Unter dem Nussbaum – Michael Donhauser

AutorMichael Donhauser
VerlagMatthes & Seitz Berlin
Datum16. Januar 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten508
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3751809917

„Fluchtgedanken ins Gestrüpp./Mit dem Wunsch, es zu verdichten./Seiner Verdichtung sprachlich näherzukommen./(Um dicht im Sinne von undurchdringlich zu sein.)“ (Zitat Pos. 504)

Thema und Inhalt

Diese Sammlung von Lyrik und Prosa 1986 bis 2023 vereint eine Auswahl von bereits in früheren Einzelausgaben veröffentlichten Texten. Teilweise wurden sie neu geordnet und ergänzt durch wiedergefundene Texte, Fragmente und neue Gedichte, die nach 2018 entstanden sind, drei davon sind in hier zum ersten Mal veröffentlicht. Eine weite Themenvielfalt führt durch beinahe vierzig Jahre schriftstellerisches Schaffen, oft sind es Varianten der Natur in allen Jahreszeiten und Zwischenjahreszeiten, manche Titel werden im Lauf der zeit nochmals zum Thema, ergänzt, anders betrachtet. Es geht auch um Kindheitserinnerungen, die Großeltern, sonntägliche Familientreffen, Festtage, das Sarganserland, Reisen, wo der lyrische Erzähler zum lyrischen Ich wird.

Gestaltung

In den Sammlungen „Der Holunder“ und „Die Wörtlichkeit der Quitte“ beobachtet der Schriftsteller einzelne Vögel, aber auch unterschiedliche Bäume, oder den Flug eines Stück Papiers im Wind, Er schaut und lässt seine Gedanken sprachlich weit schweifen. Im Abschnitt „Von den Dingen“ ergeben Beobachtungen eines Gestrüpps oder eines Misthaufens Sprachspiele in allen möglichen und immer neuen Varianten von Deutungen eines Begriffes und der lyrische Pfad führt vom Gestrüpp zum Misthaufen zu den Obstbäumen und gleichzeitig durch die religiösen Festtage des Jahres, Gedichte zwischen Erinnerung, Gegenwart und Vergangenheit. Umfassende Betrachtungen über den Kies sind gleichzeitig Metapher als Philosophie eines Lebens.

„Die Sprache ist eine unterhaltsame Einöde. (Meine leidenschaftliche Unterhaltung: der Kies. Hin und her und weggewischt: bis auf den Staub.)“ (Zitat Pos. 994)  

Venedig im Oktober und Aufenthalte in Frankreich inspirieren Michael Donhauser, seine Eindrücke in Worte zu fassen. Zwei Jahre nach der Verwirrung des Gestrüpps findet sich dann Klarheit in den Reihen der Zypressen in Siena.

Die Lyrik von Donhauser ist nicht in Formen und Reime gepresst, sie entfaltet sich frei. Nicht eingeschränkt durch Zeilenlängen lässt Michael Donhauser seinen Gedanken, die seine Beobachtungen begleiten, Zeit und Raum zur Entfaltung. So werden auch die Grenzen zwischen seiner Lyrik und lyrischen Prosa fließend. Wer ein neugieriges Interesse an den vielen Facetten von möglichen Ausdrucksformen der Sprache hat, wird diese Sammlung genießen.

Fazit

Auch wenn in der Beschreibung des lyrischen Schaffens von Michael Donhauser präzisiert wird, dass es ihm weniger um die Beobachtung geht, als um die Fragen im Zusammenhang des Beobachteten, so ist es doch die hier in sprachlicher Fülle geschilderte Vielfalt der Bewegungen und Erfahrungen in der Natur im Lauf der Jahreszeiten, der Eindrücke auf Reisen, der Stimmungen und Erinnerungen an seine Kindheitsheimat Liechtenstein und das nahe Sarganserland, die uns beim Lesen seiner Texte sofort in den Bann zieht und die Gedankenbilder, Stimmungen, Erfahrungen, Erinnerungen mit unseren eigenen verbindet. En Lyrikband, den man immer wieder in die Hand nehmen wird, um sich darin im positiven Sinne zu verlieren.

Mitten im Tag – Andrea Winkler

AutorAndrea Winkler
VerlagSonderzahl Verlag
Datum30. Januar 2025
AusgabeTaschenbuch
Seiten168
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3854496700

„Man müsste jetzt wirklich hinausgehen, dachte ich, und in die Straßenbahn steigen, so, als wäre man noch nie in die Straßenbahn gestiegen, und hätte all das noch nicht gesehen, was ringsum sich bewegte.“ (Zitat Pos. 82)

Inhalt und Thema

Dieser Prosaband besteht aus zwei Teilen, der erste Teil enthält Erzählungen, der zweite Teil enthält Essays, Beiträge, die auf besondere Einladung zu Vorträgen und Gesprächen mit vorgegebenen Themen entstanden sind und bereits veröffentlicht wurden.

Die auch sprachlich mit unterschiedlichen Ausdrucksformen spielenden Texte umfassen einen vielfältigen Bereich aus intensiven Beobachtungen, verbunden mit eigenen Gedanken, Überlegungen, Abschweifungen in mögliche, imaginäre Fortsetzungen von Situationen.

In den Erzählungen stehen die unterschiedlichen Möglichkeiten des Reisens, der Fortbewegung zwischen Gehen, Wandern und Fahrten mit Straßenbahn und Bahn, der Beobachtung des Verhaltens der Mitmenschen, des Erkundens von Orten und Naturereignissen im Mittelpunkt. In einer Erzählung es um eine beklemmende Theateraufführung, in einer anderen um wehmütige Erinnerungen an die Großmutter.

In den Essays nimmt die Autorin Bezug auf Literatur, denkt über die Einsamkeit auf Buchmessen nach, zitiert für sie prägende Stellen in Erzählungen von Čechov, Tolstoi, Woolf bis zu Grillparzer und Kafka. Auch christliche Mystik aus Vergleichstexten fließt in das weite Spektrum der vergleichenden Beispiele ein.

Fazit

Es sind die vielen Gefühlsfacetten und zeitlos aktuellen Fragen, die diesen anspruchsvollen Erzählband prägen, und daraus ergibt sich eine ungewöhnliche, interessante Leseerfahrung.

Österreichischer Buchpreis 2025

AutorDiverse
RedaktionRamona Geng
VerlagHauptverband
des Österreichischen Buchhandels
Datum3. September 2025
AusgabeBroschüre
Seitenetwa 145
SpracheDeutsch

„Mit der Einführung einer neuen Debüt-Longlist möchte der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels noch mehr Aufmerksamkeit auf österreichische Nachwuchs-Autor:innen und deren Verlage lenken und damit die Sichtbarkeit herausragender Erstlingswerke weiter erhöhen.“ (Zitat aus der HVB-Presseinformation, 3. September 2025)

Thema und Inhalt

Erstmals wurde der Österreichische Buchpreis und der Debütpreis im Jahr 2016 vergeben. Die Longlist 2025 weist zehn Titel auf, welche aus zweiundsiebzig Titeln, eingereicht von neunundvierzig Verlagen, ausgewählt wurden. In diesem Jahr wurde erstmals auch für den Debütpreis eine Longlist erstellt, auf der sich sechs Titel befinden, ausgewählt aus neunundzwanzig Erstlingswerken, die von dreiundzwanzig Verlagen eingereicht wurden. Insgesamt standen einhundertein Titel aus den Bereichen Belletristik, Lyrik, Drama und Essay Auswahl, eingereicht von dreißig österreichischen, vierundzwanzig deutschen und vier Schweizer Verlagen.

Umsetzung

Die Broschüre, die ich in der elektronischen Ausgabe auf dem Kindle lesen konnte, beginnt mit umfangreichen Leseproben aus allen nominierten Büchern. Im Abspann ab Seite 106 folgen die Informationen über die nominierten Autorinnen und Autoren, anschließend werden die Mitglieder der Jury vorgestellt. Ab Seite 126 finden wir die Coverabbildungen der Bücher mit nochmaliger Angabe von Autorin oder Autor, Titel, Verlag, Seitenzahl und Preis. Am Ende der Broschüre findet sich der Bildnachweis. Die jeweilige Einteilung erfolgt in alphabetischer Reihenfolge der Namen der Nominierten, beginnt mit der Longlist, daran schließt die Longlist Debüt an.

Fazit

2025 ist es eine sehr interessante, spannende Mischung, denn diesmal finden sich auch Lyrik, Prosa und zwei Theaterstücke unter den nominierten Titeln. Die ausführlichen Leseproben zeigen die Themenvielfalt, machen neugierig und laden zum Weiterlesen ein.

