Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen – Dana Grigorcea

AutorDana Grigorcea
VerlagPenguin Verlag
Datum28. Februar 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3328601548

„Jahre schon trug sie diese Geschichte mit sich, in allen Details. Jedes ihrer Bücher hätte dieses werden müssen – und war dann doch ein anderes geworden.“ (Zitat Seite 12)

Inhalt

Es ist eine kleine Statuette des Bildhauers Constantin Avis, eine Frau oder ein aufsteigender Vogel, die fest in den Gedanken der Schriftstellerin Dora verankert ist. Eng mit dieser Figur verbunden ist eine Geschichte, die 1926 in New York beginnt und zu einem Prozess über die Frage führt, was der Unterschied zwischen Gebrauchsgegentand und Kunst ist und wer dies bestimmt. Damenwahl, so soll Doras Buch heißen und als sie zu Frühlingsbeginn in Santa Margherita Ligure eintrifft, spürt sie, dass sie hier, an der ligurischen Küste, dieses Buch schreiben wird.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Künstlerleben, den Schaffensprozess von bildenden Künstlern und Schriftstellerin, um de Traum vom Erfolg und die Definition von Kunst. Ein Teil der Geschichte spielt in der schillernden Stadt New York in den 1920er Jahren, kultureller und gesellschaftlicher Treffpunkt zwischen Stummfilm und Beginn der Tonfilmära. Themen sind auch Gefühle, Beziehungen und Künstler als Eltern.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt, einerseits die Geschichte des jungen Künstlers Constantin Avis, der 1926 nach New York kommt, um in einer Galerie an der Eröffnung einer Ausstellung mit seinen Skulpturen teilzunehmen. Über die damit verbundene Geschichte schreibt die Schriftstellerin Dora nun, beinahe einhundert Jahre später, ein Buch. Eine Auszeit im Frühling an der ligurischen Küste gibt ihr den künstlerischen Freiraum, den sie benötigt, während sich das Kindermädchen um Doras achtjährigen Sohn Loris kümmert. In ihren Gedanken taucht sie in das Leben von Constantin Avis ein, Episoden, Musik und Worte verbinden sich in der Gegenwart zu der Geschichte, die sie nun endlich niederschreiben kann. Dana Grigorceas Sprache ist leicht wie ein italienischer Frühlingstag und lebhaft, wie New York in den 1920er Jahren.

Fazit

Dana Grigorceas Roman „Die nicht sterben“ hat mich 2021 begeistert und ich wartete schon mit gespannter Vorfreude auf diesen neuen Roman. Analog zum Thema, was Kunst wirklich ist, frage ich mich gerade, wo die Grenze zwischen Unterhaltungsroman und Gegenwartsliteratur liegt, denn dieser neue Roman geht meiner Meinung nach leider nicht über die Stufe Unterhaltungsroman hinaus. Es ist ein angenehm zu lesender Roman auf zwei Zeitebenen, der biografische Fakten aus dem Leben des rumänisch-französischen Bildhauers Constantin Brâncuși in eine fiktive Romanhandlung einbettet. Romane dieser Art sind zur Zeit ein sehr beliebtes Genre, es kommen viele davon auf den Markt, und so wird auch dieses Buch begeisterte Leserinnen finden – ich hatte mehr erwartet.

Kantika – Elizabeth Graver

AutorElizabeth Graver
Verlagmareverlag
Datum20. Februar 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten386
SpracheDeutsch
ÜbersetzungJuliane Zaubitzer
ISBN-13978-3866487109

„Es ist die schöne Zeit, die Zeit der ausgebreiteten Flügel, der Freudensprünge und offenen Türen, das Leben ein haltloser Fluss von hier nach dort. Es ist die vorgedankliche Zeit, die Welt noch nicht als Listen wahrgenommen, nicht als Rückblick oder Futur, sondern als inbrünstige Musik – kantas, singen.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Rebecca wächst in Istanbul behütet und finanziell privilegiert auf, ohne dies wirklich zu bemerken. Bis sich am 14. November 1914 alles ändert. Die Familie wird gezwungen, nach Spanien auszuwandern, wo sie in Barcelona einen Neubeginn versuchen. Bisher Inhaber eines Textilunternehmens ist Alberto, Rebeccas Vater und das Familienoberhaupt nun Hausmeister der kleinen Synagoge. Rebecca ist bereits vierundzwanzig Jahre alt, als sie endlich den größten Wunsch ihrer Eltern erfüllt, sie heiratet. Bald darauf ist sie eine junge Witwe mit zwei Kindern. Auch die zweite Ehe wird von der Familie arrangiert und führt sie nach New York. Die Zeiten sind für Juden gefährlich geworden und diese Heirat ist die Hoffnung für die Familie auf eine Einreise in die sicheren Vereinigten Staaten.

Thema und Genre

In diesem Generationenroman geht es um Kulturen, Religionen, Heimat und den Verlust der Heimat, Vertreibung, Familiengefüge, Frauenleben.

Erzählform und Sprache

Da dieser Roman fiktiv-biografisch ist und die Familiengeschichte der Autorin betrifft, gibt er wesentliche, interessante Einblicke in das Leben der jüdischen Familien in dieser Zeit. Im personalen Mittelpunkt der Geschichte steht Rebecca, der Großmutter der Autorin. Geschildert wird ihr wechselvolles Leben mit schicksalhaften Wendungen und großen Veränderungen. Sie ist beeindruckend, einerseits ist sie eine selbstbewusste Frau, die eigenständig für sich und ihre Kinder sorgt, andererseits wird sie durch den Vater als Oberhaupt der Familie zwei Mal in reine Zweckehen getrieben. Interessant werden die späteren Kapitel, wo der personale Mittelpunkt wechselt und Luna, die Tochter von Sam, Rebeccas zweitem Ehemann, Rebecca aus ihrer Sicht schildert. Es sind die Menschen, die im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen. Interessant sind die Schilderungen, die Geschichten und dieses leichte Wechseln zwischen den Religionen Judentum und Christentum am Beispiel von Rebecca in Konstantinopel. Leider rückt mit Barcelona die Situation der Familie immer mehr in den Vordergrund und wir erfahren  wenig über die allgemeine, gesellschaftspolitische Situation in Barcelona und noch weniger über das Leben in der lebhaften, interessanten Stadt New York der 1930er Jahre. Die Sprache ist angenehm zu lesen und passt zu diesem epischen Generationenroman

Fazit

In Generationenroman über Heimat und Verlust der Heimat, über Hoffnung und Neubeginn in fremden Ländern, anderen Kulturräumen und neuen Sprachen. Obwohl in den Traditionen im Familiengefüge die Männer, Väter und Ehemänner, die Entscheidungen treffen und bestimmen, was geschieht, sind es in dieser Geschichte die Frauen, jede auf ihre Art stark und mutig, die sich den immer wieder neuen Herausforderungen des Lebens stellen.

