Zwei Wochen im Juni – Anne Müller

AutorAnne Müller
Verlag Penguin Verlag
Erscheinungsdatum 27. April 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3328601098

„Ada betrachtete sich im Spiegel. Der Pullover war an den Ärmeln zu kurz, er passte nicht wirklich. Und irgendwie fühlte sich ihr Leben im Moment genauso an.“ (Zitat Seite 61)

Inhalt

Ada Hoffmann, dreiundvierzig Jahre alt, hat vor vierundzwanzig Jahren das Elternhaus in Gragaard an der Ostsee verlassen, um Kunst zu studieren und lebt jetzt in Hamburg. Toni, ihre drei Jahre ältere Schwester, Studienrätin, lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in der kleinen Stadt Ratzeburg. Vor sechs Wochen hatte sich ihre Mutter Nora wie immer abends vor den Fernseher gesetzt, war eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Nun kommen die beiden Schwestern ein letztes Mal nach Gragaard, in das alten Haus am Meer mit dem wunderbaren Garten. Das Haus muss geräumt werden, denn es wird verkauft. Jedes Stück trägt besondere Erinnerungen in sich, die sie nochmals durchleben. Dabei beginnen sie, auch über ihr aktuelles Leben nachzudenken.

Thema und Genre

In diesem Frauen- und Familienroman geht es um Kindheit, Erinnerungen, Familiengeschichte und um die Liebe in allen Facetten. Plötzlich ist nicht nur die Vergangenheit ein Thema, sondern auch mögliche Veränderungen und neue Wege.

Charaktere

In diesem Roman begegnen wir starken Frauen, die, völlig unterschiedlich, doch immer füreinander da sind. Nora, die Mutter, die ihre Karriere als Pianistin beendet hat, als Toni auf die Welt kam, ist die Seele des Hauses in Gragaard, klug, einfühlsam und mit einer großen Liebe zu ihren Töchtern und zu ihrem Garten. Toni schreibt Listen, seit sie schreiben kann, will alles perfekt machen, was dazu führt, dass sie zwischen Job und Familie manchmal auf die Lebensfreude und auf sich selbst vergisst. Ada ist nicht nur optisch das genaue Gegenteil. Sie ist eine kreative Künstlerin, die schon als Kind gemalt hat und lange Zeit das Gefühl hatte, im Schatten ihrer selbstbewussten Schwester zu stehen.

Handlung und Schreibstil

Besonders Ada hängt sehr an diesem Haus, doch auch ihre gestresste Schwester Toni spürt den alten Zauber der Kindheit und Jugend, als sie sich doch Zeit nimmt, die Gegenstände durchzusehen, zu sortieren und auch Unbekanntes über ihre Mutter zu entdecken. Die Geschichte spielt, wie der Titel sagt, innerhalb von zwei Wochen, allerdings unterbrochen durch Rückblenden, die langsam die gesamte Familiengeschichte bis zu diesen Tagen im Juni ergänzen. Die Sprache erzählt einfühlsam, mit feinem Humor und schildert lebendige Bilder in einer positiven Grundstimmung, die aber niemals übertrieben wirkt.

Fazit

Ein poetischer, leiser Roman, der Mut macht, der die Kraft der Erinnerung und den Trost im liebevollen Abschied über die Trauer eines Verlustes stellt. Eine nachdenkliche, aber immer positive Geschichte, die uns ihre sympathischen Figuren und das alte Haus mit seiner Seele und dem wunderbaren Bauerngarten am Meer sofort nahebringt.

Margos Töchter – Cora Stephan

AutorCora Stephan
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 7. Mai 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten400
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462052275

„Jeder Mensch hat eine Mutter. Jana Seliger hatte zwei. Eine war ihr nah, obwohl sie fern war, von der anderen wusste sie nur, dass sie von zweifelhaftem Charakter sein musste.“ (Zitat Pos. 32)

Inhalt

Jana Seliger ist erst dreizehn Jahre alt, als ihre Ziehmutter Leonore bei einem Autounfall stirbt. Leonore war erst zweiundvierzig Jahre alt und an den angeblichen Selbstmord kann Jana nicht glauben, bis heute nicht. Inzwischen ist Jana erwachsen und selbst Mutter von Zwillingen. Sie weiß inzwischen, dass sie zwei Mütter hat, Leonore und ihre leibliche Mutter, die sie als Kleinkind bei Leonores Eltern Margo und Henri zurückgelassen hat. Im Herbst 2011 wird ihr Antrag auf Einsicht in die Unterlagen des MfS nach neun Jahren überraschend bewilligt. Obwohl Max, ihr Ehemann, ihr rät, die Vergangenheit ruhen zu lassen, will sie endlich wissen, wer ihre wahren Eltern waren und warum ihre Mutter sie damals im Stich gelassen hat, auch wenn Leonore für sie immer die echte Mutter bleiben wird.

Thema und Genre

Dieser zeitgeschichtliche Familien- und Generationenroman beginnt mit Leonores Jugend in der Aufbruchsstimmung der sechziger Jahre und führt den Leser durch die Zeit des geteilten Deutschland und endet im Jahr 2012. Es geht um Republikflucht und um politische Überzeugungen auf beiden Seiten der Mauer, die auch nach dem Mauerfall fortbestehen. Es geht um Opfer, Familiengeheimnisse und um die Liebe.

Charaktere

Die Frauen der Familie Seliger, Margo, Leonore und Jana sind starke Frauen, doch die unangepasste Leonore, rebellisch und neugierig, prägt die Geschichte der Familie besonders. Auf einem Jugendlager in der DDR trifft sie die selbstbewusste Clara, von der sie sich verstanden fühlt. Längst erwachsen, stehen die beiden Frauen einander wieder gegenüber und Leonore trifft eine Entscheidung, die ihr Leben völlig verändert. Alle Romanfiguren bleiben stimmig und ihre Beweggründe sind nachvollziehbar.

Handlung und Schreibstil

Die Autorin beschreibt die Zeit eindrücklich, in lebendigen Farben, und macht so das Buch zu einer auch zeitgeschichtlich interessanten, spannenden Lektüre, sei es, weil man diese Zeit selbst erlebt hat, aber sicher auch für jüngere Lesergruppen, die hier in Romanform einen vielschichtigen Einblick in das Leben einzelner Menschen in diesen prägenden Jahren erhalten.

Die Handlung wird in mehreren Erzählsträngen abwechselnd erzählt. In Teil I stehen abwechselnd Jana in der Jetztzeit im Mittelpunkt und Leonore in den Jahren 1964 bis 1991, in Teil II wird Claras Geschichte erzählt und Teil III verbindet alle Schicksale. Rückblenden ergänzen die Geschehnisse und bieten auch einige Überraschungen. Ein Personenverzeichnis am Ende des Buches erleichtert den Überblick. Die Sprache schildert einfühlsam und intensiv.

Fazit

Ein zeitgeschichtlicher Generationenroman, ein fesselndes, lebendiges Bild der prägenden Jahre des Aufbruchs, aber auch des Spannungsfeldes zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland. Die vielschichtige, spannende Familiengeschichte mit starken, beeindruckenden Charakteren garantiert Lesevergnügen, das nachhallt.

American Dirt – Jeanine Cummins

AutorJeanine Cummins
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 21. April 2020
FormatTaschenbuch
Seiten560
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499276828

„Was auch immer geschieht, niemand anders in ihrem Leben wird je die Qualen dieser Pilgerreise verstehen, die Menschen, die sie kennengelernt haben, die Angst, die immer mit ihnen reist, die Trauer und die Müdigkeit, die an ihnen nagen.“ (Pos. 3828)

Inhalt

Sebastián Pérez Delgado ist Journalist und seit zehn Jahren mit der Buchhändlerin Lydia verheiratet. Mit ihrem achtjährigen Sohn Luca führen sie ein glückliches Leben in Acapulco. Bis Sebastián in einem Artikel umfassend über Javier Crespo Fuentes berichtet, einem charmanten, belesenen Mann, der gleichzeitig als Boss des mächtigen Drogenkartells Los Jardineros für unzählige, grausame Morde verantwortlich ist. Was folgt, ist ein Blutbad bei einem großen Fest von Sebastiáns Familie, nur Lydia und Luca können entkommen. Lydia weiß, dass sie so rasch wie möglich so viele Tausende Kilometer wie möglich zwischen sich und Javier bringen muss. Ihre einzige Chance ist der Norden, die US-Mexikanische Grenze.

