Entführt: Ein Cold-Case-Team Thriller – Patrick Burow

AutorPatrick Burow
SerieCold-Case-Team
Verlag Indenpendently published
Erscheinungsdatum 3. November 2021
FormatTaschenbuch
Seiten340
SpracheDeutsch
ISBN-13979-8758672679

„Ich finde, wir sollten uns der Sache annehmen. Für den Fall spricht, dass er mit drei Jahren vergleichsweise jung ist.“ (Zitat Seite 24)

Inhalt

Obwohl das Hamburger Cold-Case-Team unter der Leitung von Ex-Staatsanwalt Michael Thomforde den ersten gemeinsamen Fall erfolgreich gelöst hat, ist Polizeipräsident Hauke Beesten nicht gewillt, sie in den aktiven Dienst zurückkehren zu lassen. Im Gegenteil, er verlangt umfangreiche Aktenarbeit, alle alten Cold-Case-Akten müssen gesichtet und erfasst werden. Manchmal verirren sich Besucher in ihre Archivräume, doch Dr. Alexander und Julia Rosenthal kommen bewusst zu ihnen: vor drei Jahren war ihr damals fünf Jahre alter Sohn Finn in einem Freizeitpark auf der Insel Rügen spurlos verschwunden. Alle Suchaktionen waren erfolglos geblieben und die Polizei hat die Ermittlungen längst eingestellt. Für das Cold-Case-Team ist sofort klar, sie haben einen neuen Fall. Ein Fall, der das für ihre unkonventionellen Ermittlungsmethoden und Hartnäckigkeit bekannte Team an seine Grenzen bringt und darüber hinaus. Dr. Rosenthal ist ein erfolgreicher Schönheitschirurg mit einer eigenen Klinik, liegen hier die Hintergründe für die Entführung? Parallel dazu recherchiert die Computerexpertin des Teams, die erst siebenunszwanzig Jahre alte Sasha, intensiv im Darknet, in der dort sehr aktiven Pädophilenszene. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, neue Erkenntnisse bringen erste Erfolge, enden aber doch wieder in einer Sackgasse, denn jemand scheint sie bewusst auf falsche Spuren zu locken. Doch das Cold-Case-Team lässt sich von Rückschlägen nicht stoppen, sie werden den Jungen finden, hoffentlich lebend.

Thema und Genre

In diesem Thriller, der in Hamburg spielt, geht es um Kindesentführung, Tatmotive und Tathintergründe, Ermittlungsarbeit, und die kaum vorstellbare Realität der Aktivitäten im Darknet.

Charaktere

Es sind vier sehr individuelle, unterschiedliche Personen, die auf Grund früherer Misserfolge und Fehlverhaltens zu dieser bunten Gruppe zusammengefasst wurden und ins Archiv versetzt. Doch bei ihren Recherchen werden sie sofort wieder zum aktiven Team, nach den jeweiligen Fähigkeiten im Einsatz, hartnäckig, unkonventionell und gewillt, Erfolg zu haben.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung ist rasant und packend und spielt in der aktuellen Zeit, Rückblenden werden dort eingesetzt, wo es um weitere Details aus der Vergangenheit geht. Es ist kein Wohlfühl-Kriminalroman mit Hamburg-Bezug, denn der Autor war Staatsanwalt und Strafrichter und schildert sehr realistisch und schonungslos die Abgründe der Pädophilenszene im Darknet und die damit verbundenen Tatsachen. Die zwischenmenschlichen Beziehungen, das tägliche, nicht wirklich ernst gemeinte Hickhack der vier Mitglieder des Teams untereinander, die lebhaften Dialoge, trockener Humor in einzelnen Szenen lockern auf, ohne jedoch die Spannungsbogen zu unterbrechen. Die Sprache schildert realistisch und gekonnt den fachlichen Bereich, die Ermittlungen, die psychologischen Untertöne, Actionszenen sind lebendig und spannend. Es ist das zweite Buch einer Serie um das Cold-Case-Team, doch auf Grund von einigen kurzen Erklärungen zum Einstieg lässt sich dieser in sich abgeschlossene Fall auch lesen, ohne den ersten Band zu kennen. Ich vermute allerdings, wer den ersten Fall, „Schuld“, nicht zuvor gelesen hat, wird dies nach der Lektüre des aktuellen Thrillers nachholen.

Fazit

Ein packender, rasanter Thriller, ein realistischer, beklemmender Page-turner, facettenreich, mit einem sympathischen Ermittlerteam aus vier einfühlsam und humorvoll entwickelten Einzelfiguren.

Martin Hais – Generation Z – Dennis Kornblum

AutorDennis Kornblum
Illustratorm-barth-design
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum 26. Oktober 2021
FormatTaschenbuch
Seiten392
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3347358898

„Heute, eine Woche später, war es so weit; endlich würde er ein Statement abgeben. Oft hatte er davon geträumt, in den letzten fünfzehn Jahren hatte er es sich unzählige Male ausgemalt.“ (Zitat Seite 12)

Inhalt

Generation Z, kurz “Z“ genannt, ist ein besonders bei Jugendlichen beliebter Club im Schäbenauer Stadtbezirk Quarrenberg, denn hier sieht man es mit den Alters- und auch anderen Kontrollen nicht so eng. Jetzt, am frühen Morgen, macht sich eine Gruppe auf den Heimweg Richtung U-Bahn, als vor ihnen eine maskierte Figur in einem weißen Schutzanzug auftaucht. Sie lachen, doch nur kurz, den Sekunden später sind die drei Jungen und das Mädchen tot, kaltblütig erschossen. Damit beginnt in dem bisher friedlichen Stadtbezirk Quarrenberg eine Mordserie an Jugendlichen. Die Polizei sucht fieberhaft nach dem oder den Tätern im Drogenmilieu. Die Zettel mit eigenartigen Zitaten, die am jeweiligen Tatort gefunden werden, nehmen sie, im Gegensatz zu Martin Hais, 47 Jahre alt, Psychologe und Fachlektor für Psychologie, nicht ernst. Denn er kennt diese Zitate. Nur die toughe Ina Ruiz, Inhaberin eines Kiosks, glaubt ihm, denn sie und ihre Tochter haben den letzten Anschlag überlebt. Nun muss sie Martin davon überzeugen, gemeinsam weiter zu ermitteln, was aus vielen Gründen ein Problem ist, denn Martin Hais führt ein sehr zurückgezogenes Leben, die Jagd auf Serienmörder, noch dazu in Begleitung einer lebhaften, sehr attraktiven Frau, passt absolut nicht in seinen präzise geordneten Tagesablauf.

Thema und Genre

In diesem psychologischen Thriller stehen nicht die Taten im Mittelpunkt, sondern es geht um die Auslöser, Erfahrungen und vielschichtigen Hintergründe, die Menschen zu Tätern machen können. Gleichzeitig erhalten wir Einblicke in den Alltag von Menschen mit Asperger-Autismus.

Charaktere

Martin Hais hat Psychologie und Germanistik studiert und arbeitet selbstständig als Fachlektor für Psychologie. Siebenundvierzig Jahre alt, hat er sein Leben als Asperger-Autist nach seinen Bedürfnissen eingerichtet. Soziale Interaktionen müssen genau geplant werden, plötzliche Veränderungen sind ein Problem.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird chronologisch erzählt und die personale Erzählform stellt abwechselnd die Hauptfiguren in den Mittelpunkt, wobei der Schwerpunkt im gesamten Handlungsverlauf auf Martin Hais liegt. Die genauen Schilderungen, die sich durch seine besonderen Wahrnehmungen, Beobachtungen und klar strukturierten Tagesabläufe ergeben, ergänzen den spannenden Handlungsbogen, ohne ihn zu unterbrechen. Die Gewalttaten sind aus Sicht und Gedanken der Tatperson beschrieben, präzise Momentaufnahmen. Auch hier geht es um die Gefühle, die in diesen Situationen entstehen, auf allzu blutige Details wird verzichtet. Im Laufe der Ereignisse wird aus Vermutungen Gewissheit, doch die Handlung bleibt weiterhin spannend, logisch und nachvollziehbar. Dies liegt auch an den komplexen und sehr breit gefächerten psychologischen Themen, die immer präsent sind.

Fazit

Ein psychologischer Thriller mit interessanten, unterschiedlichen Protagonisten, bei dem es um Serienmorde und deren Verhinderung geht, vor allem jedoch um die vielschichtigen menschlichen Beweggründe und Themen wie Ausgrenzung, Vorurteile, aber auch Freundschaft, Beziehung, Liebe.