Torero, ich hab Angst – Pedro Lemebel

AutorPedro Lemebel
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum29. Oktober 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten216
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518225516

„Das ist der Anfang von einem Ende, sagte sie, als spräche sie zu dem bewölkten Aquarell der Stadt, diesem traurigen Himmel, den die Abenddämmerung bunt verwelkte.“ (Zitat Seite 91)

Inhalt

„Dann das zierliche Häuschen am Eck über drei Etagen mit nur einer Treppe, die wie eine Wirbelsäule hinauf zur Dachterrasse führte. Von dort hatte man einen Blick auf die im Halbdunkel liegende, von einem undurchdringlichen Staubschleier gekrönte Stadt.“ (Zitat Seite 9) Ein alternder Mann, eine Diva in Frauenkleidern, hat dieses heruntergekommene Haus gemietet und wieder bewohnbar gemacht. Rasch gewöhnen sich die Nachbarn an die nostalgischen Schlager, die sie im Radio hört und bei offenem Fenster laut mitsingt. Im Krämerladen, dem gesellschaftlichem Zentrum des Viertels, lernt sie im Frühjahr 1986 den Studenten Carlos kennen, der sie bittet, einige Kisten mit verbotenen Büchern für ihn in ihrer Wohnung aufzubewahren. Es werden mehr und mehr Kisten, die sie mit ihren farbenprächtigen Stoffen verkleidet, dekoriert, und als Möbel in der Wohnung verteilt. Dann kommen Freunde von Carlos, die einen Platz zum Lernen brauchen und sich auf ihrem Dachboden treffen. Carlos, jung, gutaussehend, ist so sanft, gut und liebenswürdig,  er nimmt sich Zeit für sie, für lange Gespräche, glaubt sie ihm deshalb alles, was er ihr erzählt, oder spielt sie einfach sein Spiel mit, erkennt jedoch die Wahrheit? Es ist eine unruhige, gefährliche Zeit der Proteste, Anschläge und Umsturzpläne gegen die politische Willkür, Unterdrückung und Diktatur unter Pinochet.

Thema und Genre

Dieser Roman aus Lateinamerika, erschienen 2001, gilt als Klassiker der queeren Literatur und wurde nun als Neuauflage in der Bibliothek Suhrkamp herausgebracht. Es geht um Freiheit in allen Facetten, Befreiung von der politischen Unterdrückung durch die Militärdiktatur Pinochets, aber auch um Selbstachtung, um sexuelle Freiheit und die freie Wahl, zu leben und zu lieben, wie und wen man will.

Erzählform und Sprache

„Dass wir uns begegnet sind, haben wir zwei Geschichten zu verdanken, die sich inmitten der Ereignisse kaum die Hände gereicht haben.“ (Zitat Seite 215) Es sind tatsächlich zwei sehr unterschiedliche Geschichten, die hier abwechselnd erzählt werden, aber parallel verlaufen und einander manchmal kreuzen. In der ersten Geschichte erleben wir T., die eigentliche Heldin der Geschichte, nicht mehr jung und dennoch eine schillernde Persönlichkeit voll Lebenslust, mit lebhaften Phantasien und theatralisch ausgelebten Gefühlen und ihre verliebte Schwärmerei für Carlos, den jungen Studenten mit den betörenden dunkelvioletten Augen. In der zweiten Geschichte folgen wir dem Diktator und seiner First Lady, seinen Ängsten und ihrem Redeschwall, der ihn nie zur Ruhe kommen lässt. Die Wahl, jeweils T. oder den Diktator in den personalen Mittelpunkt zu stellen, ermöglicht es Lemebel, neben den lebhaften Schilderungen der Ereignisse und des Lebens in Santiago, des Alltags unter der strengen Überwachung einer Militärdiktatur, tief in die Gedankenwelt seiner Hauptfiguren einzudringen. Hier verändert sich auch die Sprache deutlich, wechselt von bildgewaltig und poetisch zu einer offenen, sehr direkten Ausdrucksweise, sobald es um die Gedanken von T. geht, die ihre sexuellen Erlebnisse, Wünsche und Träume in ihrer Phantasie auslebt, und zu humorvoller Selbstkritik, mit der T. sich selbst bei ihren impulsiven Auftritten beobachtet.

Fazit

Ein beeindruckender Roman, der durch seine facettenreiche, lebhafte Intensität und die poetische, ausdrucksstarke Sprache noch lange in den Gedanken nachhallt.

Glut – Sven Petter Naess

AutorSven Petter Naess
VerlagAufbau Taschenbuch
Datum15. Januar 2024
AusgabeTaschenbuch
Seiten463
SpracheDeutsch
ÜbersetzerAndreas Brunstermann
ISBN-13978-3746640358

„Gleichwohl konnte er nichts gegen den sich bildenden Kloß in seinem Hals ausrichten, als er zum ersten Mal nach zwei Jahrzehnten die grüne Stahlbrücke wiedersah. Er wusste, dass auf der anderen Seite noch alte Gespenster warteten.“ (Zitat Seite 20)

Inhalt

Am Palmsonntag, 25. März, geht in der Polizeistation Elvestad die Meldung ein, dass bei der Brücke über den Fluss Glomma ein verlassenes Fahrzeug stehe. Per Lyngstad und seine Kollegin Dina Martinsen finden nicht nur den Wagen, sondern auch die Leiche eines Mannes. Dieser Mordfall führt dazu, dass Kommissar Harinder Singh von der Kripo Oslo nach einundzwanzig Jahren in die Stadt seiner Kindheit und Jugend zurückkehrt, wo für ihn jede gute Erinnerung mit mindestens einer schlechten verbunden ist. Gemeinsam mit seiner Kollegin Rachel Hauge wird er bald mit einem weiteren Mordfall konfrontiert. Ist es möglich, dass die aktuellen Ereignisse irgendwie mit dem noch immer unaufgeklärten, spurlosen Verschwinden der jungen Carina Johnson im Sommer vor zwanzig Monaten zusammen hängen? Es ist ein dicht gesponnenes Netz aus Lügen und Schweigen, in dem Harinder und Rachel ermitteln müssen, verstärkt wird diese Aufgabe durch Harinders Erinnerungen, die sich durch die Ermittlungsarbeit ziehen.

Thema und Genre

In diesem Kriminalroman des Genre Nordic Noir geht es um Verbrechen, Ermittlungsarbeit, ungeklärte Fälle in der Vergangenheit, Rache, Erinnerungen, und eine einflussreiche Familie im Gefüge einer kleinen Stadt, wo die Menschen ihre eigenen Geheimnisse haben.

Erzählform und Sprache

Dieser erste Band der Serie „Team Oslo ermittelt“ spielt in Elvestad, einer kleinen Stadt in Norwegen, nahe der schwedischen Grenze. Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Prolog, eine Situation, die nicht ganz zwei Jahre zurückliegt. Daran schließt die aktuelle Handlung an, die am Palmsonntag beginnt und während der Karwoche stattfindet. Dazwischen führen weitere kurze Episoden zurück zu den Ereignissen, die vor zwanzig Monaten stattgefunden haben, ergänzt durch Harinders Erinnerungen, Ereignisse im September 1996 betreffend. Erst mit dem Fortschreiten der straffen, packenden Handlung erschließen sich überraschende Zusammenhänge. Die Sprache entspricht dem Genre Kriminalroman, nimmt sich Zeit für die Charakterisierung jeder einzelnen Figur, und unterstützt die perfekte Mischung aus Spannung und Schilderungen des Umfeldes.

Fazit

Eine realistische, spannende, sehr gut durchdachte und kombinierte Geschichte, glaubwürdig, überraschend, facettenreich. Der Beginn einer Serie, deren zwei Folgebände ich schon vorab notiert habe.