Thema und Genre

Ausgehend von der Schilderung des mexikanischen Alltags im Schatten der mächtigen Drogenkartelle, ist das Hauptthema dieser Mischung aus Roman und Thriller mit realem Hintergrund die Situation der Migranten aus Zentralamerika. Beschrieben werden die Ursachen und die extrem gefährliche Reise durch Mexiko auf dem berüchtigten Güterzug La Bestia bis zur beinahe unmöglichen illegalen Überschreitung der amerikanischen Grenze. Doch gleichzeitig geht es auch um Menschlichkeit, Hoffnung, Freundschaft und Liebe.

Charaktere

Lydia war glücklich mit ihrem Leben und ihrer gemütlichen Buchhandlung, doch als sie sich der neuen Situation stellen muss, ist sie mutig, erfinderisch, selbstlos und bereit, das Leben ihres Sohnes um jeden Preis zu schützen. Die Flucht lässt dem kleinen Luce keine Zeit, das Erlebte irgendwie zu verarbeiten, dennoch bleibt er auch Kind, lebhaft, hilfsbereit, neugierig, andererseits fühlt er sich als tapferer Beschützer seiner Mutter. Alle Personen der Handlung sind, obwohl fiktiv, glaubwürdig und realistisch beschrieben. In einzelnen Erlebnissen zeigen sich beide Seiten, Menschen in den Dörfern und Städten auf der Route die helfen, und Menschen, die auch auf diesem Weg nicht vor Verbrechen zurückschrecken.  

Handlung und Schreibstil

Das Buch ist ein spannender Roman und Thriller, eine authentische Schilderung der gefährlichen, oft tödlichen Reise der Migranten, die hoffen, auf den Waggondächern von Güterzügen nach el Norte zu kommen, um von dort aus auf ebenso lebensgefährlichen Schleichwegen nach Amerika zu gelangen. Die Geschichte wird in einer personalen Erzählform geschildert, aus der Sicht von Lydia oder auch aus der Sicht von Luca. Die Zeit drängt, dieser straffe Zeitrahmen der Flucht macht die Handlung intensiv, dicht und packend. Die Sprache ist auch in der Übersetzung beeindruckend zu lesen.

Fazit

Die Flucht von Lydia und Luca ist das Kernstück für eine weit größere Geschichte, die verzweifelte, beinahe aussichtslose Reise von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat verlassen und auf ein besseres, sicheres Leben in Amerika hoffen, ein Land, das gerade Menschen wie sie nicht haben will. Ein intensiv recherchierter, packender, eindrücklicher und einfühlsamer Roman zwischen Angst, Brutalität, Willkür und Freundschaft, Menschlichkeit, Liebe.

Der Wert des Kois – Daniela M. Fiebig

AutorDaniela M. Fiebig
Verlag epubli
Erscheinungsdatum 24. April 2020
FormatTaschenbuch
Seiten324
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3752943986

„Aber so läuft das nicht. Tatsächlich vermischen sich in unseren Erinnerungen reale Ereignisse mit kreativer Eigenleistung.“ (Zitat Seite 223)

Inhalt

Johanna Leisinger ist dreiunddreißig Jahre alt, arbeitet als Illustratorin für ein Unternehmen der Werbebranche, aber ihr Ziel ist es, diese Tätigkeit selbstständig ausführen zu können. Gerade arbeitet sie an einem Auftrag für ein Kinderbuch, „Nanu, der kleine Koi“. Doch der Tod ihrer Mutter, die vor nunmehr sechzehn Jahren bei einem Autounfall gestorben war, blockiert noch immer ihre eigene Entfaltung. Mit Dennis, dem jüngeren Bruder ihres Ex-Freundes Felix, verbindet sie eine tiefe Freundschaft. Als Dennis plötzlich Selbstmord begeht, werfen ihre Selbstvorwürfe und Schuldgefühle sie völlig aus der Bahn. Sie muss unbedingt herausfinden, warum er es getan hat. Doch welchen Preis hat die Wahrheit?

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um einschneidende Erlebnisse und die Erinnerungen daran, um Familiengeheimnisse und Verdrängung, um psychologische Hintergründe und um die Frage, wie sehr das Festhalten an der Vergangenheit auch die Gegenwart und Zukunft beeinflusst.

Charaktere

Johanna hat Pläne und Träume für ihr Leben als künstlerisch tätige, unabhängige Illustratorin. Doch ihre Trauer um die Mutter, die sie so früh verloren hat, beeinflusst noch immer ihr Leben. Nach dem Suizid ihres besten Freundes macht sie die Suche nach dem „Warum“ zum Lebensmittelpunkt und sucht verbissen und hartnäckig nach Antworten. Die Figuren dieser Geschichte sind facettenreich und realistisch charakterisiert und handeln nachvollziehbar.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird zeitnah erzählt und durch Rückblenden in Form von Erinnerungen und Gedanken ergänzt. Johanna schildert die Ereignisse in der „Ich-Form. Diese Erzählform wechselt in einzelnen Kapiteln in die personale Erzählform und zeigt Situationen aus der Sicht von Felix oder Sebastian, dem Psychiater. Diese wechselnde Erzählperspektive verleiht dem Text eine zusätzliche Tiefe und Lebendigkeit. Auch eine mögliche neue Liebe fehlt nicht, doch es steht nicht die Romantik im Mittelpunkt, sondern die Suche nach der Wahrheit einer erinnerten Vergangenheit. Die sich gleich Puzzleteilen langsam ergebenden Antworten auf Johannas Fragen, die plötzlich auch ihre eigene Geschichte durch völlig neue Erkenntnisse verändern, machen diesen Roman packend und bringen neue Überraschungsmomente.

Fazit

Ernste Themen und vielschichtige Charaktere, fügen sind hier zu einem spannenden Roman mit Tiefgang für ein intensives Leserlebnis.

Fremdes Licht – Michael Stavarič

AutorMichael Stavarič
Verlag Luchterhand Literaturverlag
Erscheinungsdatum 9. März 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten512
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3630875514

„Du bist eine ganze Vergangenheit und eine ganze Zukunft, Elaine, lass es dir niemals nehmen, deine Geschichte zu erzählen, wie sie wirklich passiert ist.“ (Zitat Seite 8)

Inhalt

Im 24. Jahrhundert wird die Erde durch einen Kometeneinschlag vollkommen zerstört. Ein modernes Flugschiff, schneller als die Lichtgeschwindigkeit, ist mit Überlebenden unterwegs zu einem neuen Planeten, mit an Bord die Genforscherin Elaine Duval. Doch die Landung misslingt und Elaine erwacht als offenbar einzige Überlebende in einem Umfeld aus extremer Kälte, grauer Dunkelheit, Schnee und Eis. Doch sie liebt Schnee, Eis und eine Linie ihrer Vorfahren waren Inuit, die in Grönland lebten. Sie gibt dem unbekannten Planeten den Namen Winterthur, nach ihrem letzten Aufenthaltsort in der Schweiz und beginnt, ihn zu erkunden. Plötzlich sieht sie eines Tages Inuit-Zeichen im Schnee. Was ist Einbildung, was ist real?

Thema und Genre

Dieser Roman verbindet die Genre Abenteuer, Science Fiction, Generationengeschichte, Kriminalroman, Biografie und Historischer Roman zu einem stimmigen, fesselnden Ganzen. Themen sind die mögliche Zukunft, Genforschung, unsere Wurzeln durch Erinnerungen an die Vorfahren, Überleben im Eis, Grönlandforscher, Inuit, die Weisheit der Naturvölker, Tradition, die Weltausstellung in Chicago 1893.

Charaktere

Elaine Duval und ihre Vorfahrin Uki „Elaine“ haben vieles gemeinsam: sie haben gelernt, in Kälte und Eis zu leben und überleben und schöpfen aus ihrer Geschichte, den damit verbundenen Erinnerungen und ihren Vorfahren die Kraft, zu kämpfen und nicht aufzugeben. Die Genforscherin Elaine, geboren 2345, wird durch ihren Großvater geprägt, der sie mit dem Wissen und Traditionen der Inuit vertraut macht und dadurch auf ihr Überleben in der eisigen, unglaublichen Kälte und Einsamkeit des neuen Planeten vorbereitet. Uki „Elaine“ im 19. Jahrhundert wird durch die Älteren und die Schamanen ihres Stammes im Überleben unter extremen Bedingungen geschult und durch neues Wissen, als der norwegische Forscher Fridtjof Nansen „Vogelmann“ auf seiner Grönland-Expedition in ihrer Bucht landet.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman besteht aus zwei großen Teilen: Teil I Winterthur und das Ende der Welt, Teil II Grönland und die Weiße Stadt.

In Teil I erzählt die Genforscherin Elaine von den ersten Tagen auf dem neuen Planeten, ist in der Erinnerung wieder mit ihrem Großvater unterwegs, denkt an ihre Kindheit und an ihre Zeit in Grönland, schöpft neue Kraft durch das Wissen und die Traditionen der Inuit. Die Erkundung des fremden Planeten wird zu einer Reise in die Vergangenheit, zur tiefen Verbindung mit ihren Vorfahren. Kälte erinnert an Kälte, Eis an Eis, und das Überleben folgt ähnlichen Kriterien.