Gesammelte Werke“ von Lydia Sandgren

AutorLydia Sandgren
Verlag mareverlag
Erscheinungsdatum 12. Oktober 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten880
SpracheDeutsch
ÜbersetzungStefan Pluschkat
Karl-Ludwig Wetzig
ISBN-13978-3866486614

„Das Leben führt einen von einer Weggabelung zur nächsten, und an jeder wählt man zwangsläufig eine Richtung. Man kann sich nie nicht entscheiden. Da auch das Nicht-Entscheiden eine Entscheidung ist.“ (Zitat Seite 768)

Inhalt

Cecilia Berg ist vierundzwanzig Jahre alt, als ihre Tochter Rakel zur Welt kommt, einunddreißig bei der Geburt von Sohn Elis. Dreiunddreißig Jahre ist sie alt, als sie im April 1997 ihre Doktorarbeit erfolgreich abschließt. Etwa zwei Wochen später, an einem Samstagmorgen, wecken die Kinder ihren Vater, Martin Berg, und fragen, wo die Mama sei. Auf ihrem leer geräumten Schreibtisch findet er einen Brief, in dem sie ihm mitteilt, dass sie ihre Familie verlassen hat. Inzwischen sind fünfzehn Jahre vergangen, der Göteborger Verlag Berg & Andrén bereitet die Fünfundzwanzigjahrfeier vor, der Verleger Martin Berg selbst wird demnächst fünfzig Jahre alt, trägt weiterhin seinen Ehering, doch Cecilia ist noch immer verschwunden. Eine deutsche Lektorin empfiehlt Martin den Roman „Ein Jahr der Liebe“, er solle ihn sich ansehen und überlegen, ob er die schwedische Übersetzung nicht in seinem Verlag herausbringen wolle. Martin bittet seine Tochter Rakel, die nach ihrer Studienzeit in Berlin sehr gut Deutsch spricht, den Roman zu lesen und ihm ihre Meinung dazu zu sagen. Rakel hat, obwohl sie sich für ein Psychologiestudium entschieden hat, eine große Begabung für Literatur und Sprachen. Zuerst desinteressiert, beginnt Rakel dann doch, das Buch zu lesen und plötzlich verändert sich ihr ganzes Leben.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Literatur, Malerei, Künstlerleben, den Schreibprozess, Schriftsteller, um lebenslange Freundschaften, um Beziehungen, Familie und Liebe.

Charaktere

Martin Berg ist Verleger und der Wunsch, selbst ein Buch zu schreiben, zieht sich in Form von zahlreichen Entwürfen, Texten und Notizen dazu durch sein bisheriges Leben. Rakel studiert Psychologie und ihr Leben ist vom Verschwinden ihrer Mutter geprägt und der Frage nach dem Warum. Gustav Becker ist Martins bester Freund und Vertrauter seit Studienzeiten, Patenonkel von Rakel, doch ihre Lebenswege verlaufen seit Jahren völlig unterschiedlich. Gustav Becker ist ein erfolgreicher Maler und ein Künstler mit einem exzentrischen Lebenswandel.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman umfasst mehrere, abwechselnd erzählte Geschichten: die intensiv gelebte Studienzeit des jungen Martin Berg in der Künstlerszene der 1980er Jahre in Göteborg und Paris, zusammen mit seinen Freunden Gustav Becker und Per Andrén, mit dem er später den Verlag gegründet hat, die Zeit seiner Ehe und seine Versuche als Schriftsteller, sowie seine arbeitsintensive Tätigkeit als Verleger, die brillante, ehrgeizige Cecilia Berg als Studentin, junge Ehefrau und Mutter, der Verleger Martin Berg in der aktuellen Zeit, kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag und dem fünfundzwanzigjährigen Verlagsjubiläum, seine nun erwachsene Tochter Rakel, ihre Kindheitserinnerungen, ihr Leben als Studentin und die aktuellen Ereignisse. Innerhalb der einzelnen Erzählstränge erfolgen die Ereignisse nicht immer chronologisch, ergänzt werden sie durch Erinnerungen. Unvorhersehbare Wendungen, welche manche Ereignisse aus neuen Blickwinkeln zeigen, uns beim Lesen über mögliche Hintergründe nachdenken lassen, ergeben den packenden Spannungsbogen.

Die auch sprachlich überzeugend erzählte Handlung ist in drei übergeordnete Teile gegliedert und insgesamt siebenundvierzig fortlaufende Kapitel. Der zweite Teil ist nochmals unterteilt. Verbunden werden die einzelnen Kapitel durch Auszüge aus dem Interview, einem Gespräch, das Martin Becker aus Anlass des Verlagsjubiläums mit dem Svensk Bokhandel führt.

Fazit

874 Seiten erzählen vom Leben von Martin Berg, von seiner großen Liebe Cecilia, von den gemeinsamen Kindern Rakel und Elis, von seinem besten Freund, dem bekannten Maler Gustav Becker: 874 Seiten, in die man eintaucht, gebannt versinkt, um irgendwann wieder aufzutauchen, erstaunt, wie spät es inzwischen ist und dass keine einzige Minute dieser großartigen, intensiven Lesezeit langweilig war.

Das Haus im Wald – Mark Dawson

AutorMark Dawson
Verlag Independently published
Erscheinungsdatum 25. August 2021
FormatTaschenbuch
Seiten532
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMarco Mewes
ISBN-13979-8464364707

„Trotzdem fühlte sich der Fall unabgeschlossen an, als würde ein großes, bedeutendes Teil des Puzzles fehlen und das Bild ohne dieses Teil nicht vollendet werden. Er musste nur noch herausfinden, was das war.“ (Zitat Seite 81)

Inhalt

Die Kriminalbeamtin Detective Chief Inspector Mackenzie „Mack“ Jones bereitet zu Hause das Weihnachtsessen vor. Da wird sie zu einem Mordfall gerufen. Ralph Mallender ist zu seinem Elternhaus, einer sehr abgelegenen, weitläufigen Farm, gefahren. Als niemand öffnet, schaut er durch das Fenster und sieht seinen Vater in einer Blutlache auf dem Boden liegen. Er verständigt sofort die Polizei. Hier hat ein weihnachtliches Familienfest mit vier Toten geendet, denn auch Ralphs Mutter  seine Geschwister, die Zwillinge Cassandra und Cameron, sind tot. Es sieht so aus, als habe der aufbrausende, schwierige Cameron zuerst seine Familie und dann sich selbst erschossen. Doch dann ändern einige Indizien die Beweislage, Ralph Mallender wird festgenommen und das Mordes angeklagt. Nun, einige Monate später, beginnt der Prozess gegen ihn und seine Ehefrau Allegra beauftragt den Privatdetektiv Atticus Priest damit, nochmals alle Unterlagen durchsehen, alle Beweise zu sichten und die Zeugenaussagen prüfen. Sie ist davon überzeugt, dass ihr Ehemann die Morde nicht begangen hat. Es ist sein erster Fall als Privatdetektiv, denn zuvor war er Ermittler bei der Kriminalpolizei und Mack seine Vorgesetzte. Zwei Wochen, mehr Zeit hat Atticus nicht, um etwas zu finden, das seinen Mandanten entlasten könnte, und dem Indizienprozess eine neue Wendung geben.

Thema und Genre

In diesem spannenden Kriminalroman nach klassischem Vorbild stehen der Geschworenenprozess mit Anklage und Verteidigung im Mittelpunkt, die vorhergegangenen Ermittlungen der Polizei und die aktuellen Recherchen des Privatdetektivs Atticus Priest. Es geht um die Suche nach Tatmotiven, Zeugen und Lücken in Zeugenaussagen und in der Beweiskette eines Mordfalls.

Charaktere

Atticus Priest ist, auch auf Grund seines leichten Asperger-Syndroms, einerseits hochintelligent, ein hervorragender Beobachter mit einer präzisen Logik, in persönlichen Bereichen, Beziehungen und sozialen Kompetenzen jedoch unbeholfen. Eine Ausnahme macht nur die enge Bindung zu seinem Hund Bandit. Seine Recherchen sind strukturiert, intensiv, unter Zeitdruck stehend kann Atticus nicht immer die engen gesetzlichen Richtlinien einhalten. Außerdem richtet sich seine Tätigkeit im Sinne seines Mandanten auch gegen die Ermittlungsergebnisse von DCI Mack Jones, mit der ihn für eine kurze Zeit nicht nur die berufliche Zusammenarbeit verbunden hat. Mackenzie „Mack“ Jones ist ehrgeizig, zielstrebig, engagiert, aber ihre Karriere lässt ihr in diesem intensiven Fall zu wenig Zeit für ihre Familie. Ihr Ehemann kümmert sich um die beiden Kinder und ihre Schuldgefühle deswegen setzen sie emotional unter Druck.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt in der Mordnacht zwischen dem 24. und 25. Dezember und geht sofort zu den aktuellen Ereignissen, die Beauftragung von Atticus Priest durch die Ehefrau des Angeklagten und den Beginn des Prozesses über. Durch die breit angelegten Recherchen des Privatdetektivs, sein Studium der Unterlagen, erfahren wir alle Details über die Ereignisse während der vergangenen Monate, über die Ermittlungen der Kriminalpolizei und die Entwicklung dieses komplexen  Mordfalles mit den möglichen Tätern Cameron und Ralph Mallender. Die aktuelle Handlung wechselt zwischen den Prozesstagen und den parallel dazu stattfindenden Ermittlungen des Privatdetektivs, plötzlich ergeben sich neue Möglichkeiten auf beiden Seiten und die Geschichte wird zu einem spannenden Pageturner, bleibt trotzdem immer logisch und nachvollziehbar.

Fazit

Ein spannender, brillant aufgebauter Kriminal- und Detektivroman, in dem die Frage nach der Schuld oder Unschuld des auf Grund von drückenden Indizien des Mordes an seiner Familie Angeklagten auch für den beauftragten Privatdetektiv nicht klar ist. Ein intelligentes, packendes, durch die unterschiedlichen Charaktere auch psychologisch interessantes Lesevergnügen.