Die eigentümliche Vorliebe für das Meer – Gregor Hens

AutorGregor Hens
VerlagAufbau Digital
Datum15. August 2023
AusgabeKindle Ausgabe
Seiten257 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB0C2ZH6PZ8

„Am liebsten würde sie die Routine zwischen Wohnung, Bibliothek und Klinik ewig fortführen. Ihr Leben ist ein Dreieckskurs, vorhersehbar und sicher, es gibt keine Überraschungen, alles hat seine Ordnung.“ (Zitat Seite 18)

Inhalt

Als sie achtzehn Jahre alt ist, verlässt Benedita „Dita“ Chou da Luz ihre Heimatstadt Nam Van und ihre Familie. Sie zieht nach Europa, nach Geest, in das Haus, das sie von ihrer Urgroßmutter Janne geerbt hat, und studiert Medizin. Sie will Ärztin werden. Jetzt, an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, kehrt sie nach Nam Van zurück. Ihr Onkel Gabriel, der das Luxushotel Majestic leitet, das der Familie gehört, hat sie eingeladen. Ein neunzehnstöckiges Luxushotel, ein goldener Turm, der wie ein Leuchtturm alles überstrahlt, wird dieses Haus auch Benedita ihren weiteren Weg weisen?

Thema und Genre

Dieser Generationenroman ist die Geschichte der Familie Chou da Luz. Es geht um das Leben in zwei völlig unterschiedlichen Welten und Kulturen, um Beziehungen, Kinder, Erinnerungen, Familiengeheimnisse, Liebe und Schuld – und immer geht es auch um das Meer.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird abwechselnd von Gabriel und Dita erzählt. Sie beginnt in der Jetztzeit und geht dann weit in die Vergangenheit zurück. „Es ist, als wollte Benedita die Familiengeschichte von hinten aufrollen. Als wollte sie selbst verstehen, an welchem Punkt die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind.“ (Zitat Seite 242) So entsteht langsam ein buntes und bewegtes Bild einer Familie, beginnend mit den beiden sehr unterschiedlichen Urgroßmüttern, weiter zu Ditas Großeltern, bis zu den ebenso unterschiedlichen Brüdern Gabriel und Tovo, Ditas Vater. Diese Art des Erzählens fasziniert sofort durch die Vielfalt der dadurch immer deutlicher aus der Vergangenheit und den vielen verschwiegenen Lücken in der Familiengeschichte hervortretenden Figuren, ihrer Konflikte und Handlungen. Verbunden sind diese Ereignisse mit bildintensiven Beschreibungen der Entwicklung der Hafenstadt Nam Van, der Landschaften und der Natur. Die Sprache ist kraftvoll, einfühlsam und poetisch.

Fazit

Eine spannende Geschichte, deren Vielfalt und Figuren begeistern. Ein Roman, den man von der ersten bis zur letzten Seite mit Begeisterung und Vergnügen liest.

Léon und Louise – Alex Capus

AutorAlex Capus
VerlagCarl Hanser
Datum7. Februar 2011
AusgabeKindle-Ausgabe
Seiten320 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB004W2JWZG

„Da haben wir uns ein paar Jahre lang ziemlich nah beieinander die Hintern plattgesessen. Das nennt man Pech.“ (Zitat Seite 135)

Inhalt

Der junge Morseassistent Léon Le Gall ist siebzehn Jahre alt, als er Louise Janvier im Frühling 1918 kennenlernt. Pfingsten 1918 hat er drei Tage dienstfrei und er fährt mit ihr an den Ozean. Auf der Heimfahrt geraden sie in einen Angriff der Deutschen, Léon wird schwer verletzt und er erhält die Nachricht, Louise habe nicht überlebt. Auch Louise sagt man, dass Léon tot sei. 1928 begegnen sie einander zufällig in Paris wieder, doch Léon ist inzwischen mit Yvonne verheiratet und Vater, obwohl er nie aufgehört hat, an Louise zu denken.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um eine große Liebe, die sich durch ein ganzes Menschenleben zieht, die durch schicksalshafte Ereignisse jedoch nur heimlich gelebt werden kann, mit jeweils jahrelangen Unterbrechungen. Es geht um Familie, Verantwortung und Entscheidungen. Gleichzeitig ist dies die Geschichte Frankreichs während der beiden Weltkriege.

Erzählform und Sprache

Es ist der Enkel von Léon Le Gall, der die Lebensgeschichte seines Großvaters schildert, aktuell beginnend mit den Ereignissen vom 16. April 1986, an dem eine Frau eine Fahrradklingel in den Sarg seines Großvaters legt.  Von hier aus schwenkt die Geschichte direkt in die Vergangenheit und beginnt mit dem Tag, an dem der junge Léon dieses besondere Mädchen mit der gepunkteten Bluse zum ersten Mal sieht. Von da an zieht sich diese besondere Liebesgeschichte durch das ganze Leben von Léon und Louise und wird durch Details aus der großen Familie Le Gall auch zu einer Generationengeschichte. Die fiktiven Ereignisse fügen sich in die historischen Fakten ein, besonders in die Zeit der beiden Weltkriege und damit verbunden, das Leben in Paris während der deutschen Besatzung. Die Sprache erzählt eindrücklich, einfühlsam, doch immer mit leichtem Humor und niemals kitschig.

Fazit

Eine ungewöhnliche, mit charmanter Leichtigkeit erzählte Liebes- und Lebensgeschichte, deren Ereignisse eingebettet sind in den realen historischen Hintergrund Frankreichs im 20. Jahrhundert.

Die Ballade des letzten Gastes – Peter Handke

AutorPeter Handke
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum29. Oktober 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten185
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518431542

„Dabei spürte er keinerlei Verlassenheit, vielmehr wirkte das Staunen weiter nach, ein, ihm nicht ganz unvertraut, nachmitternächtliches, auch über sich selber, wie er war, oder gemacht war, und die Stirn hatte, so zu sein, unverbesserlich.“ (Zitat Seite 36)

Inhalt

Jedes Jahr kehrt Gregor Werfer, der auf einem anderen Kontinent lebt, für eine Urlaubswoche in seine Heimat zurück, um die Eltern und die jüngere Schwester zu besuchen. Vieles ist noch vertraut, aber jedes Jahr beobachtet er die Veränderungen. Die Dörfer seiner Kindheit haben sich längst durch intensive Bebauung zu einem städtischen Gebiet verdichtet, er durchstreift die Straßen, wie auch die Landschaft, auf der Suche nach seinen Erinnerungen. In seinem Elternhaus dagegen ist vieles unverändert, neu ist sein kleiner Neffe, das Kind seiner jüngeren Schwester, dessen Taufpate er vor seiner Abreise werden soll. Noch etwas ist diesmal anders und wird es für immer bleiben – noch auf dem Heimweg, im Überlandbus, hat er die Nachricht vom Tod seines beinahe zwanzig Jahre jüngeren Bruders Hans erhalten, der bei der Fremdenlegion war. So mischen sich in die Beobachtungen auf seinen einsamen Streifzügen auch immer wieder Fragmente, Erinnerungen an den jüngeren Bruder und die gemeinsamen Erlebnisse. Dazu die Frage, wie und wann und ob er es seinen Eltern sagen wird, die sich auf die Rückkehr ihres jüngsten Sohnes freuen, die offizielle Verständigung ist noch nicht eingetroffen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Familie, Vergangenheit und Gegenwart, Kindheitserinnerungen und die Veränderungen vertrauter Orte im Lauf der Zeit.