Jahre zwischen Hund und Wolf -Henning Ahrens

AutorHenning Ahrens
VerlagKlett Cotta
Datum16. August 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten384
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3608966459

„Es dämmerte rasant, der Wind hatte aufgefrischt; dies war die Stunde zwischen Hund und Wolf, die blaue Stunde.“ (Zitat Pos. 334)

Inhalt

Der erfolgreiche Comiczeichner Hardy Espen ist Deutscher, lebt jedoch seit Jahren in einem Haus in der Normandie. Als er im April 2021 eine Todesanzeige einer ihm unbekannten Frau namens Selma erhält, fährt er spontan zum Begräbnis nach Frankfurt. Als er nach wenigen Tagen nach Frankreich zurückkehrt, ist er nicht allein. In der Hand hält er eine Leine und an der Leine hängt sein Erbteil: Brahma, ein alter Golden Retriver. Seine Partnerin Aîné, eine Kunsthistorikerin, die nun einen Blumenladen führt, findet die Rasse knuddelig und so wird Hardy überraschend zum überzeugten Hundehalter. Doch wer ist diese Selma, die ihn offensichtlich kannte und an die er sich nicht mehr erinnern kann? Seine Nachforschungen führen ihn weit in seine Jugendjahre in Kiel zurück. Dies sind nicht die einzigen Fragen, die ihn beschäftigen, denn er findet im Meer die Erkennungsmarke eines deutschen Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg und gemeinsam mit dem Polizisten Vincent versucht er, mögliche Nachkommen zu finden.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Erinnerungen, um festgefahrene Lebenssituationen und Chancen für Veränderungen in jedem Lebensalter, wenn man den Mut dafür aufbringt.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte ist in zwei große Teile mit fortlaufenden Kapiteln gegliedert, Teil eins Hund und Teil zwei Wolf. Die personale Erzählform stellt neben Hardy auch weitere Hauptfiguren in den Mittelpunkt einzelner Kapitel. Die aktuelle Handlung verläuft chronologisch, wird jedoch von Abschnitten unterbrochen, die in der Vergangenheit spielen und frühere Ereignisse im Leben der Hauptfiguren schildern. Henning Ahrens ist ein genauer Beobachter der Menschen und ein angenehmer Erzähler, der sich Zeit nimmt für jede einer Figuren, für ihre Lebenssituation, ihre Gefühle und auch Konflikte.

Fazit

Die Stunde zwischen Hund und Wolf ist die blaue Stunde, die Zeit gegen Ende des Tages, es dämmert, ist aber noch nicht dunkel und es ist eine magische Zeit möglicher Veränderungen. Dies trifft auch auf die Lebenssituation der Figuren dieser Geschichte zu, Hardy, der mit seiner Fantasy-Comic-Serie sehr erfolgreich ist und daher unter dem Druck des Verlages an einem weiteren Band arbeitet, innerlich jedoch über ein völlig anderes Projekt nachdenkt. Da ist Hardys Nachbarin Heloise, für die es Zeit wird, sich nach Jahren von der Urne in ihrem Wohnzimmer zu trennen und eine Entscheidung zu treffen. Da ist auch Vincent Parbleu, Polizist vor dem Ruhestand, ein Jäger und Sammler von Abenteuern mit wesentlich jüngeren Frauen und auch für ihn hält das Leben eine überraschende Wendung bereit. Ein leiser Roman, klug, witzig, charmant.

Zeit der Mutigen – Dimitré Dinev

AutorDimitré Dinev
VerlagKein & Aber
Datum8. September 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten912
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3036950792
 

„Das Wissen allein aber reicht nicht, um sich zu retten. Um gerettet zu werden, braucht man einen Menschen.“ (Zitat Pos. 3922)

Inhalt

Eva trifft als Rotkreuzschwester auf dem Schiff Kulpa im Ersten Weltkrieg eine Entscheidung, die ihr weiteres Leben verändert. In der Donau will sie ihr Leben beenden, doch sie geht dem Fischer Xaver ins Netz. Auch die gemeinsame Tochter Angela muss sich eines Tages entscheiden und damit gibt sie nicht nur ihrem eigenen Leben eine unvorhersehbare Wendung mit weitreichenden Folgen.

Der Tiroler Gymnasiast Leopold meldet sich im zweiten Weltkrieg freiwillig, wird nach Griechenland geschickt, desertiert und lebt bei einer Gruppe Roma in Bulgarien, deren Oberhaupt Gjuro eines Tages einen ungewöhnlichen Gefallen von ihm einfordert. Als Leopold die Gruppe verlassen muss, kehrt er nach Hause zurück. Beide Entscheidungen haben ebenfalls Konsequenzen, die Leben verändern.

Rotarmisten greifen Ende des zweiten Weltkriegs eine Gruppe deutsche Soldaten auf und erschießen sie. Doch einer überlebt mit einer Kugel im Kopf und ohne Erinnerungen. Die unabhängige Schafhirtin Neda nimmt den Verletzten auf und er bleibt. Doch dann muss auch sie eine Entscheidung treffen, da er in Gefahr ist. Um ihn zu schützen, schickt sie ihn zurück an den Ort, wo er vermutlich aufgewachsen ist. Doch in seiner Erinnerung gibt es nur Neda. Das Leben geht weiter, mit neuen Herausforderungen diese Elterngeneration und ihre Kinder und Enkel und es erfordert Mut, den eigenen Weg zu finden und ihm zu folgen.

Thema und Genre

In diesem epischen Generationenroman geht es um europäische Zeitgeschichte mit Schwerpunkt Bulgarien und Roma, Krieg, Diktaturen, Unterdrückung, Widerstand, und den Wunsch der Menschen, ein selbstbestimmtes Leben nach den eigenen Überzeugungen zu führen. Werte wie Freundschaft, Treue, Familie und die Liebe sind wichtige Themen.

Charaktere

Dimitré Dinev nimmt sich viel Zeit für seine Figuren, er stellt jede detailliert und einprägsam vor, da er bereits mit Schilderungen der Kindheit beginnt. So füllt er sie mit Leben und folgt ihnen mit Empathie durch Konflikte, Probleme und Gefahren. Dadurch werden ihre Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar, wobei er seine Figuren schon im frühen Kindesalter aus traditionellen Rollenbildern löst, Frauen folgen selbstbewusst den Berufen ihrer Väter, treffen ihre eigenen Entscheidungen und kämpfen dafür in einer Zeit, als dies weder selbstverständlich noch einfach ist.

Erzählform und Sprache

Der Roman ist in große Teile gegliedert, deren Titel immer auch einen realen oder metaphorischen Bezug zur jeweiligen Handlung haben. So trägt der erste Abschnitt, in dem es um Eva und Xaver geht, die Überschrift „Wasser“. Jeder Teil folgt den Ereignissen einer der Hauptfigurengruppen und so ergeben sich lange Erzählstränge voller Leben und in einer packenden, einprägsamen Dichte, denn der Autor überzeugt auch durch seine fließende, bildintensive Erzählsprache.

Fazit

„Einen Freund kann man immer brauchen. Willst du mitmachen?“ (Zitat Pos. 15510) Mit diesem Satz endet dieser Roman, der neben einer spannenden Handlung, überzeugenden Figuren, und zeitlos aktuellen Themen auch interessante Einblicke in die nahe Vergangenheit Bulgariens bietet, ein Land, über dessen Geschichte ich bisher wenig wusste. Dieser letzte Satz und die darin enthaltene Aussage umfasst den Kerngedanken der Schicksale, die hier beeindruckend erzählt werden.

