im CERN in Genf muss auf Grund eines plötzlichen Alarms abgebrochen werden. Im Hochsicherheitsbereich liegt ein Toter: Frank Bellamy, Wissenschaftsdirektor der CIA. In der Hand hält er einen Zettel, welcher auf Tomás Noronha hinweist. Damit ist für die CIA klar, wer der Mörder ist: der portugiesische Geschichtsprofessor und Kryptologe.

Eine geheime Jagd auf Tomás Noronha beginnt. Dieser muss nicht nur vor seinen Verfolgern, Spezialagenten der CIA, fliehen, sondern gleichzeitig den Fall aufklären und den wahren Mörder finden. Dazu muss er das Pentakel entschlüsseln, das ihm ein Unbekannter geschickt hatte.

Doch worum geht es hier wirklich? Was genau ist das Quantenauge, das die CIA unbedingt in die Hände bekommen will?

Thema und Genre

Dieser Roman ist ein Wissenschaftsthriller und beschäftigt sich mit den großen physikalischen Entwicklungen im Bereich der Quantenphysik, Teilchenexperimente im Mikrokosmos-Bereich und modernen Theorien in Bezug auf das Universum, was ist Zufall, was ist Realität. Wie passt das menschliche Bewusstsein tatsächlich in dieses Gesamtbild, ist ebenfalls ein Thema. Auf der Suche nach Antworten in Bezug auf den Mord an FRank Bellamy müssen sich Tomás und seine Freundin Maria Flor immer wieder mit den aktuellsten Entwicklungen in diesem Bereich auseinandersetzen.

Der Autor bindet die neuesten Erkenntnisse der Quantenphysik und Bewusstseinsforschung in eine spannende Verfolgungsjagd ein, Tomás wird von erfahrenen CIA Agenten gejagt und die Geschichte hält den Leser bis zum Show-down in Atem.

Charaktere

Tomás Noronha, den der Leser vielleicht schon vom Fall „Einstein Enigma“ kennt, ist ein sympathischer Hauptprotagonist und es fehlt ihm trotz seines umfassenden Wissens jegliche Überheblichkeit. Im Prinzip ist er ein friedlicher, begeisterter Wissenschaftler, doch wenn es die gefährlichen Situationen erfordern, reagiert er schnell und durchaus kreativ.

Handlung und Schreibstil

Wenn man „Das Einstein Enigma“ nicht gelesen hat, ist das kein Nachteil, der vorliegende Roman kann für sich alleine gelesen werden und es gibt einige Hinweise auf die Vergangenheit.

Die Sprache ist packend und liest sich sehr flüssig, aber auf Grund der Thematik ist dieser Thriller doch eine anspruchsvolle Herausforderung an den Leser. Auch wenn die Erklärungen der Schrödingergleichung, des Doppelspaltexperiments und weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse im Bereich der Quantenphysik verständlich formuliert sind, kann man nicht so einfach darüber hinweglesen. Doch gerade dieses Thema macht diesen Roman nicht nur extrem spannend, sondern auch hochinteressant. Der Autor wirft hier Fragen auf, über die man bisher vielleicht noch wenig wusste und die zum intensiven Nachdenken anregen, die mit der letzten Seite dieses Romans noch längst nicht abgeschlossen sind.

Obwohl man Genre, Thema und Protagonist mit Dan Browns Büchern vergleichen kann, sind die Geschichten, die uns diese beiden großartigen Autoren erzählen, völlig unterschiedlich und ich sehe das auf jeden Fall positiv, da es noch zu wenig gute Bücher und Autoren in diesem speziellen Genre gibt. 

Fazit

Ein Buch für alle Leser, denen nur ein spannender Thriller zu wenig ist, die sich zusätzlich brisante, interessante Themen wünschen. Nur Leser, denen Origin, der neueste Dan Brown, „zu langweilig“ war, werden auch mit J.R. Dos Santos keine Freude haben.

Innere Sicherheit – Christa Bernuth

AutorChrista Bernuth
Verlag Piper Taschenbuch
Erscheinungsdatum 1. Oktober 2009
FormatTaschenbuch
Seiten416
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3492263375

„Nicht wir haben das System im Griff, das System hat uns im Griff.“ (Zitat Seite 74)

Inhalt

An einem kalten Sonntag im November wird eine tote Frau, getötet durch einen Schuss in den Hinterkopf, an Rügens Küste angeschwemmt. ABV Martin Beck, Volkspolizist, beginnt zu ermitteln und klärt die Identität der Toten: Johanna Schön, loyal, hilfsbereit – und es war nicht die DDR Küstenbrigade, die geschossen hat. Da erhält Beck die Weisung von oben, die Ermittlungen unverzüglich einzustellen. Doch es gibt zu viele Ungereimtheiten und Martin Beck recherchiert heimlich weiter, obwohl er sich in eine Gefahr begibt, deren Dimensionen er nicht abschätzen kann. Kann er überhaupt noch jemandem vertrauen?  

Thema und Genre

Die Geschichte spielt in der DDR, auf der Insel Rügen und in Berlin. Thematik sind die unterschiedlichen Akteure und Auswirkungen des Kalten Krieges, aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Staatsformen:  westliche Demokratie gegen DDR, Machtgefüge und die Haltung einzelner Protagonisten auf beiden Seiten. Es ist jedoch kein reines Hinterfragen des Systems DDR, sondern es geht vor allem darum, wie die Menschen damit umgehen.

Charaktere

Der Hauptprotagonist Martin Beck sieht den Sinn der DDR auf Ideale begründet, Ideale, welche gerade die jungen Menschen mittragen. Man ist bereit, Opfer zu bringen für das, was noch im Aufbau ist, auf manche Annehmlichkeiten zu verzichten. Auch er teilt diese Ideale, kann jedoch die Augen nicht vor den Entwicklungen verschließen, kritisch nimmt er wahr, was um ihn vorgeht, was vor allem in den Menschen vorgeht. Schon vor Jahren ist seine Mutter in den Westen geflohen, während er und sein Bruder in der DDR geblieben sind. Dadurch hat Martin Beck kaum Chancen auf Beförderungen. Dies kann er nachvollziehen, doch die Dinge, die er im Laufe seiner heimlichen Recherchen herausfindet, führen dazu, dass er umzudenken muss. Ein sympathischer Hauptcharakter, um den man sich als Leser Sorgen macht.