Erzählform und Sprache

Das Buch umfasst drei Abschnitte, in den beiden ersten steht Gregor im personalen Mittelpunkt. Er streift durch die Nacht, beobachtet die Veränderungen, lässt auch seine Gedanken weit streifen, durchzogen von Erinnerungen und Eindrücken, ein einsamer, nachdenklicher Chronist seiner eigenen Geschichte. Er verbringt Zeit in der Natur, Zeit im Gefüge der neuen Stadt, kehrt an den Abenden in Gaststätten ein, wo es ihm immer wichtiger wird, der letzte Gast zu sein.  Irrwege, real und metaphorisch, gleich Homers Odysee, prägen diese Tage. Er teilt seine Eindrücke, Gedanken und inneren Dialoge, aber auch seine Erlebnisse während dieser Tage mit uns. Während daher der zweite Abschnitt die Überschrift „Die Ballade vom letzten Gast“ trägt, lautet die Überschrift des dritten Abschnitts „Die Ballade des letzten Gastes“ und wechselt in die Ich-Form, wiederholt in kurzen Episoden das Erlebte, intensiviert und verdichtet durch das „ich“. Die eindringliche Sprache entwickelt von der ersten Seite an einen eigenen Sog, drängend, beinahe wie atemlos strömen die Sätze, wenn sie schildern, was gerade gleichzeitig passiert, Beobachtungen, Gedankenflüge, so, als würde man im nächsten Augenblick sonst etwas verpassen. Es ist ein Spielen mit den Bedeutungen der Sprache, und wo diese nicht ausreicht, entstehen neue, bildhafte Wortschöpfungen.

Fazit

Diese nur an Buchseiten knappe Erzählung birgt eine unglaubliche Fülle an Inhalt, Themen, Sprache und Poesie, ein großartiges Leseerlebnis.  

Das Lächeln der Königin – Stefanie Gerhold

AutorStefanie Gerhold
VerlagGaliani-Berlin
Datum8. Februar 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten288
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3869712987

„Bedeutenden Fund gemacht. Beschreiben nutzlos. Brief folgt. Borchardt. (Zitat Pos. 139)

Inhalt

James Simon ist der vermögende Inhaber einer florierenden Berliner Textilfirma. Sein Vermögen setzt er für viele soziale Projekte ein, aber er ist auch ein begeisterter Kunstmäzen. Während der Weihnachtsfeier 1912 erhält er ein Telegramm des Archäologen Ludwig Borchardt, dessen Ausgrabungen in Tell el-Amarna James Simon ebenfalls finanziert. Noch ahnt Simon nicht, welche Auswirkungen die Entdeckung der Werkstatt des Bildhauers Thutmes haben wird und vor allem der Fund der Büste der Nofretete. Bei der Aufteilung der Funde gelingt es Borchardt, die Büste der Königin für Berlin zu gewinnen, indem er dem Ägyptischen Museum den Klappaltar mit einem Bild des Königspaares Echnaton und Nofretete mit drei Kindern überlässt. 1913 erhält er tatsächlich die Ausfuhrgenehmigung nach Deutschland. Öffentlich ausgestellt wird bie Büste jedoch erst im Jahr 1924, und damit beginnen auch die Diskussionen um eine Rückgabe.

Thema und Genre

Obwohl es sich hier um einen Roman, somit um Fiktion handelt, sind die Menschen und Fakten real und auch die Ereignisse wurden von Stefanie Gerhold an die vorhandenen geschichtlichen Quellen wie Biografien und Fachliteratur angepasst. Themen sind Ausgrabungen, das alte Ägypten, aber auch das gesellschaftliche Leben im pulsierenden Berlin der Zwanziger Jahre als Zentrum der Kultur und Wissenschaft. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der bedeutende Sammler und Mäzen James Simon, dem die Berliner Museen wertvolle Sammlungen und Kunstschätze verdanken.

Erzählform und Sprache

James Simon steht im personalen Mittelpunkt der chronologisch erzählten Ereignisse. Die Sprache schildert lebhaft und spannend und ist auch auf Grund der genauen Recherche interessant zu lesen. Ein Epilog erzählt mit historischen Daten und Fakten die hier als Roman begonnene Geschichte real zu Ende.

Fazit

Eine unterhaltsame, packende Geschichte zwischen Fiktion und Fakten, eine ausgewogene, gelungene Kombination aus Roman und geschichtlichem Hintergrund, die man mit Vergnügen liest.

Hotel Amerika – Maria Leitner

AutorMaria Leitner
Verlagmehrbuch Verlag
Datum10. November 2021
AusgabeKindle
Seiten235 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB09X61WZNP

„Du wirst schon sehen, ich werde wirklich gehen, noch heute, alles dalassen, dies ganze hässliche, schwere Leben. Möchtest du das nicht auch? (Zitat Pos. 127)

Inhalt

Shirleys Mutter Celestine ist Scheuerfrau im Hotel Amerika, die junge Shirley ist eine der Wäscherinnen. Seit sechs Jahren lebt Shirley mit ihrer Mutter und drei weiteren Frauen in einem erbärmlichen, engen Zimmer in diesem New Yorker Hotel, das die Gäste mit jedem nur denkbaren Luxus verwöhnt. Shirley träumt von einer Veränderung in ihrem Leben, bald wird auch sie das Hotel als Gast betreten, das hat ihr ihr neuer Freund versprochen. Heute soll ihr letzter Tag als schwer arbeitende Wäscherin sein, doch die Ereignisse entwickeln sich anders, als von ihr erwartet.

Thema und Genre

In diesem sozialkritischen Roman geht es um den Traum von einem besseren Leben in Amerika, der sich jedoch nur für einen kleinen Teil der New Yorker Bevölkerung erfüllt hat. Die meisten Einwandererfamilien fristen ein Leben unter den härtesten Arbeitsbedingungen, immer in Sorge um den Arbeitsplatz. Es geht um Erpressung, Liebe, Luxus, Armut, Träume, und den Beginn von gewerkschaftliche Zusammenschlüssen.

Erzählform und Sprache

Dieser Klassiker, erschienen 1930, spielt an einem einzigen Tag und ist eine interessante Mischung aus Kriminalgeschichte und gesellschaftskritischem Zeitbild. Eine bunte Vielfalt von unterschiedlichen Menschen mit Träumen, Hoffnungen und Schicksalen erlebt die ebenso vielfältigen Ereignisse an diesem besonderen Tag. Durch Erinnerungen und Gespräche ergeben sich viele Einzelgeschichten, deren Fäden sich bereits um die Mittagszeit in diesem Hotel verknüpfen, während die Vorbereitungen für eine Luxushochzeit laufen und das Personal erstmals bei einem völlig ungenießbaren Mittagessen offen gegen die Missstände aufbegehrt. Maria Leitner war bekannt für ihre intensiven Recherchen, für ihre Sozialreportagen nahm sie auch selbst inkognito Arbeit in den unterschiedlichen Bereichen an und diese Erfahrungen finden sich in auch in diesem Roman wieder, was die Geschichte zu einem authentischen Zeitbild macht. Ich selbst habe die Kindle-Version gelesen, doch am 16. Februar 2024 erscheint im Reclam Verlag unter der ISBN-13: 978-3150114766 eine neue, gebundene Ausgabe.