Ruck-zuck Gemüseküche – Tanja Braune

AutorTanja Braune
Untertitel120 saisonale Gemüserezepte:
marktfrisch & klimafreundlich
Verlag Kneipp Verlag
Erscheinungsdatum 6. September 2010
FormatBroschiert
Seiten128
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3708805047

 „In diesem Sinne haben wir ein kleines, praktisches Kochbuch gemacht, das zum gesunden Gemüsegenuss ohne großen Zeitaufwand verführt und auch „Nicht-so-gern-Köchen“ zeigt, wie einfach alles sein kann – denn das Leben ist viel zu schön um unnötig lange in der Küche zu stehen.“ (Zitat Seite 5)

Thema und Inhalt

Wie von der Autorin selbst im oben zitierten Vorwort beschrieben, geht es in diesem zeitlosen Gemüse-Genusskochbuch um eine vielfältige Mischung aus insgesamt 120 alten und innovativen Rezepten mit Gemüse. So finden wir Rezepte für Klassiker wie Omas Krautfleckerln und neue Rezepte der mediterranen Küche wie Kohl auf römische Art, Peperonata und Mediterrane Stampfkartoffeln. Originell ist das Grundrezept für das bekannte Kartoffelpüree, zu dem es eine ganze Seite, genau siebzehn, mögliche Abwandlungen gibt. Es sind überwiegend vegetarische Rezepte, was mich persönlich sehr freut, dazu weitere Rezepte, in denen man die vorgeschlagenen Speckwürfel problemlos weglassen kann. Wer sich vor so viel leckerem Gemüse schreckt, kann das Rezept für Paprikahendl probieren, ein Klassiker, modern und trotzdem bodenständig interpretiert. Alle Zutaten für die Rezepte in diesem Buch sind problemlos überall und in der Saison günstig erhältlich, was es sehr positiv von manchen aufwändigen Kochbüchern für Vegetarier und den darin enthaltenen exotischen Zutaten unterscheidet.

Gestaltung

Dem Grundgedanken dieser Rezeptsammlung entsprechend, Gemüse dann zu essen, wenn es Saison hat, sind die Rezepte nach Jahreslauf von Januar bis Dezember gegliedert, jeder Monat hat ein eigenes Kapitel mit den Rezepten zu Gemüsesorten, die gerade auf dem Markt sind. Die Titelseite des Monats zeigt ein Foto einer typischen Gemüsesorte und ist in der passenden Farbe gestaltet. Die Autorin verzichtet auf Fotos der fertigen Speisen, sondern gestaltet die Rezepte klar und sehr ansprechend mit Fotos der verwendeten Gemüsezutaten. Viele Rezepte sind noch mit interessanten Informationen zum Thema ergänzt. Am Schluss des Buches finden sich ein Saisonkalender und 20 Tipps zum klimafreundlichen Kochen von Greenpeace. Claudia Sprinz, Konsumentensprecherin von Greenpeace und selbst eine begeisterte Hobbyköchin, hat ein Vorwort zu diesem Kochbuch geschrieben, dessen Anliegen, 2010 formuliert, heute wichtiger und aktueller sind, denn je. Denn marktfrisches, klimafreundliches Kochen schont den Geldbeutel und die Umwelt.

Fazit

Ein übersichtlich, klar und sehr ansprechend gestaltetes Kochbuch mit bekannten Gemüserezepten aus Großmutters Rezeptsammlung und modernen, ungewöhnlichen, neuen Ideen, die eines gemeinsam haben: sie sind saisonal, schnell, ohne große Aufwände und auch für Alltagsköchinnen und –köche ohne Hauben gut nachkochbar und es schmeckt!

So war’s eben – Gabriele Tergit

AutorGabriele Tergit
Verlag Schöffling & Co.
Erscheinungsdatum 24. August 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten624
NachwortNicole Henneberg
UmschlagbildLesser Ury
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3895614743

„Der Bürger erlebte den Zusammenbruch seiner Ideale, Besitz und Bildung, und fand im Felde seinen Kameraden, den Arbeiter. Das Nationale löste sich aus seiner Verflechtung mit dem Kapitalismus, der Sozialismus entschied sich für die nationale Idee.“ (Zitat Seite 346)

Inhalt

Sie treffen einander zum Damentee, die Frauen der jüdischen Familien, die im Zentrum dieses Generationenromans stehen. Ende der 1890 Jahre sind dies die Gastgeberin Franziska Stern, geborene Kollmann, Roserl, die Frau von Amtsrichter Julius Mayer, Sabine Gutmann, die Schwester des Amtsrichters, Adelina Markus, die Frau des Fabrikanten Manfred Markus. Immer wieder treffen sie einander in diesen Jahren, später sind es ihre Kinder und Enkelkinder. Ihre Schicksale und Beziehungen verbinden sich mit weiteren Familien und Personen, mit der reichen Familie Jacoby und der Bankiersfamilie Beer, aber auch mit der Familie v. Rumke, die zur militärischen deutschen Oberschicht gehört, und mit überzeugten Kommunisten, Künstlern und Journalisten. Am 30. Januar 1933 treffen sie alle nochmals bei einer Wohnungseinweihungsfeier zusammen, dann trennen sich ihre Wege. Mehr als zwanzig Jahre später besucht Grete Jacoby, geborene Mayer, die nun in London lebt, die früheren Freunde und Bekannten in New York, nun ein sehr kleiner Kreis von Menschen, die überlebt haben. „ … und langsam würde dieser Kinderkreis von fünf Menschen aufhören.“ (Zitat Seite 558)

Thema und Genre

Dieser Generationenroman ist ein authentisches Zeitbild der Geschichte Deutschlands zwischen 1890 und den fünfziger Jahren, erzählt durch das Leben und Schicksal der Menschen, die damals gelebt haben.

Charaktere

Es sind die Personen mit ihren Eigenheiten, ihrer Zugehörigkeit, ihrer Erziehung, Tradition, Gefühlen, Träumen und Schicksalen, deren Geschichte erzählt wird, ihr Alltag in diesen für immer die Geschichte prägenden Jahren Deutschlands. Eine der wichtigsten Romanfiguren, Grete Jacoby, ist autobiografisch geprägt.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung ist in fünf Abschnitte eingeteilt, die der Chronologie der geschichtlichen Abläufe entsprechen: Kaiserreich, Krieg, Weimarer Republik, Drittes Reich, Nachkrieg. Die Ereignisse werden nicht erzählt, sondern in langen Gesprächen zwischen den vielen unterschiedlichen Personen der Handlung  geschildert. Ergänzt werden diese politischen, gesellschaftskritischen und tagesaktuellen Dialoge durch ausführliche Beschreibungen des Lebensumfeldes, des alltäglichen Lebens der verschiedenen Gesellschaftsschichten in einer Zeit der Kriege, politischen Umstürze, der Wohnungsnot, der Arbeitslosigkeit, des Hungers, der Verfolgung. Hilfreich ist die Aufstellung aller Personen als entnehmbare Liste in Form eines Lesezeichens, denn es sind insgesamt über siebzig Personen, die einander bei unterschiedlichen Ereignissen treffen bzw. familiär verbunden sind. Die Sprache der auktorialen Erzählform entspricht der Zeit, in der dieser Roman geschrieben wurde. Verlegt wurde nun die ursprüngliche, ungekürzte Fassung, wodurch der Text mit den langen Dialogen und sich wiederholenden Schilderungen der persönlichen Lebens- und Wohnumstände manchmal etwas langatmig wirkt. Andererseits ergibt sich gerade daraus ein lebendiges Bild dieser Zeit, lässt uns nachempfinden, wie es damals eben war.

Fazit

Dieses Buch ist ein umfassendes Zeitbild, geschrieben als Generationenroman, in dessen Mittelpunkt Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stehen und ihr Leben in Deutschland in den Jahren zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Spook Street: Ein Fall für Jackson Lamb – Mick Herron

AutorMick Herron
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 29. September 2021
FormatBroschiert
Seiten464
SpracheDeutsch
ÜbersetzungStefanie Schäfer
ISBN-13978-3257300840

„Du meinst, er hat sich Sorgen gemacht, der Park hätte eine … wie war gleich der Ausdruck, den ich dafür mal gehört habe, eine ‚erweiterte Ruhestandsregelung‘?“ (Zitat Seite 141)

Inhalt

Was an einem sonnigen Januartag in London als fröhlicher Flashmob von Teenagern beginnt, endet in Chaos, Tod und Trauer, als die Bombe hochgeht. Auch die Slow Horses, die Lahmen Gäule von Jackson Lamb, Mitglieder des Geheimdienstes MI5 im geheimdienstlichen Abseits, die ihre Büros in Slough House haben, beginnen zu ermitteln. Doch River Cartwright hat noch weitere Sorgen. Es geht um die Frage, was eigentlich passiert, wenn ein ehemaliges führendes Mitglied eines Geheimdienstes alt wird und damit vergesslich und zunehmend verwirrt. Ist sein Großvater David Cartwright, ehemals die mächtige Nummer Zwei im britischen Geheimdienst, noch in der Lage, alle seine Geheimnisse zu bewahren, oder erzählt er bald jedem seine Lebensgeschichte? Wie wird der Service mit dieser Situation umgehen?

Thema und Genre

In diesem spannenden Spionagethriller geht es um Geheimdienste, Intrigen, Geheimnisse und Entscheidungen, die in der lange zurückliegenden Vergangenheit getroffen wurden und deren Auswirkungen nun die Gegenwart beherrschen.

Charaktere

Die Slow Horses sind ein Team aus sehr speziellen Einzelkämpfern, wobei das Wort Team meistens nicht zutrifft, schon gar nicht auf den schwierigen, exzentrischen Jackson Lamb, der diese Gruppe leitet. Doch wenn Gefahr droht, wird auch er aktiv und zieht die Fäden seiner weitreichenden Verbindungen im Hintergrund. Wer Jackson Lamb und die Slow Horses unterschätzt, macht einen großen Fehler und wer denkt, sie aufhalten zu können, ebenfalls.