Teil II spielt im 19. Jahrhundert und besteht aus zwei Erzählsträngen, dem chronologisch geführten Tagebuch des Forschers Fridtjof Nansen und der Ich-Erzählung von Uki während der Weltausstellung in Chicago, ihre Gedanken und Erinnerungen.

Ergänzt wird die Handlung durch sprachlich beeindruckend intensive Schilderungen, sehr lebendig lesen sich sind die Eindrücke von den Attraktionen der berühmten Weltausstellung aus Sicht einer Inuk.

Fazit

Als einzige Überlebende auf einem fernen, unbekannten Planeten bekommen Elaines Überlegungen zum Universum und zum Ende des Universums eine packende Eigendynamik, die auf den Leser übergeht. Eine großartiger Roman, der sich in seiner Vielschichtigkeit nur schwer beschreiben lässt – ein dichtes, sehr intensives und  spannendes Leseerlebnis.

Die Bücherinsel – Janne Mommsen

AutorJanne Mommsen
Verlag Rowohlt Taschenbuch
SerieDie Inselbuchhandlung-Reihe, Band 2
Erscheinungsdatum 26. März 2019
FormatBroschiert
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499275869

„Von Anfang an war der Büchertempel ein magischer Ort für Sandra gewesen. Irgendeine besondere Energie ging von den Bänden in den schattigen Räumen aus, und das hatte bis heute nicht nachgelassen.“ (Zitat Seite 26)

Inhalt

Bis vor fünf Jahren hat Sandra, nun Mitte dreißig, zusammen mit ihren Eltern auf Jahrmärkten einen Autoscooter betrieben, seither lebt sie auf der Insel. Die Schönheiten der Natur und der Gezeiten begeistern sie täglich aufs Neue. Doch plötzlich kommt Unruhe in ihr bisher beschauliches Leben, einerseits durch den neuen Schulleiter Björn, der ihr mehr als sympathisch ist, andererseits durch die Tatsache, dass sie spontan dem Leserkreis von Gretas kleiner Inselbuchhandlung beigetreten ist. Sandra besitzt viele Bücher, aber es sind Hörbücher, denn sie kann weder lesen noch schreiben. Nur Greta kennt ihr Geheimnis und macht ihr ein Angebot. Wird Sandra es annehmen?

Thema und Genre

Auch im zweiten Roman dieser Serie um eine kleine Inselbuchhandlung geht es wieder um Bücher und das Leben auf einer kleinen Insel, um Freundschaft und um die Liebe. Doch das wichtigste Thema sind diesmal die Probleme und der Alltag heimlicher Analphabeten.

Charaktere

Sandra liebt ihr Leben auf der Insel, doch als Analphabetin ausgerechnet einem Leserkreis beizutreten und sich auch noch in einen Deutschlehrer zu verlieben, bringt sie in eine persönliche Krise. Das Verbergen ihrer Schwäche kostet viel Energie, dazu kommen ihre Schwindeleien. Trotz ihres Alters fehlen ihr der Mut und das Selbstbewusstsein, sich den Tatsachen zu stellen. Die Haltung dieser Protagonistin schildert die Problematik sehr realistisch.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in einem überschaubaren Zeitraum von einigen Wochen. Die straffe Handlung wird durch Schilderungen der Vielfalt der Natur, des lebhaften Insellebens und des Lesekreises ergänzt. Der Schreibstil ist leicht und angenehm zu lesen und entspricht dieser Wohlfühlliteratur. Die bisher drei Bände dieser Serie um eine kleine Inselbuchhandlung können unabhängig voneinander gelesen werden und auch die Reihenfolge spielt keine große Rolle.

Fazit

Ein Unterhaltungsroman mit Inselfeeling. Perfekt, um den Alltag auszublenden und wenigstens in Gedanken ans Meer zu reisen.

Der zerrissene Brief – Hanns Zischler

AutorHanns Zischler
Verlag Galiani-Berlin
Erscheinungsdatum 13.13. Februar 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3869712079

„Wahrsagende Begebenheiten – auf die kommt es an. Die kommen ganz überraschend und strahlen in alle Richtungen aus, auch in unsere Vergangenheit. Unsere Erinnerungen spulen sich um das, was gewesen ist, wie Eisenspäne um einen Magneten.“ (Pos. 1654)

Inhalt

Pauline ist siebzehn Jahre alt und lebt in dem kleinen Ort Treuchtlingen, als sie den dreißig Jahre älteren Max Lassenius, Weltreisenden, Fotograf, Kameramann, Sammler, kennenlernt. Dieser finanziert und ermöglicht ihr 1899 einen Aufenthalt in New York, über zwei Jahre lang arbeitet sie dort in den Botanic Garden in der Bronx. Anschließend heiraten sie. 1966 besucht Elsa, die in Frankfurt Biologie studiert, die nun vierundachtzig Jahre alte Pauline, bei der sie als Kind Ferien verbracht hatte. Elsa hat gerade eine Beziehung beendet und wird von Paulines Erinnerungen an die vielen intensiven Augenblicke eines abenteuerlichen, von Reisen in ferne Länder geprägten Lebens mit Max in eine völlig andere, vergangene Zeit entführt.

Thema und Genre

Dieser Roman erzählt eine spannende Lebensgeschichte, es geht um Erinnerungen, Erfahrungen, um Weltoffenheit, um Kultur und Natur, aber auch um Beziehung und Liebe.

Charaktere

Der Aufenthalt in New York bringt Pauline Selbstständigkeit und ein umfassendes Wissen und Bildung, was sie zur perfekten Gefährtin des gewandten Weltreisenden Max macht. Als Pauline später als Witwe wieder im Dorf ihrer Kindheit lebt, spürt sie keine Enge mehr, sie hat sich verändert, weil ihr Leben mit Erfahrungen und Erinnerungen gefüllt ist. Max kann sich durch die Heirat mit Pauline endlich aus der Umklammerung seiner Mutter lösen. Elsa besitzt die natürliche Neugierde einer Forscherin, sie stellt Fragen, kann aber auch zuhören.

Handlung und Schreibstil

Pauline erzählt ihr Leben nicht chronologisch, sondern in bruchstückhaften, Puzzleteilen gleichenden Erinnerungen, die plötzlich durch eine Bemerkung, eine Situation wieder lebendig werden. Die gemeinsame Zeit mit Max ergibt sich durch Antworten auf Elsas Fragen. Der Roman beginnt mit einem Brief Elsas an den Autor, in dem sie erklärt, woher sie Pauline kennt, wie sie zu deren umfangreichen Aufzeichnungen kam und der die Geschichten zu einem Ganzen schließt.

Die Sprache ist in den Dialogen lebhaft, einfühlsam und passt zu den beiden Frauen. Die erzählenden Beschreibungen sind jedoch intensiv ausgeschmückt, kein Objekt darf in knappen Worten einfach sein, sondern wird dicht mit Adjektiven und Metaphern versehen. Dadurch verliert die Sprache hier die poetische Leichtigkeit der Dialoge. „Das Papiergeraschel der Blätter. Grüne Schattenfächer zerteilten den Widerschein schwach durchwindeter Wolken auf dem Wasser. In nervösen Wellen floss das Licht der Pappeln hinauf und ließ die Luft erzittern.“ (Zitat Pos. 1782) Schilderungen wie diese erzeugen in mir kein Bild der Szene, weil die Gedanken an den Sätzen festhängen.

Fazit

Dieser Roman erzählt das erfüllte, abenteuerliche Leben einer klugen, selbstbewussten Frau, das Erkunden ferner Länder und Kulturen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Als habe diese Geschichte nur darauf gewartet, einmal, ein einziges Mal erzählt zu werden“ (Zitat Pos. 2605) Durch das Erzählen und Teilen der eigenen Erinnerungen mit der nächsten Generation wird die Vergangenheit noch einmal zur Gegenwart.

KRYONIUM. Die Experimente der Erinnerung – Matthias A. K. Zimmermann

AutorMatthias A. K. Zimmermann
Verlag Kulturverlag Kadmos Berlin
Erscheinungsdatum 28. Oktober 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten324
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3865994448

 „Während ich zu lesen versuchte und in Gedanken doch ganz woanders war, wälzte ich unzählige Fragen in meinem Kopf: Wo bin ich? Wie kam ich hierher? Warum bin ich hier? Vor allem aber ließ mir eine Frage keine Ruhe: Wer bin ich?“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

„Ich“ befindet sich in einem Schloss, orientierungslos, ohne jede Erinnerung, kennt nicht einmal den eigenen Namen. „Ich“ ist ein Untertan in einer strengen Hierarchie aus einem König, Rittern und Wachen, und leitet die Lichterwerkstatt, wo an einer Lichtmauer gebaut wird, die das Schloss vor den Fabelwesen und Ungeheuern schützen soll, die in einem Wald hausen, der das Schloss umgibt. Es handelt sich um eine Insel in einem See und es soll einen geheimen Fluchtweg geben, der unter dem See auf das Festland führt. Denn „Ich“ will nur eines: fliehen, obwohl Fluchtversuche streng bestraft werden. Als „Ich“ einen Zauberstab findet, ist dies der erste von vielen mutigen Schritten in die Freiheit – doch in welche Freiheit?