Fazit

Ein Klassiker, der bei seinem Erscheinen 1930 sehr erfolgreich war, bis die Bücherverbrennung im Jahr 1933 den Roman für viele Jahre in Vergessenheit geraten ließ. Dicht, interessant, authentisch, lesenswert.

Lichtungen – Iris Wolff

AutorIris Wolff
VerlagKlett-Cotta
Datum13. Januar 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3608987706

„Erinnerungen waren über die Zeit verstreut wie Lichtungen. Man begegnete ihnen nur zufällig und wusste nie, was man darin fand.“ (Zitat Seite 76)

Inhalt

„Wann kommst du?“ Mehr steht nicht auf dieser Karte, die Lev eines Tages von Kato aus Zürich erhält. Kato, in der Schule die eigenwillige Außenseiterin, auch in seinen Gedanken zunächst nur „das Mädchen“, hat vor vielen Jahren dem elfjährigen Lev, der über viele Wochen krank im Bett lag, die Hausaufgaben gebracht. Rasch wurde sie zu seiner besten Freundin. Dennoch trennen sich ihre Wege, als Kato, sobald es endlich möglich ist, Rumänien zu verlassen und frei zu reisen, sich auf eine Reise durch Europa begibt, während Lev in Rumänien bleibt. Auch er beschließt zu reisen, doch seine Reise führt ihn nur auf den Spuren seiner Familie und Kindheit durch Rumänien. Nach dem Erhalt dieser Karte reist Lev nach Zürich und sie sehen einander nach vielen Jahren wieder. Es ist Sommer und die nächsten sechs Wochen lang reisen sie gemeinsam. „Für ihn war diese Reise ein Aufbruch, für sie in Übergang, vielleicht sogar Abschluss. Und doch hatten sie sich in diesen gegensätzlichen Bewegungen wiedergefunden.“ (Zitat Seite 10)

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um eine tiefe Freundschaft zweier Menschen, die trotz der völlig gegenseitigen Entwicklung bestehen bleibt. Gleichzeitig ist es eine Geschichte über das Leben der Menschen im kommunistischen Rumänien, über die unterschiedlichen Identitäten, Herkunft, Sprache und Familiengefüge. „Seine Herkunft war in seinem Akzent, war ihm eingenäht in Kleidung und Schuhe.“ (Zitat Seite 22, 23) Damit verbunden ist die Frage, was Heimat bedeuten kann und wie das Aufwachsen in Unfreiheit unter einer Diktatur das spätere Leben prägt, ein wichtiges Thema.

Charactere

Die Künstlerin Kato ist gerne unterwegs, aber sie weiß nicht, was sie nach diesem Sommer tun wird, sie sehnt sich nach einer neuen Aufgabe. Levs Lebensmittelpunkt ist statisch und in Rumänien geblieben, in der dörflichen Umgebung seiner Heimat. Noch während des Ceaușescu-Regimes hätte er mit seinem Großvater Ferry nach Wien fliehen können, doch Lev bleibt in Rumänien. Ferry ist neben den beiden Hauptcharakteren eine der vielen weiteren Figuren, die jeweils für ihre unterschiedliche Herkunft, Wurzeln und persönliches Verhalten während und nach der Zeit der kommunistischen Diktatur stehen und so ein facettenreiches, intensives Bild Rumäniens bieten.

Erzählform und Sprache

Iris Wolff hat eine besondere Erzählform für ihren Roman gewählt, sie erzählt die Geschichte zeitlich chronologisch, jedoch rückwärtsgewandt, beginnend mit der Gegenwart und endend in Levs Kindheit. Damit ergeben sich beim Lesen nicht die Fragen, was wird als nächstes passieren, sondern, was ist damals passiert, wie erklären sich die unterschiedlichen Lebenswege und Entscheidungen von Lev und Kato. Neue Figuren tauchen auf und sind uns zunächst fremd, erst mit den nachfolgenden Kapiteln lernen wir sie kennen, ihre Geschichte und damit auch die Zusammenhänge. Eindrückliche Beschreibungen Rumäniens, seiner Dörfer und Städte, der Natur und vor allem auch der vielen unterschiedlichen Volksgruppen und der politischen Verhältnisse ergänzen die Handlung. Die Sprache ist leise, eindrücklich, poetisch und ist wunderbar zu lesen.

Fazit

Ein beeindruckender, lange nachhallender Roman, der durch die Erzählform und die Vielfalt wichtiger Themen überzeugt und dessen wunderbare Sprache das Lesevergnügen vollkommen macht.

Das späte Leben – Bernhard Schlink

AutorBernhard Schlink
VerlagDiogenes Verlag
Datum13. Dezember 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257072716

„Nein, für das Leben lässt sich keine Bilanz ziehen. Man macht dies und macht das, und am Ende war’s ein Leben. Mehr ist es nicht.“ (Zitat Seite 162, 163)

Inhalt

Der Jurist Martin Brehm ist sechsundsiebzig Jahre alt, als erfährt, dass er an Krebs in einem fortgeschrittenen Stadium erkrankt ist und ihm maximal noch ein halbes Jahr bleibt. Seit zwölf Jahren ist er mit der wesentlich jüngeren Künstlerin Ulla verheiratet und David, der gemeinsame Sohn, ist erst sechs Jahre alt. Welche gemeinsamen Erinnerungen kann er seinem Sohn hinterlassen, was kann und sollte er noch regeln und wie will er die nächsten Wochen für sich selbst gestalten?

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Beziehung, Familie, Liebe, um das Abschiednehmen am Ende eines Lebens, um das Schaffen von gemeinsamen Erinnerungen und vor allem geht es darum, loszulassen.

Charactere

Martin Brehm blickt auf ein erfolgreiches Leben zurück, das von der Kindheit an davon geprägt ist, die Erwartungen zu erfüllen. Manchmal wurde er für kaltblütig gehalten, weil seine Gefühle sich immer erst mit einer gewissen Verzögerung einstellten. Seine Diagnose sieht er sachlich und die Situation wird für ihn rasch alltäglich.

Erzählform und Sprache

Martin steht im personalen Mittelpunkt des Geschehens und der Problematik, es ist seine Geschichte, die hier erzählt wird, seine Gedanken, Empfindungen und Überlegungen. Wir tauchen in seine Erinnerungen ein und sind gespannt auf seine Reaktion auf eine überraschende Entdeckung. Interessant ist es, Martins eigene Veränderung, die er in diesen Wochen durchläuft, mitzuerleben. Der Schriftsteller Bernhard Schlink erzählt auch diese Geschichte in seiner leisen, poetischen und präzisen Sprache.

Fazit

Eine einfühlsame Geschichte über die Entscheidung, wie ein Mensch die letzten Wochen seines Lebens selbstbestimmt verbringen will. Trotz des ernsten Themas ist es eine positive Geschichte, deren psychologische Elemente zum Nachdenken darüber anregen, wie man sich selbst in dieser Situation und mit diesem Wissen um die kurze, noch verbleibende Lebenszeit, entscheiden würde.