Handlung und Schreibstil

Die Autorin verpackt die zeitgeschichtlichen Themen in einen aufregenden Politik- und Spionagethriller in dem kaum etwas so ist, wie es scheint. Immer wieder neue Wendungen halten die Spannung aufrecht und doch sind alle Entwicklungen realistisch. Dennoch nimmt sich die Autorin auch Zeit für Beschreibungen der Örtlichkeiten, der Natur und der einzelnen Personen. Der Schreibstil und die flüssige Sprache erzeugen ein positives Leseerlebnis.

Fazit

Ein spannender Politthriller, den man nicht aus der Hand legen will, bis die letzte Seite gelesen ist. Hier wird leise gemordet, um der Ziele willen, nicht aus gewaltbereiter Brutalität. Ein Buch für Fans von Spionagethrillern mit zeitgeschichtlichem Hintergrund und für alle, die mehr über die Insel Rügen zu DDR Zeiten erfahren wollen, verpackt in eine packende Geschichte. Wer leichte Regionalkrimis sucht, wird von dieser dichten, intensiven Geschichte eventuell enttäuscht sein.

Leere Herzen – Juli Zeh

AutorJuli Zeh
Verlag Luchterhand
Literaturverlag
Erscheinungsdatum 13. November 2017
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3630875231

„Jetzt weiß ich, dass richtig und falsch erst existieren, nachdem man sich entschieden hat.“ (Zitat Seite 324)

Inhalt

Richard und Britta sind mit Knut und Janina seit Jahren eng befreundet, trotz der unterschiedlichen Lebensperspektiven. Während Janina sich auf das alte Haus im Grünen freut, das sie kaufen wollen, hat Britta sich bewusst für ein modernes Haus in Braunschweig entschieden. Britta Söldner ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Zusammen mit dem IT Spezialisten Babak Hamwi führt sie die „Brücke“, eine Heilpraxis im Bereich Psychotherapie und Tiefenpsychologie. Kern ihres Unternehmens ist der von Babak entwickelte Algorithmus, „Lassie“. Sie selbst sehen sich als Dienstleister, spezialisiert auf Menschen mit Selbstmordabsichten.

Plötzlich taucht gefährliche Konkurrenz auf, die nicht nur ihr Geschäftsmodell stehlen will und dadurch ihre Existenz bedroht, sondern auch ihr Leben und das ihrer neuesten Kundin Julietta …

Thema und Genre

Them

Charaktere

Mein Lieblingscharakter in diesem Roman ist Juliette, eine junge Frau, die genau weiß, was sie will und was sie nicht will. Verletzlich und dennoch selbstbewusst. Durch sie beginnt Britta, ihr Leben und ihre Handlungen zu hinterfragen.

Handlung und Schreibstil

Der Roman spielt in der nahen Zukunft, die BBB „Besorgte Bürger Bewegung“ hat die Regierung Merkel abgelöst. Den Menschen sind die Ideale abhanden gekommen, sie nehmen die Situation als gegeben und versuchen, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen. Wichtige Themen sind Demokratie und Demokratieverständnis und die Frage, ob und wie lange man ein Leben im „Wegschauen“ führen kann. Speziell ist natürlich auch die Geschäftsidee der „Brücke“, definiert als Terrordienstleister.

Beispielhaft für den Zeitgeist, rund um den die Autorin ihre Geschichte entwickelt, steht die Lebenssituation der beiden Ehepaare Knut-Janina mit Tochter Cora, 7 Jahre alt, und Richard-Britta mit Tochter Vera, 7 Jahre alt. Erstere wollen ein altes, weit abgelegenes Haus auf dem Land kaufen, während Britta bewusst eine gute Lage in einer mittelgroßen Stadt gesucht hat und so auf Braunschweig gekommen ist. Britta verdient mit ihrer Firma viel Geld, dies und der Erfolg sind für sie das Wichtigste im Leben – ihre Ziele verfolgt sie skrupellos. Für ihre Familie bleibt da wenig Zeit. Von ihrem Geschäftspartner Babak erwartet sie, dass er ihre Ideen ausführt und sich ihren Zielen unterordnet.

Man könnte den Roman, geschrieben in der neutralen Erzählform, als gesellschaftskritisches Zeitbild beschreiben, eingepackt in einen fesselnden Thriller. Die Handlung ist spannend und enthält zahlreiche Andeutungen und Wendungen, die den Leser lange über die wahren Gegner und Hintergründe im Unklaren lassen.

Fazit

Die Autorin zeigt in ihrem Roman eine mögliche Zukunft Deutschlands mit Menschen, denen Träume und Wertvorstellungen weitgehend abhanden gekommen sind. Sie zeichnet ein ziemlich düsteres, aber nicht hoffnungsloses Bild.

Mich erinnert dieses Buch an die früheren psychologisch-spannenden Romane von Juli Zeh und hat mich, im Gegensatz zu Unterleuten, wieder völlig überzeugt. Ein Thema mit Tiefgang, großartig umgesetzt.