Verschworen: Ein Island-Krimi – Eva Björg Ægisdóttir

AutorEva Björg Ægisdóttir
VerlagKiepenheuer & Witsch
Datum
Ausgabe
Seiten
SpracheDeutsch
ISBN-13

„Die Wand war blutverschmiert, und man musste kein Experte sein, um zu sehen, dass die Worte zur Situation passten, egal, ob sie sich auf Þorgeir oder den Täter bezogen.“ (Zitat Pos. 517)

Inhalt

Am Dienstag, den 8. Dezember, wird in einem Sommerhaus die Leiche des einundvierzigjährigen Softwareingenieurs Þorgeir entdeckt. Er ist seit einigen Tagen tot und war durch mehrere Messerstiche brutal ermordet worden. An die Holzwand wurde mit einem schwarzen Filzstift eine Zeile aus einem isländischen Kirchenlied geschrieben. Für die Kommissarin Elma ist es der erste Fall nach der Babypause und er verlangt sofort ihren intensiven Einsatz. Die zunächst rätselhafte Inschrift führt zurück in den Sommer 1995, wo im beliebten Ferienlager des Christlichen Vereins in Vatnaskógur ein Junge ertrunken war. Die Ermittlungsunterlagen endeten damals rasch mit der Feststellung, es sei ein Unfall gewesen, doch jemand sieht dies anders. Auch Elmas Ehemann Sævar, der nun in Elternzeit auf die gemeinsame Tochter Adda aufpasst, beginnt heimlich zu recherchieren. Denn beim Leeren der Umzugskartons entdeckt er einen Karton, der noch von den Vorbesitzern ihres Hauses stammt, und darin befindet sich ein Tagebuch mit Einträgen aus genau diesem Sommer 1995.

Thema und Genre

Dieser Kriminalroman ist der fünfte Band der Serie „Mörderisches Island“ mit dem Ermittlerteam Hörður und Elma. Es geht um Geheimnisse und prägende Erlebnisse der Jugendzeit, und ein Verbrechen, das nun, fünfundzwanzig Jahre später, gerächt wird.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird in drei Handlungssträngen erzählt, die einander abwechseln und jeweils durch die Zeitangabe oder den betreffenden Namen in der Überschrift einfach zuzuordnen sind. Eine Erzählebene ist der Sommer 1995, der zweite Teil betrifft die Ereignisse in Þorgeirs Leben bis zu seinem Tod und im dritten Handlungsstrang geht es um die aktuellen Ermittlungen. So ergeben sich für den Leser parallel zu den Erkenntnissen der Polizei weitere Details und Hintergründe, damals und heute. Es wird jedoch nie mehr verraten, als die Informationen, welche das Ermittlerteam durch Recherchen und Gespräche erfährt. So bleibt dieser Kriminalroman offen für eigene Überlegungen und überraschende Wendungen, wobei der aktuelle straffe Zeitrahmen vom 8. bis zum 23. Dezember für zusätzliche Spannung sorgt.

Fazit

Ein Nordic Noir Kriminalroman in einem düsteren Ambiente, dessen Rätsel, einprägsame Figuren und gesellschaftskritische Themen für ein facettenreiches, packendes Lesevergnügen sorgen.

Das glückliche Leben – David Foenkinos

AutorDavid Foenkinos
VerlagKiepenheuer&Witsch
Datum4. September 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ÜbersetzerChristian Kolb
ISBN-13978-3462007923

„Es regte sich etwas Besonderes in ihm, das man spürt, wenn man in eine fremde Stadt kommt und sie einem gleich vertraut erscheint oder wenn einem eine Person zum ersten Mal begegnet und man im Nu eng mit ihr verbunden ist.“ (Zitat Pos. 1430)

Inhalt

Éric Kherson, ehemaliger Geschäftsführer eines Sportartikelherstellers, war im Mai 2017 in das Team einer alten Schulfreundin und jetzt Staatssekretärin Amélie Mortiers, gewechselt. Doch irgendwie ist er noch nicht in seinem Leben angekommen. Das Jahr 2020 beginnt mit einem für die französische Wirtschaft extrem wichtigen Geschäftstermin in Seoul. Doch ausgerechnet bei der entscheidenden Präsentation ist Éric verschwunden und Amélie muss den Termin allein wahrnehmen. Denn Éric hat zufällig eine besondere Einrichtung entdeckt, Happy Life, und das Angebot, sein eigenes Begräbnis als inszeniertes Ritual zu erleben, verändert seinen Blick auf sein Leben. Er ordnet seine Beziehung zu jenen Personen, die im wichtig sind, vor allem zu seinem Sohn, und bringt das Konzept von Happy Life unter dem Namen Lycoris erfolgreich nach Frankreich.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Neubeginn, Psychologie, die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit, Entscheidungen und ihre Konsequenzen, Familie und die Liebe.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt. Der erste Teil zeigt Érics Werdegang und sein Leben bis zu diesem entscheidenden Ereignis in Seoul 2020. Im Mittelpunkt stehen Éric und Amélie. Im zweiten Teil geht es um Érics weitere Geschichte bis in das aktuelle Jahr 2024 und parallel dazu erzählt der dritte Teil Amélies Leben ab Seoul 2020, bis sich ihre Wege im Jahr 2024 wieder kreuzen. Die Erzählform trägt Elemente eines auktorialen Erzählers, mit erklärenden Fußnoten vertieft er den Blick auf einzelne Szenen oder ein besonderes Verhalten seiner Figuren. Die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsroman.

Fazit

Ich habe bereits Bücher von David Foenkinos gelesen, doch mit diesem modernen Selbsthilfe-Roman hat er mich nur teilweise erreicht. Der erste Teil beginnt etwas behäbig und hat Längen. Von der Umsetzung dieses interessanten, wichtigen Themas hatte ich mehr Tiefe und im Verhalten der Figuren etwas weniger erkennbare Konstruktion erwartet. Ein Wohlfühlroman, der Frankreich begeistert hat und auch hier in der deutschen Übersetzung begeistern wird, mich hat er unterhalten, aber nicht überzeugt.

Der Italiener – Arturo Pérez-Reverte

AutorArturo Pérez-Reverte
VerlagFolio Verlag
Datum5. September 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten416
SpracheDeutsch
ÜbersetzerCarsten Regling
ISBN-13978-3852569192

„Das nächste, ein paar hundert Meter vom Ufer entfernte Haus, war ihr eigenes: klein, einstöckig, von Palmen und Bougainvilleen umgeben. Sie beschloss, den Mann dorthin zu bringen und ihm zu helfen, bevor sie die Behörden informierte. Und dieser Entschluss veränderte ihr Leben. (Zitat Pos. 58 – 66)

Inhalt

Im Winter 1981 erweckt ein Buch über Gondeln in der Auslage der Buchhandlung Olterra das Interesse eines spanischen Journalisten auf Urlaub, der Venedig besucht. Die Buchhändlerin ist Spanierin, lebt jedoch seit fünfunddreißig Jahren in Italien. Zwei gerahmte Fotografien an einer Wand der Buchhandlung erwecken das Interesse des Journalisten. Er beginnt zu recherchieren, forscht in Archiven und sucht nach Menschen, die bereit sind, ihre Erinnerungen mit ihm zu teilen. So enthüllt sich ihm Schritt für Schritt die Geschichte der italienischen Kampfschwimmereinheit DECIMA MAS und deren geheime Aktionen gegen britische Schiffe in der Bucht von Gibraltar. Erst vierzig Jahre später, als aus dem jungen Journalisten ein Schriftsteller geworden war, wird ein Buch aus dieser Geschichte, die damit beginnt, dass der Hund der Buchhändlerin Elena Arbués am Strand einen schwer verletzten Taucher findet, den sie rettet.

Thema und Genre

In diesem Spionageroman, basierend auf reale Ereignisse während des zweiten Weltkrieges, geht es um eine geheime italienische Tauchereinheit, die in der Bucht von Gibraltar englische Schiffe sabotierte. Themen sind jedoch nicht nur Krieg, Spionage, Gegenspionage, Verrat und lebensgefährliche Einsätze, sondern auch die Schicksale der Menschen und um eine ebenso gefährliche Liebe zur falschen Zeit am falschen Ort.

Erzählform und Sprache

Der Journalist und Schriftsteller schildert die Geschichte seiner persönlichen Recherchen und die Gespräche mit Beteiligten als Ich-Erzähler. Diese Passagen wechseln sich mit dem zweiten Erzählstrang ab, der die Ereignisse in der Bucht von Gibraltar um 1942 und 1943 direkt schildert. Die Fakten im Hintergrund sind real, doch daraus ist eine eigene Geschichte, dieser Roman entstanden. „Wir sind an einem Punkt in dieser Geschichte angelangt, an dem die Fakten der Fantasie weichen: ein leerer Raum, der sich – trotz der Bedeutung der späteren Ereignisse – nur mit Vermutungen füllen lässt.“ (Zitat Pos. 2302) Die flüssige, elegante Sprache besticht durch bildintensive, lebhafte Schilderungen und erzählt in einer Palette zwischen einfühlsam beobachtend und sehr packend.

Fazit

Ein spannender, vielseitiger, interessanter Spionageroman, den man gebannt und mit Vergnügen liest.