Handlung und Schreibstil

Auch dieser vierte Band aus der Serie um Jackson Lamb und seine Slow Horses ist eine abgeschlossene Geschichte. Diesmal stellen die gluckernden Rohre der alten Heizung am Beginn der Handlung alle Mitglieder des Teams und auch die Neuzugänge im Slough House vor und durch diese originelle Art der Vorstellung erhält man alle notwendigen Informationen. Nach dem tödlichen Anschlag im Shoppingcenter Westacres recherchieren auch die Slow Horses intensiv und ehrgeizig, suchen nach der Herkunft und den Motiven für die Tat des Selbstmordattentäters. Doch es gibt einen zweiten Fall mit Ereignissen, die parallel verlaufen und abwechselnd geschildert werden, was die Geschichte zu einem sehr spannenden Pageturner macht.

Fazit

Ein packender, vielschichtiger Spionageroman. Action, elegant-fiese Intrigen, überraschende Wendungen, Humor, großartige Figuren und ebensolche Dialoge und Szenen garantieren spannende Lesestunden.  

Der Silberfuchs meiner Mutter – Alois Hotschnig

AutorAlois Hotschnig
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 9. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462002133

„Unsere gemeinsame Welt war aus ihrem Koffer gekommen, aus einem Buch und aus einer Geschichte über eine Mutter und ihren verlorenen Sohn. Diese Welt war von nun an unser Versteck, und eine ganze Welt als Versteck, das war schon nicht nichts.“ (Zitat Pos. 220)

Inhalt

Gerd Hörvold ist Norwegerin, verlobt mit dem deutschen Soldaten Anton Halbleben. Als sie schwanger wird, ist sie in ihrer Heimat nicht mehr sicher, sie ist die Nazi-Hure und muss Norwegen verlassen. Über Oslo und Berlin kommt sie nach Hohenems, wo sich Antons Familie um sie kümmern soll, so lange er noch im Krieg ist. Doch auch die Menschen hier lehnen sie ab, Anton behauptet, das Kind sein von einem unbekannten Russen und verbietet sich jeden Kontakt. Ende 1942 kommt ihr Sohn Heinz zur Welt, es folgen Kinderheim und Pflegefamilie. 1946 findet die Mutter Heinz durch das Rote Kreuz und sie ziehen nach Lustenau, immer wieder gibt es Unterbrüche durch die Epilepsie seiner Mutter. Die Frage, was damals wirklich geschehen ist, lässt Heinz nicht los, immer wieder begibt er sich auf der Suche nach Antworten auf die Frage, wer er wirklich ist, während er im Leben immer wieder ein eine neue Rolle gleitet. Als Kind und Jugendlicher flieht er in die Geschichten, die er selbst erfindet, später auf der Theaterbühne und im Film als Schauspieler.

Thema und Genre

Dieser Roman erzählt die Suche nach der Wahrheit über die eigenen Wurzeln, über die Geschichte seiner Mutter und die Frage, warum sein Vater und dessen Familie seine Mutter und ihn plötzlich ablehnen. Es geht um das Aufwachsen im ländlichen, engen Vorarlberg nach dem Krieg, um Armut und Vorurteile, um das beharrliche Schweigen einer Generation. Diese Geschichte handelt von den vielen möglichen Varianten von Erinnerung und Wahrheit.

Charaktere

Um von den Menschen, die ihn umgeben, Ruhe zu haben, hat Heinz schon früh gelernt, sich selbst als Rolle zu spielen.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman ist der Monolog eines nun alten Ich-Erzählers, seine Erinnerung in Verbindung mit den Erinnerungen anderer, die sie ihm erzählt haben. Es ist die Geschichte seiner Mutter und zugleich die Geschichte seines eigenen Lebens. Dies verbindet sich mit seinen Gedanken, Gefühlen, den Fragen, die er sich immer wieder stellt, warum er von seinem Vater und dessen Familie plötzlich verleugnet wurde. Seine Erfahrungen vernetzt er später mit den Rollen, die er im Theater und im Film spielt. Es sind harte, raue Bedingungen, unter denen er aufwächst und so ist es auch ein harter, rauer Text, in dem die schönen Erinnerungen und glücklichen Momente rasch von der Realität des Alltags überdeckt werden. Daran ändert sich für mich auch nichts, als gegen Ende noch ein Schwenk in eine mögliche, zweite Variante auftaucht, denn dies bleibt ein Fragment, lose Enden, offene Fragen zwischen Schein und Wirklichkeit. Auch die Sprache ist eine direkte und raue Umgangssprache, manchmal ausufernd, langatmig, wenn das erzählende Ich in den eigenen Gedanken und Geschichten versinkt.  

Fazit

Die als Monolog geschilderte Suche nach der Wahrheit im Leben des 1942 geborenen Ich-Erzählers Heinz Fritz und seiner norwegischen Mutter Gerd. Eine tragische, harte Geschichte eines Lebens voller Lücken, die sich von Heinz trotz seiner intensiven Fragen nicht füllen lassen.

Das Haus auf dem Wasser – Emuna Elon

AutorEmuna Elon
Verlag Aufbau Verlag
Erscheinungsdatum 20. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten360
SpracheDeutsch
ÜbersetzungBarbara Linner
ISBN-13978-3351038410

„Ich selbst hoffe, dass mein Schreiben nicht im Sumpf der Vergangenheit gründet, sondern meine Seele und die Seelen meiner Leser zu dem trägt, was gegenwärtig ist, und was in Zukunft sein wird.“ (Zitat Pos. 122)

Inhalt

Joel Blum, ein preisgekrönter, international erfolgreicher israelischer Schriftsteller, reist mit seiner Frau Bat-Ami nach Amsterdam. Sein holländischer Verleger hat ihn eingeladen und seine Frau überzeugt ihn von der Wichtigkeit dieser Reise, obwohl Joel damit den letzten Willen seiner verstorbenen Mutter missachtet. Diese hatte ihn eindringlich gebeten, nie nach Amsterdam zurückzukehren. Bei dem Empfang, den der Amsterdamer Verlag ihm zu Ehren gibt, fragt plötzlich ein Journalist, ob es wahr sei, dass Joel Blum hier in Amsterdam geboren sei. Damit deckt er ein Geheimnis auf. Denn Joel Blum ist tatsächlich der Sohn einer alteingesessenen Amsterdamer Familie, die im zweiten Weltkrieg nach Israel ausgewandert ist. Damals war Joel ein Baby. Er selbst hat keine Erinnerungen an diese Zeit und seine Mutter hatte auf alle Fragen geschwiegen. Jetzt fliegt er, eine Woche nach diesem Vorfall, wieder nach Amsterdam, diesmal allein. Denn im Jüdischen Museum hatte er einen Film gesehen, eine kurze Sequenz, wenige Minuten, die alles verändert haben. Er begibt sich auf die Suche nach seiner eigenen Vergangenheit und arbeitet gleichzeitig an einem neuen Roman, der dies zum Thema hat.

Thema und Genre

In diesem Roman, der in Amsterdam und Tel Aviv spielt, geht es um die Zeit der Besatzung und Judenverfolgung in Holland, um Familiengeheimnisse und um die Suche nach der eigenen Identität. Gleichzeitig ist auch das Schreiben, die Entstehung einer Geschichte und ihrer Figuren ein Thema.

Charaktere

Joel Blum ist ein bekannter Schriftsteller, ein genauer Beobachter mit vielen offenen Fragen, auf die er nun Antworten sucht. „Doch etwas in ihm sagt ihm, sollte ihm das alles gelingen, würde dieses Buch der Roman seines Lebens werden – nur um diesen Roman zu schreiben, sei er überhaupt ein Schriftsteller geworden.“ (Zitat Pos. 227)

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte ist in vier übergeordnete Kapitel gegliedert, jedes davon ein Notizheft, denn Joel Blum pflegt seine Eindrücke immer in Notizheften festzuhalten, wenn er an einem neuen Romanstoff arbeitet. Seine Tage in Amsterdam füllen sich mit Recherchen, dazwischen schildert er das Leben von Sonia, seiner Mutter, und ihrer Familie in diesen Tagen, an denen immer mehr Juden verhaftet und abtransportiert werden. Immer wieder füllen sich die Straßen, Plätze und Häuser, die er in der Gegenwart aufsucht, für ihn mit den Menschen aus seiner Vergangenheit und auch seine Notizhefte füllen sich. Diese Art des Erzählens macht diese besondere, eindrückliche Geschichte spannend. Ergänzt wird die Handlung durch lebhafte Schilderungen Amsterdams damals und heute, in einer wunderbar zu lesenden Sprache

Fazit

Eine überzeugend erzählte, einfühlsame, packende Geschichte über Familiengeheimnisse und die Suche nach der eigenen Identität als Resultat von Vergangenheit und Gegenwart.

FRAUEN LITERATUR: Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt – Nicole Seifert

AutorNicole Seifert
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 9. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462002362

„Mehr Literatur von Frauen zu lesen, von Schwarzen Menschen, von People of Color, von queeren und anderen marginalisierten Menschen wird an sich nichts an den beschriebenen strukturellen Missständen ändern. Aber es ist eine sehr gute Möglichkeit, das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und Schieflagen zu entwickeln oder zu schärfen.“ (Zitat Seite 57)

Thema und Inhalt

In diesem Sachbuch zwischen Literaturwissenschaft, den Büchern in den Regalen der Buchhandlungen und den Rezensionen in den Medien geht es um das Thema Frauen und Literatur, nicht zu verwechseln mit dem immer wieder anzutreffenden Genre „Frauenliteratur“, ein Begriff, der unnötig ist und endlich gestrichen werden sollte.