All die schönen Winter – ausgewählt von Clara Paul

AutorDiverse
Verlag Insel Verlag
Erscheinungsdatum 11. September 2023
FormatTaschenbuch
Seiten190
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3458682998

„Der Maronibrater war ein Bild aus dem Märchenbuch der Großstadt. Zwei Kastanien kosteten einen Kreuzer. Das war ein so unverrückbarer Preis wie etwa der der Semmel.“ (Zitat Seite 53, aus: Der Maronibrater, von Alfred Polgar)

Inhalt und Thema

Dieser Sammelband enthält zweiunddreißig Geschichten, die an eine Winterzeit, wie es früher war, erinnern. Das Buch ist in vier Abschnitte eingeteilt: Wundertage, Winterfreuden, Weihnachtszauber, Winterende

Gestaltung

Robert Walser eröffnet den Geschichtenbogen mit seiner Erzählung „Schnee“ und am Ende dieser Sammlung steht seine Geschichte „Winter“. Dazwischen finden wir alle bekannten deutschsprachigen Autoren und Autorinnen, von Thomas Bernhard über Max Frisch, Hermann Hesse, Peter Rosegger, Peter Handke, Elke Heidenreich, bis zu Robert Walser. Eine englische Autorin ist in dieser Sammlung auch vertreten, Katherine May.

Fazit

Es sind beschauliche Geschichten zum Wohlfühlen, Kindheitserinnerungen, die in eigene Erlebnisse zurückführen oder Geschichten, wir man früher schon gelesen hat, aber gerne wieder liest.

Die Digitalisierung der Schlaraffia – Prinz Rupi

AutorPrinz Rupi
Verlag Independently published
Erscheinungsdatum 13. April 2023
FormatTaschenbuch
Seiten125
SpracheDeutsch
ISBN-13979-8391208075

„Untertitel: Bestandsaufnahme und Zukunft“

Inhalt, Thema und Genre

Bedingt durch den Ausfall der regelmäßigen Treffen und Zusammenkünfte in der Zeit der Pandemie, ging der Autor auf die Suche nach neuen Möglichkeiten, diese Zusammenkünfte virtuell stattfinden zu lassen. Er untersucht die unterschiedlichen Aktivitäten in den sozialen Medien und wertet die zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten aus. Es geht darum, die traditionelle Form der schlaraffischen Gemeinschaft, die schon seit der Gründung im Jahr 1859 ein weites internationales Netzwerk für Austausch und Pflege von Freundschaft, Kunst und Humor umfasst, in eine moderne Zukunft zu führen. Eine innovative Verbindung der neuen technischen Möglichkeiten mit den geschätzten Traditionen.

Fazit

Auch wenn dieses Handbuch für die Schlaraffia geschrieben wurde und als Anregung an ein Mitglied der Vindobona verschenkt wurde, sind die darin enthaltenen Ideen und Anregungen auch für andere traditionelle und moderne Vereinsformen und Gruppierungen überlegenswert und einsetzbar.

Apeirogon – Colum McCann

AutorColum McCann
VerlagRowohlt Taschenbuch
Datum25. Januar 2022
AusgabeTaschenbuch
Seiten608
SpracheDeutsch
ÜbersetzungVolker Oldenburg
ISBN-13978-3499271878

„Ein Stein führt zu einer Kugel. Der nächste Selbstmordanschlag führt zum nächsten Luftangriff. Und immer so weiter.“ (Zitat Seite 288)

Inhalt

Abir Aramin, ein Mädchen aus Palästina, ist erst zehn Jahre alt, als sie von einem jungen israelischen Grenzpolizisten erschossen wird. Zehn Jahre davor war die junge israelische Studentin Smadar Elhanan bei einem Anschlag von drei Selbstmordattentätern getötet worden. Bassam Aramin, Abirs Vater, und Rami Elhanan, Smadars Vater, treffen zum ersten Mal in einer Gruppe von trauernden Menschen aufeinander, Israelis und Palästinenser, die nahe Angehörige und Freunde in diesen langen Jahren des Nahost-Konflikts verloren haben. Sie erkennen, dass sie eine gemeinsame, tiefe Trauer eint, und der Wunsch nach Frieden. Das ist der Beginn einer Freundschaft und des gemeinsamen, unermüdlichen Einsatzes für den Frieden.

Thema und Genre

Diese Geschichte ist ein facettenreicher politischer Roman, geschrieben in einer sehr poetischen Erzählsprache. Die Figuren sind fiktiv und stehen dennoch für ungezählte reale Schicksale, wie sie in diesem Konflikt täglich passieren. Es geht um Palästina und die israelische Besatzung. Dieser zeitlos aktuelle Roman ist 2020 erschienen, doch hat er in diesen Wochen eine nochmals neue Brisanz erhalten. Diese Geschichte ist ein Plädoyer dafür, friedlich Seite an Seite zu leben, zu lernen, miteinander auszukommen.

Erzählform und Sprache

Ein Apeirogon ist eine Figur mit einer zählbar unendlichen Menge an Seiten. So wird auch diese Geschichte in zwei Mal fünfhundert kurzen Kapiteln mit vielen unterschiedlichen Themen und Informationen geschildert, der erste Teil in einer Aufwärtsbewegung von eins bis fünfhundert Abschnitten, der zweite Teil als Abwärtsbewegung von fünfhundert bis zurück zu eins. Erzählt wird jedoch nicht nur die Geschichte von Rami und Bassam, sondern diese ist eingebettet in eine weite Fülle von Ideenschnipseln, sei es die politische Lage betreffend, die Geschichte Palästinas, die Menschen, aber auch die Natur, immer wieder taucht das Thema Zugvögel auf, die Schwingen der Freiheit über die von Menschen errichteten Mauern hinweg. Die Sprache ist bilderreich, intensiv, poetisch und beeindruckend.

Fazit

Apeirogon ist ein eindringlicher Roman mit einer zeitlos beklemmenden Aktualität. Kurz gesagt geht es darum, dass es immer zwei Seiten gibt, immer. „Jenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort; dort treffen wir uns.“ Diese auf Seite 312 zitierte Aussage stammt von dem persischsprachigen Dichter und Gelehrten Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī und besser, als mit dieser Aussage, kann der Inhalt dieses epischen Romans nicht zusammengefasst werden.  Wer dieses Buch noch nicht gelesen hat, sollte dies tun, jetzt, genau jetzt.

Tag der Wahrheit – Hendrik Falkenberg

AutorHendrik Falkenberg
Verlag Edition M
Erscheinungsdatum 1. September 2020
FormatKindle-Ausgabe
Seiten397 (Print)
SpracheDeutsch
ASINB085G6TGRR

„Die Fragestellung des Meetings war klar: Was hatten Lauras und Stevens Funde zu bedeuten und – war es überhaupt ein Fall fürs BKA?“ (Zitat Seite 47)

Darum geht es

An diesem frühen Morgen Ende Februar erlegt Florian Beck eine Hirschkuh, ohne Rücksicht auf die bestehende Schonzeit. Doch auch für ihn ist dies sein letzter Morgen Als er später gefunden wird, liegt er tot über der erlegten Hirschkuh. Sein Herz fehlt und wird kurz darauf von der BKA-Ermittlerin Laura Westermann gefunden, mit einer Notiz „Gruß ans BKA“. Dies ist eine von einer Reihe von Botschaften einer Gruppe von Klimaaktivisten, die inzwischen Mitglieder des obersten Managements von namhaften Unternehmen der Automobilindustrie in ihre Gewalt gebracht haben. Sie stellen Forderungen und ein Ultimatum, Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit für das BKA-Team Steven Haberland und Laura Westermann.