Man sieht nur mit der Schnauze gut: Aspro ermittelt – Bernhard Aichner

AutorBernhard Aichner
VerlagHaymon Verlag
Datum4. September 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3709982662

„Eine Diebstahlserie erschüttert das kleine Dorf, in dem wir wohnen, jeder ist verdächtig, aber es gibt keine Spur. Von Tag zu Tag wird also klarer, dass die Chefin Hilfe braucht. Meine Hilfe.“ (Zitat Pos. 66)

Inhalt

Aspro versteht nicht genau, was da passiert ist. Es gibt doch genaue Regeln beim Stöckchenspiel, der Chef wirft, er holt – doch diesmal läuft etwas schief. Plötzlich ist da ein greller Blitz, ein unerklärbar gewaltiger Knall und jetzt liegt der Chef in einer grauen Kiste, überall Polizei. Der Hund ist durstig, müde, ihm ist kalt. Doch er hat Glück, eine junge Polizistin sieht ihn und nun hat er eine neue Chefin, ein neues Zuhause und einen neuen Namen, „Aspro“. Seine Chefin nimmt ihn mit auf das Revier und damit ist er ein Undercover-Polizeihund. Denn er ist eine großartige Spürnase, er deckt Diebstähle auf und Lügen kann er sofort riechen. Aspro versteht wesentlich mehr von den Menschen, als man von einem Hund erwarten würde, auch wenn er sich öfter mal über deren Verhalten wundert. Doch er spürt genau, wo seine Hilfe gebraucht wird und es Zeit ist für einen neuen Einsatz mit vielen Streicheleinheiten als Belohnung, im Idealfall in Verbindung mit Leberwurst.

Thema und Genre

In diesem besonderen Kriminalroman erklärt uns der seiner Meinung nach beste Spürhund die Polizeiarbeit und die Menschen.

Erzählform und Sprache

Aspro ist ein Hund, ein guter Hund, wie er betont, also beobachtet er und schnüffelt sich durch die Welt mit den Gedanken eines Hundes. Er schildert seine Abenteuer, die manchmal nicht so guten Ideen (wer kann schon widerstehen, wenn die Nase ganz laut „Wurst“ ruft) chronologisch, im Kreis der Jahreszeiten, und nimmt uns mit ein zufriedenes, spannendes, meistens abwechslungsreiches Hundeleben.

Fazit

Ein liebenswerter, unterhaltsamer Roman über einen liebenswerten, großartigen Schnüffler im Einsatz.
 

Deutschland im Ernstfall – Ferdinand Gehringer, Johannes Steger

AutorFerdinand Gehringer
Johannes Steger
VerlagHOFFMANN UND CAMPE VERLAG
Datum5. September 2024
AusgabeBroschiert
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3455021080

„Mit diesem Buch wollen wir politische Entscheidungsprozesse, gesellschaftliche Reaktionen und infrastrukturelle Herausforderungen skizzieren, um Denkraum zu schaffen und Vorbereitung zu fördern.“ (Zitat Pos. 41)

Thema und Inhalt

„Was passiert, wenn wir angegriffen werden“ lautet der Untertitel dieses Sachbuchs, wobei die Autoren die Expertenmeinung, dass Raketen- und Bombenangriffe auf Deutschland veraltete Vorstellungen von Krieg sind, als Ausgangslage für ihre Recherchen nehmen. Da überall Formen von IT eingesetzt werden, sind es heute Bedrohungen durch Cyberangriffe auf wichtige Infrastrukturen, digitale Spionageaktivitäten und entsprechender Drohneneinsatz, Sabotageangriffe auf wichtige Infrastrukturen. Daraus ergibt sich die Frage nach dem aktuellen Stand von Deutschlands Sicherheit und Notversorgung, und die damit verbundenen Überlegungen, was passieren würde, wenn kritische Infrastrukturen wie Energie, Wasser, Telekommunikation ausfallen. Mit diesem Buch sollen keine Ängste geschürt werden, sondern die unterschiedlichen, präzise formulierten und behandelten Themen laden zum Nachdenken über mögliche zukünftige Szenarien ein.

Umsetzung

Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der Ausgangslage an einem Tag in der Zukunft und behandelt Begriffe wie Spannungsfall und Gesamtverteidigung.

Im zweiten Abschnitt geht es um die betroffene Infrastruktur Verkehr und Logistik und die Auswirkungen. Auch die Frage, wer Entscheidungen trifft, wird mit den entsprechenden Verordnungen erklärt.

Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit dem brisanten Thema Demokratie, Medien, Meinungsfreiheit, Informationen und breit gestreute Desinformationskampagnen.

Im vierten Abschnitt geht es um die wichtige Versorgung mit Energie und Wasser, die Aufgaben der Komunen und den Schutz kritischer Infrastrukturen.

Der fünfte Abschnitt geht noch einen Schritt weiter und skizziert den eintretenden Verteidigungsfall auf Grund der Eskalation im Osten und nimmt eine theoretische Invasion ins Baltikum als Beispielszenario. Nun geht es um Wehrdienst, Schutzräume, Warnsysteme und die Frage, wie der neue Alltag in Deutschland in diesem Ernstfall aussehen könnte.

Der sechste Abschnitt schließt den komplexen Themenkreis und kehrt zu diesem fiktiven Tag in der Zukunft zurück und zitiert als essenzielle Voraussetzungen für das Verhindern von Katastrophen im Ernstfall die Stärkung einer gesamtgesellschaftlichen Resilienz in Verbindung mit Vorsorge und Solidarität.

Fazit

Es ist das Anliegen der Autoren und der vielen befragen Experten, sachlich anhand von anschaulichen Beispielen aus unterschiedlichen Perspektiven die möglichen Auswirkungen auf uns alle aufzuzeigen. Hier wird keine Panik durch Fake-Informationen verbreitet, aber auch nicht beschönigend eine falsche Sicherheit zitiert. Dieses Buch fordert uns auf hinzuschauen und über diese Themen nachzudenken, denn eventuell auftretende Krisensituationen können nur mit einer gemeinsamen Anstrengung aller gemeistert werden. „Eine Einladung zum Nachdenken über den Ernstfall.“ (Zitat Pos. 55)
 

Alle meine Meere – Laia Aguilar

Autor Laia Aguilar
VerlagThiele & Brandstätter
Datum21. August 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3851795806

„Am Ende ging man davon aus, dass Julieta ertrunken und ihre Leiche ins offene Meer hinausgetrieben worden war. In ihrer Familie wurde nie mehr über den Vorfall gesprochen.“ (Zitat Pos. 33)

Inhalt

Greta ist elf Jahre alt, als sie und ihre vier Jahre jüngere Schwester Julieta mit anderen Kindern am Strand spielen, auf Formentera, wo sie jeden Sommer verbringen. Greta kommt auf die Idee, mit Julieta nach dem verschollenen Schatz der Piraten zu suchen, von dem ihnen ihre Großmutter Matilde schon oft erzählt hat. Plötzlich ändert sich das Wetter dramatisch und dann sitzt Greta allein am Strand, ihre Schwester Julieta bleibt trotz einer sofortigen, großen Suchaktion verschwunden. Seit zwanzig Jahren ist Greta nicht mehr auf Formentera gewesen, doch die Ereignisse von damals sind immer noch tief in ihren Gedanken verwurzelt. Nun ist sie zurück auf der Insel, denn ihre Großmutter Matilde, inzwischen über neunzig Jahre alt, ist schwer krank. Auch Gretas Mutter Helene ist zurückgekommen, und die beiden Frauen kümmern sich abwechselnd um Matilde, gehen einander jedoch konsequent aus dem Weg. Das Schweigen zwischen ihnen dauert schon viele Jahre lang an, wird es Matilde gelingen, dass sie wieder miteinander reden? Kann Greta endlich mit den Ereignissen von damals abschließen?

Thema und Genre

In diesem Familienroman geht es um Verlust, Schuld, Geheimnisse, Schweigen. Weitere Themen sind die Insel Formentera und die alten Legenden und Mythen dieser Insel.

Erzählform und Sprache

Die aktuelle Handlung wird von den drei Hauptfiguren Greta, Helena und Matilde abwechselnd erzählt und der Ablauf ist chronologisch. Damit verbunden sind die unterschiedlichen Erinnerungen der Frauen, Gedankenströme und die damit verbundenen Gefühle, welche in diese Handlung einfließen. So ergibt sich langsam die Wahrheit hinter den damaligen Ereignissen, welche das Familiengefüge, besonders jedoch das Leben von Greta und Helena, für immer geprägt und verändert haben. Die alten Mythen von Formentera, die Geschichten über Meerjungfrauen, bringen Magie in die Handlung. Die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsroman.