Umsetzung

In sieben Kapiteln, jedes mit einer unterschiedlichen Problematik, wird das sehr komplexe Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet, untersucht, dokumentiert. Es sind die Fragen, die sich die Autorin nach der Präsenz der von Frauen geschriebenen Literatur in allen Bereichen, die mit Büchern und Lesen zu tun haben, stellt.  Das achte Kapitel stellt die Frage, wie es nun weitergeht und schließt mit einem Fazit. Ein Quellenverzeichnis und eine Leseliste, in der alle erwähnten Werke aufgelistet sind, ergänzen dieses interessante, klar formulierte und sehr gut zu lesende Buch. Ein Jahr lang wollte die Autorin ausschließlich Literatur von Frauen lesen, es wurden dann drei Jahre. Ihre persönlichen Erfahrungen daraus: „Wir verpassen das Beste, wenn wir in unseren Bücherregalen nicht endlich eine Frauenquote einführen.“

Fazit

Dieses Buch regt zum Nachdenken an, inspiriert und wird sicher auch die jeweilige persönliche Wunsch-Leseliste erweitern. „Dass immer wieder dieselben Titel genannt und dadurch in ihrer Bedeutung übersteigert werden, ist eine traurige Einengung der Auseinandersetzung mit Literatur. Es ist Zeit, dass Bewegung in die Sache kommt.“ (Zitat Seite 52). Dieses Buch ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Todesfalle Rügen: Schwinkas zweiter Fall – Jens-Uwe Berndt

AutorJens-Uwe Berndt
Verlag Hinstorff Verlag
Erscheinungsdatum Februar 2021
FormatTaschenbuch
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3356023497

„Also musste er lernen, seinen eigenen Weg auch dann zu gehen, wenn er zu einem großen Ermittlerstab mit vielen klugen Köpfen gehörte.“ (Zitat Seite 70)

Inhalt

Als wären die steilen Klippen der Kreidefelsen des Jasmund Nationalparks auf der Insel Rügen nicht schon aufregend genug, wird dort nun auch eine Joggerin brutal ermordet. Nur wenige Tage zuvor war bereits in Trent eine Frau auf ähnlich gewaltsame Art getötet worden, was für Kriminaloberkommissar Karsten Schwinka auf einen Serientäter hinweist. Schwinka und sein Team ermitteln intensiv und unter Zeitdruck, denn es besteht die drohende Gefahr weiterer Morde. Kommissar Michael Neumann entdeckt Parallelen zu zwei Frauenmorden im Jahr 1997, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten. Gibt es einen Zusammenhang? Ein Stein wird durch die Glasfront des Wintergartens eines Einfamilienhauses geworfen, eine Warnung. Aber wovor?

Thema und Genre

Auf dem Cover steht „OSTSEEKRIMI“, doch diese Geschichte ist ein packender Thriller, vielschichtig, mit interessanten Charakteren. Themen sind die psychologischen Hintergründe von Persönlichkeitsentwicklungen, Tourismus und Politik.

Charaktere

Seit dem Fall Störtebeker sind erst ein paar Wochen vergangen und seit damals schätzt der als schwierig bekannte Oberstaatsanwalt Pjotr Dückert, dem das Ermittlungsteam unterstellt ist, die präzise Denk- und Arbeitsweise von Karsten Schwinka. Schwinkas Alleingänge schätzt er weniger, aber er vertraut dessen Intuition. Kommissar Michael Neumann dagegen wittert eine neue Chance, durch seine Recherchen im alten Fall von 1997 gegenüber Schwinka brillieren zu können. Eine der Stärken dieses Autors und des Buches sind die unterschiedlichen, vielschichtigen, mit allen Facetten des menschlichen Handelns und Fühlens absolut glaubhaft entwickelten Figuren, er nimmt sich auch Zeit für die zwischenmenschlichen Beziehungen.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in der aktuellen Zeit, wird chronologisch geschildert. Sie beginnt mit dem ersten Mord, somit kennen wir Lesende im Unterschied zum Ermittlerteam von Beginn an den Täter. Dies erhöht die Spannung, denn wir verfolgen die Arbeit Schwinkas und seines Teams mit einem Wissensvorsprung, natürlich ohne zu wissen, was als nächstes passieren wird. Gleichzeitig kennen wir aber auch die Fortschritte der Ermittler, wodurch wir wiederum mehr wissen, als der Täter. Die Fakten und Vermutungen aus den Akten 1997 erfahren wir durch die aktuellen Gespräche und Berichte, somit gleichzeitig mit Schwinka und dem Team. Dieser Aufbau der Handlung macht die Geschichte rasant, nachvollziehbar und spannend.

Fazit

Ein packender Thriller, der wieder auf der Insel Rügen spielt. Auch wer den ersten Band der Serie um den Rügen-Heimkehrer Oberkommissar Karsten Schwinka nicht kennt, wird diese facettenreiche, in sich abgeschlossene Geschichte mit Spannung, Interesse und Vergnügen lesen.

Hier geht’s lang!: Mit Büchern von Frauen durchs Leben – Elke Heidenreich

AutorElke Heidenreich
Verlag Eisele Verlag
Erscheinungsdatum 27. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten192
SpracheDeutsch
ISBN-13‎978-3961611201

„Ich habe das Rüstzeug gelernt, aber mich interessiert viel mehr, Menschen ans Lesen zu bringen, ihnen von Geschichten und Romanen zu erzählen, die ein Stück Welt begreifbar machen, als diese Texte zu analysieren.“ (Zitat Seite 142)

Thema und Inhalt

In diesem Buch schildert Elke Heidenreich ihren Werdegang als Leserin, beginnend mit den ersten Büchern ihrer Kindheit und Jugend. Es sind vor allem Bücher von Frauen, die sie geprägt und dazu geführt haben, dass sie sich auch beruflich immer mit dem Lesen, mit Büchern befasst hat, als Leserin, Rezensentin, Journalistin, Moderatorin und als Autorin. Als Literaturkritikerin hat sie sich selbst nie gesehen, sie sah sich immer als Bücherempfehlerin. „Ich habe mir nie angemaßt, Literaturkritikerin zu sein. Ich wollte wirklich immer nur sagen: Hier geht’s lang … (Zitat Seite 145)

Gestaltung

Die Autorin beschreibt ihr Leben als Leserin chronologisch in folgenden Abschnitten: Das Kind, Das Mädel, Der Backfisch, Die Studentin, Die junge Frau, Die besten Jahre, Heute, Männer. Wobei sich dieses abschließende Kapitel „Männer“ nicht mit den Männern in ihrem Leben beschäftigt, sondern mit Autoren, denn natürlich liest Elke Heidenreich auch Bücher, die von Männern geschrieben wurden. Doch gerade in den Jahren des Heranwachsens, der Suche nach dem eigenen Weg, der Zweifel, waren Bücher von Frauen für sie einfach hilfreicher.

In jedem dieser Kapitel berichtet sie über ihr Leben, besondere Ereignisse, Menschen, die sie kennengelernt hat und die sie beeindruckt haben. Mehr als 100 farbige Fotos und Abbildungen ergänzen die Texte, in deren Mittelpunkt immer die Freude am Lesen steht, die Bücher, die sie im jeweiligen Lebensabschnitt gelesen hat und die sie beeinflusst und geprägt haben. Es sind dies Bücher, die von Frauen geschrieben wurden und die für sie immer wieder richtungsweisend waren. So erhalten auch wir beim Lesen viele neue Anregungen, Bücher, die wir noch nicht gelesen haben, die uns neugierig machen, und mit jeder Seite dieses Buches füllt sich auch die persönliche Wunschliste für den nächsten Besuch in der Buchhandlung.

Fazit

Dieses Buch ist eine kluge, humorvolle Schilderung eines Lebens, das von Büchern und einer nie versiegenden Freude am Lesen geprägt ist und zugleich auch eine Reise durch die Literaturgeschichte. Ein Buch, das man mit Vergnügen immer wieder zur Hand nimmt, das die eigenen Regale weiter mit neuer Lektüre füllen wird und das man sicher nicht nur ein Mal, für sich selbst, kauft, sondern auch mit Freude verschenken wird.

Blaue Frau – Antje Rávik Strubel

AutorAntje Rávik Strubel
Verlag S. FISCHER
Erscheinungsdatum 11. August 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3103971019

„Ich frage die blaue Frau, ob es sich nicht umgekehrt verhalte. Ob nicht das Erzählen vor dem Leben geschützt werden müsse, vor dem Gewöhnlichen, dem Vergessen, dem Vergehen der Zeit.“ (Zitat Pos. 1650)

Inhalt

Adina, geboren 1984 wächst in einem Dorf im tschechischen Riesengebirge auf, in einem im Winter von Touristen besuchten Schigebiet. Am 18. September 2006, sie ist einundzwanzig Jahre alt, fährt sie nach Berlin. Sie besucht Deutschkurse, denn sie will Geowissenschaften studieren. Durch die Fotografin Rickie erhält Adina eine Praktikumsstelle auf einem Landgut in der Uckermark. Razlav Stein hat das verfallene Anwesen gekauft und will ein Kulturzentrum errichten. Den Namen Adina kann er sich nicht merken, er nennt sie Nina. Es ist ein Abend mit wichtigen Investoren, der ihr Leben völlig verändert. Sie flieht nach Helsinki, wo sie den estnischen Professor Leonides Siilmann, der sie liebevoll Sala nennt, kennenlernt. Eines Abends nimmt dieser sie auf einen Empfang mit, wo ihre Vergangenheit sie einholt. Wer ist diese junge Frau mit den drei Namen, die sich selbst jedoch „Mohikaner“ nennt und wer ist die blaue Frau, die ihre Geschichte begleitet und die Ilse Aichinger zitiert?

Thema und Genre

In diesem komplexen Roman geht es um die auch nach dreißig Jahren noch bestehenden mentalen und wirtschaftlichen Grenzen zwischen Ost und West, wobei Finnland das Bindeglied ist. Themen sind Gewalt an Frauen, Traumata, das Wegsehen der Gesellschaft, Ausbeutung, und die Lebensumstände der aus Osteuropa stammenden Menschen im Westen.