Gedichte schreiben: Von Akrostichon bis Sonett – Sabine Hartmann

AutorSabine Hartmann
Verlag Hottenstein
Buchverlag
Erscheinungsdatum 25. Januar 2018
FormatTaschenbuch
Seiten84
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3935928823

Zit

Ein Sonett kann so nett sein, ein Limerick kann kokett sein, eine Ballade kann fett sein und Sie dürfen beim Reimen im Bett sein … (Zitat Klappentext) „Jetzt sind Sie dran …“ (Zitat S 34)

Inhalt

Dieses Büchlein wurde als Lehr- und Übungsbuch geschrieben. Es ist in zwei Teile geteilt. Teil I: In jedem Kapitel wird eine Gedichtform vorgestellt, kurz beschrieben, dazu ein Beispiel und freie Zeilen, um sofort zu üben. Der Teil II am Ende des Buches befasst sich mit der entsprechenden Theorie, Versformen, Fachausdrücken und bietet weiterführende Links an.

Thema und Genre

Es handelt sich hier um ein praktisches, kleines Buch, das man überall mitnehmen kann. Es beginnt mit der Praxis, mit einer einfachen Gedichtform, dem Elfchen. So kann man sofort kreativ werden. Will man mehr wissen, findet man am Ende des Buches einen theoretischen Teil, den man natürlich auch vorher lesen kann.

Das gesamte Büchlein ist sehr übersichtlich aufgebaut. Die einzelnen Kapitel und die freien Zeilen – wenn es um längere Gedichte geht, werden es freie Seiten – sind ansprechend gestaltet und laden zum Ausprobieren ein.

Dieses kleine Buch macht einfach Spaß. Einmal begonnen, entwickelt man Ideen und eine eigene Kreativität, von der man zuvor vielleicht gar keine Ahnung hatte. Besonders der Limerick gräbt sich in die Gedanken und man kommt auf immer neue Varianten, man kann buchstäblich nicht mehr aufhören, wenn die Verse erst mal fließen.

Fazit

„Gedichte schreiben“, dieses kleine Buch ist auch ein perfektes Geschenk für alle Menschen, die einfach mal probieren wollen, mit der Sprache zu spielen. Oder man schenkt es sich selbst, einfach zum Abschalten und etwas völlig Neues zu entdecken.

Aisha (Axel Steen ermittelt, Band 4) – Jesper Stein

AutorJesper Stein
Verlag KiWi-Taschenbuch
Erscheinungsdatum 26. Januar 2018
FormatTaschenbuch
Seiten560
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462050783

„Er war Axel Steen und er verstand die Prioritäten nicht, die es in ihrer Welt gab und auf die man Rücksicht nehmen musste.“ (Zitat S 382)

Inhalt

Kommissar Axel Steen ist seit neun Monaten zurück im Einsatz und wird an den Tatort eines Mordes gerufen. Erste Recherchen ergeben, dass der Ermordete ein Charmeur mit vielen Frauengeschichten war, doch Axel glaubt nicht an ein Eifersuchtsdrama, als er erfährt, das der Tote bis vor zwei Jahren als Spezialagent an Anti-Terror Einsätzen beteiligt war. Er muss in der Vergangenheit ermitteln, vier Jahre zurück, doch er stößt auf eine Mauer des Schweigens, kaum vorhandene Unterlagen und immer wieder rät man ihm, sich nicht in Vermutungen und Gerüchte zu verrennen und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Kann er seinem neuen Mitarbeiter trauen, Khalid Taleb, der ihm vom PET zu Seite gestellt wird? Wird diese Ermittlung seine persönliche Beziehung zu Henriette Nielsen beeinflussen, ebenfalls PET, die damals an diesem Einsatz beteiligt war? Doch er wäre nicht Axel Steen, ließe er sich durch irgend etwas oder jemanden aufhalten, wenn es darum geht, ein Verbrechen aufzuklären …

Thema und Genre

Dieser spannende Thriller, der vierte Band um Kommissar Axel Steen, ist im Umfeld der aktuellen Anti-Terror Einsätze angesiedelt und stellt auch die Frage, ob der Zweck wirklich alle eingesetzten Mittel entschuldigt. „Wir befinden uns im Krieg, und im Krieg gibt es Verluste.“ (Zitat S 387) Das persönliche Abwägen der leitenden Einsatzkräfte ist ebenfalls ein Thema und die Aufstiegschancen von Kollegen mit Migrationshintergrund wie Khalid, ungeachtet der Qualifikationen. Gesellschaftskritisch erfasst der Autor auch die Entwicklung einzelner Stadtteile von Kopenhagen. Unter der Fülle der Problematiken, die der Autor in dieser Geschichte unterbringen und weiterführen will, leidet die Logik der Handlung an manchen Stellen.

Charaktere

Der Hauptprotagonist Axel Steen, als Ermittler vielen Lesern schon aus den früheren Büchern bekannt, hat sich verändert, versucht weniger verbissen zu ermitteln und bemüht sich um seine Tochter Emma. Er ist aber auch ein von Selbstzweifeln bis hin zu depressiven Momenten Getriebener und genau diese Einblicke in seine Befindlichkeiten, die sich immer wieder in die Handlung schieben, unterbrechen den Handlungsfluss und nehmen dadurch leider auch mehrfach die Spannung aus dem Geschehen. Als bedingungslos korrekter Ermittler, der sich nicht beeinflussen lässt, gefällt er mir sehr gut, seine persönlichen Entscheidungen im Privatleben sind teilweise für mich schwer nachvollziehbar.

Insgesamt sind die Charaktere, sowohl im PET, als auch bei der Kriminalpolizei, gut beschrieben und die Geschehnisse sind durchaus glaubwürdig.

Handlung und Schreibstil

Der Autor erzählt die Geschichte abwechselnd in zwei Erzählsträngen, den Einsatz 2007 und die Ermittlungen 2011, sodass der Leser mit dem Fortschreiten der Ereignisse im Jahr 2007 ein genaues Bild darüber erhält, was damals tatsächlich vorgefallen ist, während Axel Steen im Zuge seiner Ermittlungen im Jahr 2011 mühsam nachforschen muss, was damals passiert ist und ob es einen Zusammenhang zum aktuellen Mordfall gibt.