Fazit

Eine Familiengeschichte mit einer teilweise unglaubwürdigen Handlung und einem ebenso nur schwer nachvollziehbaren Verhalten der Hauptfiguren, die Schilderungen des sturen Schweigens zwischen Mutter und Tochter wiederholen sich mehrmals. Formentera und magische Momente wiegen für mich diese Mängel nicht auf. Ich bin jedoch sicher, dass dieser preisgekrönte Roman auch in dieser deutschen Übersetzung viele begeisterte Leserinnen finden wird.

Die Holländerinnen – Dorothee Elmiger

AutorDorothee Elmiger
VerlagCarl Hanser Verlag
Datum19. August 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3446282988

„Man müsse dies alles, sagt sie, im Kontext der Holländerinnen betrachten, man müsse alles, war nun folge, den Terror der Nächte, die schonungslosen Tage, vor dem Hintergrund dieser Geschichte verstehen, die der Theatermacher für sein Stück noch einmal hervorgeholt und ans Licht geschleift habe, weil er darin, so seine Erklärung, etwas in Bilder gefasst oder in diesen Bildern enthüllt finde, das er aber nicht sagen könne, das sich grundsätzlich nicht sagen lasse, das letzte Reale vielleicht, mit Lacan gesprochen, das Angst-objekt per excellence.“ (Zitat Pos. 415)

Inhalt

„Sie“ ist eine bekannte Schriftstellerin und wurde eingeladen, einen Vortrag über ihre Arbeit und ihre Texte zu halten. Doch stattdessen spricht sie nur über ihren letzten Text, einen Text, den sie nie fertiggestellt hat. Es ist drei Jahre her, seit sie den Anruf eines Theatermachers erhalten hatte, der gerade ein neues Stück vorbereitet, die Rekonstruktion eines tragischen Falls. Sie soll als Protokollantin alle Vorkommnisse und Ereignisse in einem Text festhalten, aus dem später das Drehbuch entstehen wird. Eine Reise, bei der sie sich von Beginn an unbehaglich fühlt. Einfache, etwas verwitterte Bungalows an einem abgelegenen, einsamen Küstenstreifen am Pazifik, in Südamerika irgendwo zwischen den Wendekreisen, und ein Pfad in den Urwald, auf dem vor einiger Zeit zwei Holländerinnen auf einer Wanderung spurlos verschwunden sind. Diesem Pfad will der Theatermacher mit seiner Gruppe folgen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Verstrickungen, Verbindungen, Beziehungen, und um die scheinbaren Zufälle im Leben. Themen sind Psychologie, Philosophie, der Mensch und die unberechenbare, wilde Natur und die damit verbundenen Urängste. 

Erzählform und Sprache

Die Schriftstellerin spricht bei einer Fachtagung als Vortragende über die Ereignisse auf dieser besonderen Reise, in der Ich-Form und durchgehend in der indirekten Rede. Ihre Unterlagen sind zahlreiche Notizen, Fragmente und Aufzeichnungen. Der Ablauf der chronologischen Handlung wird getragen von den Erinnerungen und damit verbundenen Gefühlen der Schriftstellerin, die Schilderung der eigenartigen Stimmung, dazu Geschichten, die ihr von anderen Mitgliedern dieser Gruppe um den Theatermacher erzählt werden und vertiefende fachliche und philosophische Erklärungen des Theatermachers selbst. Das allem zugrunde liegende Verschwinden der beiden Holländerinnen steht im Mittelpunkt der täglichen Gespräche der Gruppe und wird so weit als möglich durch Nachforschungen recherchiert. Was diese an sich klare Handlung so besonders macht, ist die in den Beobachtungen der Schriftstellerin manchmal unerklärbar zerfließende Realität, Splitterbilder anderer Bewusstseinsebenen, und im Hintergrund eine nicht definierbare Gefahr aus dem Urwald, ein subtiles Unbehagen, besonders während der dunklen Nächte.

Fazit

Dieser Roman ist in meinen Augen eine sehr moderne, eigenwillige und durch die Themenvielfalt facettenreiche Version des klassischen englischen Schauerromans. Teilweise unerklärbare Ereignisse, verbunden mit einem steten, beklemmenden Gefühl einer drohenden Gefahr werden später von jemandem, der dies selbst erlebt hat, erzählt. Keine einfache Lektüre, aber das sind die Romane von Dorothee Elmiger nie, aber es lohnt sich auch bei diesem neuesten Roman, sich die Zeit für diese vielschichtige Gegenwartsliteratur zu nehmen.

Lilianas unvergänglicher Sommer – Cristina Rivera Garza

AutorCristina Rivera Garza
VerlagKlett-Cotta
Datum12. Juli 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
SeitenPrint-Ausgabe: 336 Seiten
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinJohanna Schwering
ISBN-13978-3608966749

„Wir senkten die Stimme und kapselten uns ab, versteckten dich in uns, um dich nicht der vorschnellen Verurteilung auszusetzen, der geifernden Neugier, den mitleidsvollen Blicken.“ (Zitat Pos. 470)

Inhalt

Die lebensfrohe, beliebte und begabte Architekturstudentin Liliana Rivera Garza, die jüngere Schwester der Autorin Cristina Rivera Garza, hat schon früh begonnen, kleine Briefchen an ihre Freundinnen zu schreiben, Zettel mit Notizen als Dialoge mit sich selbst, über ihre Gefühle und Gedanken, über Alltägliches und über Dinge, über die sie nicht reden wollte. Am 10. Juni 1984 taucht der Name Ángel zum ersten Mal in diesen Notizen auf und erst Anfang 1990 gelingt es Liliana, sich endgültig aus einer extrem problematischen Beziehung zu befreien. Der letzte Eintrag in ihren Notizen ist vom 15. Juli 1990, achtzehn Stunden später lebt sie nicht mehr. Ángel, der Täter, wird nie gefasst. Lilianas Familie versinkt in erstarrtem Schweigen. Erst neunundzwanzig Jahre, drei Monate und zwei Tage später nützt Cristina einen Arbeitsaufenthalt an der Universität von Mexiko, um die Herausgabe der damaligen Ermittlungsakten zu beantragen. Sie versucht, den Spuren ihrer kleinen Schwester zu folgen und sie findet die Kraft, endlich Lilianas Nachlass zu sichten, zahlreiche Kartons und Kisten voller Notizen und Aufzeichnungen, und Liliana durch ihre Recherchen Schritt für Schritt wieder sichtbar zu machen.

Thema und Genre

Dieses biografische Porträt erzählt das Leben einer begabten, unangepassten jungen Frau, aufgezeichnet von ihrer älteren Schwester, der Schriftstellerin, Soziologin und Historikerin Cristina Rivera Garza. Es geht um Freundschaft, Familie, Liebe, um das Zulassen von Trauer. „Trauer ist das Ende der Einsamkeit.“ (Zitat Pos. 1475) Wichtige Themen sind Femizid, Gewalt in Partnerschaften und die begründete Kritik an einer Gesellschaft, welche die damit verbundenen Gefahren zunächst nach wie vor im Verhalten der Frauen sieht.

Erzählform und Sprache

Die einzelnen Geschichten wechseln einander ab, manchmal mit fließenden Übergängen. Eine Geschichte schildert das Leben von Liliana, ihre Kindheit in Toluca und ihre Studienzeit in Mexiko-City. Neben den eigenen Erinnerungen und den zahlreichen Aufzeichnungen und Notizen von Liliana führt die Autorin während ihrer Recherchen auch viele Gespräche mit Freunden, Freundinnen, Kommilitonen und Bekannten, die erzählen, wie sie persönlich Liliana erlebt haben. „Wenn Liliana dich mochte, dann mit Haut und Haar.“ (Zitat Pos. 1629). Die Autorin berichtet über ihre mühsamen Behördenwege, um von den offiziellen Stellen beinahe dreißig Jahre später eine umfassende Kopie der alten Akte zu erhalten. In einem sozialkritischen Abschnitt beschäftigt sich die Autorin und Soziologin mit den Fakten über Gewalt an Frauen in Mexiko, früher und heute, Gegenmaßnahmen und die aktiven Proteste der Frauenbewegungen. Immer wieder fließen auch die persönlichen Erlebnisse und Trauerarbeit der Autorin und ihrer Familie in den Text ein, den unterschiedlichen Umgang mit Erinnerungen und das Leben mit dem ungelösten Mordfall. Die Sprache schildert einfühlsam, interessant und packend.