Thema und Genre

Der Autor selbst nennt seine Geschichte ein technoides Märchen und führt uns in phantastische virtuelle Welten voller Magie und Fabelwesen. Das Kernthema sind philosophische Fragen, bis zurück zu Platons Ideenlehre und Höhlengleichnis, die Frage, wie weit vergängliche, veränderbare Sinneswahrnehmungen unsere Vorstellung von der tatsächlichen Realität, der wahren Wirklichkeit, beeinflussen. Es geht auch um die modernen Realitätsbegriffe, die mehr Fragen aufwerfen, als beantworten.

Charaktere

„Ich“ als Figur bleibt über lange Zeit schwer zu definieren, jeder Leser füllt die optische Präsenz dieses Wesens nach der eigenen Logik, die sich später als zutreffend erweist, oder auch nicht. Wir wissen jedoch, dass die Figur sehr mutig ist, kreativ, niemals ihre Fluchtversuche aufgibt und Entscheidungen trifft, die überraschen.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman ist in Worte gefasste phantastische Malerei, er versetzt den Leser sprachgewaltig in das Panorama der Bilder des Autors wie „Die Raummaschine 6“, „Die Raummaschine 7“ und „Die Zwischengänge zu Räumen unterschiedlicher Zeiten“. Die Handlung ist in drei übergeordnete Teile gegliedert, diese wiederum in fortlaufende Kapitel. Zwei Handlungsorte werden durch unterschiedliche Sichtweisen  nochmals aufgefächert. Die Wahrnehmungsebene der Figur pendelt wiederholt zwischen der verzauberten, magischen Welt und einer möglichen, erklärbaren Realität, und wieder zurück zur Magie. Die Ereignisse werden zeitlich fortlaufend geschildert, doch im dritten Teil schwenkt die Ich-Form zur personalen Erzählform, fasst beide Handlungsorte nochmals zusammen und diese veränderte Sichtweise verbindet die vorhergegangenen Ereignisse zu einem neuen, überraschenden Gesamtbild.

Fazit

Eine magische, geheimnisvolle, aber auch beklemmende Geschichte. Man erlebt mit einer Ich-Figur spannende Abenteuer, gefährliche Fluchten, trifft Zauberwesen und entwickelt selbst Zauberkräfte, wird durch virtuelle Ebenen von Computerspielen gewirbelt mit zum Glück mehreren Leben, um dann festzustellen, dass alles doch völlig anders ist. Ein phantastisches, packendes Leseerlebnis, dessen Themen zum Weiterdenken anregen.

Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus – Jana Revedin

AutorJana Revedin
Verlag DUMONT Buchverlag
Erscheinungsdatum 12. November 2018
FormatKindle Ausgabe
Seiten305 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB07CH3987G

„Ihre Bauhaus-Idee sei in den Köpfen der Menschen also tatsächlich eine Marke geworden, und diese sei seit der vergangenen Woche um einiges mehr wert.“ (Zitat Pos. 1824)

Inhalt

Ise Frank hat einige Semester in Berlin Germanistik studiert. Seit zwei Jahren arbeitet sie in einer Verlagsbuchhandlung in München, schreibt Rezensionen und ist auch journalistisch tätig. Am 28. Mai 1923 begleitet sie ihre Freundin Lise, die Architektur studiert, zu einem Vortrag des Architekten Walter Gropius an der TU Hannover, wo dieser über seine innovative Bauhaus-Idee referiert. Am 11. August 1923 fährt sie zu den Eröffnungstagen der Bauhaus-Ausstellung nach Weimar. Die Bauhaus-Idee begeistert und inspiriert Ise. „Ise, ich brauche Sie“, sagt Gropius zu Ise Frank, die am 16. Oktober 1923 Frau Gropius wird und als gleichrangige Partnerin von Gropius bald für alle „Frau Bauhaus“ ist.

Thema und Genre

Dieser biografische Roman Hintergrund stellt Ise Gropius in den Mittelpunkt, engagiert, eigenständig, entspricht die Journalistin und Schriftstellerin dem modernen Frauenbild. Kernthema ist die Bauhaus-Idee, die künstlerische Umsetzung und die mit dem Bauhaus in Weimar und später Dessau verbundenen bedeutenden Künstler.

Charaktere

Seit dem Tag, als Ise Walter Gropius kennenlernt, ist sie von der Bauhaus-Idee begeistert und lebt sie. Nicht nur Ehefrau, sondern gleich berechtigte Partnerin von Gropius, wird sie von den Künstlern auch auf Grund ihrer Kreativität und präzisen wirtschaftlichen Ideen geschätzt. Auch wenn es sich hier um einen Roman und kein Sachbuch handelt, bleiben die realen Figuren im Rahmen ihrer Biografien, werden aber durch die ausgearbeitete Handlung mit neuen Leben erfüllt.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman zeigt nur einen Ausschnitt aus dem Leben von Ise und Walter Gropius. Es geht im die aktiven Bauhaus Jahre von den Ideen bis zur Umsetzung der Projekte. Er spielt daher, ergänzt durch Rückblenden, in den Jahren 1923 bis zum 1. April 1928, als Gropius unter dem Druck der Politik die Leitung des Bauhaus abgibt. Mit einem kurzen Ausblick auf die weiteren Ereignisse im Leben des Ehepaares Gropius mit den bekannten Fakten und Daten schließt der Roman.

Der Autorin gelingt es, nicht nur die Künstlerin Ise Gropius in allen Facetten und mit vielen interessanten Details zu schildern, sondern auch das einmalige kreative Umfeld und Schaffen in dieser Gemeinschaft von Kunstschaffenden zu erfassen, das die Architektur und Innenarchitektur mit völlig neuen Inhalten und Leben abseits der starren Lehre der Hochschulen erfüllt. Großartig und spannend zu lesen ist der Weg des jungen Marcel Breuer und die Entwicklung seiner modernen Stahlrohrmöbel.

Fazit

Ein biografischer Roman über Ise Gropius, die engagierte Frau und kreative Partnerin an der Seite des Architekten und Bauhaus-Gründers Walter Gropius. Ein Buch, dessen Seiten die Ideen und künstlerische Vielfalt des Bauhaus Gedankens atmen und den damit verbundenen Aufbruch in völlig neue Wege einer modernen Architektur.

Die Seebadvilla – Kathleen Freitag

AutorKathleen Freitag
Verlag HarperCollins
Erscheinungsdatum 24. März 2020
FormatBroschiert
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3959673921

„Tatsächlich glich ihre Familiengeschichte einem Puzzle, bei dem sie nur die Randstücke zusammensetzen konnte.“ (Zitat Pos. 186)

Inhalt

1992 führt Henriette (Henni) Faber seit über fünfunddreißig Jahren ein erfolgreiches Modeatelier in München. Ihre Tochter Caroline hilft ihr beim bevorstehenden Umzug in ein günstigeres Geschäftslokal. Dabei entdeckt sie eine alte Fotografie und das Schreiben eines Anwaltsbüros aus Greifswald, in dem es um die mögliche Rückübertragung einer Villa auf der Insel Usedom geht. Doch ihre Mutter will damit nichts zu tun haben, will nicht einmal darüber reden. Caroline aber will die Wahrheit wissen und besucht zuerst ihre Großmutter Grete in Berlin, anschließend fährt sie auf die Insel Usedom. Zu viele offene Fragen warten auf Antworten.

Thema und Genre

Dieser Familien- und Generationenroman spielt in den Nachkriegsjahren und nach der Wende. Es geht um die DDR, um die Aktion Rose, um Schweigen, um zu vergessen. Ein Thema sind auch die Liebe, Hoffnung und Mut zum Neubeginn.

Charaktere

Grete, Henni und Caroline, drei unterschiedliche Generationen einer Familie, aber jede ist auf ihre Art eine starke, mutige Frau. Sie alle sind durch Geheimnisse und Verschweigen wichtiger Familienereignisse geprägt. Generell sind die Charaktere dieses Romans klar in „gut“ und „böse“ eingeteilt, es fehlen die menschlichen Graubereiche, die den Figuren mehr Tiefe gegeben hätten.