Der Schreibstil ist flüssig und gut zu lesen, mit notwendigen kurzen Rückblenden auf Axel Steens frühere Ermittlungen. Das örtliche und gesellschaftliche Umfeld in Kopenhagen ist interessant und gut beschrieben.

Fazit

Ein spannender Thriller, auf alle Fälle für Leser, die Axel Steen schon aus früheren Büchern kennen, jedoch ist es auch kein Problem, mit diesem vierten Band in die Thriller-Serie einzusteigen. Hier wird der Autor Leser ansprechen, die Thriller im Bereich von Geheimdiensten und mit unterschiedlichen, ermittelnden Interessensgruppen schätzen, auch wenn mich der Autor nicht vollkommen überzeugen konnte.

Der Wortschatz – Elias Vorpahl

AutorElias Vorpahl
Verlag Buchblatt Verlag
Erscheinungsdatum 1. Januar 2018
FormatBroschiert
Seiten176
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3000571695

„Dinge müssen nicht unbedingt einen Namen tragen, um bedeutend zu sein.“ (Zitat S 32)

Inhalt

Ein Wort besucht gerade seinen Freund, als es von den Stimmbändern erfasst und ausgesprochen wird. Dadurch vergisst es, wer es ist und welchen Sinn es hat. Ein altes Wortpaar, Dichterin und Denker, pflegen es gesund und dann macht das Wort sich auf die Suche nach seinem Sinn. Es trifft eigenartige Wesen und nimmt an den berühmten Wortspielen teil. Doch es ist nicht einfach, den eigenen Sinn zu finden und zu alledem wird es von zwei finsteren Gestalten verfolgt …

Thema und Genre

Dieser Roman „Wortschatz“ ist auch als Buch ein Schatz, phantasievoll illustriert und passend dazu auch die Überschriften der einzelnen Kapitel und sogar die Seitenzahlen.

Handlung und Schreibstil

Der Autor erzählt eine magische Geschichte aus dem Reich der Sprache, der Worte, der Buchstaben, aber auch vom Geschichtenerzählen und bindet auch bekannte Bücher ein. Es tauchen immer wieder spielerische Hinweise auf Alice im Wunderland auf, in diesem Zusammenhang jedoch neu interpretiert. Die Suche nach dem eigenen Sinn ist durchaus auch philosophisch zu verstehen und als Spiel mit der Phantasie.

Natürlich überlegt man als Leser, um welches Wort es sich handeln könnte, es ergeben sich im Laufe der Handlung auch einige Hinweise. Doch vor allem wird man dieses Buch wegen des humorvollen, spielerischen Umgangs mit der Sprache lesen, die Worte und ihr Leben sind durchaus vermenschlicht dargestellt. So frühstückt das Wort zum Beispiel Aufstrich und Unterstrich, um nur ein Beispiel aus dem ersten Kapitel zu nennen.

Fazit

Ein Buch für genussvolle Lesestunden, für Leser, welche die Feinheiten einer poetischen, phantasievollen Sprache schätzen und sich auf den Humor der Sprachspielereien einlassen.

Die Hauptstadt – Robert Menasse

AutorRobert Menasse
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 11. September 2017
FormatGebundene Ausgabe
Seiten459
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518427583

„Wir haben Experten für alles, sagte Hidekuti. Wir können Regen machen, und wir können das so machen, dass die Kommission im Regen steht.“ (Zitat Seite 330)

Inhalt

Fenia „Xeno“ Xenopoulou hat Wirtschaft studiert, doch der erhoffte Aufstieg innerhalb der Europäischen Kommission beförderte sie ausgerechnet ins Kultur Ressort, als Leiterin der Direktion C, Kommunikation. Dies möchte sie rasch ändern und zumindest wieder ins Ressort Handel zurück. Gleichzeitig sucht Grace Atkinson, die neue Generaldirektorin des Kommunikationsdienstes nach einer zündenden Idee, das Image der Europäischen Kommission bei den EU Bürgern zu verbessern, das 50 Jahre-Jubiläum in zwei Jahren scheint ihr der perfekte Anlass. Fenia Xenopoulou wiederum sieht eine Chance, sich zu profilieren und erklärt das Big Jubilee Project zu einer Sache des Ressorts Kultur. Ihr Mitarbeiter Dr. Martin Susman kommt von einem Besuch in Auschwitz zurück und mit der hat eine Idee für das Jubiläumsprojekt. Die Überlebenden von Auschwitz, die der Wunsch nach einem Leben in Würde und Freiheit einte. Doch wo findet man diese Überlebenden?

Neue Visionen zur Zukunft der EU „New Pact for Europe“ sind auch das Thema eines Think-Tank aus internationalen Fachleuten, dem auch der österreichische Professor DDr. Alois Erhart. Er schlägt dem Gremium die Errichtung einer neuen Hauptstadt vor …

Für weitere Verwirrung sorgt ein Schwein, das durch Brüssel irrt und ein Mord im Hotel Atlas, den Kommissar Brunfaut untersuchen will, aber nicht darf.

Thema und Genre

Robert Menasse beschreibt in diesem Roman das Gefüge der Europäischen Union, Abläufe in der Bürokratie von Brüssel, und dies alles so realistisch, dass es genau so passiert sein könnte, teilweise auch ist. Ähnliche Personen wie die Hauptakteure seiner Geschichte kennen wir alle. Kritisch werden Verträge hinterfragt, die internen Querelen nachvollzogen, aber Kernstück ist die Frage nach der Eigenständigkeit der Nationen unter der Idee einer supranationalen Zukunft – und der nach wie vor aktuelle Umgang mit der Vergangenheit.

Charaktere

In seinem Europa-Roman stellt der Autor die Hauptpersonen, um die er seine Geschichte entwickelt, dem Leser vor, indem er sie durch eine Gemeinsamkeit eint: alle sehen ein Schwein, dass durch Brüssel läuft und einen keineswegs friedlichen Eindruck macht.