Fazit

Dieses Buch ist eine besondere Spurensuche, intensiv und bewegend. Seite um Seite entsteht ein Porträt dieser jungen Frau, eine Rebellin, eine Intellektuelle, eine begeisterte Vielleserin, für die Architektur kein Beruf, sondern eine Berufung ist und deren Leben zu Ende war, als es gerade erst begonnen hatte.

Konfliktzone Ostsee: Die Zukunft Europas – Oliver Moody

AutorOliver Moody
VerlagKlett-Cotta Verlag
Datum17. Mai 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten528
SpracheDeutsch
ÜbersetzerJörn Pinnow, Enrico Heinemann, Tobias Gabel
ISBN-13978-3608966503

„Heute führt das Ringen zwischen Russland und dem Westen nicht nur dazu, dass die Länder an der Ostsee so eng zusammenwachsen wie nie zuvor; es rückt diesen traditionell eher peripheren Teil Europas auch in den Mittelpunkt des Geschehens.“ (Zitat Pos. 9761-9771)

Thema und Inhalt

Dieses Buch wurde Anfang 2024 geschrieben, teilweise überarbeitet im Oktober 2024, und bietet einen aktuellen Blick auf die heutige Situation der Ostsee und der Staaten, die sie umgeben. Konkret geht es um Estland, Finnland, Lettland, Dänemark, Polen, Deutschland, Litauen und um die wichtige Bedeutung dieser Ostseestaaten, sowie eines engen Zusammenschlusses und eines gemeinsamen Vorgehens derselben.  Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Polen und Deutschland. Der Autor hinterfragt auch die Beweggründe und Sichtweisen von Präsident Putin und seinen Beratern, und zeigt auf, wie weit im Hintergrund bereits diverse Aktivitäten wie Cyberangriffe und elektronische Störaktionen laufen. Ein weiteres Thema sind Expertenanalysen zu der drängenden Frage, ob Russland bereit ist, einen offenen Krieg mit der NATO zu riskieren, und mögliche Formen einer tatsächlichen kriegerischen Auseinandersetzung.

Umsetzung

Der Inhalt ist in drei große Teile gegliedert. Die Teile I und Teil II umfassen sieben Kapitel, in deren Mittelpunkt jeweils eines der Länder steht. Einem Rückblick auf die jeweilige Geschichte und den Kampf um die Unabhängigkeit folgt eine Analyse von Politik, Wirtschaft, Umwelt, Zukunftsprojekten, und bereits bestehenden Beziehungen mit Nachbarländern. Es ist ein Versuch, die immer noch wenig bekannten Länder des Baltikums besser zu verstehen und die Möglichkeiten zu erkennen, die sich daraus ergeben. „Wenn es einen Weg aus der gegenwärtigen Vertrauens- und Sinnkrise gibt, dann werden ihn diese Länder weisen.“ (Zitat Pos. 5495) Die intensiv recherchierten Fakten werden durch zahlreiche Zitate aus Gesprächen mit Experten aus diversen Fachbereichen und mit wichtigen Persönlichkeiten aus der Politik ergänzt, aber auch die Meinungen von den Menschen, die im jeweiligen Land leben, wurden in persönlichen Begegnungen erfragt. Teil III beginnt mit einem eigenen Kapitel über das Verhältnis Polen-Deutschland. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit der Sichtweise Russlands, Putins ungebrochenem Interesse am Ostseeraum, mit den schon länger im Hintergrund gestarteten Aktivmaßnahmen. In den drei anschließenden, letzten Kapiteln des Buches geht es um die Wichtigkeit und Bereitschaft der NATO, die Fähigkeit und Entschlossenheit sich zu verteidigen deutlich zu zeigen, und Moskau durch ein entsprechendes Verhalten auch davon zu überzeugen.

Fazit

„Die beste Möglichkeit, einen Krieg zu verhindern, ist das unzweifelhafte Potenzial, einen Krieg zu gewinnen.“ (Zitat Pos. 9647) Dem Autor ist klar, dass sich die Leser und Leserinnen auf Grund der Aussagen und Argumente, besonders in Bezug auf eine tatsächliche militärische Auseinandersetzung, eine eigene Meinung bilden werden, die nicht unbedingt mit seinen Schlussfolgerungen übereinstimmen muss. Gerade deshalb bietet dieses lesenswerte Buch neben wichtigen, wissenswerten Informationen und einer klar formulierten, sehr präzise und spannend geschriebenen, umfassenden Analyse der Situation der Ostseestaaten auch reichlich Stoff zum weiteren Nachdenken.

Die Victoria Verschwörung – Andreas Storm

AutorAndreas Storm
VerlagKiWi-Paperback
Datum8. Mai 2025
AusgabeBroschiert
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462006681

„Zu viele Informationen auf einmal. Zu viele Fäden mit zu vielen losen Enden.“ (Zitat Pos. 1669)

Inhalt

Im Mai 1965 besucht Königin Elizabeth II. Westdeutschland. Ein aus vielen Gründen bedeutsames Ereignis, denn dies ist der erste Staatsbesuch eines britischen Monarchen nach den beiden Weltkriegen in Deutschland. Bei diesem Besuch wird der Queen das Gemälde ‚Victoria 45‘ von Johann Hermann Kretzschmer als besondere Überraschung zurückgegeben, das bis zu diesem Zeitpunkt als verschollen galt. 2016, über fünfzig Jahre später, wendet sich der Leiter des Royal Collection Trust mit einer brisanten Nachricht an den bekannten Kunstexperten und Beutekunstforscher Lennard Lomberg. Bei dem besagten Gemälde handelt es sich möglicherweise um eine Fälschung. Die geschichtlichen Hintergründe bergen eine Reihe von gefährlichen Geheimnissen und der Besitzer des angeblich echten Gemäldes droht, diese öffentlich bekanntzumachen. Plötzlich ist die versierte Kunstgutachterin Alexandra Cullen, die das Gemälde der Royal Collection  untersuchen sollte, spurlos verschwunden. Es gibt ein Ultimatum und die Zeit drängt. Gelingt es Lennard Lemberg, gemeinsam mit seiner Tochter Julie und seiner Lebensgefährtin, Kriminalrätin Sina Röhm, herauszufinden, was damals wirklich geschehen ist, und wer heute Interesse daran hat, die vergangenen Ereignisse zu enthüllen?

Thema und Genre

In diesem Kriminalroman geht es um Kunst und zeitlos aktuelle Geschäfte mit Raubkunst, Familiengeheimnisse, politische und diplomatische Beziehungen, Geheimdienste und ungeklärte Mordfälle, und natürlich um die beeindruckende Stadt London.

Erzählform und Sprache

Der Schreibstil ist präzise und flüssig zu lesen. Die Geschichte wird in drei unterschiedlichen Erzählsträngen und Zeitebenen geschildert, 1940, Mai 1965, und Herbst 2016. Die Ereignisse finden manchmal gleichzeitig, oder aber in einem knappen Zeitablauf statt, dies ergibt eine rasante, packende Handlung. Dennoch bleibt die Geschichte übersichtlich und nachvollziehbar, was auch an der klaren Struktur liegt. Jedes der sieben großen Kapitel spielt in jeweils einem der Zeitbereiche, ist in kurze Abschnitte eingeteilt, welche genaue Angaben von Zeit und Ort als Überschrift tragen. Am Ende des Buches findet sich ein Figurenverzeichnis mit ergänzenden Erklärungen.

Fazit

Auch dieser dritte Band der Lennard-Lomberg-Serie ist eine interessante Mischung aus gut recherchierten Fakten, bekannten Tatsachen und Fiktion. Eine spannende, facettenreiche Geschichte, überraschende Wendungen und eine Vielfalt an bis ins Detail ihres Verhaltens glaubhaften Figuren – ein Kriminalroman, den man mit Vergnügen liest.