Handlung und Schreibstil

Die Familiengeschichte wird in zwei Zeitsträngen erzählt, ein Teil der Ereignisse spielt in den Jahren 1952 und 1953, der aktuelle Teil spielt im Jahr 1992. Die einzelnen Hauptprotagonistinnen Grete, ihre beiden Töchter Henni (Henriette)  und Lisbeth, und Henriettes Tochter Caroline stehen abwechselnd im Mittelpunkt eines Kapitels, die Zuordnung erfolgt durch die Jahresangabe und den Namen. Die Handlung ist nachvollziehbar, gut geschildert und ergänzende Beschreibungen des Lebens in Ahlbeck auf der Insel Usedom und der Natur bieten einerseits zeitgeschichtliche Informationen, lassen andererseits Inselfeeling aufkommen. Die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsroman.

Fazit

Ein Familien- und Generationenroman mit zeitgeschichtlichem Hintergrund, der auf der Insel Usedom spielt. Eine spannende, interessante Handlung, leicht und unterhaltsam zu lesen, passend für den Strandkorb, Liegestuhl oder das Sofa.

Die Spionin – Imogen Kealey

AutorImogen Kealey
Verlag Rütten & Loening
Erscheinungsdatum 18. Februar 2020
FormatTaschenbuch
Seiten457
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3352009464

„Sie setzte sich in Bewegung, dann rannte sie, wurde immer schneller, rannte, bis sie die Verfolger hinter sich gelassen hatte und nur noch ihr keuchender Atem und sonst nichts zu hören war.“ (Zitat Pos. 586)

Inhalt

Nancy Wake, geboren am 30. August 1912 in Wellington, Neuseeland, wächst in Australien auf, geht als Journalistin nach Europa, wo sie 1938 in Wien die Verfolgung der Juden miterlebt, was sie für immer prägt. Sie lebt in Marseille, als die Deutschen Nordfrankreich besetzen und wird sofort aus tiefer Überzeugung als Fluchthelferin der Résistance tätig. Als Ehefrau des vermögenden Unternehmers Henri Fiocca hat sie die notwendigen Mittel und Tarnung für ihre gefährlichen Einsätze. 1943 flieht sie nach London, wird dort als Agentin ausgebildet und kehrt heimlich nach Frankreich zurück, um Einsätze der Maquis-Gruppen zu leiten. Fieberhaft suchen die Nazis nach der „Weißen Maus“ und bieten fünf Millionen Francs für ihre Ergreifung. Sie jedoch kämpft unbeirrbar weiter, in der Hoffnung, ihren Ehemann, den die Nazis 1943 verhaftet hatten und der seither verschwunden ist, nach dem Rückzug der Nazis zu finden und befreien zu können.

Thema und Genre

Dieser packende Roman mit biografischem Hintergrund handelt von einer der mutigsten Frauen der britischen Spezialeinheit SOE im zweiten Weltkrieg. Es geht um das von den Deutschen besetzte Frankreich und die Résistance, um die Agenten im Untergrund, welche die Landung der Alliierten in der Normandie durch ihre Einsätze erst möglich gemacht haben.

Charaktere

Nancy Wake ist eine attraktive Frau, ihr Ehemann Henri Fiocca ist ihre große Liebe. Das Risiko, das sie beide mit ihren Einsätzen im besetzten Frankreich eingehen, ist ihr bekannt, aber ihre persönliche Überzeugung und ihr Charakter machen es ihr unmöglich, einfach schweigend wegzusehen. Auch nach ihrer harten Ausbildung als kompromisslose Kämpferin bleibt sie in den wenigen ruhigen Minuten zwischen den Einsätzen eine Frau mit Freude an Kleidern und Kosmetik, für sie kurze Momente eines anderen Lebens. Als Strategin ist sie einfallsreich und in der Ausführung mutig und unerschrocken. Ihr erbittertster Gegner ist Markus Friedrich Böhm, Major der Gestapo Marseille.

Handlung und Schreibstil

Der Roman berichtet die Ereignisse chronologisch, er beginnt 1943 mit Nancys Einsätzen in Südfrankreich und endet 1944 nach der Landung der Alliierten in der Normandie und der Befreiung von Paris. Historische Anmerkungen am Buchende erklären den Lesern, welche Teile des Romans Fakten sind und wo fiktive Veränderungen vorgenommen wurden. Der Schreibstil, in diesem Fall auch die Übersetzung, ist eine perfekte Mischung aus interessanten Fakten, lebhaften Beschreibungen und fesselnden Schilderungen von gefährlichen Einsätzen.

Fazit

Ein spannender biografischer Roman über die mutige Agentin und Widerstandskämpferin Nancy Wake im von den Deutschen besetzten Frankreich des WK II, ein interessanter, packender Pageturner.

Das Ensemble – Aja Gabel

AutorAja Gabel
Verlag Piper
Erscheinungsdatum 3. Februar 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten400
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3492058544

„Obwohl sie tief im Alltag der anderen verwurzelt waren (das Quartett war eine Art Lebenspartnerschaft) und manchmal nicht umhinkamen, sich einzumischen, drehten sich ihre Gespräche eher um Einsätze, Crescendos und Karrieren als um Liebesdinge.“ (Zitat Pos. 1057)

Inhalt

Schon während der Ausbildung haben sie sich gefunden und das Van-Ness-Quartett gegründet. Jana, Erste Violine, die meistens, und nicht nur in der Musik, den Ton und das Tempo vorgibt, Brit, die Zweite Violine, leise, im Leben manchmal pianissimo, doch wenn es im Ensemble darauf ankommt, ist sie präsent. Henry, Bratsche, das hochbegabte, jüngste Mitglied, denkt manchmal über eine Solokarriere nach und Daniel, Cello, der älteste der Gruppe, ist beinahe zwanghaft perfekt, ein großartiger Musiker, aber als Mensch anstrengend. Nach dem Abschlusskonzert am Konservatorium nehmen sie am Esterhazy-Quartett-Wettbewerb in Kanada teil, ein guter Platz wäre ein perfekter Start in eine erfolgreiche Zukunft. Doch persönliche Konflikte könnten sie auch musikalisch aus dem Takt zu bringen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Musik, um Erfolg als Künstler und die Frage, ob ein intensives Leben als Musiker noch Platz lässt für Beziehungen. Ein wichtiges Thema sind die völlig unterschiedlichen Charaktere der einzelnen Mitglieder des Quartetts, sich daraus ergebende heftigen Diskussionen um musikalische Auslegungen und gleichzeitig die Liebe zur Musik als starkes Band, das sie zusammenhält und auch ihr Privatleben bestimmt.

Charaktere

Jana, Brit, Henry und Daniel sind sehr unterschiedlich in ihrem Herangehen an die Musik. Dennoch sind sie dann erfolgreich, wenn sie sich von der gemeinsamen Liebe zur Musik leiten lassen und so auch zu einem musikalischen Gleichklang finden. Die einzelnen Charaktere sind einfühlsam mit Liebe zum Detail geschildert und immer glaubhaft und stimmig. Die hohen persönlichen Anforderungen des Lebens als Musiker werden sehr realistisch, klar und keinesfalls idealisiert dargestellt, hier verstärkt durch die Zugehörigkeit zu einem Ensemble.

Handlung und Schreibstil

Der Roman folgt dem Ensemble chronologisch über mehr als fünfzehn Jahre lang, ist in vier Teile eingeteilt, wobei es in jedem Teil auch um bestimmte Musikstücke geht. Die personale Erzählform stellt in den einzelnen Kapiteln jeweils ein Mitglied des Ensembles in den Mittelpunkt, in Teil 1 und Teil 3 ist es abwechselnd Jana oder Brit, in Teil 2 und Teil 4 Henry oder Daniel. Dadurch ergeben sich für den Leser unterschiedliche Sichtweisen auf bestimmte Ereignisse, wodurch die Handlung intensiv erlebt wird. Musik und Leben im Alltag von Partnerschaften und Familie werden so zu einem facettenreichen Gesamtbild, auch in der Sprache untermalt von Musik.

Fazit

Ein leiser, manchmal nachdenklicher Roman, Musik, die konstant durch alle Entscheidungen der Mitglieder eines Ensembles von Streichinstrumenten schwingt, um dann in einer Konfliktsituation zum Fortissimo aufzubrausen. Die Frage, ob ein intensives Musikerleben, der Wunsch nach Anerkennung und Erfolg, für ein erfülltes Leben ausreichen, ob ein Ensemble die Familie ersetzt, oder ob ein privates Parallelleben möglich ist, gibt in diesem Roman gleich einem Notenschlüssel den Ton an. Diese ungewöhnliche Idee, gekonnt umgesetzt, garantiert Lesevergnügen, nicht nur für Musikfreunde.