Themen dieses Kriminalromans, Band 1 der Westermann-Haberland-Serie, sind Umweltschutz, Klimawandel, die Hintergründe des Dieselskandals.

Meine Meinung

Eine spannende Geschichte mit aktuellen Themen, rasant erzählt, wenn auch nicht immer glaubwürdig. Stoff für unterhaltsame Lesestunden.

Nur zwei alte Männer – Thomas Sautner

AutorThomas Sautner
VerlagPicus Verlag
Datum22. Februar 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten176
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3711721327

„Haust du das gewusst? Dass du ein außergewöhnlich gut anzuzwinkernder Mensch bist?“ (Zitat Seite 10)

Inhalt

Julia Stern, zweiundfünfzig Jahre alt, ist die Leiterin des Kunst- und Zeitgeschichtearchivs in Wien und als ihre Mutter ihr auf dem Sterbebett gesteht, dass Joseph Wasserstein ihr leiblicher Vater sei, will sie diesen kennenlernen, unter dem Vorwand, einen Bildband zu planen. In seiner aktiven Zeit war Joseph Wasserstein ein berühmter, sehr erfolgreicher Fotograf, Erfinder einer besonderen Art zu fotografieren, nach ihm benannt. Damals waren ihm alte Menschen weise und gelassen vorgekommen, heute ist er selbst dreiundachtzig Jahre alt und nicht gelassen, sondern mürrisch und frustriert. Sein Nachbar und seit vierzig Jahren auch Freund Elve Hakim sieht dies anders. Mit sechsundsiebzig Jahren gibt er Kurse für orientalischen Tanz, spricht deutsch, denkt arabisch. So tanzen nicht nur seine Sätze, sondern auch er selbst durchs Leben. Schon nach dem ersten Treffen besucht Julia die beiden alten Männer regelmäßig und die nachmittäglichen Gespräche im Garten von Josephs Villa werden ein Fixpunkt im Leben dieser drei Menschen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um das Älterwerden, Verständnis und Freundschaft, Philosophie und die Fragen des Lebens.

Erzählform und Sprache

Diese Geschichte eines Sommers, in dem es im Juni nochmals schneit, wird von den drei in ihrer Art so unterschiedlichen Figuren Joseph, Elve und Julia, getragen. Mit eindrücklicher Leichtigkeit schildert Thomas Sautner die Ereignisse des Alltags und die verständnisvolle Freundschaft zwischen den beiden alten Männern, die Julia sofort aufnehmen und in ihre Gespräche über das Leben, die Welt und die Geheimnisse des Universums, ihre Gedanken und Erinnerungen einbeziehen. Gleichzeitig beschäftigt ein aktuelles, beinahe magisches Ereignis nicht nur die Welt, sondern auch diese drei Menschen.

Fazit

Eine poetisch-locker-magische Geschichte über Freundschaft und das Leben.

Warten auf den Anruf – Birgit Rabisch

AutorBirgit Rabisch
VerlagAchter Verlag
Datum12. Oktober 2009
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten504
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3981237214

„Es geht mir darum, mir eine Familie zu erschreiben. Keine Traumfamilie, keine Wunschfamilie … überhaupt eine Familie.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Die Schriftstellerin Verena will ihre Geschichte über die wichtigen Frauen ihrer Familie in der aktuellen Zeit beginnen, mit Irène Vonderwied, die darauf wartet, am nächsten Morgen einen besonderen Anruf zu erhalten. Doch ihre Agentin überzeugt sie, die Geschichte chronologisch zu beginnen, mit Verenas Urgroßmutter Emma Hartkopf, Gattin des Wissenschaftlers Erich Hartkopf, der bei der Entwicklung der Chemiewaffen im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielte. Emmas Tochter Wilhelmine dagegen interessiert sich nicht für Chemie, sondern ist eine begeisterte Physikerin. Ihr Fachgebiet ist die Kernphysik und sie ist von den vielen Möglichkeiten einer friedlichen Nutzung der Atomenergie überzeugt, wenn nur erst der Zweite Weltkrieg zu Ende ist. Erst jetzt führt die Geschichte zu Wilhelmines Tochter Irène. Physik fand Irène schon immer langweilig. Sie ist eine international bekannte Biologin, Fachgebiet Stammzellenforschung.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um drei Generationen von Frauen und jede dieser Frauen ist mit einer in ihrer Zeit besonders wichtigen Wissenschaftssparte eng verbunden, Chemie, Physik und Biologie. Doch während Emma noch die traditionelle Ehefrau und Mutter ist, bestimmen Wissenschaft und Forschung das Leben von Wilhelmine und Irène, beide auf ihrem Fachgebiet hochbegabt, ehrgeizig und sehr erfolgreich. Themen sind Frauenleben, die Stellung der Frau im Gefüge der universitären Wissenschaften, Familie, Freundschaft, Liebe, und die mit den jeweiligen bahnbrechenden Forschungsergebnissen verbundenen ethischen Fragen nach persönlicher Verantwortung und über mögliche Grenzen der Wissenschaft.

Erzählform und Sprache

Dieser Roman ist ein drei große Abschnitte geteilt, Emma, Wilhelmine, Irène. Die Geschichte der im jeweiligen Mittelpunkt stehenden Frauenfigur wird chronologisch und personal erzählt. Erinnerungen greifen jedoch immer wieder in vorhergehende Abschnitte zurück und und ergänzen mit weiteren Details, besonderen Ereignissen, neuen Sichtweisen und Gedanken. Diese Erzählform sorgt für Spannung, während die präzisen, aber gut verständlichen Erklärungen der wissenschaftlichen und geschichtlichen Hintergründe, Fakten und Realität, die fiktive Handlung mit interessantem Wissen ergänzen. Die Autorin Verena als Ich-Erzählerin bespricht die einzelnen Schritte des Schreibprozesses an ihrer Geschichte mit ihrer Agentin und diese Gespräche umrahmen die drei Abschnitte, verbinden sie.

Fazit

Ein packender, interessanter Wissenschafts-, Frauen- und Generationenroman, eine spannende, gelungene Mischung, die man mit großem Vergnügen liest.

Vierundzwanzigsieben kochen – Tim Mälzer

AutorTim Mälzer
Verlag Mosaik Verlag
Erscheinungsdatum 11. Oktober 2023
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3442394159

„Dieses Buch soll eine Hilfestellung für alle sein, die sich am eigenen Herd gerne aufs Wesentliche konzentrieren: gutes und unkompliziertes Essen. Eine Alltagsküche, die einem nicht alltäglich vorkommt.“ (Zitat Seite 9, Einleitung)

Thema und Inhalt

Auch in seinem neuen Kochbuch trägt jedes der über einhundert Rezepte die typische Handschrift von Tim Mälzer. Es geht bei den Rezepten um Anregungen und wie schon der Titel 24/7 sagt, sind sie rund um die Uhr alltagstauglich und können an den jeweiligen persönlichen Tagesablauf und die eigenen Vorlieben angepasst werden. Was die Rezepte verbindet, ist eine Rückkehr zum Wesentlichen, eine Küche mit je nach Saison überall erhältlichen Zutaten, Kochen mit Spaß statt Stress, schnörkellos und dennoch kreativ.