Dies sind die ehrgeizige Fenia „Xeno“ Xenopoulou, gegen ihre Wünsche ins Kultur Ressort befördert und Kai-Uwe Frigge, Kabinettchef Generaldirektion Handel, mit dem sie eine lockere Beziehung hat;

Dr. Martin Susman, Mitarbeiter in ihrem Team, Kind österreichischer Bauern, dessen Bruder Florian den elterlichen Schweinemastbetrieb erfolgreich weiterführt;

Ryszard „Mateusz“ Oswiecki, der einen Auftrag ausgeführt hat und untertaucht;

David de Vriend, der in Brüssel lebt, Auschwitz überlebt hat und gerade in ein Altersheim übersiedelt ist;

Prof. DDr. Alois Erhart, auch im Alter noch damit beschäftigt ist, seine Kindheit zu verarbeiten und endlich seine eigenen Visionen findet;

Kommissar Emile Brunfaut der einen Mordfall vergessen soll, statt ihn aufzuklären.

Jede dieser Hauptpersonen hat ihre eigene Geschichte, die Menasse erzählt, teilweise durch Rückblenden, vor allem aber, indem er uns an ihren Gedanken teilhaben lässt. Dadurch erklären sich Verhaltensweisen und Handlungen. Manche der Personen kennen einander, andere begegnen sich, verharren jedoch in der Anonymität der Großstadt  und als Leser möchte ihnen zurufen, doch miteinander zu reden, weil es wichtig wäre. Die Sprachenvielfalt in Brüssel macht die Kommunikation nicht einfacher.

Handlung und Schreibstil

Die parallel laufenden Einzelschicksale machen die Geschichte spannend, dazu kommt die gekonnte sprachliche Qualität, die Lesevergnügen garantiert. Besonders die genialen philosophischen Betrachtungen über Dinge wie Senf und Insekten, die der Autor Dr. Martin Susman anstellen lässt, sind skurril, geistreich und witzig.

Leider lässt die Spannung in der zweiten Hälfte des Buches etwas nach, der Autor will uns hier meiner Meinung nach einfach zu viel über Abläufe in der EU und in den Kommissionen mitteilen und auch die langatmigen inneren Selbstdialoge von Prof. Erhart haben dazu geführt, dass mich der Autor kurzzeitig verloren hat, die Geschichte schien mir irgendwie in Nebensächlichkeiten auszufransen. Dann jedoch führt der Autor die Personen im Finale nochmals zusammen und lässt das Schicksal einen gewaltigen Schlusspunkt setzen.

Fazit

Beim Erscheinen dieses Romans war ich natürlich gespannt, aber die Leseprobe hat mich eher ratlos gemacht. Als Österreicherin kannte ich Menasse bisher nur als Essayist und dieser Roman schien für mich in Richtung Essay, zum Ganzen zusammengefügt, zu gehen. Doch trotz kleiner Einschränkungen hat mich dieser Roman überzeugt und ich habe ihn mit Vergnügen gelesen. Ich empfehle ihn für Leser, die am Thema Europa uinteressiert sind und mögliche Lösungswege für eine gemeinsame Zukunft, und an mit ihren Eigenheiten nur allzu menschlichen Personen. Wenn sie zu wissen glauben, dass EPP für European People’s Party, Europäische Volkspartei, steht, dann sollten sie lesen, was Menasse dazu eingefallen ist.

Verfolgung (Millennium, Band 5) – David Lagercrantz

AutorDavid Lagercrantz
Verlag Heyne Verlag
Erscheinungsdatum 7. September 2017
FormatGebundene Ausgabe
Seiten480
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3453270992

„Erst musste man die Wahrheit kennen. Und dann konnte man sich rächen.“ (Zitat S 181)

Inhalt

Lisbeth Salander sitzt wegen des letzten Falles für zwei Monate im berüchtigten Frauengefängnis Flodberga ein und bemerkt, dass die Gefangene „Benito“ Beatrice Andersson und eine Gruppe rund um sie im Sicherheitstrakt B Mitgefangene terrorisieren. Besonders haben sie es auf Faria Kazi abgesehen, eine junge Frau aus Bangladesch und da auch die Aufsehen wegschauen, greift Lisbeth ein und macht sich Benito zur Todfeindin.

Mikael Blomkvist besucht sie jeden Freitag. Eines Tages erhält sie überraschend Besuch von ihrem alten Vertrauten und Mentor Holger Palmgren, der ihr von völlig neuen Spuren, ihre Kindheit betreffend, berichtet. Lisbeth beginnt zu recherchieren und Mikael unterstützt sie bei ihren Ermittlungen über in wichtiges Forschungsprojekt in der Vergangenheit. Was genau hat Leo Mannheimer, Chefanalyst bei einer Investmentgesellschaft, damit diesem Projekt zu tun? Jemand ist bereit, die Aufdeckung mit allen Mitteln zu verhindern und scheint ihnen immer einen Schritt voraus zu sein …

Thema und Genre

Dieser Roman ist der insgesamt fünfte Band aus der Millennium-Serie und der zweite aus der Feder von David Lagercrantz. Auch diesmal gelingt es dem Autor wieder, die Geschichte vom charakteristischen Aufbau bis hin zu den Charakteren im Sinne von Stieg Larsson fortzusetzen.

Diesmal geht es um zwei aktuelle Themen, einerseits die Stellung der Frau in einer traditionellen, muslimischen Familie und andererseits um wissenschaftliche Forschungsprojekte und vor allem um die Frage, wie weit man als Wissenschaftler gehen kann und darf, zählt wirklich nur der Erfolg und das Ergebnis. Was ist mit der ethischen Verpflichtung der Forschung? Ein wirklich zeitlos wichtiges Thema, um welches der Autor seine Geschichte aufbaut.