Wiedersehen in der kleinen Inselbuchhandlung“ (Die Inselbuchhandlung-Reihe, Band 3) – Janne Mommsen

AutorJanne Mommsen
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 18. Februar 2020
FormatTaschenbuch
Seiten288
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499276613

„Er spürte, dass gerade etwas Bedeutendes in seinem Leben passiert war, dessen Folgen er noch nicht abschätzen konnte.‘ (Zitat Seite 110)

Inhalt

IIhre Kindheit und Jugend auf der kleinen Nordseeinsel verbrachten sie als enge Freunde: Hauke, Wiebke, Nicole, Kai, eine untrennbare Clique. Doch nach dem Abitur waren sie plötzlich unterschiedliche Wege gegangen, nur Wiebke ist als Landwirtin auf der Insel  geblieben. Nach zwanzig Jahren kehrt der erfolgreiche Autor Hauke für eine Lesung in der Inselbuchhandlung in seine Heimat zurück und unter den Zuhörern sitzen auch Wiebke, Nicole und Kai. Können sie zu ihrer Freundschaft der unbeschwerten Kindertage zurückfinden?

Thema und Genre

Dieser unterhaltsame Roman hat die Wahl zwischen Stadtleben und Landleben, hier auf einer Insel, zum Thema. Vor allem jedoch geht es um Freundschaft, Entscheidungen und mögliche neue Wege.

Charaktere

Vier unterschiedliche Charaktere, die vor zwanzig Jahren eine eingeschworene Clique waren. Sehr stimmig ist die Entwicklung von Hauke, Wiebke, Nicole ind Kai geschildert, ihre Träume und die Situation der nun Erwachsenen.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird in einer personalen Form erzählt, wobei abwechselnd  Wiebke oder Hauke im Mittelpunkt steht. Dadurch werden die Ereignisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, was den Figuren Tiefe gibt. Erinnerungen ergänzen die aktuelle Situation, wo notwendig. Die angenehm zu lesende Sprache versetzt den Leser durch die lebendigen Schilderungen des Lebens und der Natur der Insel sofort in Urlaubsstimmung.

Fazit

Ein Wohlfühlroman mit Inselflair für unterhaltsame Lesestunden, der zum Träumen anregt und den man mit einem Lächeln liest.

Der Freund – Sigrid Nunez

AutorSigrid Nunez
Verlag Aufbau Verlag
Erscheinungsdatum 21. Januar 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten235
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3351034863

„Es gab eine Zeit, in der mir klarer gewesen wäre, ob es von einer geistigen Störung zeugt, wenn man einem Hund Rilkes Briefe an einen jungen Dichter laut vorliest.“ (Zitat Pos. 1782)

Inhalt

Die Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin und Dozentin für Creative Writing, ist mit einem Schriftsteller in einer lebenslangen, tiefen Freundschaft verbunden, an der auch die drei Ehen des Schriftstellers nichts ändern. Als dieser Selbstmord begeht, versinkt sie in Erinnerungen, Fragen und führt in ihren Gedanken ihre lebhaften, kritischen Diskussionen mit ihm weiter, in denen es um Literatur, Schriftsteller und das Leben insgesamt geht. Doch die Realität verlangt von ihr Entscheidungen, denn ihr Freund hat ihr seinen alten Hund vermacht, eine große Dogge namens Apollo. Auch der Hund trauert, aber gerade daraus ergibt sich eine besondere Bindung zwischen der Schriftstellerin und der Dogge, die viel lieber Rilke vorgelesen bekommt, als Mozart zu hören.

Thema und Genre

Dieser vielschichtige Roman erzählt in Form der Gedanken und Gefühle einer Hauptfigur eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Literatur früher und heute, vom Schreiben und den Schriftstellern, vom Altern und von dem tiefen, wortlosen Verständnis zwischen Mensch und Hund.

Charaktere

Nur die Dogge hat einen Namen, alle anderen Figuren bleiben namenlos, werden aber durch die Schilderungen der Gedanken, Gefühle und erzählten Erinnerungen sofort fassbar und sind intensiv und detailliert beschrieben.

Handlung und Schreibstil

Die Autorin ist eine wunderbare Erzählerin, sie gibt ihrer Ich-Protagonistin eine Stimme, die mit großem Einfühlungsvermögen Trauer, das Leben als Schriftsteller und die immer präsenten Zweifel schildert, dazu sehr kritische Betrachtungen zum modernen Literaturbetrieb, aber auch den Alltag in New York. Gekonnt spielt sie mit Handlungsebenen und überraschenden Wendungen. Die sprachliche Palette bewegt sich ausdrucksstark zwischen poetisch, philosophisch, kritsch, humorvoll und immer präzise auf den Punkt gebracht.

Fazit

Wer den üblichen unterhaltsamen Mensch-Hund-Wohlfühlroman erwartet, sollte nicht gerade zu diesem Roman greifen.

Wer eine auch sprachlich intensive Geschichte über Trauer, Freundschaft, den Literaturbetrieb und das Schreiben, über Liebe und die überaus gutmütige, kluge Dogge Apollo sucht, wird dieses Buch genießen, auch den damit verbundenen gedanklichen Ausflug in die Literatur. Ein Roman, der die Gedanken noch lange nach der letzten Seite beschäftigt und den man wohl auch ein zweites Mal lesen wird.

Goodbye Bukarest – Astrid Seeberger

AutorAstrid Seeberger
Verlag Urachhaus
Erscheinungsdatum 11. Februar 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten244
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3825152307

„Erst als ein Windhauch herüberwehte, hörte er es: Jemand pfiff eine Melodie, die er wiedererkannte. Eine Melodie, die das schwarze Loch mit Musik füllte: Bachs Ich ruf zu Dir.“ (Zitat Seite 91)

Inhalt

Astrids Mutter erzählte Zeit ihres Lebens, dass Astrids Onkel Bruno in Stalingrad gefallen sei. Erst nach dem Tod der Mutter erfährt Astrid von einem alten Pfarrer dass dies eine Lüge war. Bruno hatte den Krieg überlebt, aber mit der Familie bewusst gebrochen. Schon Astrids Mutter hatte nach Bruno gesucht, und Astrid setzt nun diese Suche fort, weil sie die Wahrheit wissen will. Was ist damals wirklich geschehen, lebt ihr Onkel Bruno noch?

Thema und Genre

Dieser autobiografische Roman führt seine Erzählerin durch miteinander verflochtene Schicksale, ausgehend von Sibirien im Zweiten Weltkrieg, nach Bukarest, über Berlin und München in ein altes Haus in Münsing, Bayern. Eines der Hauptthemen sind die Geschichte Rumäniens, Heimat, Flucht und Vertreibung, Familie, die Kraft der Musik und die Liebe in ihrer Vielfalt. Es geht um die Suche nach den eigenen Wurzeln.

Charaktere

Astrid will Antworten betreffend das Schicksal ihres Onkels Bruno und einen Teil ihrer Familiengeschichte, über den bisher geschwiegen wurde. Beharrlich folgt sie auch der kleinsten Spur und sie kann vor allem eines: zuhören. Sie hört den Menschen zu, deren Schicksal auf irgend eine Weise mit dem Schicksal Bruno Seebergers verknüpft ist, all dies eingebettet in wichtige Episoden europäischer Zeitgeschichte.

Handlung und Schreibstil

Der Aufbau dieses Romans wurde für dieses vielschichtige, umfassende Thema perfekt gewählt. Die Ich-Erzählerin berichtet über ihre Recherchen in der aktuellen Gegenwart, dadurch erfährt der Leser auch mehr über sie und ihr Leben. Mehrere Menschen sind fest mit dem Schicksal von Bruno verbunden. Deren Geschichten erfährt Astrid im Zuge ihrer Recherchen von den betroffenen Personen selbst oder durch nahestehende Zeitzeugen. Eine überaus spannende Reise durch die jüngere Vergangenheit, beeindruckend auch durch die vielseitigen Aspekte, die diese Menschen, ihre Entscheidungen und Gefühle, geprägt haben. Die poetische Sprache überzeugt ebenso, wie der gekonnte Aufbau und die Erzählformen.

Fazit

Ein spannend und doch poetisch erzähltes Stück Zeitgeschichte, ein Puzzle von verschiedenen Einzelschicksalen, die dicht miteinander verbunden sind und letztendlich ein Rätsel in der Geschichte einer Familie lösen.