Charaktere

Die Autorin formt ihre Figuren, sie geht hart und realistisch mit ihnen um. Es geht ihr die tatsächlichen Umstände, Entscheidungen, Handlungen, Befindlichkeiten, die sie genau beobachtet und präzise beschreibt. Adina ist Opfer, weil es die Geschichte einer Frau ist, die durch ein einschneidendes Erlebnis zum Opfer wurde, die Autorin lässt ihrer Hauptfigur keine Wahl für mögliche andere Entscheidungen. Adinas Stärke zeigt sich, wenn der Mohikaner auftaucht, der in ihrer Jugend irgendwann plötzlich da war, eine Art Alter-Ego und ihr vierter Name.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt in Helsinki, wir folgen Adina als Mittelpunkt der personalen Erzählform, sehen durch ihre Augen die Umgebung, die Gegenstände ihrer Wohnung, aber auch Helsinki und die weiteren Orte der Handlung, immer wieder die genauen Beobachtungen der Natur, der Bäume, präzisiert durch Licht und Schatten. Sie erinnert sich an die Zeit mit Leonides, den sie gerade verlassen hat. Der zweite Teil geht in der Zeit zurück und schildert Adinas Ankunft und Neubeginn in Berlin. Es folgt der dritte Teil mit den Ereignissen in dem Landhaus an der Oder, der vierte Teil beschreibt ihren Weg aus der Uckermark bis nach Helsinki und verbindet sich hier mit der Gegenwart. Ergänzt wird die Geschichte durch Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend. In einem eigenen Erzählstrang taucht immer wieder die blaue Frau auf, sie trägt einen hellen Mantel und ein blaues Tuch. „Wenn die blaue Frau auftaucht, muss die Erzählung innehalten.“ (Zitat Pos. 146). Die Momente dieser Begegnungen werden von einer Ich-Erzählerin geschildert. Die Autorin überlässt es uns Lesenden, diese Figur zu interpretieren, für mich ist es die Idee zu diesem Roman, zur Figur der Adina und zum gesamten Schreibprozess.

Fazit

Ein vielschichtiger, packender Roman mit brisanten aktuellen Themen, mit spannenden Varianten der Erzählperspektiven, mit trotz kleiner Längen sprachlich beeindruckenden Schilderungen, der nachdenklich stimmt und einige wichtige Aspekte der eigenen Interpretation der Lesenden überlässt.

Die nicht sterben – Dana Grigorcea

AutorDana Grigorcea
Verlag Penguin Verlag
Erscheinungsdatum 1. März 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3328601531

„Nun aber will mir scheinen, dass gerade das Gegenteil stimmt, dass also jegliche Reihenfolge einen Sinn ergibt, da es nicht um Ursache und Wirkung geht, sondern nur um eines: Schicksal.“ (Zitat Seite 59)

Inhalt

Eine junge Künstlerin aus Bukarest kehrt nach Abschluss ihres Masterstudiums in Paris in ihre Heimat zurück. Sie besucht ihre Großtante Margot, die sie Mamargot nennt, in der Kleinstadt B., wo sie mit ihrer Familie alle Sommerferien ihrer Kindheit verbracht hatte. Damals war die Villa nur gemietet, nach 1989 wurde das Anwesen an ihre Großtante zurückgegeben. Hier erhofft sich die junge Malerin mehr Inspirationen für ihre Bilder, als an allen anderen Orten der Welt. Doch B. hat sich in den Jahren ihrer Abwesenheit verändert, viele Menschen sind weggezogen, die Häuser dem Verfall überlassen. Als in der Gruft ihrer Familie das Grab von  Vlad Țepeș, besser bekannt als Dracula, entdeckt wird, kehrt die Vergangenheit zurück. Die junge Künstlerin beschließt, die Geschichte des nach Gerechtigkeit und absoluter Ehrlichkeit strebenden, aber auch sehr grausamen Fürsten zu erzählen. Doch plötzlich bekommt der alte rumänische Ausspruch in Bezug auf die Korruption und gesellschaftlichen Zustände im Land „Wo bist du, Țepeș Herr?“ eine völlig neue Dimension.

Thema und Genre

Dieser Roman mit Elementen der klassischen Schauerliteratur ist eine sehr moderne, gleichzeitig aber archaische, atmosphärisch dichte Version einer Vampirgeschichte, verbunden mit der Geschichte Rumäniens und der Menschen in ihren teilweise verlassenen Dörfern.  

Charaktere

Die einzelnen Figuren sind sehr genau beobachtet, die Eigenschaften wurden bewusst gewählt. Die Künstlerin, Ich-Erzählerin, kehrt voll Schwung und Vorfreude zurück nach B., fühlt in sich schon die Bilder, die sie malen wird, zu denen sie der B. der Ort ihrer Kindheit, inspiriert. Doch es sind völlig andere Eindrücke, die sie prägen und verändern.

Handlung und Schreibstil

Die junge Malerin schildert die Geschichte als Ich-Erzählerin. Wir erfahren Details über das Leben einer gut situierten Bukarester Familie während der sorglosen Zeit der Sommerfrische in B. im Kreis vieler Freunde. Gleichzeitig schildert sie die aktuellen Ereignisse, unterbrochen durch die Geschichte des berühmten Fürsten Vlad Țepeș, sein Leben, seine politischen und menschlichen Motive in Fakten und Fiktion, verbunden mit den vielen Legenden um Dracula und Vampire. Die facettenreiche Sprache beschreibt einfühlsam und bildhaft die Figuren und die Schönheit der Landschaft, schildert die Geschichte des berühmten Woiwoden packend, realistisch und die Erlebnisse der Ich-Erzählerin intensiv, dicht, beklemmend, mystisch und sehr spannend.

Fazit

Eine großartig zu lesende Mischung aus moderner, zeit- und gesellschaftskritischer  Interpretation der bekannten Legenden und Geschichte von Vlad III. Drăculea und einem klassischen Schauerroman aus der Blütezeit der Schauerliteratur zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Der Schattenkönig – Maaza Mengiste

AutorMaaza Mengiste
Verlag dtv Verlagsgesellschaft
Erscheinungsdatum 17. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten576
ÜbersetzerinBrigitte Jakobeit
ÜbersetzerinPatricia Klobusiczky
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3423282925

„Er ist ein stiller Mann, der einst eine Nation gegen ein stählernes Ungeheuer anführte, und sie war seine treueste Soldatin: die starke Wächterin des Schattenkönigs. Erzähle es ihnen, Hirut. Jetzt oder nie.“ (Zitat Pos. 85)

Inhalt

Geley und Fasil, die Eltern der jungen Hirut, sind tot. Kidane, ein hoher Offizier des Kaisers Haile Selassie hat ihren Eltern versprochen, sich um ihre Tochter zu kümmern. Er nimmt Hirut als Dienstbotin für seine Frau Aster in sein Haus auf. Mussolinis Truppen sind unterwegs nach Äthiopien, um das Land zu kolonialisieren. Anfang Oktober 1935 rücken die Italiener mit einhunderttausend Mann und stark bewaffnet an. Der Kaiser flieht mit seiner Familie nach England, doch er befiehlt Kidane, trotz des übermächtigen Gegners weiterzukämpfen. Da schreitet Aster ein und ruft alle Frauen auf, ihre Männer als Soldatinnen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln im Kampf zu unterstützen. Auch die Köchin und Hirut erhalten wichtige Aufgaben bei der Versorgung der kämpfenden Männer und der Verwundeten. Als Hirut den Musiker Minim sieht, hat sie eine Idee, doch der Gegner ist einer der grausamsten, brutalsten Offiziere Italiens.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um den Abessinienkrieg Mussolinis von 1935 bis 1941, Rassismus, Völkermord, chemische Massenvernichtungswaffen. Vor allem jedoch geht es um die Solidarität mutiger Frauen aus allen Bevölkerungsschichten, die bereit waren, die Männer als Soldatinnen zu unterstützen. Wichtige Themen sind die Unterdrückung der Frauen durch die Männer, ihre Rechtlosigkeit, aber auch die Frage nach der Mitschuld am Beispiel eines Kriegsfotografen.

Charaktere

Aster, die als junges Mädchen zur Ehe mit dem älteren Kidane gezwungen worden war, ist herrisch und launenhaft, durch den frühen Tod ihres kleinen Sohnes aus der Bahn geworfen. Doch dieser Krieg verändert sie, sie wird zur Soldatin und ruft alle Frauen zum Widerstand gegen die übermächtigen Feinde auf, zeigt ihnen, wie man kämpft, selbst Patronen herstellt. Hirut ist eine Dienstmagd, der Herrschaft ausgeliefert. Doch mutig kämpft auch sie für die Freiheit Abessiniens. „Foto“ Ettore Navarro dokumentiert als Fotograf der italienischen Truppen alle Ereignisse, er sieht nicht die Menschen, sondern die künstlerische Ausdruckskraft seiner Fotografien.

Handlung und Schreibstil

Eingebettet in einen Prolog und Epilog 1974 werden die Ereignisse der Jahre 1935 bis 1941 chronologisch erzählt, ergänzt durch klassische Kommentarstimmen eines Chors im Hintergrund. Sprachlich ist die Geschichte eine Mischung aus Legenden, wie man sie den Nachkommen erzählt, und einem Heldinnenepos. Die Sprache bewegt sich zwischen blumig ausgeschmückt und kantig, knapp in den Schilderungen der brutalen  Szenen, obwohl immer eine tiefe Empathie mitschwingt. Wem es möglich ist, sollte diesen Roman „The Shadow King“ in der englischen Originalsprache lesen. Es liegt nicht an der Übersetzung, aber die englische Sprache kann mit wenigen Worten unendlich viel aussagen und erklären, wo die deutsche Sprache mehrere Sätze braucht und das liest sich dann manchmal holprig. Dies umso mehr, da die Autorin für ihre Geschichte ungewohnte Erzählformen wählt.