Ein Raum zum Schreiben – Kristin Valla

AutorKristin Valla
Verlagmareverlag
Datum21. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinGabriele Haefs
ISBN-13978-3866487376

„Das Haus war nicht nur ein Ort, wo ich schrieb, sondern ein Ort, wo ich mich in Gedanken vertiefen, mich in meinen eigenen Kopf einklinken, Klarheit daran erlangen konnte, was ich wollte und was in mir wohnte. (Zitat Pos. 2826)

Inhalt

Die norwegische Schriftstellerin und freiberufliche Journalistin ist einundvierzig Jahre alt, als sie ein kleines Haus in Roquebrun kauft, ein Dorf in Südfrankreich. Ein Rückzugsort von ihrer Familie in Oslo, um endlich wieder zu schreiben, denn die Veröffentlichung ihrer Romane liegt mehr als zehn Jahre zurück. Während sie zwischen Hoffnung und Verzweiflung versucht, das stark renovierungsbedürftige Haus mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln bewohnbar und zu ihrem Eigenen zu machen, liest sie sich, ausgehend von ihrem Vorbild Virginia Woolf und deren Essay „Ein Zimmer für sich allein“ durch Biografien, Texte und Aufzeichnungen von Generationen von Schriftstellerinnen. Für sie alle waren Häuser als persönliche Rückzugsorte ebenfalls ein wichtiges Thema, sei es, um schreiben zu können, sei es umgekehrt, sie schrieben, um diese Häuser erhalten zu können. Sie selbst pendelt zwischen Oslo und Roquebrun, auf der Suche nicht nur nach Handwerkern, sondern auch nach ihren persönlichen Antworten. „Das Haus hatte mir geholfen, wieder eine Schriftstellerin zu werden, auf eine Weise, die ich noch nicht richtig verstanden hatte.“ (Zitat Pos. 2167)

Thema und Genre

In diesem Buch geht es neben den alltäglichen Problemen und Zweifeln bei der Instandsetzung eines alten Hauses vor allem um die Frage, wie es Schriftstellerinnen zu allen Zeiten und trotz aller gesellschaftlichen Probleme gelungen ist, sich einen eigenen Rückzugsort zum Schreiben zu schaffen. Der Bogen spannt sich vom Mittelalter bis in die heutige Zeit, von Christine de Pizan bis zu Chimanda Ngozi Adichie und Leila Slimani.

Erzählform und Sprache

Das Buch ist in acht große Kapitel gegliedert, wobei der jeweilige Text nur mehr in viele kurze Abschnitte unterteilt ist. Die Schilderung des Hauses in Roquebrun, die Erlebnisse während der Umbauzeit und der ersten Aufenthalte, Szenen aus dem Familienalltag in Oslo, eigene Gedankengänge und Überlegungen zum Schreiben, wechseln sich mit Abschnitten aus dem Leben der berühmten Schriftstellerinnen und ihrer Häuser ab. Dabei variiert die Erzählform natürlich ebenso, zwischen Ich-Erzählung und personaler Form. Zahlreiche Zitate und Textausschnitte aus dem Leben der jeweiligen Schriftstellerin gestalten dieses Buch abwechslungsreich. Am Buchende findet sich eine ausführliche Quellenangabe, dem jeweiligen Kapitel zugeordnet und auch in der entsprechenden Reihenfolge im Text. Diese Anordnung ist sehr übersichtlich und regt dazu an, das eine oder andere zitierte Werk selbst zu lesen.

Fazit

Ein ungewöhnliches Buch, vielseitig und mit vielen interessanten Informationen über das Leben von bekannten Schriftstellerinnen, lesenswert.

Atom – Steffen Kopetzky

AutorSteffen Kopetzky
VerlagRowohlt Berlin
Datum11. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten416
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3737101523

 „Er sammelt die Schätze ein, versteckt sie und verschwindet. Dann übergibt er stückweise wichtige Forschung, Ergebnisse, Pläne oder eben Spezialisten – aber er selbst ist nie vor Ort und hat immer noch wesentliches Material in der Hinterhand.“ (Zitat Pos. 4119)

Inhalt

Commander Scully Hamilton, MI6, vermittelt in diesem Sommer 1926 dem begabten Rugby-Spieler, vor allem jedoch in Physik hochbegabten Simon Batley, Student an der Universität Bristol, ein Auslandsstipendium an der Uni Berlin. Neben der Verschwiegenheitsvereinbarung, die er für den britischen Geheimdienst unterschreiben musste, berichtet er auch über die Aktivitäten seines Studienfreundes Sascha, mit dramatischen Folgen. 1939 unterrichtet Simon, inzwischen Dr. Batley und nach England zurückgekehrt, Physik an einem englischen Gymnasium. Er hat sich vom Geheimdienst zurückgezogen und will seine Ruhe. Doch dann tritt Scully wieder in Simons Leben, mit dem Oslo-Report, in dem ein „Wohlgesinnter“ den Briten auf sieben Seiten von den aktuellen Forschungen und Waffen der Deutschen berichtet. Auf einer Liste von deutschen Wissenschaftlern in der Raketenforschung findet Simon den Namen seiner großen Liebe Hedi, Dr.rer.nat. Hedwig von Treyden, die er nach dem Desaster in Berlin ohne Abschied verlassen musste. „Scientific Intelligence“ heißt die neue Spezialabteilung des Geheimdienstes in London, und Simon ist von Anfang an dabei. Berichte über neue deutsche Forschungsprojekte, Waffen von enormer Reichweite und mit unvorstellbarer Zerstörungskraft, führen ihn schließlich zu dem Namen Hans Kammler, General der Waffen-SS und Chefplaner von geheimen, großräumigen, unterirdischen Forschungsstätten. Ein Wettlauf beginnt, denn auch die Amerikaner und die Russen sind an Kammlers Forschungserfolgen interessiert. Parallel zu seinen gefährlichen Einsätzen verliert Agent Batley jedoch nie sein persönliches Ziel aus den Augen, Hedi zu finden und endlich zu erfahren, was damals in Berlin wirklich geschehen ist.

Thema und Genre

In diesem historischen Polit- und Wissenschaftsthriller geht es um die Atomforschung und die Entwicklung der Atombombe im zweiten Weltkrieg, um Spionage, Vertrauen und Verrat. Die Hauptfiguren sind fiktiv, jedoch im Rahmen der geschichtlichen Fakten mit tatsächlichen Ereignissen und realen Namen verbunden.

Erzählform und Sprache

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Wissenschaftler und Geheimagent Simon Batley,

überzeugt von der Notwendigkeit seiner Einsätze, aber nie skrupellos, was ihn menschlich und sympathisch macht. Die Ereignisse verlaufen chronologisch, Zeitsprünge werden durch Datumsangaben im Text und erklärt. Die Spannung steigt stetig, bis zu einem gleichbleibend hohen, jedoch immer rasanteren Spannungsbogen.  Die Handlung wird durch wissenswerte Informationen und Fakten aus diesem wichtigen Kapitel von Wissenschaft und Forschung ergänzt, was diesem Roman eine brisante Aktualität verleiht. Die Sprache ergänzt die Ereignisse durch Beschreibungen der Charaktere, der Örtlichkeiten in den verschiedenen Ländern, ruht kurz in Stimmungsbildern der Natur, bindet auch bekannte Werke der Literatur in die Dialoge ein und rundet so das Lesevergnügen ab.

Fazit

Eine überaus interessante, packende Geschichte, ein rasanter Polit-, Wissenschafts-und Spionagethriller über die Atomforschung und die Entwicklung von Atomwaffen während des zweiten Weltkriegs.

Im Traum suche ich immer das Weite – Hilmar Klute

AutorHilmar Klute
VerlagGaliani-Berlin
Datum13. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten304
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3869712963

„Ich war einfach unterwegs. Wer reiste, hatte nichts als seine Gegenwart, weil es nur diese eine Welt zum Anfassen und Anschauen gab und keine Kopie davon in irgendeinem digitalen Paralleluniversum.“ (Zitat Pos. 1657)

Inhalt

Volker Winterberg, einundzwanzig Jahre alt, hat im Frühjahr 1987 seinen Zivildienst beendet, seine Freundin Katja und Berlin verlassen und ist in seine Heimatstadt Bochum zurückgekehrt. Dort beginnt er sein Studium an der Universität für Literaturwissenschaften und Philosophie, macht ein Praktikum am Theater, doch ihm ist klar, dass er Schriftsteller werden will. Weniger klar ist ihm, wie und wo sein weiteres Leben stattfinden soll. Er sieht sich und seinen besten Freund, den Objektkünstler Leo, als verlorene Kinder Bochums und sich selbst generell als Verlorenen, verloren in seinem ereignislosten Leben. Daran ändert auch eine gemeinsame Reise mit seinem Freund Leo nach Venedig und dann weiter bis nach Ungarn wenig. Bis er zu einem Literaturtreffen in München eingeladen wird.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Suche nach dem Platz im eigenen Leben, um das Schreiben, um die Welt des Theaters und natürlich um Schriftsteller und die Literatur.