Gestaltung

Die gebundene Ausgabe liegt stabil in der Hand und macht einen robusten Eindruck, dieses Buch wird es verzeihen, den einen oder anderen Fleck während des Einsatzes zu erhalten. Doch es ist wesentlich mehr, als „nur“ ein weiteres Kochbuch, eine weitere Sammlung von Rezepten. In insgesamt neun Kapiteln von Frühstück bis zu Süßes & Dessert umfasst jedes Rezept eine Seite mit dem Text, Zutaten und Zubereitung, und auf der gegenüberliegenden Seite findet sich das passende, ganzseitige Foto. Besondere Tipps ergänzen die Rezepte und in der Buchmitte finden wir einige Textseiten, „Kulinarische Alltagsbeobachtungen“ von Thees Uhlmann. Was Vegetarierinnen wie mich und natürlich auch Vegetarier besonders freuen wird, ist die große Auswahl an vegetarischen Gerichten und ich wusste schon beim Lesen, dass zum Beispiel die Krautfleckerl mit Lammhack und Weintrauben auch ohne Lammhack schmecken werden.

Fazit

Auch dieses Kochbuch von Tim Mälzer ist wieder nicht einfach nur ein Kochbuch, sondern auch ein Lesebuch, eine anregende Gedankenreise mit genussvollen Bildern, die sofort zu neuen Ideen führen. Das Lesebändchen ist eine praktische Ergänzung, ich zähle allerdings schon jetzt zwölf eingelegte Zettelchen, nachdem ich dieses Buch begeistert von der ersten bis zur letzten Seite durchgeschmökert habe.

Mit Büchern das gefrorene Meer der Zeit löchern – Ruprecht Frieling

AutorRuprecht Frieling
Verlag Antheum Verlag
Erscheinungsdatum 26. November 2021
FormatTaschenbuch
Seiten516
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3959495318

„Ich bewerbe gern und gezielt Bücher, die teilweise ein Nischendasein führen. Dazu habe ich 222 unterschiedliche Bücher aus den verschiedensten Genres zusammengestellt, die in diesem bunten Lesebuch vorgestellt werden.“ (Zitat Seite 8)

Thema und Inhalt

Ruprecht Frieling stellt hier mit 222 ausführlichen Rezensionen ebenso viele Bücher vor. Bewusst, wenn auch mit Bedauern, verzichtet er auf die bekannten Klassiker, sondern beschränkt sich auf die Gegenwartsliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts und hier wiederum nicht nur auf bekannte Autoren und Autorinnen, sondern auch auf bisher wenig bekannte.

Gestaltung

Der Autor teilt seine Vorschläge in zwölf Kapitel ein, wobei jedes Kapitel einem Genre entspricht, beginnend mit Roman und endend mit Sachbuch. Kapitel wie zum Beispiel Underground und Szene, Kriminalliteratur, Fantastische Literatur und Biografisches zeigen die Vielfalt der Lesetipps, natürlich fehlen auch Liebesromane und Science Fiction nicht. Den Abschluss bildet ein Kapitel mit zehn negativen Bewertungen, um zu zeigen, dass Rezensenten nicht nur begeisterte Reaktionen schreiben.

Fazit

Die Vielfalt der Literaturvorschläge in Kombination mit den informativen, lebhaften und durchaus unterhaltsam zu lesenden Rezensionen machen dieses Buch per se zu einem Lesebuch, zum Schmökern von der ersten bis zur letzten Seite. Das genussvolle, lesende Stöbern in dieser Schatzkiste der modernen Literatur lässt auch den persönlichen Wunschzettel wachsen und es könnten sich unerwartete Nebenwirkungen einstellen. In meinem Fall ist es Thomas Bernhard, von dem ich niemals etwas lesen wollte – und nun liegt sein Roman „Holzfällen“ schon auf meinem Bücherstapel.

„What I Loved – Siri Hustvedt

AutorSiri Hustvedt
VerlagSceptre
Datum19. Januar 2012
AusgabeKindle-Ausgabe
Seiten386 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB006W2V0QI

„Every story we tell about ourselves can only be told in the past tense. It winds backward from where we now stand, no longer the actors in the story but its spectators who have chosen to speak.” (Zitat Seite 364)

Inhalt

1975 entdeckt Leo Hertzberg, Professor für Kunstgeschichte, in einer Galerie ein Gemälde eines damals noch weitgehend unbekannten Künstlers, das ihn durch die darin verborgene Aussagen sofort beeindruckt und eine Woche später kauft er es. William Wechsler, der Künstler, wollte wissen, wer sein Bild gekauft hatte und seit dem ersten persönlichen Treffen verbindet Leo und Bill eine enge Freundschaft. Fünfundzwanzig Jahre ist das nun her und Leo erzählt die Geschichte ihrer beiden Familien, die untrennbar miteinander verbunden sind.

Thema und Genre

Dieser Roman spielt in New York, im lebhaften Künstlerviertel SoHo, und es geht um Freundschaft, Ehe, Eltern und Kinder, um Lebensentwürfe und die Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen, Künstlerleben und den Kunstmarkt. Wichtige Themen sind Psychologie und Gefühlswelten, Beziehungen zwischen Liebe und Obsession, Verlust, Trauer, Hoffnung und Enttäuschungen.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird ausgehend von der Gegenwart rückblickend erzählt, wobei ein chronologischer Zeitablauf, beginnend fünfundzwanzig Jahre zuvor, eingehalten wird. Dieser Rahmen wird jedoch durch viele weitere Ereignisse unterbrochen, an die sich der Ich-Erzähler Leo Hertzberg spontan erinnert. Da geht um um prägende Erlebnisse aus der Kindheit, Erinnerungen an die Eltern, aber auch einzelne Situationen und die damit verbundenen Gefühle. Im Mittelpunkt stehen zwei Familien: Leo Hertzberg, seine Ehefrau Erica Stein, Anglistin, der gemeinsame Sohn Matthew, und Bill Wechsler, seine erste Ehefrau, die Lyrikerin Lucille Alcott, der gemeinsame Sohn Mark, sowie Bills zweite Ehefrau, die Historikerin Violet Blom. Dazu kommen weitere wichtige Figuren, die durch ihr Verhalten das Leben der beiden Familie entscheidend beeinflussen. Ergänzt wird die Handlung durch eine lebhafte Schilderung der New Yorker Künstlerszene und kritische Betrachtungen des Kunstsektors. Siri Hustvedts Figuren zeichnen sich durch eine starke Präsenz und eine intensive Gefühlswelt aus, was diesen Roman eindrücklich und packend macht, zusammen mit gekonnt eingesetzten Spannungselementen. Diese Intensität spiegelt sich auch in der Sprache wider. Ich habe den Roman in der Originalsprache gelesen, die deutschsprachige Ausgabe trägt den Titel „Was ich liebte“.

Fazit

Eine komplexe, intensive und menschlich sehr kluge Geschichte, auch sprachlich überzeugend – keine Neuerscheinung, aber zeitlos lesenswert.

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