Fazit

Eine extrem intensive Geschichte über den brutalen Angriff auf Abessinien durch das faschistische Italien, den mutigen Widerstand der generell unterdrückten Frauen, die hier nicht mehr Opfer sind, sondern zu Soldatinnen werden.

Der perfekte Kreis – Benjamin Myers

AutorBenjamin Myers
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 17. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ÜbersetzungUlrike Wasel
ÜbersetzungKlaus Timmermann
ISBN-13978-3832181581

„In diesen Momenten zerbröckelt die Moderne, und eine Art Zeitreise findet statt. Und heute Nacht, wie in allen vorangegangenen Nachten und jenen, die noch folgen werden, versetzt diese Reise die beiden Männer in die Lage, in nur wenigen schweißtreibenden Stunden etwas zu vollenden, das verblüffen, betören, provozieren und verwundern wird.“ (Zitat Pos. 667)

Inhalt

Seit etwa zehn Jahren kennen Redbone, Anarcho-Punk-Musiker, und der Falkland-Kriegsveteran Calvert einander und sind Freunde. Beide leben im Heute, doch beide sind immer noch dabei, die Erfahrungen ihrer Vergangenheit zu verarbeiten, auch wenn diese aus völlig unterschiedlichen Ereignissen entstanden sind. Es ist ihr dritter Sommer, in dem sie in langen Nächten diese besonderen, mythischen Gebilde schaffen, die Kornkreise, angetrieben durch Verrücktheit, Angst, Spaß, die Wertschätzung der Natur, die Suche nach uneingeschränkter Freiheit und dem Wunsch, den Menschen etwas Besonderes zu zeigen. In diesem Jahr 1989 arbeiten sie auf den Höhepunkt ihres Schaffens hin, ihr Opus Magnum, die Honigwabe-Doppelhelix, ein kompliziertes Muster von perfekter Schönheit, geplant für das Ende des Sommers.

Thema und Genre

Dieser poetische Roman spielt 1989 im ländlichen Südengland. Es geht es um die Achtung vor der Natur, Träume, den Umgang mit der eigenen Vergangenheit, Freundschaft und natürlich um die heimliche Schaffung von Kornkreisen.

Charaktere

„Nähre den Mythos und strebe nach Schönheit“ ist Redbones Lebensziel. Er tüftelt das Design der Kornkreise aus, ist fantasievoll, visionär, kreativ. Calvert ist ein sehr ruhiger Mensch, pragmatisch, diszipliniert, hat langjährige Kampferfahrung aus Auslandseinsätzen. Die wichtigsten Kriterien ihrer nächtlichen Tätigkeit sind für beide absolute Verschwiegenheit unter allen Umständen und die perfekte Schönheit der Kreise.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt im Sommer 1989 und wird chronologisch geschildert. Die Erzählform ist personal und Redbone und Calvert stehen im Mittelpunkt. In diesem Sommer entstehen zehn Kornkreise und jedes Kapitel trägt als Überschrift den Namen des jeweiligen Kornkreises, der in diesem Kapitel entsteht. Doch auch wenn sie versteckt arbeiten und darauf achten, auf keinen Fall entdeckt zu werden, sind sie nicht allein in der Nacht. Sie begegnen sonst kaum sichtbaren Tieren und beobachten nächtliche Partys, Zusammenkünfte, esoterische Gruppen, unterschiedliche Menschen auf ihren nächtlichen Wegen und Abenteuern.

Großartige Schilderungen der Natur und interessante Beschreibungen der einzelnen Kornkreis-Strukturen ergänzen die spannende Frage, ob ihnen dieser eine ganz besondere Kornkreis gelingen wird.

Fazit

Eine poetische, packend und einfühlsam erzählte Geschichte, ein überzeugendes Leseerlebnis.

Drei Kameradinnen – Shida Bazyar

AutorShida Bazyar
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 15. April 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462052763

„Ihr werdet alles, was ich sage, ein wenig anzweifeln und euch vergewissern, dass ihr es besser wisst. Ihr habt vielleicht recht, genauso wie ich. Ich habe recht, und ich habe beim Schreiben manchmal gelogen, okay, aber ich habe trotzdem recht, denn lügen und recht haben, das schließt sich nicht aus, auch bei mir nicht.“ (Zitat Pos. 4193)

Inhalt

Kasih kennt Hani und Saya schon seit ihrer Kindheit und Jugend in einer hauptsächlich von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnten Problemsiedlung am Stadtrand. Inzwischen haben sie studiert, Saya ist beruflich viel auf Reisen, doch ihre Freundschaft ist beständig. Nun treffen sie einander nach sechs Jahren wieder, Saya kommt für einige Tage zu Kasih auf Besuch, da eine gemeinsame Freundin heiratet. Dann kommt diese besondere Nacht, in der Kasih alles niederschreibt, wie es ist, als Deutsche mit den täglichen Diskriminierungen und Vorurteilen zu leben, die sich allein durch das Aussehen ergeben. Es sind Erinnerungen und aktuelle Ereignisse in einer Zeit, in welcher Ausländerhass und Rassismus stärker werden, statt zu verschwinden.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Kraft der Freundschaft, den Alltag von Frauen und Familien mit Migrationshintergrund, um Alltagsrassismus, Rechtsruck in der Politik, Vorurteile und Missverständnisse.

Charaktere

Kasih ist studierte Soziologin, arbeitslos, kritisch und dennoch der Ruhepol zwischen der pragmatischen Hani und der zornigen, aufbrausenden Saya, deren innere Wut und Solidarität dazu führen, dass sie keine Konfrontation auslässt. „Damit war die Diskussion beendet und erst Jahre später, wirklich viele Jahre später, sagen wir, in diesem Jahr, war Saya aufgefallen, dass sie in solchen Diskussionen nie eine Chance gehabt hatte, denn alle, auch sie selbst, sahen ihre Rolle lediglich darin, provozierende Dinge in die Runde zu werfen und allen inbrünstig zu widersprechen, aber ihre Rolle sah nicht vor, recht zu haben.“ (Zitat Pos. 702)

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman besticht neben Inhalt und Handlung durch seine moderne Erzählform, in Verbindung mit einer modernen, aber gleichzeitig eindrücklichen Sprache. Wir Lesende sind „Ihr“, viele von uns sicher die „Weißen“, während die drei Frauen Kasih, Hani und Saya „wir“ sind. Es sind Episoden, Ereignisse, kurze Szenen, die hauptsächlich Kasih als Ich-Erzählerin schildert, Erinnerungen an die Kindheit und Jugend, an ihre Beziehungen als Erwachsene. Eingebettet sind diese Rückblicke, in die ebenfalls knapp und rasch aufeinanderfolgend skizzierten aktuellen Ereignisse innerhalb von wenigen Tagen. Wenn es sich um Situationen handelt, in denen Kasih nicht anwesend ist, wechselt die Autorin in eine personale Erzählperspektive. Diese Vielfalt, die raschen Gedankensprünge, die geballte, zornige Kraft der Aussagen und Inhalte der Ich-Erzählerin machen diesen Roman packend, intensiv, und gleichzeitig regt jede Seite zu neuem Nachdenken an, zu Änderungen der eigenen Erfahrungen und Sichtweisen. Auch ich musste ein persönliches Vorurteil revidieren, denn ich hätte dieses Buch längst lesen können, aber die für mich negative Wortwahl des Titels schreckte mich ab, bis ich durch die Longlist-Broschüre eine längere Leseprobe lesen konnte, zusammen mit mehr Informationen.

Fazit

Eine intensive Geschichte über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, bewusst, oder im Alltag unbewusst, über gegenseitige Vorurteile und Missverständnisse, die einen normalen, unverkrampften Umgang miteinander verhindern. Es geht um eine einfach Frage: Jobsuche, Wohnungsnot, Beziehungen – es sind Probleme, die wir alle kennen, egal, ob unsere Haut etwas heller oder dunkler ist. Warum aber macht das immer noch einen Unterschied?

Todesschmerz: Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez 6 – Andreas Gruber

AutorAndreas Gruber
Verlag Goldmann Verlag
Erscheinungsdatum 13. September 2021
FormatTaschenbuch
Seiten592
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3442491094

„Weil es Dinge gibt, die wir wissen, und Dinge, die wir nicht wissen. Aber es könnte auch Dinge geben, von denen wir gar nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Diese Möglichkeit besteht immer.“ (Zitat Seite 33)

Inhalt

Seit einem Jahr scheint es ein Informationsleck an der Spitze des BKA zu geben und der BKA-Profiler Maarten S. Sneijder arbeitet heimlich und intensiv an den Ermittlungen. Denn es kann sich nur um einen Top-Insider handeln, der die Daten auf nicht-digitalem Weg aus dem BKA bringt. Doch gerade jetzt wird Sneijder mit seinem Team nach Oslo geschickt, die deutsche Botschafterin und ihr Sicherheitschef sind ermordet worden. Allerdings darf Sneijder die Ermittlungen der norwegischen Polizei nur begleitend beobachten, ihm wird Cora Petersen, eine Agentin des BND und Skandinavien-Expertin zur Seite gestellt. Durch einen Zufall kommen sie einem weiteren Mord auf die Spur, einem völlig anderen Fall und doch gibt es Details, die übereinstimmen. Wie hängt das alles zusammen, warum bringt der BND eine seiner Agentinnen nach Oslo und kann Sabine Nemez Maarten S. Sneijder von den für ihn üblichen Alleingängen bei den Ermittlungen abhalten?