Charaktere

Char

Handlung und Schreibstil

Das Buch beginnt mit einem kurzen Prolog, der ein Gespräch zwischen Holger Palmgren und Lisbeth Salander vorausnimmt, welches später im Zusammenhang nochmals genauer geschildert wird. Der Zeitrahmen umfasst nur wenige Tage, er reicht vom 12. bis zum 30. Juni. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, diese wiederum umfassen einzelne Kapitel, die jeweils durch eine Datumsangabe definiert und unabhängig von den drei Hauptteilen fortlaufend durch die gesamte Erzählung nummeriert sind. Ein kurzer Epilog beendet die Geschichte. Ergänzend dazu setzt der Autor Rückblenden ein, um den Verlauf mancher Geschehnisse zu erklären.

Der Autor verwendet die neutrale Erzählperspektive, nützt jedoch die einzelnen Kapitel dazu, um Ereignisse zu beschreiben, die mit wechselnden Hauptcharakteren im Mittelpunkt an völlig verschiedenen Orten, jedoch gleichzeitig, stattfinden. Durch diese dicht gedrängte Erzählform ergibt sich ein intensiver Spannungsbogen, der den Leser bereits mit dem Einstieg in seinen Bann zieht und auch diesen fünften Teil der Millennium-Reihe zu einem Page-Turner macht.

Fazit

Bereits beim vierten Band der Millenniums-Serie gab es durchaus kritische Stimmen, die meinten, der Autor käme nicht an Stieg Larsson heran, ich habe das damals schon anders gesehen und auch nach dem Lesen dieses fünften Bandes bleibe ich bei meiner Meinung: mit David Lagercrantz wurde in meinen Augen ein großartiger Nachfolger gefunden, diese spannende Reihe um den Millennium Verlag, den Journalisten Mikael Blomkvist und vor allem die einzigartige Lisbeth Salander weiterzuführen. Ein spannender Thriller, den man nicht aus der Hand legen wird, bis man das letzte Wort des Epilogs gelesen hat.

Lied der Weite – Kent Haruf

AutorKent Haruf
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 12. Januar 2018
FormatGebundenes Buch
Seiten384
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257070170

„Victoria. Hör mir zu. Du bist jetzt hier. Du bist hier und nicht woanders.“ (Originalzitat, Maggie Jones zu Victoria)

Inhalt

Victoria, 17 Jahre alt, wohnt bei ihrer Mutter. Der Vater hatte die Familie längst verlassen und dementsprechend verbittert reagiert die Mutter, als Victoria von einer Sommerliebe schwanger ist. Sie wirft Victoria aus dem Haus. Ihre Lehrerin Maggie nimmt sie vorübergehend auf, aber ihr alter, verwirrter Vater reagiert verstört auf Fremde im Haus. In Holt lebt auch ein altes Brüderpaar, die McPherons, die nie geheiratet haben und seit früher Kindheit gemeinsam ihre Rinderfarm bewirtschaften. Victoria kann bei ihnen wohnen. Doch werden die raubeinigen alten Herren und das eigenwillige junge Mädchen den Alltag meistern können? Und was ist mit Ella los, Mutter der beiden Jungs Ike und Bobby, die großteils von ihrem Vater Tom Guthrie versorgt werden, der an der Highschool Amerikanische Geschichte unterrichtet? …

Thema und Genre

Kent Haruf lässt uns in seinem Roman am Leben einiger Bewohner der fiktiven Kleinstadt Holt irgendwo in der endlosen, flachen Weite (Plains) von Colorado teilhaben. Allerdings erkennt man rasch, dass es dem Schriftsteller mehr um die Schilderung des kleinteiligen Alltagslebens in Holt ging und weniger um die Einzelschicksale.

Charaktere

Er wählt die neutrale Erzählperspektive und stellt dem Leser insgesamt sieben Bewohner von Holt genauer vor, die er in kurzen Kapiteln abwechselnd in den Vordergrund treten lässt, wo er eine Situation oder ein Ereignis im Tagesablauf der jeweiligen Person schildert. So lernen wir Victoria Roubideaux kennen, die mit 17 ein Baby erwartet und die Brüder Harold und Raymond McPheron, zwei alte Junggesellen, Farmer, die Victoria bei sich aufnehmen. Wir erhalten auch Einblick in das Leben von Ike und Bobby Guthrie, 10 und 9 Jahre alt, und das ihres Vaters Tom, der an der Highschool unterrichtet, so wie auch seine Kollegin Maggie Jones. Weitere Bewohner von Holt ergänzen die Ereignisse rund um die Hauptpersonen jeweils als Beteiligte. Dadurch ergeben sich mehrere parallele Spannungsbögen,  jede der sieben Personen hat eine eigene Problematik, die sich im eigenen Rhythmus zuspitzt und erst am Ende der Geschichte mit den anderen verbindet.

Handlung und Schreibstil

Der Autor lässt seine Protagonisten in knappen, kurzen Sätzen sprechen. Geht es jedoch um die Landschaft, die Natur in einzelnen Tagesabschnitten und Jahreszeiten, wechselt er in sprachgewaltige, bildhafte Beschreibungen, in die er die Stimmung der Personen einbettet. Gezielt setzt er auch manchmal Metapher ein,  so verwendet der Autor die Ulmen im Zusammenhang mit alten Brüdern McPheron und verstärkt durch diese Schilderung der Bäume auch das Bild in den Gedanken des Lesers: zwei Männer, alt, wortkarg, „knorrig“, aber unter der rauen Schale gute, freundliche Menschen, vom harten Leben vielleicht gebeugt, aber immer noch fest verwurzelt, wie die alten Bäume auf ihrem Anwesen.

„Dann sahen sie in ihre dicken, schwieligen Hände, die sie flach ausgebreitet vor sich auf den Tisch gelegt hatten, und schließlich schauten sie aus dem Fenster zu den kahlen, verkrüppelten Ulmen hinüber.“ (Zitat 140).