Erzählform und Sprache

Es ist der Student und angehende Schriftsteller Volker selbst, der von dieser Zeitspanne in seinem Leben erzählt. Daher überwiegen die Schilderungen seiner inneren Suche, seine Erinnerungen an den geliebten Großvater, der sein ganzes Leben als Bergmann gearbeitet hat und die vielen Geschichten, die dieser seinem Enkel erzählt hat. Als Ich-Erzähler teilt Volker mit uns seine Gedankenströme, in deren Mittelpunkt seine eigenen Schreibversuche, das Studium, die Literatur und die Schriftsteller stehen, die ihn beeindruckt haben. Lebhaft beschreibt  Hilmar Klute das Leben Ende der Achtzigerjahre in Bochum, seine Hauptfigur umgeben von Theaterleuten und Literaturschaffenden, bekannte, reale Namen. Die Sprache fließt ruhig, unterbrochen durch skurril-schräge Szenen. Sprachlich großartige Episoden, wie Volkers Streifzug durch München, versöhnen mich mit manchen etwas langatmigen Gedankenkreiseln.

Fazit

Diese Geschichte ist ein moderner Entwicklungsroman, eine Suche nach Selbstverwirklichung als Schriftsteller, verknüpft mit der Sehnsucht, aus dem eigenen Leben zu reisen und irgendwo anzukommen.

Sehr geehrte Frau Ministerin – Ursula Krechel

AutorUrsula Krechel
VerlagKlett-Cotta
Datum11. Januar 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3608966534

„Letztendlich war ich die Zeugin meines eigenen Lebens. Dass es einem enteignet werden könnte, hätte ich mir bis jetzt nicht vorstellen können.“ (Zitat Pos. 1311)

Inhalt

Eva Patarak arbeitet in dem Kräuterladen, als die Frau mit der roten Mütze zum ersten Mal in diesen Laden kommt. Noch weiß sie nicht, dass sie eine Figur in dem Roman ist, den Silke Aschauer, die Frau mit der roten Mütze, Studienrätin für Latein, schreibt. Silke Aschauer, über deren Unterricht sich ausgerechnet die Eltern ihrer Lieblingsschülerin bei der Direktorin beschweren, weil sie im Unterricht Texte von Tacitus übersetzen lässt, Texte über Kriege, Gewalt und mächtige Herrscherfamilien, sowie das Frauanbild im antiken Rom. Dabei geht es Silke um die besonderen Beziehungen zwischen Müttern und Söhnen, etwas, das ihr selbst von ihrem Körper verwehrt wird. Auch Eva beschwert sich, zuerst bei Silke selbst, dann bei der Justizministerin, denn Eva will auf keinen Fall als Figur in Silkes Roman beschrieben werden. Auch die Justizministerin soll in Silke Aschauers Roman vorkommen, doch in diesem Fall fragt Silke zuvor höflich an.

Thema und Genre

Themen dieses Romans sind die Definitionen von Frau und Mutter, Beziehungen zwischen Müttern und Söhnen, Gesellschaftspolitik und das Frauenbild in der Gesellschaft von der Antike bis heute, wobei die Grenzen immer fließend verlaufen. Gleichzeitig geht es um die Vielfalt der Erzählformen in der Literatur.

Erzählform und Sprache

Im ersten Abschnitt schildert Eva Patarak ihr Leben, ihr Verhältnis zu ihrem Sohn Philipp und ihre Arbeit in einem Kräuterladen in Essen. Im zweiten Abschnitt spielt der Kräuterladen nochmals eine Rolle, doch aus einer anderen Sicht, denn nun erzählt Silke Aschauer aus ihrem Leben als klassische Philologin, von ihrer Liebe zur lateinischen Sprache, aber auch von ihren aktuellen Problemen, die konstant in ihren Gedanken kreisen und die ihr Frausein betreffen. „Ich könnte auch sagen: Von der dritten Person bin ich in die erste Person gerutscht, getaumelt.“ (Zitat Pos. 1347). Parallel dazu wird anhand von Tacitus-Texten Rom unter der Herrschaft von Nero und seiner Mutter Agrippina geschildert und Roms Eroberungszüge gegen die Germanen. Im personalen Mittelpunkt des dritten Abschnitts steht die Justizministerin, ihr politischer Werdegang, ihre Ideen zum Urheberrecht, ihr Familienleben, auch sie hat Kinder, eine Tochter und einen kleinen Sohn. Plötzlich treffen sie zusammen, Eva, ihr Sohn Philipp, die Ministerin und ihr kleiner Sohn. Es ist unglaublich spannend, wie Ursula Krechel mit den unterschiedlichen Erzählformen spielt, ihre Figuren verschiebt, das Kernthema Mütter und Söhne in vielen Facetten darstellt. Auch die berühmte Marienstatue, die Goldene Madonna im Dom zu Essen, führt zu umfassende Betrachtungen, zu weiteren Gedankenströmen, wie sie sich durch den gesamten Roman ziehen, um die vielen unterschiedlichen Aspekte einzubinden. Die Entstehung dieses Romans selbst ist ein Thema, geschrieben zwischen 1. April 2022 und 29. Februar 2024.

Fazit

Dieser Roman in seiner Themenvielfalt ist definitiv keine einfache Lektüre, aber beeindruckend und interessant, einerseits durch die Auswahl besonderer Mutter-Sohn-Konstellationen von der Antike bis heute, andererseits durch die vielen sprachlichen Facetten und Wendungen des Erzählens, die überraschen und begeistern. „Sie hatte uns stehen gelassen in der Landschaft, stehen gelassen im Erzählen, im Erzähltwerden. Erzählt, nicht auserzählt und nicht abgeholt.“ (Zitat Pos. 2116). Dieser Roman verlangt Zeit, es ist eine intensive, spannende Lesezeit, die sich lohnt.

Heimweh im Paradies – Martin Mittelmeier

AutorMartin Mittelmeier
VerlagDuMont Buchverlag
Datum11. März 2025
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten192
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3755800330

„Wenn das gewährleistet ist, dann ist es eigentlich wie überall: Tisch, Sessel, Lampe, Bücherreihe, Thomas Mann. Zuhause ist, wo er schreiben kann.“ (Zitat Pos. 44)

Inhalt

Schon mehrmals hatten Thomas und Katia Mann die USA besucht, wo Thomas Mann als prominenter Schriftsteller geschätzt wird. 1938 fällt dann die endgültige Entscheidung und am 21. Februar 1938 treffen sie in New York ein. Im Februar 1942 beziehen sie das nach ihren Wünschen gebaute Haus in Los Angeles, eine Villa mit Blick auf den Ozean, umgeben von einem großzügigen Anwesen  im noblen Stadtteil Pacific Palisades, Sehnsuchtsort für vieler Künstler im Exil. Dort arbeitet Thomas Mann an seinem Roman Doktor Faustus, engagiert sich politisch in Texten, Vorträgen und verfasst Radioansprachen, die über die BBC auch in Deutschland ausgestrahlt werden. Die deutschsprachigen Exilanten sind eine bunte Gruppe mit einem lebhaften Gesellschaftsleben. Was sie eint, ist die Kunst, was sie verbindet, trotz unterschiedlicher Meinungen, ist der sorgenvolle Blick auf die Vorgänge in der alten Heimat, die Haltung Amerikas und die Frage, wie die Zukunft Deutschlands aussehen könnte.

Thema und Genre

„Thomas Mann in Kalifornien“ lautet der Untertitel dieses biografischen Romans und darum geht es, um das Leben der Familie Mann und anderer bekannter deutschsprachiger Künstler im kalifornischen Exil. Themen sind Literatur und Musik, Philosophie, Verlust der Heimat, internationale Politik und natürlich der Krieg.

Erzählform und Sprache

Martin Mittelmeier schildert die Jahre der Familie Mann in Amerika chronologisch von 1938 bis zum Jahr 1952, als die Stimmung in Amerika kippt und die Manns von einem Aufenthalt in der Schweiz nicht mehr nach Amerika zurückkehren. Basierend auf intensive Recherche, Tagebuchberichte, Erinnerungen und das schriftstellerische Werk von Thomas Mann, geht der Inhalt doch weit über eine Biografie hinaus und überzeugt durch eine Vielfalt an Themen, Eindrücken, Schilderungen und eine leichte, angenehm zu lesende Erzählsprache.

Fazit

Ein interessantes, facettenreiches Lesevergnügen, nicht nur im Thomas Mann Jubiläumsjahr 2025.

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