Thema und Genre

In diesem Thriller, dem sechsten Band der Serie um den Kripopsychologen und Profiler Maarten S. Sneijder, geht es um Morde in Norwegen, um organisierte Kriminalität und um ein nicht verifizierbares Datenleck im BKA Wiesbaden.

Charaktere

Es sind eigenwillige Figuren, die durch ihre unterschiedlichen Eigenheiten und Vielschichtigkeit überzeugen.

Handlung und Schreibstil

Die aktuelle Handlung wird chronologisch erzählt. Sie beginnt am 23. Mai und dauert nur eine knappe Woche. Ein zweiter Erzählstrang schildert Ereignisse, die in Norwegen bereits ab dem 5. Mai stattfinden und so haben wir als Lesende wesentlich mehr unterschiedliche Informationen, als das Ermittlerteam. Der straffe Zeitrahmen macht die Geschichte rasant und packend, viele überraschende, gefährliche Wendungen sorgen für zusätzliche Spannung. Allerdings verlor dieser facettenreiche Fall durch dieses atemlose Aneinanderreihen, ein Ereignis jagt das nächste, ab einem gewissen Zeitpunkt für mich etwas an Glaubwürdigkeit und Logik. Eine Stärke des Autors sind die Figuren und deren Dialoge, dieser Sprach- und Wortwitz ist pures Lesevergnügen und unterbricht positiv den immer intensiven und sehr hohen Spannungsbogen.

Fazit

Ein brisanter, packender Einsatz bringt das Team von Maarten S. Sneijder diesmal nach Norwegen und führt sie und auch uns Lesende an ihre Grenzen.

Madame Exupéry und die Sterne des Himmels

AutorSophie Villard
Verlag Penguin Verlag
Erscheinungsdatum 13. September 2021
FormatBroschiert
Seiten480
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3328106869

„Als Consuelo, nur Consuelo, die Malerin, die Köchin, die Liebhaberin schöner Künste, die sinnliche Grenzgängerin zwischen den Welten, der alten und der neuen, hatte sie hier niemand wahrgenommen.“ (Zitat Seite 292)

Inhalt

Im September 1930 kehrt die Künstlerin Consuelo Suncin Sandoval de Gómez als junge Witwe in ihre Heimat zurück. Mehr als zehn Jahre hatte sie in Europa gelebt und besonders Paris vermisst sie schon jetzt. Bei einem Empfang in Buenos Aires lernt sie Antoine de Saint-Exupéry kennen, den Flugzeugpiloten und Schriftsteller. Am 22. April 1831 heiraten sie. Eine Verbindung wie eine Naturgewalt, denn trotz der Liebe ist diese Ehe nicht einfach. Consuelo arbeitet einerseits weiter an ihrer eigenen Karriere als Künstlerin, hat einen Freundes- und Bekanntenkreis in den finanziell gehobenen Pariser Gesellschafts- und Künstlerkreisen. Andererseits umsorgt sie Antoine, repräsentiert an seiner Seite als Ehefrau, richtet jede ihrer Wohnungen rasch zu einem behaglichen Heim für ihn ein in der Hoffnung, aus seiner Rast- und Ruhelosigkeit eine neue, glückliche Sesshaftigkeit zu machen. Sie unterstützt seine schriftstellerische Tätigkeit, dennoch nimmt er immer wieder Aufträge als Flugzeugpilot an, die ihn von ihr fort, in fremde Länder und Abenteuer führen. So auch zu diesem Einsatz für seine bedrohte Heimat Frankreich am 31. Juli 1944.

Thema und Genre

Der vorliegende Roman mit biografischem Hintergrund schildert das Leben an der Seite des exzentrischen und erfolgreichen Piloten und Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry aus der Sicht seiner Ehefrau Consuelo, Madame de Saint-Exupéry und basiert auf ihren persönlichen Erinnerungen „Mémoires de la rose“.

Charaktere

Die Ehe zwischen der temperamentvollen Künstlerin aus Mittelamerika und dem exzentrischen französischen Adeligen, dem freiheitsliebenden Piloten und Schriftsteller, verläuft turbulent. Sie umsorgt ihn, unterstützt ihn als Schriftsteller, doch immer wieder wird ihm diese Fürsorge zu eng, er übernimmt Einsätze als Pilot, sie trennen sich, kommen wieder zusammen. Consuelo ist mit den vielen Facetten ihres Charakters nach Meinung der Literaturexperten das Vorbild für viele Hauptfiguren des „Kleinen Prinzen“, nicht nur für die Rose.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt im gemieteten Sommerhaus „The Bevin House“ auf Long Island im Juli 1942. Die Autorin wählt die personale Erzählform, in deren Mittelpunkt Consuelo steht, welche diese gemeinsamen Tage und die Fertigstellung der Letztfassung und Illustrationen der märchenhaften Erzählung  „Der Kleine Prinz“ schildert. Diese aktuellen Tage sind gefüllt  mit Rückblicken und Erinnerungen an die turbulente, intensive Beziehung zwischen Consuelo und Antoine seit dem Tag ihres Kennenlernens. Kurze Textpassagen aus dem Kleinen Prinzen sind manchen Kapiteln vorangestellt, zu denen sie einen gedanklichen Bezug ergeben. Die Sprache schildert lebhaft und ist unterhaltsam zu lesen.

Fazit

Ein interessanter, angenehm zu lesender Roman mit biografischem, realem Hintergrund, in dessen Mittelpunkt Consuelo de Saint-Exupéry steht, die Ehefrau und Muse des Piloten und Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry.

Besichtigung eines Unglücks – Gert Loschütz

AutorGert Loschütz
Verlag Schöffling
Erscheinungsdatum 20. Juli 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3895611575

„Es ist die Liste, die am nächsten Tag in der Genthiner Zeitung abgedruckt wurde, die erste einer ganzen Reihe von Listen, die bereits den Namen enthielt, der mich lange beschäftigen würde, weil es der einzige ausländische war. Buonomo Giuseppe aus Neapel.“ (Zitat Pos. 600)

Inhalt

An diesem 22. Dezember 1939, um 0 Uhr 53, sind die Wetterverhältnisse extrem schlecht und knapp vor dem Bahnhof Genthin prallen zwei Züge aufeinander. Vier entscheidende Sekunden führen zu einem Trümmerfeld mit hunderten Toten und Verletzten und dennoch ist dieses schwere Zugunglück durch die deutsche Geschichte der darauffolgenden Jahre in Vergessenheit geraten. Der Journalist Thomas Vandersee hat seine Kindheit in Genthin verbracht. Als er von einem alten Herrn, der Lisa, die Mutter von Thomas, aus Schultagen vom Sehen kannte, einen Zeitungsartikel über dieses Zugunglück erhält, ist er zunächst nicht interessiert. Doch eine Bemerkung über eine der beiden Unglückslokomotiven, die unter einer geänderten Nummer wieder in Betrieb genommen wurde, ändert alles. Er beginnt zu recherchieren, doch während er versucht, anhand der Akten den Unglückshergang zu rekonstruieren, tauchen eine Reihe weiterer Fragen auf. Carla Finck war in diesem Zug, warum steht ihr Name auf keiner Opferliste? Immer tiefer taucht er in Einzelschicksale ein und gleichzeitig auch in die Vergangenheit der eigenen Familie, in die Geschichte seiner Mutter.

Thema und Genre

Was als Recherche zu einem tragischen Eisenbahnunglück beginnt, erweitert sich in diesem Roman rasch zu den Geschichten von irgendwie mit diesem Zugunglück in Verbindung stehenden Menschen mit ihren Beziehungen, Träumen, Geheimnissen. Es geht um Entscheidungen, Zufälle und den Faktor Zeit, denn es sind immer wenige Sekunden, die alles verändern.

Charaktere

Der Autor nimmt sich Zeit für seine Figuren, er schildert ihr Verhalten und Entscheidungen im Kontext mit der damaligen Zeit. Thomas Vandersee erkennt, dass es die Familiengeheimnisse seiner Kindheit und Jugend sind, die ihn prägen.

Handlung und Schreibstil

Der Roman umfasst fünf große Teile und Thomas Vandersee als Ich-Erzähler ergänzt die Geschichte noch mit seinen persönlichen Erinnerungen. Der erste Teil führt uns in die Gegenwart, in das Leben und den Alltag des Journalisten Thomas Vandersee als Ich-Erzähler, unterbrochen von minutiösen Schilderungen möglicher Hergänge des Zugunglücks, wie auch die Akten unterschiedliche Versionen zur Klärung der Schuldfrage darstellen. Im zweiten Teil geht es um das Leben von Carla Finck, im personalen Mittelpunkt des dritten Teils steht Lisa, die Mutter von Thomas, der vierte Teil trägt den Titel „Aus den Notizheften“, denn Thomas macht sich zu allen Alltagsereignissen Gedanken und füllt damit Notizhefte, die er alle aufbewahrt, weil sie seine Vergangenheit dokumentieren. Der letzte, fünfte Teil bringt nochmals ergänzende Details zu Carlas Leben, einige Fragen werden gelöst, andere bleiben offen und überlassen es uns, darüber nachzudenken. Die poetische, klare Sprache schildert und beschreibt eindrücklich.

Fazit

Dieser facettenreiche Roman ist nicht nur die Besichtigung eines Unglücks, sondern vielmehr eine vielschichtige, intensive Besichtigung von Lebenswegen und folgenreichen Entscheidungen, von Sekunden, die das Leben eines Menschen verändern können.

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