Dieser Roman hat mich sehr beeindruckt, weniger die einzelnen Personen, sondern hier ist es das Gesamtbild aus dieser weiten, aber einsamen Landschaft mit der typisch amerikanischen Kleinstadt und ihren Einwohnern. Dazu die kraftvolle und dennoch fließende Sprache, die für mich beinahe pures Lesevergnügen war – mit einer persönlichen Einschränkung: einige Szenen mit Tieren sind sehr realistisch und detailgetreu beschrieben. Ich konnte keinen Zusammenhang mit der Geschichte erkennen, es diente weder dem Handlungsablauf, noch der Erklärung für ein Verhalten eines Protagonisten und mir ist nicht klar, was der Autor damit aussagen wollte.

Fazit

Ein Buch für Leser, welche die sprachliche Qualität eines Schriftstellers zu schätzen wissen und eine Geschichte in ihrer Gesamtheit sehen können, denen es aber nicht so wichtig ist, jedes Detail aus dem Leben der einzelnen Protagonisten zu kennen.

Das Geheimnis meines Vaters, von dem er selbst nichts wusste – Bert Sieverding

AutorBert Sieverding
Verlag BoD
Erscheinungsdatum 1. Dezember 2017
FormatTaschenbuch
Seiten288
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3746032382

„Spät kommt er doch noch nach Hause“ (Originalzitat Seite 139)

Inhalt

Karl Siemer ist seit vielen Jahren in einem internationalen Konzern tätig, er entwickelt IT Projekte und sieht sich selbst als kundenfreundlichen Dienstleister.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf auf dem Land, hat er sofort nach dem Abitur, 20 Jahre alt, sein Elternhaus verlassen. Nun ist er Mitte 50, ein sportlicher Single mit Angst vor zu viel Nähe.

Karls Mutter ist bereits seit zwanzig Jahren tot, als er die Nachricht vom überraschenden Tod seines 80-jährigen Vaters erhält. Er ist der einzige Sohn und muss daher in das Dorf und sein Elternhaus zurück, um alles Notwendige zu regeln. Vor zwanzig Jahren hatte er seinen Vater zuletzt gesehen und seither waren Weihnachts- und Geburtstagskarten der einzige Kontakt. Zu seinem Erstaunen ist sein Elternhaus renoviert, saniert und in einem gepflegten Zustand. Doch dies ist nicht die einzige Überraschung, die Karl erwartet ….

Thema und Genre

Der Roman ist in der Ich-Form aus Sicht des Hauptprotagonisten Karl Siemer geschrieben. Er spricht nicht nur das Hauptthema Vater-Sohn-Beziehung an, sondern auch die Kriegsjahre, wie sie von den Großeltern erlebt wurden, Erzählungen, an die sich Karl in Rückblenden erinnert. Wir erfahren einige Details aus dem Leben des heranwachsenden Karl, der sich weniger für das Leben als Landwirt, sondern vor allem für Kunst interessiert. Aus diesem Grund kam es immer wieder zu Streit zwischen Vater und Sohn.

Ein weiteres Thema ist das Leben auf dem Land in einer kleinen Dorfgemeinschaft, wo man kaum anonym bleiben kann. Der Leser lernt Karls Nachbarn kennen, sowie den Gastwirt, den Pfarrer und Karl trifft auf Schulkollegen, die in diesem Dorf geblieben sind und sich hier ein Leben aufgebaut haben. Beschreibungen wie „Outfit ist im Dorf wichtig“, daher muss Karl sich angemessene Trauerkleidung kaufen, zeigen, wie sehr die gesellschaftlichen Zwänge noch immer gültig sind. Landleben entzaubert, könnte man dies zusammenfassen.

Charaktere

Der Hauptprotagonist Karl ist ein angepasster Einzelgänger, sportlich, kollegial und kundenorientiert im Beruf, als Mitarbeiter aber oft zu nachgiebig. Seine Rückkehr ins Dorf wird für ihn auch eine Reise in die eigene Vergangenheit, seine Beziehung zum Vater schwankt zwischen Trauer, Schuldgefühlen und nach wie vor Zorn. Als er auf die junge, selbstbewusste Natalia trifft, kann und will er auch ihr nicht Paroli bieten. Karl ist ein von den Ereignissen Getriebener und es gibt eine Menge offene Fragen, auf die er Antworten sucht. Doch nehmen die Dinge dann einen unerwarteten Verlauf, der dem Leser einen positiven Blick in die wahrscheinliche Zukunft des Hauptprotagonisten gibt, nachdem Karl von einem wichtigen Ereignis in der Vergangenheit erfahren hat, von dem auch sein Vater nichts wusste.

Handlung und Schreibstil

Der Schreibstil ist flüssig, erzählend, technische Details werden durch Beschreibungen der Natur und des Umfeldes durchbrochen und aufgelockert. Überraschende Wendungen geben der Handlung die Spannung.

Fazit

Ein Buch für Leser mit Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend in einer engen Dorfgemeinschaft auf dem Land, die keine verklärten Geschichten über das Landleben suchen, sondern Realität mit allen schönen Seiten, aber auch den Schattenseiten. Obwohl  es um eine problematische Vater-Sohn-Beziehung geht, prägende Kindheitserfahrungen und um die Frage, wie weit erwachsene Kinder ihren alten Eltern gegenüber Verantwortung haben, sollte man keinen Familienroman erwarten.

DNA – Yrsa Sigurdardóttir

AutorYrsa Sigurdardóttir
Verlag btb Verlag
Erscheinungsdatum 9. Oktober 2017
FormatTaschenbuch
Seiten512
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3442715756

Kommissar Huldar und Psychologin Freyja, Band 1

Inhalt

Helgi muss an diesem Morgen zu einem wichtigen Meeting. Da sieht er die beiden Söhne des Nachbarn mitten auf der Straße stehen. Seine Frau verständigt die Polizei. Kriminalkommissar Huldar und sein Kollege Ríkhardur werden gerufen, denn die Mutter der beiden Jungen ist grausam ermordet wurden. Unter dem Bett findet Huldar die kleine Tochter der Ermordeten, Margrét, die so zu einer wichtigen Zeugin für die Polizei wird. Kurz darauf wird eine weitere Frau ähnlich brutal ermordet.