Der Sommer, in dem Einstein verschwand – Marie Hermanson

AutorMarie Hermanson
Verlag Insel Verlag
Erscheinungsdatum 8. März 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten371
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3458178460

„Die neue Frau hatte einen Beruf und war finanziell von niemandem abhängig. Sie hatte aber nicht irgendeinen Beruf; es musste etwas Freies und Kühnes sein, wie Künstlerin, Schauspielerin oder Journalistin.“ (Zitat Seite 20)

Inhalt

Im Jahr 1923 feiert Göteborg das Dreihundert-Jahre-Jubiläum. Die junge Ellen Grönblad erhält eine der begehrten Stellen als Voluntärin für die Ausstellungszeitung ‚Krone und Löwe‘ und wird täglich berichten.

Nils Gunnarsson ist Kriminalpolizist und einem Wirtschaftsbetrüger auf der Spur.

Albert Einstein wird in Göteborg seine Nobelpreisrede halten, doch er war schon in Berlin bedroht worden. Seine Relativitätstheorie und der damit verbundene internationale Erfolg, dazu dieTatsache, dass er Jude ist, machen ihn zum Feindbild der gefährlichen nationalen Kreise in Deutschland. Dann verschwindet plötzlich sein Kalender mit allen Terminen von seinem Schreibtisch. Den Vortrag muss er halten, doch er ändert seine Reisepläne, ein Ereignis, an das sich Otto auch im Jahr 2002 noch erinnern wird, der damals als Junge mit seiner Eselin Bella auf der Ausstellung für die Unterhaltung der Kinder sorgte.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Jubiläumsausstellung 1923 in Göteborg, eine Episode in Einsteins Leben. Thema sind die gesellschaftlichen Umbrüche und die Anfänge eines neuen, modernen Frauenbildes. Das Buch ist ein zeitgeschichtliches  Stimmungsbild der Gesellschaft Göteborgs in den Zwanziger Jahren.

Charaktere

Vier Hauptcharaktere stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Ellen, die angehende Journalistin, deren Ziel es ist, eine „Neue Frau“ zu werden, die es tatsächlich aber bereits ist. Nils, der sympathische Kriminalpolizist, der beharrlich alle Spuren verfolgt und auch zuhört. Otto, der aufgeweckte Eseljunge, dessen späteres Leben durch die Eindrücke dieser Ausstellungsmonate nachdrücklich geprägt wird und Albert, nun, Einstein ist Einstein, eigenwillig, aber immer menschlich, einfühlsam.

Handlung und Schreibstil

Die Ereignisse werden aus Sicht der einzelnen Protagonisten fortlaufend geschildert. Otto erinnert sich 2002 in der Ich-Form an die damalige Zeit zurück, während in der personalen Erzählform der weiteren Kapitel jeweils Ellen, Nils oder Albert im Mittelpunkt stehen. Die Kapitel wechseln einander ab und fügen sich, zusammwn mit ergänzenden Rückblenden, zu einem lebendigen Gesamtbild.

Der erzählende Schreibstil überzeugt auch sprachlich. Die Autorin vereint Beschreibungen, Gefühl und Humor zu einer unterhaltsamen, packenden Mischung.

Fazit

Auch wenn die Figuren und die Handlung, abgesehen von Albert Einstein und seine  Gegnern, fiktiv sind, ist der interessante Rahmen der Geschichte real und genau recherchiert. So entsteht ein lebhaft-buntes Stimmungsbild Göteborgs während dieser internationalen Ausstellung 1923.

Die Liebe einer Tochter – Deborah Moggach

AutorDeborah Moggach
Verlag Insel Verlag
Erscheinungsdatum 20. Januar 2020
FormatTaschenbuch
Seiten262
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3458364542

„Sie wussten, dass das Leben chaotisch ist, aber hierauf waren sie nicht vorbereitet gewesen.“ (Zitat Seite 176)

Inhalt

IJames Wentworth, ein ehemaliger Universitätsprofessor für Teilchenphysik, ist über achtzig Jahre alt. Nach dem Tod seiner Frau, mit der er vierundsechzig Jahre lang verheiratet war, hat er sich völlig zurückgezogen und ist nach einem Sturz auf Hilfe angewiesen. Bisher waren die Haushaltshilfen, die seine Kinder Phoebe und Robert engagiert hatten, nur kurz geblieben, doch dann kam Mandy, fröhlich und bodenständig. Schon nach einer Woche schien es, als sei sie schon immer hier gewesen. Sie unternimmt mit James Ausflüge, besucht Shopping-Center und teilt mit ihm den Kleinstadtklatsch. Er lebt auf und obwohl Phoebe und Robert sehr dankbar sind, dass sie die vorlaute, selbstbewusste Mandy gefunden haben, so bleibt doch ein gewisses Misstrauen dieser Pflegerin gegenüber. Was hat sie im Schreibtisch ihres Vaters gesucht?

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Familie, um die komplexen, nicht immer einfachen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, um das Leben in einer Kleinstadt und natürlich um das Älterwerden.

Charaktere

Robert, verheiratet, zwei Kinder, ist zweiundsechzig Jahre alt und war früher im Finanzbereich erfolgreich tätig. Seit er den Job verloren hat, schreibt er als Privatier an einem Buch. Phoebe ist Single und Künstlerin. Die finanziell abgesicherte Kindheit der beiden war davon geprägt, dass ihr Vater als erfolgreicher Wissenschaftler oft unterwegs war und selten zu Hause. Dies schwingt auch heute noch in ihrer Beziehung zu ihrem Vater mit. Mandy dagegen wuchs behütet auf, aber unter völlig anderen wirtschaftlichen Bedingungen. Von unvorteilhaftem Aussehen, etwas unbedarft und schrill im Geschmack, dazu ehrlich bis zur Taktlosigkeit, ist sie das genaue Gegenteil der Mitglieder der Familie Wentworth.

Handlung und Schreibstil

Das Buch ist in drei übergeordnete Teile geteilt und in der personalen Erzählform geschrieben. Teil Eins, der längste Teil, stellt abwechselnd Phoebe und Robert in den Mittelpunkt der einzelnen Kapitel. Teil Zwei spielt in der Vergangenheit, jedoch nicht in Form von Erinnerungen. Hier stehen James und der Personenkreis aus der damaligen Zeit im Mittelpunkt, während Teil Drei ein Jahr nach den Ereignissen von Teil Eins spielt und wieder aus Sicht von Phoebe oder Robert geschrieben ist. Alle Kapitel tragen den jeweiligen Namen als Überschrift, dadurch ist die Handlung sehr klar und gut lesbar strukturiert. Auch die Sprache, in diesem Fall die übersetzte Sprache, ist angenehm und flüssig zu lesen passt zu dieser Mischung aus ernsten und humorvollen Szenen in der Geschichte.

Fazit

Ein Roman über das Älterwerden und das sensible und doch komplexe Gefüge, das wir Familie nennen, um unterschiedliche Sichtweisen der Realität und um damit verbundene Geheimnisse. Auf Grund des Klappentextes hatte ich eher eine Geschichte über eine geerdete, eigenwillige Pflegerin und einen alten, eigenbrötlerischen Professor erwartet, doch das macht nur einen kleinen Teil dieses Romans aus.

Der Tanz der Kraniche – Judith Kern

AutorJudith Kern
Verlag Knaur TB
Erscheinungsdatum 4. April 2011
FormatTaschenbuch
Seiten576
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3426507650

„Es war diese absolute Liebe zur Farbe, diese Lust, mit allen Sinnen in die Tiefe der Naturvorzudringen, um zu versuchen einen Bruchteil dieser Erfahrung auf Papier oder Leinwand festzuhalten.“ (Zitat Seite 67)

Inhalt

Ida Grotjahn, geboren 1878, wächst in einer gutbürgerlichen Stralsunder Familie auf. Ihr Lebensweg scheint vorgegeben: eine vorteilhafte Ehe, Kinder. Ihr Wunsch, eine Künstlerlaufbahn als Malerin einzuschlagen, wird von ihrem Vater nicht akzeptiert. Doch sie darf Malunterricht nehmen und im Sommer zum ersten Mal auf die Insel Hiddensee reisen. Sie lernt die Malerin Anna Stein kennen, die sie überredet, nach Berlin zu kommen. Nun könnte sie endlich die Malerei in den Mittelpunkt ihres Lebens stellen, wären da nicht ihre Gefühle für den erfolgreichen, verheirateten Maler Herbert Klausen.

Thema und Genre

Ein Frauenroman, der in der Künstlerszene zur Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert spielt.

Charaktere

Ida will Malerin werden. Sie träumt von einem freien, unabhängigen Leben, ein Ehemann kommt darin nicht vor. Dies ändert sich, als sie dem Maler Herbert Klausen begegnet. Statt sich weiterhin auf ihre Ausbildung und Verwirklichung als Malerin zu konzentrieren, wird die Protagonistin zur ewig zögernden, auch als Künstlerin an sich selbst zweifelnden Frau. Die Hochblüte der großartigen Hiddenseer Künstlerinnen kann in den Protagonistinnen dieses Romans nur erahnt werden

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird nach einem Prolog chronologisch erzählt. Im Mittelpunkt der personalen Erzählform steht Ida, eine junge Frau auf dem Weg zur anerkannten Malerin. Sehr anschaulich werden die Schwierigkeiten geschildert, denen sich Frauen stellen mussten, wenn sie Ende des 19. Jahrhunderts eine Ausbildung als selbstständige Künstlerin anstrebten, denn Frauen waren an öffentlichen Kunstakademien erst ab 1919 zugelassen. Das tatsächliche Leben der Malerinnen auf Hiddensee zu dieser Zeit kann allerdings auf Grund der Handlung dieses Romans nur schwer nachvollzogen werden, andererseits spielt dieser auch gute fünfzehn Jahre vor der Gründung des Hiddensoer Künstlerinnenbundes im Jahr 1919. Die Sprache mit lebhaften Schilderungen der Natur und des Künstlerlebens in Berlin und auf Hiddensee ist flüssig und angenehm zu lesen.

Fazit

Ein gut geschriebener Frauenroman mit Bezug zur Künstlerinsel Hiddensee, leider ohne Tiefgang, eher ein sanftes Plätschern. Die Aufbruchsstimmung und der Mut der Frauen, die sich in der damaligen Zeit für ein selbstbestimmtes Leben als Künstlerin entschieden haben, ist in dieser romantischen Beziehungsgeschichte zu schwach zu spüren. Leichte Lektüre für unterhaltsame Lesestunden.

Alle Tage, die wir leben – Dagmar Hansen

AutorDagmar Hansen
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum 19. November 2019
FormatTaschenbuch
Seiten320
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499276576

„Frau im besten Alter (84), stark eingespannt, sucht stundenweise verschwiegene/n Privatsekretär/in und Personal Assistant für diverse Aufgaben. Auch als Reisebegleitung. Führerschein Kl. B unverzichtbar. Sehr gute Bezahlung.“ (Zitat Seite 60)

Inhalt

Mitte fünfzig und arbeitslos geworden, machte sich Mathilde „Tilda“ Richter mit einem Schreibservice-Büro selbstständig.  Nun geht ihr Hauptauftraggeber in Pension und sie braucht einen Zusatzjob. Spontan antwortet sie auf eine Anzeige der vierundachtzig Jahre alten Ruth Wellentin und wird engagiert. Als Privatsekretärin wird sie ihr beim döstädning helfen. Ausgerechnet Tilda, die überhaupt nicht damit klarkommt, in einem Monat sechzig Jahre alt zu werden.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Freude am Leben in jedem Alter, um persönliche Erfahrungen, die jeden Menschen prägen. Das Kernthema ist das aus Schweden kommende döstädning, das gezielte Ordnen der Dinge und das Aufräumen des Lebens. Man möchte glückliche Erinnerungen hinterlassen und nicht ein Chaos und Gerümpel, das aufwändig entsorgt werden muss.

Charaktere

Ruth ist eine selbstbewusste Frau, die auch mit vierundachtzig Jahren noch unangepasst ist und neugierig auf jeden neuen Tag. Im Laufe ihres Lebens hat sie einige Entscheidungen getroffen, deren Auswirkungen sie heute noch spürt, aber sie weiß auch, dass „was wäre gewesen, wenn“ keine Lösungen bringt.

Tilda neigt dazu, die Dinge pessimistisch zu sehen und die Tatsache, in Kürze sechzig Jahre alt zu werden, versetzt sie in Panik. Zum Glück hat sie zwei lebensfrohe Freundinnen, die sie immer wieder in das positive Hier und Jetzt zurückholen.

Handlung und Schreibstil

Tilda erzählt die Geschichte chronologisch in der Ich-Form. So lässt sie uns auch an ihren Gedanken teilhaben. Der Handlungszeitraum erstreckt sich nur über einen Monat, wird jedoch durch Rückblicke in Form von Erinnerungen und Gesprächen ergänzt. Die Autorin schreibt mit leisem Humor und viel Empathie über diese zwei so unterschiedlichen Frauen, die einander spontan gegenseitig helfen, von ihren Erfahrungen geprägte, festgefahrene Denkmuster zu überwinden und neue Ansätze zu finden.

Fazit

Ein einfühlsamer, humorvoller Roman, den man mit Vergnügen liest, der aber auch Zeit zum Nachdenken lässt, über die Geschichte selbst und die Anregungen, die man als Leserin daraus mitnehmen kann.

Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich – Friedrich Christian Delius

AutorFriedrich Christian Delius
Verlag Rowohlt Berlin
Erscheinungsdatum 20. August 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3737100762

„Der Mensch denkt, und Gott lenkt. Die zwei größten Irrtümer der Menschheit in sechs Worten, in einem Satz.“ (Zitat Seite 251)

Inhalt

Zwei Jahre vor der Rente wird der unangepasste, kritische Wirtschaftsredakteur – die Kollegen nennen ihn „Kassandra“ – freigestellt und in den Vorruhestand geschickt. Spontan beschließt er, weiterzuschreiben, diesmal in der Freiheit der eigenen Themenwahl. Ein Tagebuch soll es werden, ein Jahr lang wird er seine Gedanken und Eindrücke zu Papier bringen, als Zeitdokument, vielleicht für seine Nichte Lena, die gerade das Abitur macht und sich später, in dreißig Jahren etwa, fragen wird, wie es damals war, am Beginn des 21. Jahrhunderts.

Thema und Genre

Obwohl es vom Verlag so eingestuft wird, ist dieses Buch kein Roman, sondern eher eine Sammlung von Essays in Tagebuchform, mit Gedanken zur europäischen Wirtschaft, zur politischen Lage in Deutschland und in der EU, zu aktuellen Entscheidungen und ihre möglichen Auswirkungen in der Zukunft. Ein Thema ist auch die rasche und einfache Verbreitung von bewusst oder unbewusst falschen Meldungen in den sozialen Medien, von Menschen, die in erster Linie Aufmerksamkeit und Bestätigung suchen.

Umsetzung

Der Autor teilt das Buch in vier Kapitel ein. Die einzelnen Einträge tragen das jeweilige Datum, erfolgen chronologisch und beginnen mit dem 30.09.2017. Am 10.07.2018 erfolgt der letzte Eintrag, welcher lautet: (Fast) ein Jahr mein eigener Pausenclown, das reicht.“ (Zitat Seite 253)

Der Journalist und für seine Wirtschaftsseiten bekannte Redakteur wird seinem Spitznamen „Kassandra“ durchaus gerecht. Auch er warnt vor einseitig argumentierten Entscheidungen, vor den Folgen von nicht ausreichend überdachten Handlungen und auch er sieht sich politischen Entscheidungsträgern, hier „Kanzlerin M“ und „Wirtschaftsminister Sch“, gegenüber, die diese Handlungen beschlossen haben und sie durch bewusste Falschinterpretationen auch weiterhin verteidigen. Doch er ermahnt auch sich selbst, alle Seiten zu sehen und keine Vorurteile zu pflegen.

Ein besonderes Thema ist die Griechenland/Euro-Krise des Jahres 2017, die europäische Einwanderungspolitik und die verstärkten Investitionen von chinesischen Unternehmen in Europa.

Der auf Grund des Buchtitels erwartete Rügen-Bezug beschränkt sich auf ein paar Tage auf Rügen, die er gemeinsam mit seinem deutsch-amerikanischen Freund Fritz Roon dort verbringt, im vierten und damit letzten Kapitel des Buches. Hier geht es auch vorrangig um persönliche Themen.

Die Sprache schildert gekonnt die Gedankengänge des Tagebuchschreibers, der sich selbst, seine Mitmenschen und die Zeit, in der wir leben, mit spitzer, satirischer Feder beobachtet. An manchen Tagen ist er frustriert, verärgert, um am nächsten Tag auch seine Situation und Überlegungen mit Humor zu betrachten und zu den leisen Tönen zurückzukehren.

Fazit

Wer einen Roman mit Rügen-Bezug erwartet, sollte sich nicht für dieses Buch entscheiden, denn das wäre eine Enttäuschung. Wer eine sehr kritische, fundierte, freche, aber auch humorvolle wirtschaftspolitische Analyse unserer Zeit zu schätzen weiß, interessiert ist, sich mit den Hintergründen auseinanderzusetzen, bekannte Fakten vielleicht neu zu überdenken, wird dieses auch sprachlich überzeugende Buch mit Vergnügen lesen. Ich jedenfalls ging beim Lesen die gesamte Palette von „genau“ (mit heftigem Kopfnicken) über „na geh, aber wirklich nicht“ (mit Kopfschütteln) bis zu schallendem Gelächter mehrmals durch.

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