Es ist der erste Fall, der Kommissar Huldar als leitendem Ermittler übertragen wird. Ein extrem schwieriger Fall, da es keinerlei Spuren gibt und auch keine Zusammenhänge zwischen diesen beiden Fällen zu finden sind, obwohl es sich um den selben Täter handeln muss. Beinahe unmöglich ist auch die notwendige Befragung von Margrét, erst die Psychologin Freyja kann ein gewisses Vertrauen zu ihr aufbauen.

Doch was hat der Chemiestudent Karl Pétursson mit diesem Fall zu tun, ein begeisterter Amateurfunker, der plötzlich über einen Zahlensender täglich Meldungen erhält, die nur aus Zahlenreihen bestehen, darunter seine ID und die ID Nummern von zwei ihm völlig unbekannten Frauen? …

Thema und Genre

Der bekannten isländischen Autorin ist hier wieder ein atmosphärisch dichter Thriller mit psychologischem Hintergrund gelungen. Thema sind Adoptionen und davon betroffene Kinder. Es geht aber auch im Kinder als Zeugen oder Opfer von Verbrechen, die nur mit äußerster Zurückhaltung und Fingerspitzengefühl von der Polizei einvernommen werden können. Sehr gut geschildert ist auch die Zusammenarbeit mit Kinderpsychologen in Bezug auf Fragenstellung, Interpretation und Glaubwürdigkeit. Themen, die mehrmals und in unterschiedlichen Settings auftreten, sind Familie, der Verlust der Mutter, Zusammenhalt unter Geschwistern.

Charaktere

Der ermittelnde Kommissar Huldar wurde eher durch Zufall mit diesem Fall betraut und ist so plötzlich der Vorgesetzte seiner bisherigen Kollegen. Ihm ist klar, dass es ihm unbedingt gelingen muss, den Fall zu lösen. Dieses Wissen im Hintergrund verunsichert ihn manchmal, lässt ihn ungeduldig werden und je deutlicher es wird, dass sie alle völlig im Dunkeln ermitteln, weil es kaum Spuren gibt, desto größer wird der innere Druck. „Es war sicher angenehm, ein Berg zu sein, der nie in Schwierigkeiten geriet oder Aufgaben übernehmen musste, denen er nicht gewachsen war.“ (Zitat Seite 182)

Auch wenn er in zwischenmenschlichen Beziehungen etwas tollpatschig agiert, ist er ein insgesamt sympathischer Ermittler, dessen Gedankengänge auf der Suche nach dem Täter und auch die Anstrengungen, aus seinen Leuten ein Team zu bilden, authentisch bleiben.

Der immer ernste, sehr korrekte, an den Folgen seiner gerade stattfindenden Scheidung leidende Ríkhardur ist sein Freund und engster Mitarbeiter, der sich vor allem mit der mühsamen Durchsicht aller Unterlagen und Recherchen beschäftigt. Auf Grund eines Vorfalls mit dessen damals Noch-Ehefrau Karlotta hat Huldar ein stetes schlechtes Gewissen gegenüber Ríkhardur, was auch die Zusammenarbeit beeinflusst.

Die junge Psychologin Freyja hat sich vor kurzer Zeit von ihrem Lebensgefährten getrennt und bewohnt die Wohnung ihres Bruders und versorgt seine Hündin Mollý, während dieser eine Gefängnisstrafe absitzt. Obwohl persönlich noch immer von Hulgar enttäuscht und zornig auf ihn, lernt sie seine Arbeit im Zuge der Ermittlungen schätzen.

Karl Pétursson könnte man als Loser bezeichnen, auch er selbst sieht das so. Durch den Tod seiner Ziehmutter aus der Bahn geworfen, quält er sich irgendwie durch sein Chemie-Studium, trifft sich mit seinen einzigen Freunden Börkur und Halli, ähnliche Einzelgänger wie er selbst. Er gibt jedoch die Hoffnung nicht auf, sein Leben ändern zu können, was ihn für den Leser sympathisch macht. Seine wirkliche Leidenschaft ist der Amateurfunk und als er zufällig einen geheimnisvollen Sender abhört, wo jemand eigenartige Zahlenreihen vorliest, scheint für ihn sein Leben endlich wirklich spannend und abenteuerlich zu werden.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt mit einem Ereignis, das 28 Jahre vor der aktuellen Handlung liegt und wo es zunächst keinen erkennbaren Zusammenhang gibt. Dieses Ereignis ist nur dem Leser bekannt, nicht den ermittelnden Kommissaren, sodass es der Phantasie des Lesers überlassen ist, mögliche Verbindungen zu den aktuellen Verbrechen herzustellen. Dadurch beginnt die Handlung spannend und die Autorin hält diesen Spannungsbogen bis zum Finale und Aufklärung aufrecht. Sie entwickelt mehrere mögliche Lösungen, denen sie auch die Ermittler folgen lässt, um sie dann durch einen Twist als falsch zu erklären und statt dessen neue Varianten anzubieten. Dennoch bleibt die Handlung nachvollziehbar und auch die Erklärung der Lösung des Falles ist stimmig.

Die Sprache ist dem spannenden, sachlichen Genre Thriller angepasst, mit detaillierten Beschreibungen der einzelnen Protagonisten, ihres Lebensumfeldes und auch der örtlichen Gegebenheiten. Bei der Schilderung der Morde ist es ihr wesentlich wichtiger, das verzweifelte Schwanken zwischen Angst und Hoffnung der Opfer zu zeigen, als verbale Blutbäder zu verfassen.

Fazit

Ein spannender Thriller einer bekannten Autorin, die Themen und Charaktere geben dem Plot den notwendigen Tiefgang, um ein umfassendes Lesevergnügen zu garantieren.

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